Protokoll der Sitzung vom 15.05.2008

Dem kann ich nur zustimmen. Der Erhalt des genetischen Reproduktionspotenzials ist ein hohes Ziel. Allerdings wissen wir, dass es völlig normal ist, dass Arten aussterben und neue Arten hinzukommen.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Aber nicht in dem Ausmaße!)

Meine Damen und Herren, wir müssen uns in dem Zusammenhang fragen, ob es wissenschaftliche Beweise dafür gibt, dass sich die Abnahme des Artenreichtums schneller vollzieht als das natürliche Aussterben. Mit dieser wissenschaftlichen Frage müssen wir uns auseinandersetzen.

Wir kommen nicht umhin – da unterstütze ich Sie, weil ich das Ziel des Erhalts des genetischen Reproduktionspotenzials ernst nehme –, dass wir Rückzugsräume haben müssen. Dann müssen wir allerdings nicht abstrakt, sondern sehr konkret die Frage stellen, wo wir diese Rückzugsräume vorhalten. Wenn es also um den Artenerhalt geht, dann kommt es darauf an, dass diese Rückzugsräume nicht in besonders hoch verdichteten Räumen, sondern eher in wenig verdichteten Räumen liegen. Das führt mich dazu, dass ich das in eine europäische Biodiversitätskonzeption einschließen muss.

Herr Kollege Ellerbrock, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Karthaus?

Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Kollege Ellerbrock, Sie sind ja ein belesener Mann. Ich setze deshalb voraus, dass Sie mindestens die Lehrbücher der Sekundarstufe I kennen, in denen die exponentielle Steigerung der Aussterberate immer schön dargestellt ist. Insofern denke ich, dass damit die von Ihnen selbst gestellte Frage beantwortet ist. Wenn das Schulministerium dies als Unterrichtsmaterial für unsere Schüler zulässt, sollte man annehmen, dass das den Tatsachen entspricht.

Meine Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, in welcher Deutlichkeit und in welcher drastischen Entwicklung zurzeit die Arten der sogenannten Kulturlandschaft, insbesondere im ländlichen Raum, in ihren Individuenstärken zurückgehen? Ist Ihnen bekannt, dass bei den üblichen Feld- und Wiesenvögeln in den letzten Jahren eklatante Bestandsrückgänge zu verzeichnen sind? Das geht schon seit 10, 15 oder 20 Jahren so, aber unverändert, ungebremst. Insofern würde das Ihre eigene Frage mit beantworten.

Schönen Dank für diese Koreferatsfrage, die ich gerne aufgreifen werde. Kollege Karthaus, Sie haben Recht. In der Quantität gibt es Rückgänge, ohne dass allerdings die Artenvielfalt, dass die Art selbst gefährdet ist. Es kommt ja nicht darauf an, ob es von einer Population 1.000 Einheiten oder 100.000 Einheiten gibt. Wenn die Population nicht gefährdet ist, reichen ja auch 1.000, oder?

(Lachen und Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE] – Svenja Schulze [SPD]: Dürfen wir das zitieren?)

Das muss man ja auch einmal deutlich sehen. Das ist nur ein Beispiel für die Population. Ich könnte das auch mit 103 multiplizieren.

Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt auf den Urantrag eingehen NRW-Biodiversitätsstrategie mit Zielen und Zeitplänen. Der Antrag der Koalitionsfraktionen Drucksache 14/6321 greift das ja auf. Wir fordern das in unserem Antrag auch. Wir fühlen uns einem Biodiversitätsmonitoring verpflichtet.

Sie sagen, wir brauchen ein Biotopverbundsystem auf 15 % der Fläche. Das Bundesnaturschutzgesetz und der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordern 10 %. In Nordrhein-Westfalen, stelle ich fest, haben wir 11 %, wobei ich infrage stelle, dass das verantwortbar ist, diese 11 % in Nordrhein-Westfalen zu haben und wir nicht im Sinne der Sicherung der Artenvielfalt andere, weniger hoch belastete und besiedelte Räume im Auge haben sollten.

