Protokoll der Sitzung vom 16.02.2006

Dann haben Sie das Wort, Herr Horstmann.

Herr Kollege Schulte, seitdem ein Christdemokrat für die Verkehrspolitik in Nordrhein-Westfalen Verantwortung trägt, erinnere ich mich zwar an ein öffentlich bekannt gewordenes Beispiel, welches wichtige Verkehrsprojekt der Minister nicht zu verwirklichen gedenkt, nämlich den Eisernen Rhein, aber an kein einzi

ges Verkehrsprojekt, das er zusätzlich zu verwirklichen gedenkt. Teilen Sie diese Einschätzung?

(Zuruf von Minister Armin Laschet)

Herr Kollege Horstmann, ich komme noch auf Ihre Rolle beim Bundesverkehrswegeplan 2003 zu sprechen. In diesem Zusammenhang werde ich Ihre Frage beantworten.

(Unruhe)

Am 20. März 2003 wurde in Berlin der Referentenentwurf für den Bundesverkehrswegeplan vorgelegt. Das war kein guter Tag für NordrheinWestfalen, denn im Vorfeld dieses Referentenentwurfes hatten Ihre grünen Umweltkollegen Frau Höhn und Herr Trittin das Bundesamt für Naturschutz zur Speerspitze der Straßenverkehrsplanung in Nordrhein-Westfalen gemacht.

Dieser Vorarbeit fielen wesentliche Teile von wichtigen nordrhein-westfälischen Vorhaben zum Opfer. Herr Horstmann, Sie haben es erreicht, dass der Anteil von Nordrhein-Westfalen am Programmvolumen im Endeffekt von 20,6 % auf 19 % gesunken ist. Es war in ihrer Verantwortung. Ihre Ankündigung, 22 % zu erreichen, ist völlig im Sande verlaufen.

(Beifall von der CDU)

Sie haben es ebenfalls nicht geschafft, die naturschutzrechtlichen Prüfungsaufträge aus dem Bundesverkehrswegeplan zu streichen, sodass wir neben der Tatsache, dass der Anteil auf 19 % gesunken ist, auch die Tatsache zu verzeichnen haben, dass eine Menge von Projekten durch zusätzliche umweltrechtliche Prüfungsaufträge blockiert ist. Ich darf Ihre Antwort mit einem eigenen Zitat beantworten, Herr Kollege Horstmann.

Herr Abgeordneter, ich darf Sie noch einmal unterbrechen. Herr Kollege Horstmann würde gerne noch eine Frage stellen.

Nein, im Moment will ich die erste Frage beantworten.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Kommt die Ant- wort noch?)

Sie haben am 24. Juni 2004 im Verkehrsausschuss des Landtags gesagt:

„ … man muss sich in Verteilungskämpfen darauf einstellen, dass man seine Forderungen nicht zu 100 % durchsetzen kann.“

Ich wandele ein anderes Zitat ab: Von Horstmann lernen heißt verlieren lernen.

(Beifall von der CDU)

Insofern war es Ihre Verhandlungsposition beim Bundesverkehrswegeplan 2003, die uns in Nordrhein-Westfalen in diesen Rückstand gebracht hat. Die Bürgerinnen und Bürger haben das bezahlt. Das Land ist Verlierer beim Bundesverkehrswegeplan und steht anders und schlechter da als andere Bundesländer. Viele Infrastrukturaufwendungen sind an Nordrhein-Westfalen vorbei geflossen. Die Ergebnisse erlebt der staunende Verkehrsteilnehmer, wenn er neue Autobahnen oder Ortsumgehungen in Bayern, BadenWürttemberg, Hessen oder Rheinland-Pfalz erlebt. Das hätten wir in Nordrhein-Westfalen auch haben können, wenn Sie sich seinerzeit in der Koalition nicht blockieren lassen und im Düsseldorfer Signal nicht ein Rotsignal für die Verkehrsinfrastruktur in Nordrhein-Westfalen gegeben hätten.

Herr Ministerpräsident Rüttgers hat am 23. Oktober 2005 an die nordrhein-westfälischen Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen in Berlin appelliert, notwendige Finanzmittel für die Modernisierung des Schienennetzes bereitzustellen, die naturschutzrechtlichen Planungsaufträge im Bundesverkehrswegeplan zu streichen und den Ausbau sowie Lückenschlüsse im Interesse zeitnaher Realisierung finanziell abzusichern.

