Protokoll der Sitzung vom 22.08.2007

Wo haben Sie sich da hineinmanövriert? Erst haben Sie sich monatelang vom Bankvorstand zum Narren halten lassen. Aber statt jetzt zügig die einzig richtige Konsequenz zu ziehen und einen Zusammenschluss der WestLB mit der Landesbank Baden-Württemberg auf Augenhöhe in die Wege zu leiten, spielen Sie mitten in einer großen Bankenkrise auf Zeit. Das schadet der Bank, weil es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kunden gleichermaßen verunsichert.

Wenn insbesondere die FDP nach wie vor darauf setzt und Sie insgesamt daran glauben, dass es das Beste ist, die Landesanteile der WestLB an einen internationalen privaten Investor zu verkaufen, sind Sie blauäugig und naiv.

(Beifall von GRÜNEN und Hannelore Kraft [SPD])

Denn angesichts der Bankenkrise und angesichts des Geredes um die WestLB könnten Sie allenfalls einen Dumpingpreis erzielen und würden damit drastische Probleme für den Landeshaus

halt hervorrufen. Ein schlichter Verkauf ist schlichter wirtschaftlicher Unfug. Und Arbeitsplätze werden dadurch auch nicht gesichert. Im Gegenteil: Gerade bei einer Privatisierung sind doch die Arbeitsplätze am meisten gefährdet.

In Wirklichkeit wollen Sie die Struktur der öffentlich-rechtlichen Banken und der Sparkassen verfrühstücken. Dort besteht nämlich auch die Verknüpfung zur geplanten Änderung des Sparkassengesetzes.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Hinter dem Begriff Vertikalisierung verbirgt sich nichts anderes als die Zerstörung des Erfolgsmodells der kommunal angebundenen und vor Ort entscheidenden Sparkassen.

Herr Dr. Linssen, unsere mittelständischen Unternehmen können auf das öffentlich-rechtliche Sparkassenwesen nicht verzichten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Und die Menschen wollen eine wohnortnahe Sparkasse, die auch das Gemeinwesen insgesamt im Blick hat.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Meine Damen und Herren, in einem Politikfeld erreichen Sie unsere schlimmsten Befürchtungen nicht nur, sondern übertreffen sie sogar, und zwar in der Umwelt- und Klimapolitik. Ihr Motto in der Umweltpolitik lautet: Agrarindustrie geht vor.

Unter dem Deckmantel Bürokratieabbau bauen Sie nicht Bürokratie, sondern Umwelt- und Verbraucherschutz ab. Sie ruinieren die Umweltschutzverwaltungen. Hier läuten Sie mit der Kommunalisierung die nächste Stufe ein.

Bei der Privatisierung machen Sie auch nicht mehr vor originären Schutzaufgaben des Staates halt. Privatisierung der Abwasserkanäle, Privatisierung der Lebensmittelkontrollen, Privatisierung im Abfallsektor – überall öffnen Sie heute neu die Türen, um morgen Dammbrüche zu erzielen.

Ganz aktuell ziehen Sie das Verbraucherinformationsgesetz zurück. Die Verbraucherinnen und Verbraucher verlieren ein ganzes Jahr, meine Damen und Herren. Mit den Verbraucherzentralen schließen Sie hochtrabende Vereinbarungen, die im Kern aber nur weitere Kürzungen zur Folge haben.

Und was ist mit den lange versprochenen 300 neuen Lebensmittelkontrolleurinnen und Lebensmittelkontrolleuren? Als die Skandale da waren, wurde ihre Einstellung zugesagt. Bis heute gibt es

aber keinen einzigen. Ihr Motto heißt: Schlechte Ware statt guter Auskunft. – Nur weil die Menschen nicht wissen, was sie wirklich auf dem Tisch haben, ist es für sie nicht gesünder; denn Unwissen schützt vor Krankheit nicht.

