Protokoll der Sitzung vom 27.05.2009

denn die nachhaltige Entwicklung ist, auf die Gesamtwirtschaft übertragen, ein unumgänglich notwendiger Veränderungsprozess, der uns alle angeht. Wir müssen die Erfordernisse und Bedürfnisse der Gegenwart bedienen, ohne gleichzeitig zu riskieren, dass künftige Generationen zu ihrer Zeit dazu nicht mehr in der Lage sein werden.

Die nachhaltige Entwicklung ist auch eine Herausforderung für die öffentliche Hand bei ihren anstehenden Beschaffungen. Auch unser Land Nordrhein-Westfalen muss dabei Vorbildfunktion haben; denn die Beschaffungen von Staat und Kommunen sind sowohl absolut und volkswirtschaftlich als auch von ihrer Signalwirkung her von großer Bedeutung.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, nachhaltiges Beschaffen von Bauten, Gütern und Dienstleistungen heißt für uns Sozialdemokraten wirtschaftlich beschaffen, umweltschonend beschaffen, sozialverträglich beschaffen. Dabei sind selbstverständlich die Vorschriften des übergeordneten Beschaffungs

rechtes einzuhalten. Ganz bewusst wird fälschlicherweise aus dem konservativen wie dem neoliberalen Lager immer wieder vorgebracht, dass Wirtschaftlichkeit und Rechtsvorschriften schon vom Grundsatz her in Widerspruch zur Nachhaltigkeit stünden. Diese Denke aus der Zeit von vor der Finanzkrise 2008 ist überholt. „Privat vor Staat“ ist eine Seite der Medaille aus dem Rüttgers-Club, auf der anderen Seite steht „Geiz ist geil“.

(Zuruf von der FDP: Aber nicht bei uns!)

Aber hallo! – Wir von der SPD hingegen orientieren uns bei öffentlichen Beschaffungen nicht einseitig an Billigangeboten ohne Beachtung der wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Folgekosten. Wir stehen ein für „Partner Staat“, welcher das Preis-Leistungs-Verhältnis umfassend beurteilt und dabei alle Lebenswegkosten von Produkten und soziale Aspekte von Dienstleistungen schon vor der eigentlichen Beschaffung mit einbezieht.

Entscheidungskriterien einer nachhaltigen Beschaffung sind direkte wie indirekte Folge- und Ergänzungskosten, Qualität, Unterhalt, Ressourcenverbrauch, Umweltauswirkungen oder Entsorgung und Rückbau. Nachhaltig beschaffen heißt aber auch, auf die Einhaltung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen, auf auskömmliche Bezahlung, den Ausschluss von Kinderarbeit und auf Geschlechtergerechtigkeit zu achten.

Solche Vorschriften sind durch geltende Vorgaben des Welthandels, der Europäischen Union und umgesetztes nationales Recht ausdrücklich zugelassen. Schließlich war es die Europäische Union, welche ihre Mitglieder aufgerufen hat, nachhaltige Kriterien bei den Beschaffungen vorzunehmen. Selbstverständlich muss dies im Sinne eines Sustainable Development noch weiter ausgebaut und vertieft werden.

So hat auch Bundespräsident Köhler in seiner Festansprache am 22. Mai dieses Jahres, also vor fünf Tagen, darüber hinaus noch einmal radikale Umgestaltungen gefordert. Ich zitiere unser Staatsoberhaupt hier wörtlich:

Wir brauchen eine neue, ökologische Industrielle Revolution – überall auf der Welt.

Und weiter heißt es:

Wir wollen Politik mit langem Atem machen. Wir wollen sie an langfristigen Zielen ausrichten, damit auch unsere Kinder und Enkel die Chancen der Freiheit nutzen können.

