Protokoll der Sitzung vom 24.10.2008

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Dennoch muss man am Ende des Tages natürlich zu politischen Bewertungen kommen. Frau Hendricks hat gerade aus Sicht der SPD den Teil herausgestellt, der für sie handlungsleitend ist. Es ist naturgemäß so, wenn man mit so vielen verschiedenen wissenschaftlichen Expertisen, Forschungsvorhaben und Wissenschaftlern als Person zu tun hat, gibt es unterschiedliche Meinungen und Erkenntnisse. Dies hängt auch vom Wertegerüst und vom Vorverständnis des betroffenen Wissenschaftlers ab. Dementsprechend gibt es je nach Setzen der Parameter unterschiedliche Schlussfolgerungen.

Zu den Ergebnissen des Berichts: Für die FDPLandtagsfraktion darf ich feststellen, dass uns die allermeisten Expertisen ermutigen, den Weg konsequenter Reformen zur Modernisierung von Bildung, Erziehung und Betreuung in NordrheinWestfalen beherzt fortzusetzen. Mit dem neuen Schulgesetz und dem KiBiz haben wir die Weichen

in Richtung Zukunft gestellt. Wir schaffen so das modernste Bildungs- und Betreuungssystem in ganz Deutschland. Reformen, die in der Sache alternativlos sind, müssen im Interesse der Chancen der jungen Generation konsequent vollendet werden. Das gilt auch, wenn sich Besitzstandswahrer an der einen oder anderen Stelle lieber auf Althergebrachtem ausruhen möchten.

Wir brauchen eine bessere Elternbildung und eine neue Erziehungsverantwortung der Familien für ihren Nachwuchs. Wir wissen, dass der frühkindliche Bereich für den weiteren Lebensweg eines Kindes entscheidend ist. Deshalb setzen wir auch die Reforminstrumente von KiBiz fort.

Durch die Weiterentwicklung der Familienzentren sind wir auch in diesem Bereich auf einem guten Weg, um für ein optimales Betreuungs- und Bildungsangebot zu sorgen.

(Beifall von Angela Freimuth [FDP])

In Nordrhein-Westfalen wird durch ergänzende Maßnahmen der Rechtsanspruch für Zweijährige ab dem Kindergartenjahr 2010 gesichert sein. Das ist eine ganz großartige Leistung, mit der NordrheinWestfalen auch bundesweit voranschreitet.

Wir werden die vorschulische Sprachförderung, basierend auf einer Sprachstandsfeststellung, konsequent fortsetzen. Auch hier sind wir Motor der bundesweiten Entwicklung, wie die Verabredungen vom Bildungsgipfel dieser Woche eindrucksvoll belegen: Andere Bundesländer sind hier noch längst nicht angekommen.

Die Enquetekommission bestätigt unsere seit Jahren vertretene Haltung, dass wir höhere Ausbildungsstandards für unsere Kindergärtnerinnen brauchen. Hier liegen neue Potenziale für Ausbildungsabschlüsse auf Fachhochschulniveau, wie auch im internationalen Vergleich üblich.

Wir werden den Weg des Ausbaus der kommunalen Infrastruktur an Familienzentren beherzt weitergehen.

(Beifall von der FDP)

Hier liegt eine ganz wichtige Stabilisierungs- und Beratungsfunktion für Familien mit multiplen Lebenslagen.

Getreu unserem Gesellschaftsbild „Privat vor Staat“ und „Freiheit vor Gleichheit“ werden wir dazu die Tagespflege stärken und weiter ausbauen. Hier finden Privatpersonen für individuelle Lebenslagen Lösungen, die große Institutionen oftmals nicht bieten können.

(Beifall von der FDP)

Eine staatliche Kindergartenpflicht lehnen wir als Liberale entschieden ab. Es geht uns um die freie Entfaltung höchst unterschiedlicher Persönlichkeiten. Das geht nicht mit staatlichem Zwang.

Rot-Grün hat eine Wüste mit 2,8-prozentiger Bedarfsdeckung im Bereich der U3-Betreuung hinterlassen.

(Zuruf von Holger Ellerbrock [FDP])

2,8 %, Herr Kollege, Bedarfsdeckung. Das war immer das Missverständnis bei Rot-Grün: Für die hieß U3-Betreuung: unter 3 % Bedarfsdeckung. – In Wirklichkeit steht es für die Betreuung der UnterDreijährigen.

