Protokoll der Sitzung vom 08.10.2009

derschulen Bezug genommen, was den Grund- und den Mehrbedarf anbelangt. Auf Seite 8 haben wir allerdings auch geschrieben:

Angaben zur Stellenbesetzung im Gemeinsamen Unterricht liegen nicht vor, da die Stellenbesetzung an Schulen mit Gemeinsamem Unterricht nicht nach dem allgemeinen und Gemeinsamen Unterricht differenziert wird.

Wir werden dort aber natürlich Transparenz walten lassen. Dafür stehe ich auch. Selbstverständlich wird an dieser Stelle noch eine leere Seite gefüllt werden müssen.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Darüber hinaus – das habe ich gerade mit meinen Eingangsworten zu verdeutlichen versucht – kann es nicht nur um Datenmaterial gehen. Es ist zwar wichtig, dass wir diese Daten haben. Mir geht es aber ein Stück weit um viel mehr, nämlich um die Entwicklung von sonderpädagogischem Förderbedarf und um die Perspektive: Was wird werden, was wird in der Zukunft sein? Das ist die zentrale Frage überhaupt.

Wir haben vor drei Jahren schon einmal über dieses Thema gesprochen; ich erinnere das genau. Seinerzeit ging es um den Antrag „Sonderpädagogische Förderung – ein Gesamtkonzept, das trägt“ von CDU und FDP. Damals haben wir vier Zielsetzungen herausgearbeitet. Eine davon trifft nun nicht mehr zu; so ist die Entwicklung nun einmal. Seinerzeit haben wir nämlich einen Schülerrückgang prognostiziert, den es natürlich nicht gibt.

Wir haben aber drei andere Pflöcke gesetzt, die heute noch genauso wichtig sind wie damals und die wir bei der Entwicklung bedenken müssen. Erstens haben wir nämlich über Wohnortnähe gesprochen. Zweitens haben wir die gewünschte Zielsetzung beschrieben, ein Gesamtsystem fertigzustellen. Drittens haben wir gesagt, dass ein Weg dorthin – Frau Kastner hat dazu ja gerade schon deutliche Ausführungen gemacht – die Kompetenzzentren sein können.

Frau Ministerin, es gibt eine Zwischenfrage.

Ich möchte gerne – wie immer – weitermachen.

Meine Damen und Herren, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen wird sicherlich einen sehr wichtigen Impuls geben. Ich meine, dass der entsprechende Mentalitätswechsel auch schon eingetreten ist. Das ist gut und richtig.

Sie wissen – an dieser Stelle bestätige ich Ihnen das auch gerne noch einmal –, dass wir für mehr

gemeinsames Lernen von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf sind. Frau Pieper-von Heiden hat eben netterweise darauf hingewiesen – ich sage das hier gerne noch einmal –, dass wir die Ansätze bereits von 11 auf 14 % erhöht haben. Das ist schon mal ein guter Anfang. Wir sollten diesen Anteil aber weiter anheben. Ich verstehe die Diskussion auch so. Das ist jedenfalls meine Zielsetzung.

Ein wichtiger Baustein dafür ist die Einrichtung der Kompetenzzentren. Ich glaube, dass gerade sie vor Ort individuelle Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen – das ist mir auch wichtig – und die spezifischen Bedarfe berücksichtigen.

Vor allem zwei Dinge erachte ich als besonders wichtig. Zum einen ist das, wie ich eben schon gesagt habe, die vor drei Jahren definierte Zielsetzung, Wohnortnähe zu realisieren. Zum anderen müssen wir vor allen Dingen – das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren – auch präventiv arbeiten. Die Prävention ist ein ganz wichtiger Baustein im Rahmen der Förderung – nicht nur der sonderpädagogischen Förderung, sondern der Förderung allgemein.

Wir verstehen die Kompetenzzentren auch als eine Antwort auf die UN-Behindertenrechtskonvention.

„Kultur des Behaltens“, das ist ein wichtiges Zitat. Dies muss auch verinnerlicht werden. Behalten, Prävention, gemeinsam – „Kultur des Behaltens“ drückt das meines Erachtens aus.

