Protokoll der Sitzung vom 02.07.2020

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Frau Osigus. - Für die CDU-Fraktion wird nun Herr Kollege Volker Meyer das Wort erhalten.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den vergangenen Wochen und Monaten haben uns die Missbrauchsskandale in Lügde, Bergisch Gladbach und Münster gemeinsam erschüttert - grausame Straftaten in bislang kaum für möglich gehaltenen Dimensionen, die uns nicht nur betroffen, sondern in erster Linie auch wütend machen. Zu Recht wird auf vielen Ebenen der Ruf nach effektiver Prävention und konsequenter Strafverfolgung laut. Kinder als schwächste Mitglieder unserer Gesellschaft - ich glaube, darin sind wir uns einig - bedürfen unserer besonderen Fürsorge. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch und Gewalt geht uns alle an.

Daher hat unsere Justizministerin Barbara Havliza in den vergangenen Wochen wiederholt die Anhebung der Mindeststrafe des § 176 Abs. 1 StGB gefordert. Danach würde der sexuelle Missbrauch von Kindern künftig mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr belegt. Denn - ich glaube, darin sind wir uns auch alle einig - sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen und kein Vergehen.

(Beifall bei der CDU)

Umso erstaunter war ich, als ich in der Deister- und Weserzeitung lesen musste, dass sich unsere Ministerin nicht für eine Strafverschärfung einsetze. Genau das Gegenteil war in den vergangenen Wochen der Fall. Immer wieder hat unsere Justizministerin gemeinsam mit anderen den Druck auf die SPD-Justizministerin Frau Lambrecht erhöht,

damit diese ihren Widerstand gegen eine Strafverschärfung aufgibt. Dies ist gelungen. Dafür herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Eine hohe Strafe und eine unvermeidbare Gerichtsverhandlung können ihre abschreckende Wirkung jedoch nur unter einer Voraussetzung entfalten, nämlich nur dann, wenn die Täter ernsthaft damit rechnen müssen, erwischt zu werden. Daher bedarf es umfassender Ermittlungsbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden. Dies gilt in besonderem Maße - das ist eben schon angesprochen worden - gerade für die Verfolgung von Kinderpornografie im Internet und im Darknet.

Ob das Thema Verjährung für uns ein probates Mittel ist, müssen wir in den nächsten Wochen sicherlich noch einmal gemeinsam miteinander diskutieren. Hierzu hat es am Dienstag durchaus umfassende Erläuterungen unserer Justizministerin, aber auch der Bundesjustizministerin gegeben, die dies im Rahmen der Gesamtthematik für etwas schwierig hält. Ich glaube, im Ausschuss werden wir für diese Gesamtangelegenheit einen gemeinsamen Weg finden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, primäres Ziel muss es für uns aber sein, solche Taten, so weit wie möglich, in ihrer Entstehung zu verhindern. Von enormer Wichtigkeit sind in diesem Zusammenhang örtliche Präventionsnetzwerke, die von den Kitas und den Schulen über Vereine und Organisationen bis hin zur Jugendhilfe zusammenarbeiten, damit Präventionsangebote noch besser miteinander vernetzt und koordiniert werden und damit sie vor allem - da haben wir manchmal Schwierigkeiten - alle Kinder und Jugendlichen erreichen können.

Vor Ort müssen kommunale Präventionsnetzwerke diese Funktion übernehmen und zwischen den beteiligten Institutionen Brücken bauen. Dank der über die politische Liste für das laufende Haushaltsjahr zur Verfügung gestellten 150 000 Euro können entsprechende Projekte jetzt vom Justizministerium unterstützt werden.

Solch eine Arbeit hätte ich mir - ehrlich gesagt - auch vom Landkreis Hameln gewünscht. Wir alle sind in besonderen Situationen durchaus auch Angriffen ausgesetzt. Das ist mit Sicherheit für niemanden schön, das ist auch belastend, und wir haben auch die Pflicht, die Betroffenen zu schützen. Dass man daraus jedoch Profit schlagen

möchte, ist schon ziemlich instinktlos und muss aus unserer Sicht verhindert werden.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, letztlich bleibt festzuhalten, dass die Missbrauchsskandale Lügde, Bergisch Gladbach und Münster uns verpflichten, alle bekannten Strukturen auf den Prüfstand zu stellen - wir sind in vielen Bereichen auch schon dabei - und dies mit dem nötigen Respekt gegenüber den Opfern im Ausschuss zu diskutieren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke sehr, Herr Kollege Meyer. - Für die FDPFraktion hat sich der Abgeordnete Dr. Marco Genthe zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der sexuelle Missbrauch gehört sicherlich zu den schlimmsten Verbrechen, die ein Mensch einem anderen Menschen antun kann. Das habe ich schon am Dienstag gesagt, und dazu stehe ich.

Die gesellschaftliche Debatte dazu läuft schon sehr lange. Aus heutiger Sicht ist es ziemlich erschreckend, welche Argumente in dieser gesellschaftlichen Debatte noch in den 80er-Jahren vorgebracht worden sind. Nach meiner Meinung ist es aber richtig, dass die Strafbarkeit in den vergangenen 20 Jahren mehrfach verschärft wurde. Es wurden nicht nur die Strafen erhöht, es wurden auch die Tatbestände entsprechend erweitert. Dabei ist es natürlich auch richtig, neue Phänomene wie die sexuelle Belästigung über das Internet in die entsprechende Gesetzeslage mit einzuarbeiten.