(Angela Tillmann [SPD]: Tätä, tätä!)

Nordrhein-Westfalen hat mit der Koalition der Erneuerung – Sie haben das aufgenommen – diesen Abstiegsplatz verlassen können und mausert sich vom rot-grünen Kellerkind zum schwarz-gelben Musterschüler.

(Britta Altenkamp [SPD]: Da müssen Sie sel- ber lachen, Herr Witzel!)

Schulpolitik ist ein gutes Stichwort; denn Köpfe sind unser Kapital. Nichts wird die Lebens- und Aufstiegsperspektiven unserer Jugend so entscheidend bestimmen wie ein hochwertiges Bildungsangebot. Daher ist es richtig, dass wir die leistungsabgewandte Pädagogik von Rot-Grün durch eine neue Anstrengungskultur in unseren Schulen ersetzen.

(Beifall von Holger Ellerbrock [FDP])

Gerade ein Bildungssystem, in dem die eigenen Chancen von der Leistung abhängen, ist gerechter als das, was Sie hinterlassen haben. Bei Ihnen gab es den starken Zusammenhang von Bildungschancen und sozialer Herkunft. Etwas leisten, sich anstrengen, das kann jeder – das ist das Entscheidende –, davon müssen zukünftige Erfolge individuell abhängen.

(Beifall von der FDP)

Schule darf nicht zu lethargischer Konsumhaltung führen, sondern muss eine neue Anstrengungskultur bei Wissensvermittlung und Wertebildung entfachen. Unsere Reformen sind deshalb richtig und greifen.

Wir brauchen Zentralprüfungen für gerechte und vergleichbare Standards. Wir brauchen mehr Ganztagsunterstützung als freiwilliges Angebot im fairen Wettbewerb aller Schulformen und nicht als Zwangsganztag. Wir brauchen mehr Lehrer und Sozialpädagogen für eine bessere Betreuungsrelation, die individuelle Förderung und selbstgesteuerte Lernprozesse ermöglichen. Wir brauchen die Ressourcenzuweisungen nach Sozialindex, wie von unserer Koalition der Erneuerung eingeführt, statt Mittelvergabe mit der Gießkanne.

Wir brauchen zusätzliche Förderressourcen und den Behalt aller Demografiegewinne im System für qualitative Verbesserungen. Wir wollen die Kräfte des Qualitätswettbewerbs, der Einrichtungen im Wettbewerbsföderalismus, der Pluralität von päda

gogischen Konzepten nutzen. Wir treten ein für eine Qualitätsdebatte statt einer Schulstrukturdebatte.

Der von der SPD erweckte Eindruck, die Enquetekommission empfehle eine Abkehr vom mehrgliederigen Schulsystem, ist ausdrücklich falsch. Die Kommission hat auch zu keinem Zeitpunkt so votiert, weder gemeinsam noch mehrheitlich.

(Beifall von FDP und CDU)

Die Abschaffung bestimmter Schulformen ist aus unserer Sicht fachlich nicht empfehlenswert und sie wird es mit der FDP auch zukünftig nicht geben.

(Britta Altenkamp [SPD]: Aha! Ich dachte, Sie hätten einen Parteitagsbeschluss darüber!)

Die mehrjährige Kommissionsarbeit zeigt: Wir brauchen eine Qualitätsdebatte im Bildungssystem und mehr Ressourcen, um die Bildungschancen von Kindern mit besonderem Förderbedarf zu erhöhen. Gerade die Aufrechterhaltung eines differenzierten Schulangebots auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus wird der Berücksichtigung individueller Neigungen am ehesten gerecht. Das wird auch zukünftig unser Kompass sein. Wir wollen Nordrhein-Westfalen fortentwickeln zum Land der neuen Chancen, und dafür stehen wir heute und morgen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Witzel. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Frau Kollegin Asch.

(Britta Altenkamp [SPD]: Dann ist der Vormit- tag ja gerettet, nicht, Herr Laschet?)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht, den wir heute hier vorstellen und diskutieren, ist ein Extrakt von über zwei Jahren intensiver Arbeit. Diese Zeit ist eine gewesen, die sich von unserer sonstigen parlamentarischen Arbeit unterscheidet. Statt der Kurzlebigkeit der tagespolitischen Themensetzung, dem oftmals sehr schnellen Wechsel von einem Sachverhalt zum nächsten hatten wir die Chance, uns gemeinsam und intensiv und mit Unterstützung unserer Expertinnen und Experten einem Themenbereich zu widmen.