Daneben gibt es einen wichtigen Aspekt, der auch in Ihren Ausführungen eine große Rolle gespielt hat, Frau Beer, nämlich die Frage, welchen Stellenwert wir dem Elternwillen einräumen. Ich denke, wir können uns auch darüber einig werden, dass der Elternwille gestärkt werden muss. Aber muss man darüber hinaus – und das ist für mich kein Widerspruch – tatsächlich alle Förderschulen im Lande auflösen? Ich glaube, dass es möglich ist, beides zu realisieren.

Ich greife einfach einmal auf den Fundus zurück, den ich aufgrund meiner Tätigkeit als ehemalige Schulrätin habe. Meine Damen und Herren, Sie können es mir wirklich abnehmen: Ich habe oft sehr schmerzliche Gespräche geführt. Ich habe verzweifelte Eltern und traurige Kinder gesehen. Das ist mir sehr nahe gegangen, weil man Kinder und Jugendliche, die es besonders schwer haben, nicht einfach als Aktenzeichen zwischen Aktendeckel packen darf. Das ist mir immer zuwider gewesen. Aber wenn man Eltern ernst nimmt, wenn man sie berät, wenn man sie in Schulen begleitet und ihnen zeigt, welche Leistung ihre Kinder erbringen können, dann kann man zu einem Konsens kommen.

Ich bin ein bisschen stolz darauf, meine Damen und Herren, dass es mir in all den Jahren als Schulaufsichtsbeamtin immer – bis auf ein Mal – gelungen ist, einen Konsens zu finden, ob das Kind zum ge

meinsamen Unterricht geht oder in einer Förderschule unterrichtet werden kann. Das ist eine mit ganz, ganz hoher Verantwortung besetzte Frage. Hier entscheidet man über Lebenswege, hier entscheidet man über Schicksale. Wir müssen uns da wirklich richtig Mühe geben, und wir müssen alle Wege ausloten, die dem einzelnen Kind gerecht werden.

Wir sind uns wohl auch darin einig: Kinder, wenn sie denn überhaupt jemandem außer sich selbst gehören, gehören den Eltern. Das heißt, es ist wichtig, dass die Eltern da ein Mitspracherecht bekommen. Das schafft auch Distanz zu jemand anderem, der auch entscheiden kann und sollte, nämlich zum Beispiel zum Schulrat bzw. zur Schulrätin. Aus der Distanz zum Kind können sie auch Entscheidungen treffen. An manchen Stellen muss man eben Anwalt der Kinder sein. Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Funktion in der Partnerschaft zwischen Eltern und Schulaufsicht.

Ich glaube, dass wir da einen sehr, sehr guten Weg finden können und uns darüber Gedanken machen müssen, weil das, liebe Frau Beer, sehr geehrte Frau Stotz, keine Frage einer fehlenden Seite ist, sondern da fällen wir Entscheidungen über ein Leben, über ein Schicksal.

Mir ist es an dieser Stelle wichtig, zu sagen: Ich glaube, dass es in der Pädagogik keinen absoluten Königsweg gibt. Es gibt da nichts, was absolut richtig oder absolut falsch wäre. So sehe ich jedenfalls die Pädagogik. Es gibt auch kein Entweder-oder, sondern es gibt immer ein Sowohl-als-auch. Ich appelliere, dass wir dieses gemeinsam finden. – Ganz herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Frau Ministerin Sommer. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Frau Beer.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Sommer, ich erkenne es ausdrücklich an, begrüße es und freue mich, dass Sie hier Klärung zugesagt und auf den Vorgang teilweise spontan reagiert haben. Es war an Ihrer Reaktion abzulesen, dass Sie offensichtlich nicht davon gewusst, dass diese Seite der Antwort auf die Große Anfrage entzogen worden ist.

(Zustimmung von Ministerin Barbara Som- mer)

Sie nicken! Also stimmt das. – Dann möchte ich Sie bitten, Frau Ministerin, uns noch in dieser Woche einen Bericht darüber vorzulegen, wie es überhaupt dazu kommen konnte,

(Beifall von den GRÜNEN)

dass dem Parlament diese Angaben vorenthalten wurden, wie es dazu kommen konnte, dass der Staatssekretär diese Art von Eingriff in die Information zwischen dem Haus und dem Parlament vornimmt, und wie Sie in Zukunft sicherstellen, dass solche Eingriffe nicht mehr passieren und dem Parlament keine Informationen mehr vorenthalten werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich gehe davon aus, dass wir die Tabelle, wie sie ursprünglich vorgesehen war, bekommen werden und dass darin auch die Zahlen zum gemeinsamen Unterricht enthalten sein werden. Die kann man nämlich – Sie wissen das – schnell bei der Schulaufsicht vor Ort erfragen.