Herr Kollege, entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie noch einmal unterbreche. Der Kollege Dr. Karthaus hat sich für eine weitere Zwischenfrage gemeldet. Ich darf mir allerdings den Hinweis auf die Richtlinien unserer Geschäftsordnung erlauben, nach denen Zwischenfragen kurz zu erfolgen haben. Herr Dr. Karthaus, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, es ist so wichtig, dass ich noch einmal nachfragen muss. Es ist ein Unterschied zwischen 1.000 und 100.000 Individuen. Ist Ihnen der Flaschenhalseffekt bekannt, der besagt, dass auch bei vielen Tierarten 1.000 Individuen beispielsweise in Nordrhein-Westfalen schon die MVP, die kleinste überlebensfähige Population, darstellen können?

Erstens. Ja. Zweitens. Ich habe die Zahl eben genannt. Sie können die Zahl von 1.000 oder 100.000, die ich eben genannt habe, gerne mit 106 multiplizieren. Dann fällt der Flaschenhalseffekt geringer aus. Aber konkrete Antwort auf Ihre Frage: Ja.

Ökologisierung der Landwirtschaft und Verzicht auf Gentechnik sind Gegenstand Ihres Antrags, Herr Remmel. Da haben Sie Recht. Da unterscheiden wir uns diametral. Diese Koalitionsfraktionen stehen dazu, ökologischen Landbau und konventionellen Landbau gleichgewichtig zu behandeln. Ich verhehle nicht, dass wir nicht nur der roten Gentechnik durchaus aufgeschlossen gegenüberstehen, sondern auch der grünen Gentechnik. Ich bin überzeugt, dass im Sinne der Nahrungsmittelversorgung weltweit die grüne Gentechnik vor einer wirklich wichtigen Zukunft steht und dass dies eine wichtige und verantwortbare Technik ist.

Wenn Sie die Ökologisierung ansprechen, dann sprechen Sie die Nahrungsmittelproduktion an. Das Thema hatten wir eben schon. Da ist die Frage, ob es verantwortbar ist, Flächen aus der Produktion herauszunehmen im Sinne von Flächenstilllegungen. Sie sagen, das dient dem Artenschutz. Aber dann gilt das, was ich eben sagte: Ist

es richtig, wenn wir das hier machen? Oder müssen wir uns etwas anderes überlegen?

Wir haben ein erfolgreiches Projekt zum Stopp des sogenannten Flächenverbrauchs: „Allianz für die Fläche“. Jetzt müssen wir auch noch einmal deutlich machen, wo wir als Landesparlament Entscheidungsmöglichkeiten haben. Mindestens zwei Drittel, wenn nicht drei Viertel des Flächenverbrauchs sind planerische Entscheidungen der Kommunen. Auch da wird ein Popanz aufgebaut. Sie wissen das doch. Was heißt denn versiegelte Fläche? Versiegelte Fläche bedeutet, dass im Flächennutzungsplan dargestellt ist, dass das Siedlungsgebiet ist. Die tatsächliche versiegelte Fläche ist nur ein Bruchteil davon. Aber man ruft Ängste hervor, wir wollen täglich 150 ha oder 15 ha oder 5 Hackfleisch versiegeln. Wir müssen auf die tatsächlich versiegelte Fläche abstellen und nicht auf das, was planerisch dargestellt ist.

Sie wollen den Wald naturnah umbauen. Zwei Drittel des Waldbesitzes bei uns sind privat. Die entsprechenden Fördermöglichkeiten und Vorstellungen und insbesondere die Beratungsfunktion der Kolleginnen und Kollegen des Landesbetriebs Wald und Holz haben ja dazu geführt, dass wir hier eine ganz vernünftige Bestockung haben.

Sie fordern wieder den Nationalpark Senne. Auch dazu muss ich ganz deutlich sagen: Bei diesem Punkt unterscheiden wir uns. Da wollen wir uns auch unterscheiden. Wir wollen Naturschutz mit der Bevölkerung vor Ort machen und im Konsens mit der Bevölkerung. Deswegen haben wir das in die doch recht lockere Aufzählung der Maßnahmen im Entschließungsantrag, die wir schon eingeleitet haben, aufgenommen: Wir wollen einen weiteren Nationalpark haben, im Konsens mit der Bevölkerung und nicht dagegen.

Sie fordern die konsequente Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie. Wir haben uns doch oft genug darüber unterhalten, dass das erfolgt. Das läuft doch schon alles.

Sie haben auf die Umweltbildung hingewiesen. Dazu brauche ich nichts zu sagen, denn darüber haben wir uns gerade bei einem Diskussionspunkt vorher unterhalten.

