Insbesondere für Langzeitarbeitslose ist die Zeitarbeit eine Chance auf den Zugang zur Arbeit. In über 10 % der neu geschlossenen Zeitarbeitsverhältnisse waren die Zeitarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer zuvor zwölf Monate und länger ohne Beschäftigung und sie haben in der Regel voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse.
Unternehmen können durch Leih- und Zeitarbeitnehmer flexibel auf Nachfragespitzen oder Auftragsflauten reagieren. Im Falle von Urlaub oder Krankheit sind schnell Vertretungen zur Hand. Zeitarbeit beschleunigt im Aufschwung den Aufbau von Beschäftigung.
Aber wenn es wirtschaftlich schlechter geht, sind es auch die Zeitarbeiter, die als erste ihren Job verlieren. Das ist die Kehrseite der Medaille, mit der ich
als Gewerkschafter große Probleme habe. Hier könnte man einmal über verschiedene Modelle nachdenken, wie man den Betroffenen in solchen Fällen helfen kann, zum Beispiel durch einen deutlich höheren Lohn für die Mitarbeiter oder eine zusätzliche Versicherung, die einen Teil dieses Risikos trägt.
Gesetzliche Mindestlöhne aber sind kein geeignetes Mittel, um die Beschäftigten der Zeit- und Leiharbeitsfirmen besser zu stellen. Da hilft es auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, wenn Sie dieses eigentlich bundespolitische Thema zum wiederholten Male auf die Tagesordnung setzen lassen, auch wenn Sie mit Blick auf die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 2011 von dringendem Handlungsbedarf sprechen.
Dass wir handeln müssen, steht außer Frage. Denn wenn die volle Freizügigkeit der Arbeitnehmer greift, können ausländische Arbeitnehmer – ich denke hier vor allem an die osteuropäischen – unter den Bedingungen beispielsweise auch polnischer Tarifverträge arbeiten. Bei einer solchen Konkurrenz würde die Leih- und Zeitarbeitsbranche, wie sie heute existiert, keine Überlebenschance haben. Um das zu verhindern, muss die Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden.
SPD und Grüne – das sollten wir nicht vergessen – haben 2004 das Zeitarbeitsgesetz so novelliert, dass wir diese Probleme heute überhaupt so haben. Ich nehme positiv zur Kenntnis, dass Frau Steffens gestern ganz klar gesagt hat: So, wie es gemacht worden ist, war es ein Fehler. Das hätte man so nicht machen sollen. – Aber damals hieß der Bundeskanzler ja noch Schröder, und der hat gesagt: Basta! – Und da hat die SPD eben mitgespielt. So einfach ist das.
Außerdem ist es erforderlich, einen entsprechenden Tarifvertrag, der zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt wurde, für allgemeinverbindlich zu erklären.
Der Staat darf sich dabei nicht einmischen. Für uns ist die Tarifautonomie ein hohes Gut. Die Politik hat nicht das Recht, Lohnfindung an sich zu ziehen. Sie hat vielmehr die Pflicht, gemeinsam mit den Sozialpartnern darauf hinzuwirken, dass Tarifautonomie möglich und lebbar bleibt. Nur Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände haben das Recht, Tarifverträge auszuhandeln.
Das alles hat die CDU-Fraktion in ihrem Petersberger Papier zur Tarifautonomie festgeschrieben – ein Papier, das sogar vom DGB gelobt wurde. Da die Grundlage für die Festsetzung von Mindestlöhnen immer gültige Tarifverträge sind, kann die Leih- und Zeitarbeitsbranche derzeit gar nicht in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenom
obwohl sich die Situation mit vier Arbeitgeberverbänden und zwei konkurrierenden Tarifgemeinschaften mehr als schwierig darstellt.
Abwarten muss man hier vor allem das Ergebnis des Rechtsstreites über die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte die Kleingewerkschaft im Dezember für nicht tragfähig erklärt, womit die von ihr abgeschlossenen Tarifverträge ungültig würden. Gegen dieses Urteil hat die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften aber Beschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt. Deshalb ist das Urteil leider noch nicht rechtskräftig.
Letztlich aber müssen sich die Tarifpartner der Leih- und Zeitarbeitsbranche zusammenraufen und zu einer einvernehmlichen Lösung gelangen, was den Tarifvertrag und damit die Allgemeinverbindlichkeitserklärung betrifft. Die Politik kann und darf dies nur flankierend begleiten. Ich kann Ihnen versprechen, dass wir das auch tun. Wir werden dafür sorgen, dass vor dem Hintergrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit in ganz Europa die Zeitarbeitsbranche nicht unter die Räder kommt. Das geht aber nicht – wie ich eingangs schon erklärt habe – über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes.
(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie sprechen hier im Plenarsaal und nicht in einer karnevalisti- schen Veranstaltung!)
liegt die Zeitarbeitsquote bei den Vollzeitstellen bei 7,7 %, während es im Landesdurchschnitt 2,3 % sind.
