Protokoll der Sitzung vom 13.09.2019

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Frage lautet aber: Wie können wir von hier aus - auf kommunaler oder auf Landesebene - helfen? Können wir faktisch und nachhaltig Hilfe leisten, oder können wir nur appellieren und fromme Botschaften senden?

In diesem Kontext finde ich es wichtig, die Ursachen der Flucht noch einmal zu beleuchten.

Tatsache ist: Es gibt Menschen und Strukturen, die aus der Not der Flüchtlinge gewissenlos Profit schlagen. Das wissen auch Sie, Kollege Onay. Solange es dieses skrupellose Schlepper- und

Schleusertum gibt - Menschen, die sich rücksichtslos bereichern, die Hoffnungen und Ängste anderer schamlos ausnutzen -, so lange wird es leider Gottes Leid und Tod auf dem Mittelmeer geben.

Vor diesem Hintergrund vermittelt der vorliegende Antrag eine Botschaft, die aus meiner Sicht möglicherweise sogar kontraproduktiv ist. Wenn wir dem Antrag folgen, sagen wir den Menschen dann nicht: „Wenn es euch irgendwie gelingt, dann kommt zu uns, hier ist ein sicherer Hafen“? Auf den ersten Blick ist das eine gute Botschaft. Aber können wir das halten, was wir den Menschen damit versprechen? Oder spielt dieser Antrag sogar den Schleusern in die Hände? Möglicherweise schaffen wir völlig falsche Anreize und vermitteln wir falsche Hoffnungen. Hier ist kein sicherer Hafen. De facto können wir nämlich nur diejenigen aufnehmen, die tatsächlich einen Rechtsanspruch auf ein Bleiberecht in Deutschland haben. Das sind leider Gottes die wenigsten von denen.

Das, meine Damen und Herren, ist der Status quo. Eine grundsätzliche Abkehr davon ist möglicherweise gar nicht möglich.

Das, was im Antrag angeregt wird, steht rechtlich auf wackeligen Füßen. Ein Landesaufnahmeprogramm, wie es der Antrag vorschlägt, lässt sich derzeit, glaube ich, nicht umsetzen. Dazu müsste das Aufenthaltsgesetz geändert werden. Herr Kollege Onay, Sie haben das ja auch so gesagt.

Wir stehen dem vorliegenden Antrag grundsätzlich nicht gänzlich ablehnend gegenüber, meinen aber, dass die Lösungen darin möglicherweise nicht so formuliert sind, wie wir es uns wünschen.

Wir müssen uns, meine Damen und Herren, ehrlich eingestehen: Niedersachsen allein kann die Flüchtlingsproblematik auf dem Mittelmeer nicht lösen, auch wenn wir um die Dringlichkeit und Dramatik der Situation wissen. Zentrale Lösungsvorschläge können nur auf europäischer Ebene ansetzen. Das müssen sie auch dringend. So ist es beispielsweise nicht hinnehmbar, dass sich Europa bis heute auf kein System zur Verteilung von Flüchtlingen einigen konnte.

Zu den diskussionswürdigen Lösungsansätzen zählen sichere Häfen in Afrika, Schutzzonen, in denen es nach Gesetz und Recht zugeht und in denen Flüchtlinge menschenwürdig versorgt werden. Daran müssen wir arbeiten.

Meine Damen und Herren, genauso muss die Frage erlaubt sein, ob es richtig war, die europäische Lösung einer staatlichen Seenotrettung und eines

gezielten Schutzes der Außengrenzen wegfallen zu lassen. Ich denke, letztendlich war der Ausstieg aus der organisierten Seenotrettung ein Fehler. Aus heutiger Sicht war das ganz sicher falsch.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP sowie Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich glaube nach wie vor, dass der Antrag vermutlich an unseren Einflussmöglichkeiten scheitern wird. Hauptziel muss es nach wie vor sein, die Schleuserkriminalität einzudämmen. Mit falschen Hoffnungen verschärfen wir das Problem nur.

Wir müssen alles tun, um Menschen, die in Not sind, menschenwürdig zu helfen. Es ist ausdrücklich richtig, dass wir die staatliche Seenotrettung wieder unterstützen. Ich glaube aber, dass wir die Bundesregierung noch einmal auffordern sollten, an europäischen Lösungen zu arbeiten.