Natürlich darf das Vergabewesen nicht ein Sammelsurium von Wertvorstellungen werden, bei dem die Frage der Preisfindung nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Aber so, wie sich die Situation in Nordrhein-Westfalen derzeit darstellt, darf es auch nicht bleiben. Hier ist es nämlich so, dass viele öffentliche Bauaufträge ohne jede Berücksichtigung von bestehenden sozialen Kriterien wie etwa der

Zahlung von Mindestlöhnen oder des Nachweises von Ausbildungsaktivitäten vergeben werden. Dabei waren wir bundesweit einmal das erste Land, das solche Regelungen mit den Vergaberichtlinien eingeführt hatte. Während neun andere Bundesländer nachgezogen haben, wurde es bei uns im Jahr 2006 als Erstes wieder abgeschafft.

Daher gibt es auch heute noch aktuell viele Negativbeispiele. So ist zum Beispiel meine Heimatkommune einer Vergabe-GmbH angeschlossen, die das Beschaffungswesen für insgesamt sechs Kommunen übernommen hat. Finanziell fährt unsere Gemeinde gut damit. Schließlich ist sichergestellt, dass nur der jeweils allerbilligste Anbieter den Zuschlag erhält.

(Holger Ellerbrock [FDP]: Der preiswerteste Anbieter!)

Die Gemeinde selber hat damit aber keinen Einfluss mehr auf soziale Vergabekriterien und kann nicht fordern, dass heimische Anbieter bevorzugt werden.

Daher sehe ich der Beratung in den Ausschüssen mit Spannung entgegen. – Vielen Dank.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wiegand. – Jetzt spricht für die FDPFraktion Herr Ellerbrock.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn der Rede von Herrn Remmel habe ich gedacht, er hat den Redebeitrag zum morgigen Thema Milchwirtschaft dabei. Wenn man sich das überlegt, stellt man fest: Da ist doch irgendwie ein „kleines“ Spannungspotenzial. Deswegen freue ich mich wirklich auf morgen.

Heute haben wir den Kollegen Remmel gehört – ich war schon nahe dran, ihm einen FDP-Aufnahmeantrag bringen zu lassen –, es kam stotterfrei über seine Lippen, dass der informierte Bürger ein mündiger Bürger ist. Er sprach auch von der ökologischsozialen Marktwirtschaft. Das fordern übrigens die Julis schon seit Langem, und wir bringen das nach vorne. Da hat er also das Hohelied der Marktwirtschaft gesungen und gesagt, der Verbraucher hat Marktmacht und muss das machen. Morgen – ich habe so eine Ahnung – wird der gleiche Kollege zur Milchwirtschaft sagen: Wir brauchen die Quote, wir brauchen die staatliche Regelung usw. Das wird also spannend werden, wenn wir die beiden Punkte zusammenbringen. Das finde ich prima.

Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint. Die Verantwortung der öffentlichen Hand in ihrer Vorbildfunktion ist sicherlich völlig unstrittig. Darin sind wir uns alle einig. Wir müssen aber sehen, dass der Antrag der Grünen zumindest nach heutiger Vorstellung letztendlich dazu führen wird, vergabefremde Kriterien einzuführen. Denn

das Vergabewesen ist ja eingeführt worden, um nach einer wettbewerbsorientierten Ausschreibung die kostengünstigste, die preiswerteste und nicht die billigste, Frau Kollegin, Lösung zu finden. Und da haben auch nach Vorstellungen der EU und auch gerichtlich bestätigt solche Kriterien, wie Sie sie angeführt haben, ihren Platz.

Ich habe mich bemüht, Ihren Antrag verständnisvoll zu lesen. Im dritten Absatz auf Seite 2 steht:

Eine ökologische und soziale Beschaffung kann sich durch den Kauf von Produkten auszeichnen, die zum Beispiel

das ist also nicht abschließend, sondern geht noch weiter –

folgenden Kriterien entsprechen: – Ökologisch verantwortliche Herstellung

Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Was ist ökologisch? Was ist verantwortlich? Was ist Herstellung? Das ist ein Beschäftigungsprogramm für Juristen in einem unbekannten Umfang.