(Beifall von CDU und FDP – Heike Gebhard [SPD]: Falsche Zahlen! – Peter Brakelmann [CDU]: Das steht alles hier drin!)
Vielen Dank, Herr Kollege Brakelmann. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Dr. Romberg das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Zur Zeitarbeit möchte ich noch einmal ausdrücklich hervorheben, dass wir Freien Demokraten die positiven Aspekte dieses Instruments schätzen und würdigen. Aber ein zentrales Ziel soll natürlich darin bestehen, reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen bzw. zu erhalten.
Zur Aufnahme neuer Branchen ins Entsendegesetz ist Folgendes zu sagen: Der Mindestlohn für den Bereich der Abfallwirtschaft wird vom Bundesarbeitsministerium im Sinne einer Altfallregelung nach dem geltenden Recht in Kraft gesetzt. Für alle anderen Branchen haben CDU und FDP im Koalitionsvertrag eine Vereinbarung getroffen. Danach werden alle bisherigen Mindestlohnregelungen auf ihre Auswirkungen hin evaluiert. Die Ergebnisse werden voraussichtlich im Oktober 2011 vorliegen. Danach kann dann auf dieser Basis entschieden werden, ob einzelne Regelungen aufzuheben sind oder sich bewährt haben.
Eine solche Evaluation ist eben nicht der Versuch einer Abschaffung der Mindestlöhne durch die Hintertür, wie die Opposition das hier gerne behauptet. Vielmehr ist es ein Zeichen für verantwortungsvolles Handeln, wenn man Regelungen nicht nur verabschiedet, sondern sich auch um deren Wirkungen kümmert. Es geht eben nicht um Ideologie, sondern um fundierte Erkenntnisse und um Transparenz; denn letztendlich zählen ja die Ergebnisse. Deshalb ist es aus Sicht der FDP sinnvoll, diese Ergebnisse zunächst abzuwarten, bevor neue Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen werden.
Dafür ist ohnehin die Einstimmigkeit im Tarifausschuss notwendig. Zurzeit tut sich die Zeitarbeitsbranche mit diesen Voraussetzungen jedoch schwer; Kollege Brakelmann hat es angesprochen. Zum einen wurden die Entgelttarifverträge Ende 2008 gekündigt; zum anderen gibt es die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zur Tarifunfähigkeit der Tarifgemeinschaft der Christlichen Gewerkschaften, wobei dieses Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Daher sind die Akteure in der Zeitarbeit gefordert, entsprechend nachzuarbeiten, damit überhaupt die Voraussetzungen für eine Allgemeinverbindlichkeit geschaffen werden können.
Außerdem entspricht es keineswegs einem Naturgesetz, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit automatisch zu einer ruinösen Konkurrenz führt. Deutschland ist ein Exportland und hat bisher in besondere Weise von internationalen Märkten profitiert. Das darf man nicht völlig vergessen. Um dauerhaft er
folgreich zu sein, brauchen wir eine Qualitätsoffensive durch Innovation im Bereich von Produkten und Dienstleistungen, flankiert durch Maßnahmen in Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die Zeitarbeit kann innerhalb dieser Entwicklung eine wichtige Funktion übernehmen, die seitens der Branche auch als Herausforderung begriffen und entsprechend genutzt werden sollte.
Die SPD hat in ihrem Antrag auch die unschönen Geschäftspraktiken der Firma Schlecker erwähnt, über die wir gestern debattiert haben. Aber in diesem Fall hat es eben im Kern nichts mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz zu tun, auch nicht mit dem Thema „Mindestlohn in der Zeitarbeit“. Denn der eigentliche Skandal – darüber haben wir gestern gesprochen – liegt vor allem im Missbrauch von Zeitarbeit durch die Firma Schlecker. Durch eine Aufnahme der Zeitarbeit in das Entsendegesetz hätte man die Betroffenen kaum vor diesem Schicksal bewahren können.
Der Antrag, den wir heute behandeln, entspricht dem, was wir aus der Kiste der Zeitarbeitsanträge die letzten Monate immer wieder bekommen haben. Ich sage heute noch einmal ganz deutlich: Wir sind weiterhin nicht der Deutsche Bundestag, sondern der nordrhein-westfälische Landtag. Sie scheinen mit unserer Politik im Bereich Arbeit, Gesundheit und Soziales so zufrieden zu sein, dass Sie sich immer nur Bundesthemen heraussuchen können. Damit sieht es schlecht aus für Ihre Ergebnisse bei der Landtagswahl. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Dr. Romberg. – Als nächste Rednerin hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Abgeordnete Steffens das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es ein bisschen unglücklich, dass wir jetzt in der Debatte darüber, was eigentlich bezüglich der Zeit- und Leiharbeit und dem Arbeitnehmerentsendegesetz notwendig wäre, abrutschen und aufgrund eines Vorwurfs gegen die AWO darüber sprechen, was in Beschäftigungsverhältnissen der Wohlfahrtsverbände korrekt bzw. nicht korrekt ist. Trotzdem will ich zu dem Punkt etwas sagen.
