Protokoll der Sitzung vom 04.05.2023

(Beifall bei der SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf für die Regierungsfraktionen den Antrag „Gute Personalausstattung im niedersächsischen Justizvollzug sicherstellen - belastbares Personalbemessungssystem entwickeln und umsetzen“ einbringen.

Ich durfte vor drei oder vier Jahren - es war vor Corona - in der JVA Oldenburg hospitieren und durfte die Kolleginnen und Kollegen des Justizvollzugs zwei Tage bei ihrer Arbeit begleiten. Die Nacht dazwischen durfte ich in der Zelle verbringen.

(Heiterkeit bei der AfD)

Das war für mich in zweierlei Hinsicht eine spannende Erfahrung. Zum einen die Übernachtung. Aber viel spannender war es natürlich, die Mitarbeitenden zu begleiten und zu sehen, wie vielfältig, anspruchsvoll und verantwortungsvoll ihre Tätigkeit ist und mit welchem großen Einsatz sie diese Tätigkeit leisten.

Deswegen will ich mich zu Beginn meiner Rede im Namen meiner Fraktion bei allen Beschäftigten im Justizvollzug, die diese wichtige und zunehmend schwierige Arbeit leisten und für unsere Sicherheit sorgen, ganz herzlich bedanken.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN sowie Zustimmung von Klaus Wichmann [AfD])

Im Koalitionsvertrag haben wir, die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen, uns vorgenommen, den veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen im Justizvollzug Rechnung zu tragen und die großen Herausforderungen anzugehen, vor denen der niedersächsische Justizvollzug steht.

Wir haben mit zunehmenden Gefangenenzahlen zu tun. Psychische Auffälligkeiten bei Gefangenen sind auf einem hohen Niveau. In die Justizvollzugsanstalten werden neue psychogene Drogen eingebracht. Zudem gibt es Radikalisierungstendenzen bei Gefangenen. Darüber hinaus kommen im Justizvollzug Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zusammen. Diese dort geleistete Arbeit ist schwierig und wichtig.

Deswegen wollen wir den Justizvollzug nachhaltig stärken. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass der gesetzliche Resozialisierungs- und Sicherheitsauftrag, der schließlich in unser aller Interesse liegt, umgesetzt wird.

Der langjährige Leiter der Justizvollzugsanstalt Oldenburg, Gerd Koop, hat immer gesagt: „Morgen sollen sie“ - die Gefangenen - „doch unsere Nachbarn sein.“ Das ist, glaube ich, der Anspruch an einen modernen Justizvollzug. So ein Justizvollzug braucht aber auch eine gute Personalausstattung und motivierte Mitarbeitende.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Mit dem zweiten Nachtragshaushalt, den wir in dieser Plenarwoche beschlossen haben, konnten wir mit der Erhöhung der Vollzugszulage - der sogenannten Gitterzulage - auf 180 Euro zum 1. Juli 2023 bereits eine erste wichtige Verbesserung für

den Justizvollzug auf den Weg bringen. Damit erhalten die Beschäftigten in Niedersachsen nun die höchste Zulage im Ländervergleich. Das ist ein schöner Erfolg und vor allen Dingen auch eine große Anerkennung für die wichtige und verantwortungsvolle Arbeit, die unsere Justizvollzugsbediensteten leisten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Wir tragen damit aber auch der Tatsache Rechnung, dass es in einem Arbeitsmarkt, der vom Fachkräftemangel gezeichnet ist, wichtig ist, dass der öffentliche Dienst eine höhere Arbeitgeberattraktivität erlangt. An der Stelle ist die Zulage sicherlich ein erster, aber wichtiger Schritt. Wir werden auch über weitere Attraktivitätssteigerungen sprechen müssen. Ich denke auch, dass wir die auf den Weg bringen.

Ein zweiter Punkt, der im Justizvollzug wichtig ist, sind die Haftplätze. Auch dort haben wir einen Handlungsbedarf bezüglich Sanierung und Neubau.

Und schließlich geht es darum, dass wir die Personalsituation verbessern. Das ist ein Thema, das uns schon seit vielen Jahren beschäftigt. Wir tragen einen festgestellten Fehlbedarf von ca. 200 Stellen mit uns rum. In den letzten Jahren haben wir es immer wieder geschafft, punktuell Stellen zu schaffen. Aber im Dickicht zwischen Beschäftigungsvolumen und Stellenplan war es dann manchmal gar nicht transparent darstellbar, wo diese Stellen dann letztlich in den Anstalten geblieben sind.