Es ist für die Landesregierung und für die sie tragenden Koalitionsfraktionen eine Selbstverständlichkeit, die 2003 durch Rot-Grün in Berlin und Düsseldorf versenkten oder auf die Zeitschiene gehievten Schienen-, Autobahn- und Ortsumgehungsprojekte erneut auf die Rampe zu schieben, weil Handlungsspielraum durch die Absicht der Bundesregierung entsteht, zusätzlich Geld bereitzustellen.

Durch die angekündigten zusätzlichen Bundesverkehrsinvestitionen wird nur ein Teil der in den letzten Jahren vorgenommenen Mittelkürzungen zurückgenommen. Darauf will ich aufmerksam machen.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Welche machen Sie denn überhaupt?)

Herr Kollege Horstmann, das ist Ihr Verdienst. Davon sollten Sie auch nicht durch einen scheinheiligen Antrag ablenken.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Was verwirkli- chen Sie denn zusätzlich? Was machen Sie denn jetzt?)

Im Ausschuss für Bauen und Verkehr werden wir diese Diskussion fortsetzen können. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP – Dr. Axel Horst- mann [SPD]: Das war es jetzt?)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schulte. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Abgeordneter Keymis das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schulte, mit den Vergleichen ist es eben manchmal schwierig. Sie haben wieder einen sehr makaberen Vergleich gezogen. Ich glaube, den kann ich für alle – außer für Sie selbst – zurückweisen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Sie sind nicht nur ein schlechter Vergleicher, Sie sind auch ein ganz schlechter Märchenerzähler. Das finde ich schon ziemlich übel. Wenn Sie Märchen erzählen, vor allen Dingen dann, wenn Sie versuchen, wahre Märchen zu erzählen, müssen Sie versuchen, sich ein bisschen an die Wahrheit zu halten.

Herr Kollege Schulte, was Sie über den Bundesverkehrswegeplan erzählt haben, entbehrt wirklich vieler Grundlagen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Frage, wie wir in unserem Land mit naturschutzrechtlichen Belangen umzugehen haben.

Nachdem ich die beiden Beiträge gehört habe, möchte ich den Schwerpunkt auf das verlagern, was im Antrag steht, und auf das, worauf es aus unserer Sicht ankommt, wenn man sich vornimmt, 4,3 Milliarden € mehr in Verkehrsinvestitionen zu lenken. Im Prinzip ist nichts dagegen zu sagen. Die Frage ist, was man mit dem Geld macht.

Herr Kollege Wißen, ich bin überrascht, dass Sie eine Art großkoalitionären Antrag eingebracht haben und – das sage ich in aller provokanten Freude – den drei Fraktionen, die wir im Landtag als Betonfraktionen kennzeichnen dürfen, im Grunde genommen aus der Seele sprechen.

Sie sagen ganz klar: Es soll Geld in die Hand genommen werden, um möglichst noch mehr zu bauen und die Verkehrsinfrastruktur noch mehr auszuweiten. Die Menschen auf der Straße, auf der Schiene und sogar diejenigen in der Schifffahrt sehen, dass wir ganz andere Probleme haben.

Wir haben eines der dichtesten Verkehrsinfrastrukturnetze weltweit. Was in dem Antrag steht,

stimmt. Wir haben in unserem Land mehr Straßen, als wir sie in benachbarten europäischen Ländern zusammenzählen können. Wir haben ein riesiges Schienennetz. Wir haben viele marode Brückenbauten und Tunnelbauten, die saniert werden müssen, weil sie altern.

Wir haben einen riesigen Bedarf im Verkehrsinfrastrukturbereich, der sich nicht auf den Neubau, sondern vor allen Dingen auf den Erhalt bezieht. Sie haben eben darauf hingewiesen, dass das zum Teil in Berlin so vorgesehen ist. Ich habe mit großem Interesse die aktuelle Berliner Debatte dazu verfolgt.

Sie haben in Ihrem Antrag eine Reihe von Stichworten eingebracht. Dem will und muss ich ein paar Punkte entgegenstellen, weil es sonst schwierig ist, diese Debatte sachlich zu führen.

Unser Problem liegt nicht darin, dass wir neue Straßen brauchen. Unser Problem liegt vor allen Dingen darin, den vorhandenen Bestand zu bewahren. Unser Problem liegt nicht darin, dass unsere Schienennetze wunderbar funktionieren. Wir haben wahnsinnig viele Stellen überall in der Republik, an denen nur langsam gefahren werden kann. An allen Ecken und Enden fehlt das Geld, um diese Schienennetze vernünftig ausgebaut vorzufinden. Wir haben im Schienenbereich auch Neubaubedarf. Das ist völlig richtig, wenn wir über den Eisernen Rhein sprechen. Es ist völlig richtig, wenn wir über die Betuwe-Linie sprechen.