Ihr Umweltministerium – Herr Uhlenberg ist nicht da – ist zu einem Agrarministerium verkommen.

(Beifall von Frank Sichau [SPD])

Sie machen Lobbypolitik für die Agrarindustrie. Am Bio-Boom – und damit an einer wichtigen Branche, die nicht nur viele Arbeitsplätze, sondern offenbar auch das sichert, was die Menschen wollen, nämlich gesunde Ernährung für sich und ihre Familien – gehen Sie schnurstracks vorbei.

(Beifall von den GRÜNEN)

Selbst vor dem Wald machen Sie nicht halt. Der Ausverkauf des Waldes hat begonnen. Einerseits wollen Sie Staatswald verkaufen, andererseits garantieren Sie in Knebelverträgen große Absatzmengen. Das gefährdet die heimische Holzwirtschaft massiv.

Auch die Streichung von Biologischen Stationen steht noch immer im Raum.

In Bezug auf PFT – dazu kommen wir im Laufe der Plenartage ja noch – sorgen Sie auch nach mehr als einem Jahr nicht dafür, dass die Menschen vor Ort wieder ohne Sorge Wasser trinken können. Hier hat das Umweltministerium auf ganzer Linie versagt, meine Damen und Herren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Bei der Einrichtung von Umweltzonen lässt sich der Umweltminister von Regierungspräsident Diegel und Co. auf der Nase herumtanzen, statt das zu tun, was er selbst für richtig hält und was auch vor Ort gewollt ist.

Meine Damen und Herren, in der Klimapolitik haben Sie nicht den Ansatz eines Konzeptes, wie NRW als das Energieland in Deutschland seinen notwendigen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Wo ist das NRW-Klimaschutzkonzept mit konkreten Vorgaben, wie Sie die von der Bundeskanzlerin immer und überall verkündeten Klimaschutzziele erreichen wollen? Sie fallen der Bundeskanzlerin an der einen oder anderen Stelle doch sogar in den Rücken.

Ein Konzept? Fehlanzeige! Stattdessen auch hier: Lobbypolitik – diesmal zugunsten von RWE und Rheinbraun. Sind mehr Stein- und Braunkohlekraftwerke Ihre Antwort auf den Klimawandel? Was wir jetzt brauchen, ist ein Moratorium für den Bau von Kohlekraftwerken!

Für Schwarz-Gelb gilt hier aber einfach: Weiter so! Nach uns die Sintflut! – Nie war dieses Bild treffender als bei dieser Landesregierung.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, diese Landesregierung hat mit der Politik der vergangenen Monate ihren Offenbarungseid gegenüber ihren eigenen Wahlversprechen abgegeben. Das haben die Menschen gemerkt.

Nordrhein-Westfalen braucht eine neue Politik, und zwar eine vorausschauende Politik, die für die Zukunft, für Kinder, für das Klima und für eine gerechte Gesellschaft einsteht. Schwarz-Gelb kann es nicht. Die besten Jahre dieser Landesregierung sind vorbei – und die waren schlecht genug für unser Land.

(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN – Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Frau Löhrmann. – Wir setzen die Debatte fort. Jetzt hat der Ministerpräsident des Landes NordrheinWestfalen, Herr Dr. Rüttgers, das Wort.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Tagen haben wir auf Schloss Cappenberg den 250. Geburtstag des Freiherrn vom Stein und das 200-jährige Jubiläum der Stein- und Hardenberg’schen Reformen im Jahre 1807 gefeiert.

Damals haben ganz wenige – nicht einmal ein Dutzend – Politiker wie vom Stein, Hardenberg, Scharnhorst, Gneisenau und vor allen Dingen Wilhelm von Humboldt diese Reformen ins Werk gesetzt. Sie haben eine außerordentliche Leistung vollbracht und damit die Fundamente für das moderne Deutschland gelegt.