Vor diesem Hintergrund haben wir uns überlegt, dass wir ein Personalbemessungssystem für den Justizvollzug auf den Weg bringen wollen. Das ist ein Vorhaben, das in Gesprächen entstanden und entwickelt worden ist, die wir gegen Ende der letzten Legislaturperiode mit den Verbänden geführt haben. Ich will an der Stelle den VNSB und die Vereinigung der Anstaltsleiter nennen, die uns auf ein Modell, ein Vorhaben in Schleswig-Holstein aufmerksam gemacht haben, wo es eben genau so eine Organisationsuntersuchung gegeben hat, die in einem guten Personalbemessungssystem gemündet ist. Diese guten Erfahrungen aus dem Nachbarland wollen wir uns in Niedersachsen nutzbar machen.

Dass so ein Personalbemessungssystem gut ist, dass es für Transparenz sorgt, dass es auch befriedet, sehen wir an PEBB§Y. Für die Gerichte haben

wir ja seit vielen Jahren das Personalbedarfsberechnungssystem PEBB§Y. Es ist nicht so, dass PEBB§Y immer 100 % Zustimmung bei allen Beteiligten schafft, aber es ist im Großen und Ganzen doch ein anerkanntes System, was sich bewährt hat und insbesondere eine transparente Personalbedarfsberechnung ermöglicht.

Was haben wir vor? - Es soll eine externe Organisationsuntersuchung sein, die den spezifischen Personalbedarf für jede einzelne Haftanstalt in Niedersachsen ermittelt und darauf aufbauend ein Personalbemessungssystem entwickelt. Da geht es um unterschiedliche räumliche und organisatorische Gegebenheiten in den Haftanstalten, um unterschiedliche Konzepte in den Haftanstalten und natürlich auch um unterschiedlicher Haftarten. Die Ziele des Strafvollzugs können nur dann bestmöglich erreicht werden, wenn ausreichend und vor allem qualifiziertes sowie motiviertes Personal zur Verfügung steht.

Die unterschiedlichen Gegebenheiten - beispielsweise haben ältere Justizvollzugsanstalten viel längere Wege, bei denen mehr Schließvorgänge erforderlich sind; neuere sind da besser aufgestellt - wollen wir bewerten und berücksichtigen, um dann die Personalbedarfe zu kennen und wirklich passgenau und bedarfsgerecht steuern zu können.

Es reicht dabei nicht aus, den Status quo zu erfassen. Neben der aktuellen Personalsituation

und -struktur wollen wir auch den künftigen Personalbedarf erfassen. Deshalb sind auch die künftigen Rahmenbedingungen und Anforderungen, aber insbesondere auch die in den nächsten Jahren anstehenden Altersabgänge in den Blick zu nehmen.

Der Krankenstand bei den Beschäftigten ist ein weiterer Punkt, den wir erheben wollen. Denn er führt bei den anderen Kolleg*innen zu Mehrarbeit und kann auf Dauer auch zu einer Überlastungssituation führen.

Fußend auf den Ergebnissen der Organisationsuntersuchung, sind dann auch eine Anwerbestrategie zu entwickeln und hinreichende Ausbildungskapazitäten sicherzustellen, die eine auskömmliche Personalausstattung im niedersächsischen Justizvollzug sicherstellen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass wir bei der Personalgewinnung moderner werden und potenzielle Bewerber*innen zeitgemäß ansprechen müssen.

Die erforderlichen Stellen sollen dann in einem Stufenplan über die nächsten Haushalte zur Verfügung gestellt werden, um die Aufgabenerledigung im

Sinne des gesetzlichen Resozialisierungs- und Sicherheitsauftrags sicherzustellen.

Uns ist es wichtig, dass die Beschäftigten bei der Erarbeitung des Personalbemessungssystems für den Vollzug einbezogen und die Personalvertretungen sowie die Anstaltsleitungen beteiligt werden. Den Dialog und Austausch mit den Verbänden und Gewerkschaften werden wir fortsetzen.

Ich freue mich auf die Ausschussberatung und die Umsetzung dieses für die Zukunftssicherheit unseres Justizvollzugs wichtigen Vorhabens.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege André Hüttemeyer. Bitte schön!

(Beifall bei der CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach den ersten Bereisungen des Unterausschusses „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ und den intensiven Gesprächen vor allem auch mit den Personalvertretungen und den unterschiedlichen Justizvollzugsbediensteten in den Anstalten haben wir als Mitglieder des Unterausschusses vielerlei Erkenntnisse gewinnen können.