Ich fasse einfach zusammen, was wir versucht haben, im Entschließungsantrag deutlich zu machen. Dass der Ihnen nicht passt, das kann ich verstehen. Denn er greift vieles auf, was wir neu gemacht haben, was Sie gerne gemacht hätten. Wir stellen fest, dass wir das im großen Konsens mit der Bevölkerung und der Landwirtschaft machen. Wir verteufeln die Leute nicht. Wir arbeiten aktiv vor Ort. Wir können Ergebnisse vorzeigen.

Dass Ihnen das nicht passt, kann ich verstehen. Aber wir haben es einmal in unserem Entschließungsantrag aufgeschrieben. Das ist auch gut, um deutlich zu machen: Auch in diesem Punkt befinden wir uns auf einem guten Weg.

Meine Damen und Herren, das, was die Hessen in ihrem Bundesratsantrag machen, greift auf, worüber wir uns am Anfang unterhalten haben. Wenn wir den Artenerhalt fordern – da bin ich mit Ihnen völlig einig –, dann müssen wir fragen: Wo verwirklichen wir das? Ist es richtig, das in einem hoch verdichteten Industrieland zu machen oder woanders? Dahinter steht natürlich unser Leitsatz: Effizienz des Mitteleinsatzes. Das hat die SPD in Ihrem Antrag auch deutlich erkannt, und dazu stehen wir auch.

Kollege Stinka oder Kollege Remmel war es, der auf die Biologischen Stationen eingegangen ist. Ich rate einfach dazu – zu den Biologischen Stationen fahren Sie sicher öfter –: Reden Sie mal mit den Kollegen. Fragen Sie einmal nach, wie froh die sind, dass sie zum ersten Mal seit Existenz der Biologischen Stationen eine langfristige verlässliche finanzielle Kalkulationsgrundlage von 6 Millionen € haben. Die Biologischen Stationen sagen: Wir hatten schon mal mehr, wir hatten schon mal weniger, aber diese Politik nach Kassenlage, mal etwas machen können und mal nicht, und diese Ad-hoc-Aktionen, aus dem Bauch kommend, populistisch irgendetwas vor Ort umzusetzen, das gibt es jetzt nicht mehr.

Die Biologischen Stationen können jetzt langfristig verlässlich kalkuliert arbeiten. Das ist ein hohes Gut. Sie sind dankbar dafür, dass sie erstmals so eine verlässliche Kalkulationsgrundlage haben. Auch die ist in unser Konzept eingebunden.

Vielleicht ist es eine andere Wahrnehmung der Realität, aber wenn ich bei den Kolleginnen und Kollegen der Biologischen Stationen bin – wir haben am Anfang eine Menge Diskussionen gehabt –, dann werde ich freundlich aufgenommen und wir können über konkrete langfristig orientierte Projekte sprechen. Das ist eine vernünftige Sache. – Schönen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Ellerbrock. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Uhlenberg das Wort. Bitte.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle

gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Umweltminister von Nordrhein-Westfalen freut sich sehr darüber, dass Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland Gastgeber der 9. UN-Naturschutzkonferenz zum Erhalt der biologischen Vielfalt sind. Die Landesregierung betrachtet die Erhaltung der biologischen Vielfalt als eine wesentliche Aufgabe menschlicher Daseinsvorsorge.

In einem industriell geprägten Bundesland stellen der Schutz und die Entwicklung der natürlichen Räume zweifellos eine besondere Herausforderung dar. Es geht darum, die berechtigten Ansprüche des Natur- und Umweltschutzes mit den Notwendigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung in Einklang zu bringen. In einem Land, das außerordentlich stark von industriellen Großprojekten und von Energiewirtschaft, hoher Bevölkerungsdichte und großem Verkehrsaufkommen geprägt ist, ist diese Aufgabe nicht einfach. Die damit verbundene Herausforderung hat diese Landesregierung mit großem Engagement angenommen.

Auch wenn sich seit Mitte der 80er-Jahre der Gefährdungsgrad der Pflanzen und Tiere in Nordrhein-Westfalen bis heute nicht signifikant verschlechtert hat – das ist das Resultat erfolgreicher Naturschutzarbeit –, sieht die Landesregierung die Erhaltung der biologischen Vielfalt auch künftig als eine entscheidende Aufgabe der Naturschutzpolitik an.