Seinerzeit wurde manches eingeführt, was heute nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa zur Grundausstattung moderner Staaten gehört: die kommunale Selbstverwaltung, die Gewerbefreiheit, die Wehrpflicht – und auch die Einkommensteuer, damals übrigens nur vorübergehend und mit 5 %.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das waren noch Zeiten!)

Das waren noch Zeiten. – Die Reformer von damals wussten schon, vor welchen Schwierigkeiten wir heute nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und angesichts der Probleme in allen europäischen Industriegesellschaften vor

dem Hintergrund des Strudels der Globalisierung stehen.

Wenn man an einer solchen Veranstaltung teilnimmt und sich noch einmal ein wenig mit dem beschäftigt, um das es dort geht, muss man nach meiner Auffassung zu dem Schluss kommen, dass wir von dem Geist dieser Reformen heute einiges lernen können. Es ist der Geist der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Der Staat soll Sicherheit geben, aber die Menschen nicht bevormunden. Die Reformer von damals wussten, dass es angesichts der verkrusteten Strukturen, in denen sie versuchten, Veränderungen zu bewirken, dazu gar keine Alternative gab. Es gab keine Alternative dazu, Neues zu wagen. Weil sie den Mut hatten, Neues zu wagen, haben sich neue Chancen aufgetan, und das Land hat sie damals genutzt.

Es gibt noch etwas Interessantes, was man damals gespürt und gesehen hat. Auch damals hat es Widerstand gegeben. Es war leicht, Widerstand zu mobilisieren, vor allen Dingen bei Projekten und Veränderungen, deren positive Wirkungen erst mittel- und langfristig eintreten. Mut zur Veränderung, den Mut, etwas Neues zu wagen, das ist damals wie heute notwendig, wenn das Land nicht den Anschluss verlieren soll.

Werte Kolleginnen und Kollegen, die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen haben 2005 eine Erblast aus 39 Jahren SPD übernommen,

(Beifall von CDU und FDP – Zurufe von der SPD)

eine Erblast, die ihresgleichen sucht. Die Tatsache, dass Sie so reagieren, wie Sie reagieren, und Ihre Vertreter hier so geredet haben, wie sie geredet haben, zeigt, dass Ihnen das wichtigste Ziel ist, möglichst über die reale Situation in Nordrhein-Westfalen nicht zu reden und stattdessen so zu tun, als wäre die Landesregierung für alles, was Sie angerichtet haben, verantwortlich.

(Beifall von CDU und FDP)

Das ist schon toll. Ich glaube, es gehört entweder ungeheurer Mut oder ungeheure Verdrängungskraft dazu, dem Finanzminister zu sagen: Es ist unglaublich, dass Sie immer noch Schulden aufnehmen. – Jetzt könnte ich wer weiß was für Rechnungen aufmachen. Natürlich – er hat es ja vorgetragen – müssen wir noch Schulden aufnehmen. Ich würde ja ernsthaft über dieses Argument nachdenken, wenn Sie nicht gleichzeitig mit dem Ausdruck der Entrüstung sagen würden: Sie sparen die sozialen Strukturen kaputt. Sie

sparen zu viel. Das ist alles nicht in Ordnung. – Das passt nicht zusammen.

(Beifall von CDU und FDP)

Es ist wahr, dass wir in den vergangenen zwei Haushaltsjahren Schulden gemacht haben und in dem Haushaltsjahr, um den es in dieser Debatte geht, nämlich den Haushalt 2008, Schulden machen werden. Wenn das so beschlossen wird, dann werden es in unserer Regierungszeit aufaddiert 8 Milliarden € sein. Nehmen wir jetzt einmal die Schulden, die in den letzten drei Jahren Ihrer Regierungszeit entstanden sind. Wenn man diese Zahlen aufaddiert, dann landet man bei 20 Milliarden €. Wenn ich diese Zahlen als Bilanz meiner eigenen Finanzpolitik hätte, dann wäre ich ein klein wenig vorsichtiger.