Auch von mir herzlichen Dank an alle, die produktiv und konstruktiv in diesem Prozess mitgearbeitet haben, insbesondere an meine Sprecherkollegin Renate Hendricks und an meinen Sprecherkollegen Walter Kern. Wir haben sehr intensive Auseinandersetzungen gehabt, wir haben oftmals auch gestritten, aber es war insgesamt doch ein Prozess – wir haben das gestern festgestellt –, der uns auch ein Stück hat zusammenwachsen lassen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Ganz großen Dank natürlich an unsere Sachverständigen, Wissenschaftlerinnen, die mit großer Geduld und Ausdauer die nicht wirklich immer rund und effizient laufende Diskussion über viele Verfahrensfragen ertragen und erduldet haben, die uns intensiv in diesen Prozessen unterstützt haben. Herzlichen Dank auch an unsere wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen, die oftmals über das nötige Maß hinaus bis in die Abendstunden und bis ins Wochenende hinein mitgearbeitet haben.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Obwohl wir sozusagen einen umschriebenen Themenbereich hatten, ist nun natürlich etwas passiert, das Karl Valentin so beschreibt: Je näher man eine Sache anschaut, desto weiter schaut sie zurück. Unsere Themenstellung und der Anspruch daran waren sehr umfassend und komplex und haben uns doch oftmals an zeitliche Kapazitätsgrenzen geführt. Über 120 Handlungsempfehlungen sind aus dieser Arbeit heraus entwickelt worden, die meisten davon erfreulicherweise, wenn auch nach langwierigen Diskussionen, nach vielen Überarbeitungen und nach dem Feilen an Formulierungen, einvernehmlich.

Ich freue mich über die Übereinkünfte, die wir insbesondere im Bereich der frühkindlichen Bildung, Erziehung und Betreuung erzielt haben. Ich möchte beispielhaft den Konsens nennen, dass der gesamte Bereich der frühkindlichen Bildung optimal und auch finanziell gut aufgestellt sein muss, die gesamte Kindergartenlandschaft in diesem Bereich als Grundlage für jeden weiteren Bildungserfolg optimal gestaltet werden muss, dass dazu auch die finanziellen Grundlagen geschaffen werden müssen und dass man kleinen Kindern heute nur gerecht wird, wenn sie intensiv – das bedeutet: mit einem ausreichenden Personalschlüssel – betreut werden.

Wir haben uns gemeinsam darauf verständigen können, dass die Empfehlungen des „Europäischen Netzwerks Kinderbetreuung“, die für diesen Betreuungsschlüssel – das heißt für das Erzieherin/KindVerhältnis – ausgesprochen wurden, umzusetzen sind.

Wir haben uns verständigt, dass die Elternbeiträge zukünftig zu entfallen haben. Da gibt es unterschiedliche zeitliche Vorstellungen, aber der grundsätzliche Konsens ist vorhanden. Das finde ich bemerkenswert und sehr erfreulich.

Gleiches gilt für das grundsätzlich von allen geteilte Erfordernis, Erzieherinnen besser zu qualifizieren und damit ihre Ausbildung an die europäischen Standards anzupassen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, wie sehen die Chancen für Kinder in NordrheinWestfalen nun aus? Wie sieht die Gesamtbewertung der Situation der Kinder in unserem Land? – Da mussten wir uns einer bitteren Erkenntnis stellen, die uns von allen dazu forschenden Wissen

schaftlern und Wissenschaftlerinnen bestätigt wurde: Es sieht nicht gut aus, es sieht nicht optimal aus für die Kinder in unserem Land.

Dabei ist natürlich insbesondere die bedrückende Kinderarmut zu nennen. Sie verstellt Kindern Zukunftschancen, Chancen auf eine gesunde Entwicklung und auf gesundes Aufwachsen, Chancen auf einen gelingenden Bildungsabschluss und damit auf einen gelingenden Start ins Leben. 25 % aller Kinder in Nordrhein-Westfalen sind von Armut bedroht oder leben in Armut. Zu dieser finanziellen Armut kommt die sogenannte Lebenslagenarmut, das heißt, die Wohn-, Gesundheits- und Bildungssituation sind davon betroffen.