(Svenja Schulze [SPD]: Tausend reichen nicht!)

Denn immerhin sind heute noch knapp 50 % der nordrhein-westfälischen Tier- und Pflanzenarten gefährdet. Allerdings, meine Damen und Herren, gibt es in dieser Hinsicht auch bei uns große regionale Unterschiede.

Bereits im November 2007 hat NordrheinWestfalen das bestehende „Bündnis für die Natur“ mit über 70 Partnern aus Wirtschaft, Verbänden und Kommunen genutzt, um sich im Rahmen der Initiative „Countdown 2010“ der internationalen Naturschutzvereinigung mit zahlreichen konkreten Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt in Nordrhein-Westfalen zu verpflichten.

Ein Grundprinzip der nordrhein-westfälischen Naturschutzpolitik ist die partnerschaftliche Kooperation. Nur wenn die Menschen überzeugend und überzeugt mitgenommen werden können, sind sie auch bereit, sich für den Biotop- und Artenschutz zu engagieren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Landesregierung ist es gelungen, die Landwirtschaft und den Naturschutz wieder miteinander zu versöhnen und dadurch die sachorientierte Zusammenarbeit auf der Ebene andauernder Konflikte zu verlassen.

(Svenja Schulze [SPD]: Ach nee!)

So gibt es gute, schöne, aktuelle Initiativen zwischen Naturschutz und Landwirtschaft im Bereich Rauchschwalbenschutz, Bienenschutz oder der Einrichtung von Blühstreifen in der Landschaft. Auf der Grundlage des Vertragsnaturschutzes in Verbindung mit der ELER-Verordnung werden landesweit die artenreichsten Offenlandbiotope durch Landwirte erhalten.

Im Mai 2006 habe ich die „Allianz für die Fläche“ in Nordrhein-Westfalen gegründet, um den noch immer zu hohen Flächenverbrauch von 15 ha pro Tag zu begrenzen. Das ist in der Tat die Fläche, die der freien Landschaft entzogen wird. Natürlich wird es nicht immer gleich zubetoniert, aber diese Fläche wird der freien Landschaft entzogen, und das ist zu viel.

Die Umweltministerkonferenz hat sich im vergangen November in Krickenbeck unter meinem Vorsitz auf Initiative von Nordrhein-Westfalen das Ziel, den Flächenverbrauch nachhaltig zu verringern, zu eigen gemacht und für Deutschland insgesamt eine Reduzierung der Flächeninanspruchnahme auf 30 ha pro Tag bis zum Jahre 2020 gefordert, was auch dem Ziel des Nachhaltigkeitsrates und der Bundesregierung entspricht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen aber auch den Anteil der Flächen erhöhen, auf denen sich die Natur eigendynamisch entwickeln kann. Ich möchte nur an unsere Naturparks erinnern, die in den vergangenen zwei Jahren aufgewertet worden sind. Wir haben sie wieder in den Mittelpunkt auch der Naturschutzarbeit gestellt.

Dabei engagieren wir uns für einen weiteren Nationalpark, den „Bürgernationalpark Siebengebirge“, dessen fachliche Voraussetzung für eine Ausweisung als Nationalpark inzwischen gutachterlich bestätigt worden ist. Unter der Voraussetzung eines regionalen Konsenses wird der „Bürgernationalpark Siebengebirge“ den Erfolg des „Nationalparks Eifel“ in neuer Form bürgerschaftlicher Mitgestaltung auf einem für Deutschland hohen Niveau fortsetzen.

Dabei unterscheiden wir uns von der Vorgängerregierung. Wir gehen nicht in eine Region hinein und sagen den Menschen, was sie tun müssen,

wie das bei der Senne der Fall war, sondern wir versuchen, die Menschen mitzunehmen. Die Initiative „Bürgernationalpark Siebengebirge“ ist aus der Region gekommen. Ich freue mich darüber. Wir unterstützen das, und es ist ein guter Kommunikationsprozess, der dort stattfindet. Das gilt auch für den Kreis Lippe, wo es ähnliche Diskussionen gibt.

Ich möchte an dieser Stelle an unsere HundertAlleen-Initiative erinnern, die in ganz Nordrhein-Westfalen mit großer Begeisterung aufgenommen wird. 60 neue Alleen sind schon auf den Weg gebracht.