Wenn es uns gelingt, im Zuge der Beratungen gemeinsame Ansätze zu finden, um den Menschen vor Ort tatsächlich zu helfen, so wird es an uns nicht scheitern.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke schön, Kollege Hiebing. - Für die SPDFraktion erhält nun der Kollege Deniz Kurku das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor man sich mit dem Thema der Seenotrettung auseinandersetzt, sollte, ja muss man eines tun: sich vorstellen, wie es wäre, wenn man jetzt gleich, anstatt zurück in seinen Wahlkreis zu fahren, plötzlich fliehen müsste, weil alles zerbombt wurde, das eigene Heim weggespült wurde, man Hunger leidet, sich seines Lebens nicht mehr sicher ist, wie es sein muss, sein gesamtes Hab und Gut, Familienangehörige, Freunde, alle Gewohnheiten, die eigene Geschichte zurückzulassen, wie es sein muss, sein Überleben und die Zukunft einem Schlauchboot mit zig anderen Menschen und Seelen unter schlimmsten Bedingungen anzuvertrauen.

Herr Kurku, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Bothe?

Nein, bitte nicht. Ich würde gerne ausführen.

Nach UN-Angaben haben über 2 200 Menschen im vergangenen Jahr auf dem Weg über das Mittelmeer ihr Leben verloren.

Meine Damen und Herren, mit Sicherheit denken nun viele: Was soll das? Natürlich wissen wir alle, was für menschliche Tragödien sich auf hoher See abspielen. - Nicht alle aber sind zu solch einer Leistung an Empathie und Vorstellungskraft in der Lage. Anders kann ich mir das ewige widerwärtige Aufwiegeln gegen die Menschen auf Booten nicht erklären.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der FDP)

Ein besonderer Dank an die Evangelische Kirche, die gestern erklärt hat, ein Boot zur Rettung von Menschen anzuschaffen!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der Antrag der Grünen zur Unterstützung der Initiative Seebrücke weist eine ganze Reihe von Punkten auf, die Kommunen und das Land selbst im Umgang mit in Seenot geratenen Menschen betreffen.

Fakt ist, dass es bereits heute viele Städte und Gemeinden auch bei uns in Niedersachsen gibt, die sich bereit erklärt haben, über den Verteilungsschlüssel hinaus Menschen aufzunehmen, die vor dem Ertrinken gerettet wurden. Gerade gestern habe ich in diesem Zusammenhang mit dem Kollegen Bernd Lynack über Hildesheim gesprochen. Dieser und all den anderen Kommunen in Niedersachsen gilt unser ausdrücklichster Dank.

Dabei ist natürlich zu beachten, dass in den Kommunen eine unterschiedliche Bereitschaft und auch unterschiedliche Möglichkeiten in Bezug auf Finanzstärke, Wohnraumsituation, soziale Infrastruktur, ehrenamtliches Engagement und vieles mehr bestehen. Das gilt auch für die unterschiedliche Einschätzung in Bezug auf die Umsetzung der in diesem Antrag beschriebenen Punkte.

Ab wann eine Anerkennung erfolgt und letztlich ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besteht, ist in einem

Rechtsstaat hingegen aus gutem Grund an ein rechtliches Verfahren gekoppelt. Das können wir bei all den wichtigen Vorstößen nicht außer Acht lassen.

Ich selbst betrachte die Initiative mit einem lachenden und einem weinenden Auge - lachend deshalb, weil es natürlich zu begrüßen ist, dass sich Menschen bereit erklären zu helfen. Bei Gemeinden und Städten, die für sich erklären, dies auch tun zu wollen, ist zu diskutieren, inwiefern wir auch als Land mithelfen können. Ob das Mittel über Programme sind oder nicht, sei einmal dahingestellt. Aber meine Kollegin Doris Schröder-Köpf hat gestern in diesem Zusammenhang, wie ich finde, sehr eindrucksvolle Worte über die Freude am Helfen gefunden.

Mit einem weinenden Auge sehe ich die Initiative „Seebrücke“, weil es mehr als traurig ist, dass private Initiativen das übernehmen, was eigentlich auf europäischer Ebene längst verbindlich hätte geregelt sein müssen, und zwar staatlich und im Verbund.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung von Horst Kortlang [FDP])

Die anhaltende Diskussion um die Verteilung von geflüchteten Menschen zeigt ja, dass hier eine Lösung unabdingbar ist.

Bei der Gestaltung der Aufnahme gibt es eine Vielzahl an Fragestellungen, die wir nicht losgelöst von Bundes- und europäischen Kontexten diskutieren können. Das haben beide Kollegen zuvor auch schon gesagt.

