Protokoll der Sitzung vom 25.02.2020

- Herr Dammann-Tamke, die Antwort kommt. Haben Sie doch etwas Geduld!

Ich erzähle das, weil es offensichtlich notwendig ist, immer wieder daran zu erinnern. Als sich nämlich die Deutsche Umwelthilfe darangemacht hat, vor deutschen Verwaltungsgerichten genau diese Regeln, die lange Recht und Gesetz sind, tatsächlich durchzusetzen, ist sie dafür insbesondere von Teilen der CDU und der FDP wüst beschimpft worden. Das ging so weit, dass die CDU sogar gefordert hat, der Umwelthilfe müsse die Gemeinnützigkeit aberkannt werden. Das sollte ja offensichtlich die Sanktion dafür sein, dass die Umwelthilfe für die Durchsetzung des Rechtsstaats in Deutschland gekämpft hat. - Das ist ein unerhörter Vorgang, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Richtig!)

Die Umwelthilfe hat deshalb so viel Kritik auf sich gezogen, weil sie Erfolg hatte, weil deutsche Gerichte gesagt haben: Ja, die Umwelthilfe hat recht, hier muss mehr für saubere Luft in Städten getan werden.

(Zuruf von Wiard Siebels [SPD])

Herr Siebels, wie war die Reaktion der zuständigen Landesregierungen in Baden-Württemberg und in Bayern? - Die Reaktion war: Wir machen nichts! Wir machen gar nichts!

In München hat das dazu geführt, dass die Umwelthilfe noch einmal geklagt und das Verwaltungsgericht sogar ein Zwangsgeld gegen die Staatsregierung verhängt hat. Ich vermute, das war ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik.

Was hat die Staatsregierung daraufhin gemacht? - Sie hat das Zwangsgeld von einem Ministerium in das andere transferiert. Es blieb also in der Landeskasse - von der linken Tasche in die rechte Tasche -, und sie hat im Übrigen weiterhin nichts gemacht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir solche Vorgänge erleben, dass geurteilt wird, dass sich Landesregierungen nicht an Recht und Gesetz halten, dass Landesregierungen Geldstrafen von einer Tasche in die andere packen, dann dürfen wir uns nicht darüber wundern, dass Menschen anfangen, an der Wirksamkeit des Rechtsstaates und gerichtlicher Urteile in diesem Land zu zweifeln. Das ist ein Problem. Das können wir so nicht hinnehmen.

Sie alle wissen, das Verfahren in München ging in der Folgezeit bis an den Europäischen Gerichtshof. Das Gericht wollte wissen: Können wir denn mehr tun, als hier immer nur Geld von einer Tasche in die andere umzuverteilen? Können wir vielleicht Zwangshaft gegen die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker durchsetzen?

Der Europäische Gerichtshof hat dann in einem sehr differenzierten Urteil gesagt: Das ist prinzipiell möglich, das ist mit europäischem Recht vereinbar. Es muss aber für die Zwangshaft wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs eine klare gesetzliche Grundlage geben. Diese klare gesetzliche Grundlage - nicht mehr und nicht weniger - fordern wir mit unserem Entschließungsantrag. Geltendes Recht muss auch effektiv durchgesetzt werden. Es darf nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Reaktionen der Großen Koalition im Ausschuss waren, gelinde gesagt, ernüchternd. Sie haben darauf hingewiesen, dass es gegenwärtig keinen vergleichbaren Fall in Niedersachsen gibt. - Das stimmt. Aber ich frage Sie: Was wäre wenn? Was würden Sie dann tun?

Sie haben vor allem überhaupt keinen eigenen Vorschlag gemacht, wie man dazu beitragen könnte, dass das, was in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein sollte, dass sich nämlich Behörden

an gerichtliche Entscheidungen halten, auch tatsächlich umgesetzt wird.