Die FDP-Fraktion hat dazu bereits einen Entschließungsantrag eingebracht. Viele der Forderungen aus dem nunmehr von der Großen Koalition vorgelegten Entschließungsantrag entsprechen auch unseren Vorstellungen. Es ist daher sinnvoll, alle dem Landtag jetzt vorgelegten Anträge gemeinsam zu diskutieren, um vielleicht am Ende auch zu einem parteiübergreifenden Beschluss dieses Landtages zu kommen. Dieses Thema eignet sich nämlich überhaupt nicht für einen kleinteiligen politischen Streit. Das würde zu Recht kein Bürger verstehen.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Die Anzahl solcher Straftaten ist schon seit Langem erschreckend hoch. Aber ganz zu Recht wurden viele Bürger aufgrund der aktuellen Vorkommnisse aufgeschreckt und auf das Thema aufmerksam.

Politik, meine Damen und Herren, reagiert gern mit Strafverschärfungen. Diese haben wir auch beantragt. Die entsprechenden Paragrafen habe ich Ihnen am Dienstag bereits vorgetragen. Aber das darf nicht alles sein. Ein potenzieller Täter schaut nicht erst ins Bundesgesetzblatt oder ins StGB, ob sich in der letzten Zeit etwas geändert hat, bevor er seine Tat begeht.

(Zustimmung bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Es reicht daher nicht, sich auf die Gesetzesverschärfungen zu beschränken. Potenzielle Täter müssen durch mögliche Strafen abgeschreckt werden - aber auch die Tatausführung muss erschwert werden, und das Risiko, entdeckt zu werden, muss möglichst hoch sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Denn die Verfolgung der Täter scheitert fast nie an den Gesetzen, sondern fast immer an der Praxis.

Aus diesem Grund muss die Personalsituation bei den Staatsanwaltschaften und bei der Polizei, die mit der Verfolgung von Kindesmissbrauch befasst sind, deutlich verbessert werden. Das ist teurer als eine neue Seite im Bundesgesetzblatt, aber wesentlich effektiver.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Zudem müssen Netzwerke geschaffen werden, um einen Austausch zwischen Kinderärzten, Jugendämtern, Schulen und anderen besser zu organisieren. Ein weiterer Schwerpunkt muss selbstverständlich auf der Präventionsarbeit liegen.

(Beifall bei der FDP - Helge Limburg [GRÜNE]: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, deutlichen Diskussionsbedarf sehe ich jedoch bei dem Vorschlag, die Verjährungsfristen abzuschaffen. Frau Osigus, insofern war ich von Ihrer Presseerklärung schon sehr überrascht.

Wenn man das diskutieren möchte, betreibt man nicht automatisch Täterschutz.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN - Dr. Stefan Birkner [FDP]: So ist es!)

Das haben Sie im letzten Absatz Ihrer Presseerklärung auch der Justizministerin unterstellt. Wäre sie heute hier, würde sie sich dagegen sicherlich ausdrücklich verwahren. Ich dachte immer, Sie seien in einer Koalition. Ich habe mich jedenfalls sehr gewundert. Ihre Presseerklärung ist schon bemerkenswert.

Die strafrechtliche Verjährung dient ganz sicher nicht dazu, die Justiz irgendwie zu entlasten. Sie ist u. a. der Erfahrung geschuldet, dass bei Taten, die mehrere Jahrzehnte zurückliegen, die Tatsachenfeststellung fast unmöglich wird.

Ich bitte, bei der Diskussion Folgendes auch noch zu bedenken: Gerade bei den Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche sind Jungen zum Opfer geworden, die teilweise viele Jahre, auch mithilfe von Therapeuten, gebraucht haben, um das Geschehene irgendwie zu verarbeiten. Diese Opfer sind nun erwachsen, haben möglicherweise eine eigene Familie und möchten sich gegebenenfalls nicht als Opfer outen, weder gegenüber ihrer Familie noch gegenüber dem sozialen Umfeld. Und schon gar nicht wollen sie sich psychisch in irgendeiner Form wieder zurückwerfen lassen.

Wenn nun gegen den ausdrücklichen Willen der Opfer ermittelt werden muss, halte ich das hinsichtlich des Opferschutzes für äußerst problematisch.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, vielleicht wäre es ein Weg, in diesen Fällen die Verjährungsfristen nur insofern aufzuheben, als nach einem gewissen Zeitablauf - dabei kann man sich ja an den aktuellen Verjährungsfristen orientieren - eine solche Tat nur noch auf Antrag des Opfers verfolgt werden kann.

(Glocke des Präsidenten)

Jeder, der ein solches Verfahren schon einmal begleiten musste, weiß, wie schwierig Glaubwürdigkeitsgutachten vor Gericht insbesondere dann werden, wenn das Opfer schon mehrfach therapiert werden musste. In einem solchen Prozess darf ein Opfer solcher Taten niemals zum zweiten Mal zum Opfer werden.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Sie müssen bitte zum Schluss kommen, Herr Dr. Genthe!

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.

Die Diskussion hierüber wird sicherlich schwierig, aber genauso sicher ist, dass sie geführt werden muss.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)