Letzten Endes leben aber wir alle in einer Kommune; so viel ist klar. Wir sorgen mit dem in dieser Woche diskutierten Haushaltsplanentwurf dafür, dass etwa jeder dritte Euro bei den Kommunen ankommen wird. Die Stärkung der Kommunen liegt nicht nur uns Kommunalpolitikern am Herzen und bedeutet neben der Stärkung der vielen anderen Bereiche, wie Wirtschaft, Infrastruktur, Bildung, Sicherheit oder Verwaltung, auch die Stärkung der Integrationskraft vor Ort.

Ich freue mich auf die weitere sachliche Beratung des Antrags im Innenausschuss. Eines aber soll heute in aller Deutlichkeit gesagt sein - damit möchte ich schließen -: Die Rettung von Menschen auf hoher See, die Seenotrettung, ist kein Verbrechen. Seenotrettung ist ein Zeichen von Menschlichkeit. Dafür stehen wir als SPD-Fraktion. Traurig, aber auch wütend bin ich darüber, dass es

einige gibt, die erst einmal unterscheiden wollen, woher jemand kommt oder welchen Pass er hat, bevor sie Menschenleben retten. Dankbar und stolz dagegen bin ich darauf, dass alle anderen in dieser Frage sehr klar zusammenstehen. Darüber freue ich mich.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustimmung bei der CDU und von Horst Kortlang [FDP])

Vielen Dank, Herr Kollege Kurku. - Für die FDPFraktion spricht jetzt Herr Dr. Marco Genthe.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Umgang mit Migration ist eine Frage, die wir nur auf europäischer Ebene lösen können. Dafür brauchen wir ein einheitliches europäisches Asyl- und Flüchtlingsrecht. Vor allen Dingen brauchen wir eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa. Dazu bedarf es - das wurde schon angesprochen - in jedem Fall einer Reform des Dublin-III-Systems. Im Zuge dieser Reform sind die Quoten nach Größe und Wirtschaftsleistung der einzelnen Länder zu bestimmen. Staaten, die Flüchtlinge nicht entsprechend ihrer Quote aufnehmen, sollten verpflichtet werden, eine Ausgleichszahlung zu leisten.

Meine Damen und Herren, das Sterben im Mittelmeer ist eine menschliche Tragödie, ein menschliches Desaster, das ich mir persönlich vor einigen Jahren noch nicht hätte vorstellen können. Absolut notwendig ist daher eine gemeinsame europäische Seenotrettungsstrategie, die auch ausdrücklich eine staatliche Seenotrettung beinhalten muss. Die diesbezügliche Forderung aus dem Antrag der Grünen teilen wir ganz ausdrücklich. Aber ohne eine Dublin-III-Reform wird das nicht durchzusetzen sein.

Ein weiterer Baustein - ich betone ausdrücklich: ein weiterer Baustein -, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden, könnten Zentren nach dem UNHCRStandard in Afrika sein. In diesen Zentren müssten Asylverfahren hinsichtlich der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit nach europäischen Standards durchgeführt werden können. Im Falle der Anerkennung sollten die Menschen dann mit einem humanitären Visum als Kontingentflüchtlinge

sicher in die EU einreisen oder sich um die Aufnahme als qualifizierte Zuwanderer bewerben können. Hierfür muss jedoch die Bereitschaft der Staaten der Europäischen Union zur Aufnahme deutlich erhöht werden. Aber diesbezüglich scheint es ja aktuell zumindest in Italien Bewegung zu geben.

(Beifall bei der FDP)

Insofern wollen wir uns der Initiative „Seebrücke“ nicht verschließen. Aber die Erklärung allein, Niedersachsen sei jetzt ein sicherer Hafen, wird das Problem leider nicht lösen. Das ist schlicht ein Appell einer Entscheidungsebene, die insoweit keine durchgreifenden Kompetenzen hat.

Sehr kritisch sehen wir jedoch die Forderung nach einer Änderung des § 23 des Aufenthaltsgesetzes. Ohne eine einheitliche europäische Lösung wird man, wie ich eben schon sagte, der Situation nicht Herr werden können. Dazu gehört auch ein einheitliches Vorgehen auf deutscher Seite. Die Änderung des Aufenthaltsgesetzes würde aber zu völlig uneinheitlichen Entscheidungen innerhalb Deutschlands führen.