Frau Ministerin Havliza, ich habe Sie in meiner Einbringungsrede sehr gelobt für Ihre wirklich sehr kluge Rede zu dieser Thematik. Nur, auch da muss man fragen: Was folgt denn bei Ihnen aus Ihrer Rede? Welches Handeln folgt denn aus dieser Feststellung, dass es ein Problem für den Rechtsstaat ist, wenn die Urteile nicht befolgt werden? - Bis jetzt folgt daraus nämlich weder von der Ministerin noch von der Großen Koalition etwas. Es folgt daraus wirklich überhaupt nichts. Das ist, gelinde gesagt, sehr enttäuschend.

Ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Limburg. - Für die CDUFraktion hat sich nun der Kollege Christoph Plett gemeldet. Bitte sehr!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Limburg, der Antrag, den Sie vorgelegt haben bzw. den Ihre Fraktion vorgelegt hat, beinhaltet zwei Punkte. Den ersten Punkt haben Sie in Ihrer Rede nicht erwähnt. Danach soll der § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung dahin erweitert werden, dass Zwangsgelder gegen Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht mehr an die jeweilige Landeskasse, sondern an eine gemeinnützige Einrichtung gezahlt werden sollen. Sie haben das mit der Metapher „rechte Tasche, linke Tasche“ erwähnt. Das wollen Sie in Zukunft nicht mehr haben. - Das ist der eine Punkt.

Der andere Punkt ist der wesentliche Kern Ihres Antrags. Er zielt darauf, dass die Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Verhängung von Zwangshaft gegen - hier müssen wir dann ins Detail gehen - Behördenleiterinnen und Behördenleiter, Landesministerinnen und Landesminister sowie Bundesministerinnen und Bundesminister gesetzlich geregelt werden sollen. Der Hintergrund - das haben Sie erwähnt - ist natürlich das Urteil des Bayerischen Gerichtshofs, der zu dem Ergebnis gekommen ist. Deswegen ist das dann auch dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt worden.

Ich will auf Ihre Argumente wie folgt eingehen:

Zu dem ersten Punkt - Zwangsgelder an gemeinnützige Einrichtungen - müssen wir in die Struktur der Gesetze gucken. Es ist fraglich, ob das, was Sie wollen, nämlich dass dieses „rechte Tasche, linke Tasche“ aufhört, den Druck erhöht. Das ist eine entscheidende Frage.

Eine andere Frage ist natürlich auch das Strukturargument. Sie wollen, dass in Zukunft nicht mehr der Landesetat davon „profitiert“, sondern eine gemeinnützige Einrichtung. In den Parallelvorschriften, nämlich z. B. in § 153 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Strafprozessordnung, wird deutlich, dass hier dahin gehend ein struktureller Unterschied besteht, dass diese Norm dazu führt, dass eine Genugtuungsfunktion erfüllt werden soll, die mit dem, was Sie vorschlagen, nichts gemein hat.

Mit § 172 der Verwaltungsgerichtsordnung soll ein in die Zukunft gerichtetes Beugemittel umgesetzt werden. Auch das hat, glaube ich, mit der Norm, die ich gerade zitiert hatte, nicht viel zu tun. Unserer Auffassung nach würde sich eine Veränderung des § 172 VwGO nicht anbieten, weil wir uns dadurch vom System der zivilprozessualen

Zwangsvollstreckung entfernen würden.

Ich komme jetzt aber zu dem Kern Ihres Antrags, zu der Verhängung von Zwangshaft. Das ist eine wesentliche Frage für den Rechtsstaat. Denn wenn die Entscheidungen der Legislative und die Urteile nicht mehr durch die Exekutive umgesetzt werden, haben wir ein Problem in unserem Rechtsstaat. Damit haben Sie vollkommen recht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Aber zu der Frage einer Zwangshaft gegenüber den von mir eben genannten Personen muss natürlich eine verfassungsrechtliche Abwägung erfolgen.