Das ist, glaube ich, der offensive Akt, mit den Dingen umzugehen, und stellt auch das Verhältnis zum Parlament wieder her. Wir bitten Sie auch, danach die konsequenten Schritte zu gehen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Beer. – Frau Ministerin hat noch einmal das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist, wie es ist, sehr geehrte Frau Beer. Wir werden – bitte haben Sie etwas Nachsicht, denn die Ferien stehen an – das nicht innerhalb einer Woche machen können. Aber wir denken, wir können es so schnell wie möglich nachliefern.

Ich möchte noch einmal ganz kurz zur Entwicklung des sonderpädagogischen Förderbedarfs Stellung nehmen, weil mir das wirklich eine Herzensangelegenheit ist. Wir sollten gerade auch die Schülerinnen und Schüler in den Blick nehmen, von denen ich glaube, dass wir für sie am schnellsten eine Entwicklungsmöglichkeit bzw. eine Veränderung hinbekommen: 70 % unserer Kinder, die sonderpädagogischen Förderbedarf haben, sind Kinder mit Lern- und Entwicklungsstörungen. Dieser Anteil ist sehr hoch. Ich appelliere von dieser Stelle aus an Sie, zunächst einmal zu überlegen, wie wir die von mir eben genannte Kultur des Behaltens da einbringen können.

Meine Damen und Herren, in der Anhörung, die sehr wichtig war, ist herausgestellt worden, dass man das Ganze nicht wie einen Schalter umlegen kann. Das braucht Zeit. Ich erinnere daran, dass der von Ihnen eben zitierte Prof. Dr. Wocken einen Zeitraum angenommen hat. Er schätzte bei der Anhörung, dass für diese große Reformidee ein Zeitrahmen von etwa zehn Jahren zu veranschlagen ist. Diese Zeit braucht man auch, wenn man weiß, was

man da tut. Ich habe eben versucht darzulegen, wie viel Verantwortlichkeit das für den einzelnen Menschen bedeutet.

Ich möchte auf der anderen Seite aber auch sagen – das betone ich auch an anderer Stelle immer wieder, weil es mir wichtig ist –, dass Lehrerinnen und Lehrer nicht alles können müssen. Das beziehe ich auch auf unsere Thematik. Auch Schule kann den gesamten Auftrag von Inklusion – Sie merken, dass ich diesen Ausdruck jetzt benutze –

(Beifall von den GRÜNEN)

nicht allein bewältigen. Es ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, und ein wichtiger Teilbereich liegt in der Verantwortung der Schule. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir nicht nur diese Herausforderung gemeinsam lösen, sondern dass wir auch sehr pragmatische Dinge umsetzen können.

Die Kompetenzzentren sind unsere Pilotprojekte, die sicherlich gute Erfahrungen einbringen werden. Ich wünsche mir, dass wir diese Pilotschulen im Lande an unsere Familienzentren und regionale Bildungsnetzwerke andocken können, sodass folgender Grundgedanke verwirklicht wird: Wir können alle mitnehmen, und wir wollen alle mitnehmen.

(Vorsitz: Vizepräsident Edgar Moron)

Wir wollen vor allen Dingen auch die Kinder und Jugendlichen mitnehmen, die es besonders schwer haben; auch sie haben ganz besondere Stärken. Auf diese Stärken dürfen wir nicht verzichten, sondern auch da sind Schätze zu heben. Wenn wir uns diesem Gedanken nähern, dann können wir, so hoffe ich, …

Frau Ministerin.

… auch gemeinsame Entscheidungen treffen.

Wenn ich auf die Uhr schaue, sehe ich, dass Sie Ihre Redezeit beachtlich überschritten haben.

Beachtlich?

Beachtlich.

Darf ich denn nicht noch ein zweites Mal?