Dann kommt die „Nachhaltigkeit“ – das ist auch ein nicht einfacher Begriff –, „biologische Beschaffenheit“ – hier stellt sich die Frage, was wir darunter verstehen – und „Klimafreundlichkeit“ – das kann man vielleicht schon eher fassen.

Dann kommen aber „Regionale Herstellung und geringe Transportkostenerzeugung“. Nach meiner Kenntnis sind wir sehr stolz, dass wir als Deutschland unseren Lebensstandard vorzugsweise aus dem Export generieren. Wir sind Exportweltmeister,

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

selbst fordern wir dann aber Begrenzungen bei der Vergabe. Wie die EU dazu steht, kann ich mir gar nicht vorstellen.

(Ralf Witzel [FDP]: Das ist wohl wahr!)

Dann geht es weiter: „Beziehung aus dem Fairen Handel“. Da gibt es Möglichkeiten. Fairer Handel, fair gehandelter Kaffee finde ich eine gute Sache, soweit das auf freiwilliger Basis geschieht.

Aber dann kommen die sozialen Belange. Da gibt es ja zum Beispiel die Möglichkeit, bestimmte Ausschreibungen zu machen: Betriebe mit Ausbildungsplätzen, mit besonders vielen Ausbildungsplätzen, mit Schwerbehinderten, besonders vielen Schwerbehinderten, mit einem besonders hohen Quotenanteil von Frauen in Führungspositionen – das wäre auch eine Möglichkeit – oder möglichst viele weibliche Beschäftigte, Migranten, Langzeitarbeitslose. Da müssen wir den Begriff „soziale Vergabekriterien“ also einmal breit diskutieren. Wir wissen aber – deswegen ist das nicht ganz fair, Kollege Remmel –, dass diese hier dargestellten Kriterien, über die Sie gesagt haben, wir müssten darüber nachdenken, gerichtlich überhaupt keinen Bestand haben sollen.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Also müssen wir uns selbst die Frage stellen: Was soll das? Ist das jetzt ein Antrag zur Befriedigung einer Klientel? Ist das ein Antrag, um irgendwelchen Interessensgruppen zu sagen: „Wir kümmern uns um euch, wir sind die guten Menschen“? Oder hat der Antrag einen gewissen, mir noch nicht bekannten geringen Grad an Realität?

Wenn man in dem Antrag weiter liest, heißt es:

Der Landtag stellt fest, dass Nachhaltigkeit grundsätzlich als Kriterium und Orientierung in der öffentlichen Beschaffung dienen muss.

Wir haben eben schon gesagt, das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Wenn es „kann“ heißt, ist es möglich, dass es dann die Funktion der einzelnen Körperschaft des öffentlichen Rechts oder der öffentlichen Hand übernimmt, hier zu arbeiten. Dann haben wir die gesamten Definitionsprobleme.

(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)

Der Präsident räuspert sich. Das ist ein verfahrensleitender Hinweis.

Das rote Zeichen auch, Herr Kollege.

Rot ist bei mir immer schwierig, das übersehe ich gerne.

Das sollten Sie besser nicht tun. Wie Sie sehen, ist das für Sie meistens das Ende.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Nach diesen Darstellungen und Fragen, die ich gestellt habe, muss ich sagen: Ich freue mich nicht unbedingt auf die Beratungen im Ausschuss, weil ich glaube, der Begriff „heiße Luft“ trifft nicht zu, denn in der Luft sind manche Inhaltsstoffe enthalten, die ich in dem Antrag nicht zu erkennen vermag. – Schönen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Jetzt hat für die Landesregierung in Vertretung von Ministerin Thoben Herr Minister Uhlenberg das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist völlig unbestreitbar, dass das Nachfolgepotenzial der öffentlichen Hand geeignet ist, nachhaltige Beschaffungsprozesse in unserer hochentwickelten Volkswirtschaft zu fördern.