Herr Limburg, Sie haben das EuGH-Urteil zitiert. Wir haben über diese Frage ja schon im Jahr 2018 das erste Mal gesprochen. Seit 2018 haben Sie Ihren Antrag aber nicht verändert. Das ist eine lange Zeit. In dieser Zeit sind verschiedene andere Rechtsüberlegungen mit eingeflossen, die Sie in diesem Antrag überhaupt nicht berücksichtigt haben. Dazu zählen die verfassungsrechtliche Abwägung der Gewaltenteilung, das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes, das Rechtsstaatsprinzip und das Grundrecht auf Freiheit der Person.

Ich möchte in diesem Zusammenhang Artikel 104 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes zitieren:

„Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden.“

Das bedeutet: Wenn wir eine Zwangshaft im Gesetz anordnen würden, muss das unter der Voraussetzung der von mir genannten verfassungsrechtlichen Überlegungen sehr dezidiert abgewogen und sehr zielgerichtet formuliert werden.

Mit Verlaub, Herr Limburg, wenn Sie aus der Opposition heraus den Regierungsparteien vorwerfen, im Ausschuss keine Vorschläge dazu unterbreitet zu haben, dann kann ich unter den von mir genannten Gesichtspunkten nur sagen: Von Ihnen ist da überhaupt nichts gekommen!

(Zuruf von Helge Limburg [GRÜNE])

Deswegen: Bleiben Sie am besten nicht bei Ihren Vorwürfen gegenüber den Regierungsfraktionen, sondern fangen Sie bei sich selber an!

(Beifall bei der CDU)

Vor diesem Hintergrund möchte ich kurz die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zitieren. Der EuGH setzt zwei Voraussetzungen an. Zum einen muss es im innerstaatlichen Recht eine hinreichend zugängliche, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbare Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Maßnahme geben. Zum anderen muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.

Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit wird Ihr Vorschlag einer Zwangshaft nach meiner unmaßgeblichen Einschätzung nicht zu dem Ergebnis führen, dass wir im Augenblick eine Zwangshaft im Gesetz verankern werden.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Plett. - Für die FDPFraktion hat sich der Kollege Dr. Marco Genthe zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rechtsstaat ist in Deutschland anerkannt. Seine Umsetzung ist allerdings immer öfter zum Diskussionsgegenstand geworden; denn die Justiz ist

nach wie vor unterfinanziert. Dieses Thema werden wir als FDP-Fraktion weiterhin sehr nachhaltig verfolgen.

Es ist jedoch nicht so, dass die rechtsstaatlich zustande gekommenen Entscheidungen der Justiz nicht durchgesetzt werden können. Das gilt ganz besonders für Behörden, die in einem Verfahren unterliegen. Ich persönlich hatte jedenfalls als Rechtsanwalt nie eine Akte auf dem Tisch, wo eine Behörde in einem Gerichtsverfahren einem Bürger unterliegt, diese Entscheidung aber schlicht ignoriert. In anderen Bundesländern mag es andere Beispiele geben; diese kann und möchte ich jedoch ohne Einblick in die Verfahrensakten nicht bewerten.

Das hier aufgeworfene Problem, wonach ein Zwangsgeld, welches gegen eine Landesbehörde festgesetzt wird, an eine andere Landesbehörde zu zahlen ist, besteht theoretisch schon länger. Insoweit ist es durchaus nachvollziehbar, dass dies von den Grünen thematisiert wird.

Allerdings haben die Gerichte bereits jetzt die Möglichkeit, solche Zwangsgelder gemeinnützigen Einrichtungen zukommen zu lassen. Meine Damen und Herren, ich traue unseren Richterinnen und Richtern insoweit eine hohe Kompetenz zu, in diesen Fällen eine sachgerechte Entscheidung zu treffen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Die richterliche Unabhängigkeit sorgt dafür, dass alle Möglichkeiten bestehen, die gerichtlichen Entscheidungen auch durchzusetzen. Einen Anlass, den niedersächsischen Richtern an dieser Stelle eine gesetzgeberische Vorgabe zu machen, sehe ich jedenfalls nicht.