Ich glaube, dass man in Ruhe – wir könnten im Nachgang zu heute die Wohlfahrtsverbände und die Spitze der freien Wohlfahrtspflege zu einer Ausschusssitzung einladen – darüber reden muss, welche ethischen und moralischen Grundsätzen den Beschäftigungsverhältnisse bei Kirchen, bei kirchlichen Trägern, Wohlfahrtsverbänden und all denjenigen, die dem Gemeinwohl dienen, zugrunde liegen sollten.
Dazu gehört für mich die Frage der Zeit- und Leiharbeit. Dazu gehört auch die Frage nach Mindestlöhnen und Tarifabschlüssen, bezogen auch – was wir schon diskutiert haben – auf christliche Gewerkschaften, die andere Abschlüsse machen als die übrigen Gewerkschaften. Wir müssen uns also die grundsätzliche Frage stellen, welche ethischen und moralischen Anforderungen wir an diejenigen stellen, die selber einen sehr hohen ethischen und moralischen Anspruch haben, und wie diese ihrem eigenen Anspruch gerecht werden müssen. Ich fände es wichtig, diese Diskussion zu führen.
Wir können dann auch gerne darüber reden, was passiert. Sind die Zahlen der AWO, die im Raum stehen, korrekt? Ist das, was die AWO in dem Bereich macht, korrekt oder nicht? Kann die AWO nicht auch andere Lösungen finden, die nicht in der Zeit- und Leiharbeit liegen? – Denn jedes Zeit- und Leiharbeitsverhältnis ist ein Verhältnis, das uns als Sozial- und Arbeitsmarktpolitikerinnen eigentlich nicht recht sein kann. Dagegen ist ein festes und nicht befristetes Arbeitsverhältnis eher ein gutes Arbeitsverhältnis. Daher sollte man die Diskussion führen, was geht und was nicht geht.
Man sollte auch darüber diskutieren, ob es in der Pflege und in der Pflegeversicherung Rahmenbedingungen gibt, die zu solchen Auswüchsen führen, weil sie schwierig zu finanzieren sind. Auch darüber sollten wir reden, allerdings unabhängig davon, was wo wie läuft. Mit dem konkreten Fall werden wir uns an anderer Stelle beschäftigen können, aber diese Grundsatzfragen müssen wir stellen.
Das hat für mich aber nichts mit dem Thema zu tun, worüber die heutige Debatte eigentlich geführt werden sollte und was ich mindestens genauso wichtig finde, nämlich: Was passiert eigentlich, wenn der Markt Ende des Jahres geöffnet sein wird? Wenn wir bis dahin keinen Mindestlohn im Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen haben, welche Situation bekommen wir dann flächendeckend in dem Bereich?
Das ist ein Problem. Denn die ruinöse Konkurrenz, die dadurch entsteht, wird bei uns zu Lohndumping und zu einer Lohnspirale führen, die sich nach unten dreht. Es wird zu einer Ausgründung kommen, und andere Unternehmen mit Niedrigstlöhnen werden hier den Markt überschwemmen. Das wird insbesondere den Bereich der Pflege und die sozialen Bereiche treffen. Deswegen kann man diesen Punkt und dieses Thema hier nicht oft genug diskutieren. Ich finde, dass wir es nicht mit der grundsätzlichen Frage der Mindestlöhne verknüpfen dürfen.
Ich habe gestern schon gesagt: Bei der Frage der Mindestlöhne – das weiß ich – werden in diesem Haus unterschiedliche Positionen vertreten. Wir wollen einen, Sie wollen keinen. Das ist eine Grundsatzfrage, die man an der Stelle nicht disku
tieren muss. Denn Mindestlöhne haben nichts mit diesem Punkt zu tun. Sie haben auch nichts damit zu tun, dass auch Minister Laumann seinerzeit klar und deutlich gesagt hat – das war 2009, und das hat er in Plenardebatten mehrfach wiederholt –, dass man für die Leih- und Zeitarbeitsbranche eine Regelung ins Arbeitnehmerentsendegesetz aufnehmen muss.
Deswegen fände ich es gut, wenn wir in dem Punkt hier und heute einen Konsens dahin gehend herstellen könnten, dass wir den Minister unterstützen, wenn er im Bund aktiv wird. Dies müssen wir aber deutlich von den anderen Punkten trennen, und mit den ethischen und moralischen Ansprüchen an Kirchen, an Gewerkschaften, an Wohlfahrtsverbände und an sämtliche gemeinnützige Einrichtungen müssen wir uns an anderer Stelle beschäftigen. Denn das darf nicht dazu führen, dass man hier zu keiner gemeinsamen Positionierung kommt.
Vielen Dank, Frau Kollegin Steffens. – Als nächster Redner hat für die Landesregierung Herr Minister Laumann das Wort. Bitte schön, Herr Minister.