Es ist aber doch gleichzeitig abstrus, wenn wir wissen, dass die Deutsche Bahn AG in den letzten Jahren rund 1,4 Milliarden € für Infrastrukturmaßnahmen nicht abgerufen hat. Warum hat sie es nicht getan? Den Anteil, den sie dazutun müsste, hat sie lieber in den Ankauf von Logistik gesteckt. Das ist doch die Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Vor dem Hintergrund unterstütze ich ausdrücklich die Forderung, die unsere Kolleginnen und Kollegen von den Grünen in Berlin gestellt haben, dass nämlich die 4,3 Milliarden € nach Möglichkeit ausschließlich in ein Sofortprogramm zur Sanierung der Bundesschienenwege, der Bundesfernstraßen und der Bundeswasserstraßen fließen. Dies soll nach dem Verteilungsschlüssel 45:45:10 geschehen. Das ist richtig so. Das wäre das, was erforderlich ist.

Das wäre das, was den Menschen konkret bei der täglichen Bewältigung ihrer Verkehre weiterhelfen würde: weil man auf den Straßen mit Schlaglöchern kämpfen muss, weil man bei der Bahn immer wieder mit Verspätungen zu tun hat, weil vieles eben genau von den bisher nicht bewältigten

Sanierungsmaßnahmen abhängig ist. Vor diesem Hintergrund sind auch die Kapazitäten des Güterverkehrs auf dem Schiff noch nicht ausgeschöpft.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Michael Vesper)

Wir wissen, dass 13 % der Schienenwege vor 1973 gebaut wurden. Bei den Bundesfernstraßen sind es sogar 18 % und bei den Wasserstraßen sogar 25 %. Das ist die Faktenlage. Wir alle nehmen doch mit Schrecken zur Kenntnis, dass es eben einen enormen Sanierungsbedarf gibt – nicht nur bei Brücken und Tunnelbauten.

Insofern müssen wir hier, glaube ich, völlig anders ansetzen als das der Antrag tut, Kollege Wißen. Deshalb habe ich mich auch ein bisschen gewundert. Im ersten Teil Ihres Antrags beschreiben Sie eine ganze Menge Dinge ganz richtig, aber das, was Sie dann an Forderungen an die Landesregierung stellen, entspricht im Prinzip nicht dem, was eine zukunftsweisende Verkehrspolitik braucht, die auch intelligent mit den Fragen der Mobilität umgeht. Das ist alles ausgeblendet zugunsten einer aus meiner Sicht nur auf mehr Straßenbau abzielenden Politik. Die Betonung liegt vor allen Dingen auf Straßenbau, auf mehr Ausbau und Neubau von Strecken, und zu wenig auf dem, was eigentlich erforderlich ist, nämlich dass wir das, was wir in den letzten Jahren alles neu gebaut haben, auf Dauer erhalten. Dafür brauchen wir einfach viel Geld. Dieses Geld ist nicht vorhanden. Wenn dann so ein Sofortprogramm möglich wäre, sollte man das Geld da investieren.

Ich möchte noch kurz etwas sagen zum Thema Verkehrswegeplanbeschleunigungsgesetz. Das ist ein wunderbares Wort, das kaum jemand richtig aussprechen kann. Dieses Wort wird ja in Berlin ständig hin- und hergewogen. Neuerdings heißt es Infrastrukturbeschleunigungsgesetz. Das klingt ein bisschen kürzer, will aber im Prinzip dasselbe. Wir alle wissen, es war gedacht in den 90erJahren, um im Osten des Landes, also in den neuen Bundesländern, die entsprechenden Nachholbedarfe zu organisieren.

Wir haben immer davor gewarnt, dieses Instrument als ein demokratiefeindliches, ein bürgerunfreundliches Instrument zu benutzen, weil es eben letztlich nur dazu dient, Verfahren so zu beschleunigen, dass dabei möglicherweise die berechtigten Interessen derer, die von diesen Verfahren betroffen sind, zu kurz kommen.

Ich habe mit Interesse gerade heute die Meldung gelesen, dass eine Turboplanung an der A 33 vorgenommen werden soll. Das ist dann möglicherweise schon ein solcher Versuch, ein solches Beispiel.

(Beifall)

Klopfen Sie mal nicht zu früh! Denn diejenigen, die in diesem Zusammenhang über 30 Jahre in der Verantwortung standen, waren nicht die Grünen. Die Problematik, die wir an der Stelle haben, ist ja im Prinzip durch eine entsprechende Vereinbarung gelöst worden. Jetzt käme es darauf an, sich an diese Vereinbarung zu halten und das, was man da miteinander vereinbart hat, umzusetzen.