Drei Erkenntnisse sind unter anderem auch in dem vorliegenden Antrag beschrieben: Das sind die höhere Belastung des Personals aufgrund vermehrter psychischer Auffälligkeiten, weniger Respekt gegenüber den Bediensteten und erhöhte Anforderungen aufgrund von kulturellen Unterschiedlichkeiten und deren Handhabung.

Eine erhöhte Anforderung an das Personal durch gestiegene Gefangenenzahlen, wie es im Antrag steht, gibt es indes, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, nicht. Denn auf unsere Kleine Anfrage hin, in der wir statistische Daten abgefragt haben, hat sich laut der Drucksache 19/1109 zu Frage 6 ergeben, dass die Gefangenenzahlen in den letzten Jahren konstant oder auch eher fallend gewesen sind.

Die erhöhte Anforderung an das Personal liegt daher ausschließlich in der Komplexität der Gefangenenbelegung sowie im Aufwand, bezogen auf gelungene Resozialisierung, begründet. Dies haben Sie in dem Antrag aber auch dargelegt.

Eine umfassende Personalbedarfsanalyse je Haftanstalt und Haftart ist daher durchzuführen und auch aus unserer Sicht begrüßenswert. Eine entsprechende Anwerbestrategie zu entwickeln und durchzuführen, sehen wir ebenfalls als sinnvoll an, um damit die Zukunft des niedersächsischen Justizvollzugsdiensts zu sichern.

Den Unterton dieses Antrags begleiten wir aber ein wenig kritisch. Nur durch mehr Personal eine Antwort auf alle Problemstellungen zu suchen, ist nicht zielführend. Vielmehr muss das gesamte System unter die Lupe genommen werden.

Unserer Ansicht nach gehören daher folgende vier Punkte zu einer umfassenden Organisationsuntersuchung:

Erstens. Wie kann Personal effektiver in Kombination mit baulichen Veränderungen eingesetzt werden? Sind z. B. die Schließsysteme nicht mehr die neuesten und gängigsten? Sind sie vielleicht auch zu personalintensiv?

Zweitens: Kürzung von Besuchszeiten. Die effizientere Steuerung von Besuchszeiten kann sehr viel Personal freisetzen, das an anderer Stelle dringender benötigt wird.

Drittens: mehr Einsatz von intelligenten Systemen, Videoüberwachung und auch Künstlicher Intelligenz. Auch das kann Personal entlasten.

Viertens - nicht abschließend -: gezielte Betrachtung von personalintensiven Bereichen des Justizvollzugs. Wo wird tatsächlich so viel Personal gebraucht, dass ein erhöhter Bedarf da ist? Welche technischen Hilfsmittel können dazu führen, dass wir Personal einsparen?

Zumindest diese vier beispielhaft genannten Punkte in so eine Personalbedarfsanalyse aufzunehmen, würden wir unterstützen und begrüßen. Das wäre eine umfassende Organisationsuntersuchung. Ausschließlich mit mehr Personal lassen sich die Probleme aus unserer Sicht nicht lösen.

Denn die Problematik - das hat auch der Kollege Prange gesagt; 200 Stellen sind schon jetzt nicht besetzt - ist allen klar. Woher kommt das Personal? Wir greifen alle in denselben Topf von Menschen, von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, und dieses Personal wächst leider nicht auf Bäumen. Das bedeutet, wir müssen schauen, wie wir das System ändern und so anpassen können, dass es dem niedersächsischen Justizvollzug dienlich ist.

Kurzum: Die Intention Ihres Antrags tragen wir mit - unter Berücksichtigung der eben genannten

Punkte. Denn der niedersächsische Justizvollzug leistet einen herausragenden Beitrag zu unserer aller Sicherheit. Die Bediensteten verdienen uneingeschränkte Wertschätzung, und sie verdienen einen Arbeitsplatz, an dem man sich wohlfühlt, und nicht einen, bei dem man voller Stress und Sorge am nächsten Tag zur Arbeit gehen „muss“.

Eine umfassende Organisationsuntersuchung kann daher zu neuen Erkenntnissen führen, welche den Justizvollzug in Niedersachsen attraktiver und auch besser machen. Daher begrüßen wir als CDULandtagsfraktion das und würden uns wünschen, dass die von uns genannten Punkte Berücksichtigung in einer umfassenden Organisationsuntersuchung finden.