Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

In dem Antrag geht es zudem um die Fortführung der sonderpädagogischen Unterstützung in der Sekundarstufe II, für die es im Bereich Sprache keinen Anspruch auf Unterstützung gibt. Wir müssen uns die Frage stellen, wie ernst es uns mit „Kein Abschluss ohne Anschluss“ ist. Wenn ich für diese Schüler einen Anschluss haben möchte – dann sind wir wieder bei dem Stichwort „Teilhabe“ –, muss ich auch in der Sekundarstufe II darauf achten, dass die Schülerinnen und Schüler die notwendige Unterstützung erhalten.

Was ich wirklich bemerkenswert finde, ist, dass die Landesregierung beschließt, Schülerinnen und

Schüler mit den Unterstützungsbedarfen Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung in der beruflichen Bildung keinen Anspruch mehr auf Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs haben. Sie begründet das damit, dass eine Unterscheidung von Schülerinnen und Schülern mit Lern- und Entwicklungsstörungen und jenen mit wenig erfolgreichen Bildungskarrieren kaum möglich ist.

Meine Damen und Herren, das sehe ich komplett anders. Das sehe ich ganz besonders anders im Bereich Sprache. Ich glaube, dass der Bereich Sprache sehr gut durch eine AO-SF diagnostiziert werden kann.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Dann geht man aber noch einen Schritt weiter und sagt, es sei gar nicht mehr unbedingt notwendig, die personelle Unterstützung in den Berufskollegs durch Sonderpädagogen und Sonderpädagoginnen zu leisten, sondern das könnten auch multiprofessionelle Teams tun.

Ich muss an dieser Stelle sagen: Fragen Sie einmal vor Ort herum. Es gibt keinen Begriff, der an den Schulen in unserem Land mehr gehasst wird als der Begriff „multiprofessionelle Teams“.

(Beifall von Marc Olejak [PIRATEN])

Es wird viel darüber geredet. Wirklich in allen Schulen angekommen sind sie leider noch nicht.

Ich finde es sehr schön, dass wir im Ausschuss noch einmal darüber reden. In dem Zusammenhang wird sicherlich die AO-SF auch noch einmal eine Rolle spielen und zu diskutieren sein, die jetzt neu kommt. Das muss man sicherlich auch noch einmal in diesem Zusammenhang sehen.

Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Beer zulassen?

Ja, natürlich.

Bitte.

Herzlichen Dank. – Frau Kollegin Pieper, ist es richtig, stimmen Sie mir zu, dass gerade auch an den Förderberufskollegs die Mischung der multiprofessionellen Teams ein Erfolgsfaktor ist? Wir haben nämlich sehr viele Sozialpädagogen und Sozialarbeiter gemischt mit den Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen dort im Team. Dort habe ich eine solche Bemerkung, wie Sie sie gerade geäußert haben, noch nie gehört.

Okay. Vielleicht habe ich mich nicht differenziert genug ausgedrückt. Jetzt geben Sie mir aber die Gelegenheit, ein neues Fass aufzumachen. Ich glaube, dass an den Förderberufskollegs tatsächlich multiprofessionell gearbeitet wird. Die Förderberufskollegs nehme ich ausdrücklich aus. Ich spreche von den allgemeinen Berufskollegs in der Sekundarstufe II.

Wenn Sie es aber schon ansprechen, muss ich einmal fragen: Warum finden Eltern mit einem Jugendlichen oder einem Kind, das Sprachförderung erhält, denn hier kein Förderberufskolleg und schicken ihre Kinder dann nach Leipzig, nach Bayern oder sonst wohin, weil in Nordrhein-Westfalen das Angebot nicht da ist?

(Beifall von Marc Olejak [PIRATEN])

Ich möchte noch einen Satz zum Nachteilsausgleich sagen. Ja, darüber müssen wir noch einmal reden. Ich erinnere an unseren gemeinsamen Antrag. Ich muss fairerweise sagen, dass ich nicht genau weiß, wie ein solcher Nachteilsausgleich in so einem Förderschwerpunkt in der Sekundarstufe II aussehen

kann. Fachlich muss ich sagen: Das ist eine schwierige Sache. Das muss man sich genau anschauen. Man kann noch einmal darüber reden. Im Moment sehe ich aber große Schwierigkeiten, wie das gestaltet werden kann. – Vielen Dank.

(Beifall von Marc Olejak [PIRATEN])

Danke, Frau Kollegin Pieper. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird schon deutlich, dass es eine sehr fachspezifische Diskussion mit vielen verschiedenen Facetten ist, in der möglicherweise auch unterschiedliche Personen mit bestimmten Begrifflichkeiten– ich sage das ohne Bewertung – andere Dinge verbinden und in der es darauf ankommt, sehr genau hinzugucken.

Vor diesem Hintergrund will ich heute nur folgende fachliche Hinweise geben: Wir haben wissenschaftliche Erkenntnisse, die belegen, dass eine trennscharfe Abgrenzung der Förderschwerpunkte Lernen, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache nicht möglich ist und dass deswegen vieles dafür spricht, diese Lern- und Entwicklungsstörungen gleich zu behandeln.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Das hat auch nicht erst mit der Mindestgrößenverordnung dieser Landesregierung angefangen. Schon im Schulversuch Förderschule 2001 haben viele Schulträger dies machen dürfen und das auch getan. Sie bündeln in ihren Förderschulen die Lern- und Entwicklungsstörungen, um die Kompetenzen zu den unterschiedlichen Ansätzen zusammenzuführen, weil es Sinn macht, ganzheitlicher auf die Kinder und Jugendliche mit diesen Förderbedarfen zu gucken. Insofern ist es folgerichtig, hier mit der einheitlichen Relation vorzugehen.

Ich ergänze, dass es zusätzlich zu diesen Ressourcen noch den Förderbedarf 1 und den Förderbedarf 2 gibt und dies von der Schulaufsicht sehr differenziert berücksichtigt wird. Das diskutieren wir nicht nur aufgrund von Zuschriften – das will ich bei dieser Gelegenheit auch sagen –, sondern das diskutieren wir selbstverständlich mit den Hauptpersonalräten und mit anderen Beteiligten.

Der Punkt ist nur: Gerade in diesem Themenfeld kann man nicht so tun, als gäbe es eine UnisonoForderung und als wäre es ganz einfach, der einen zu folgen, und dann wäre es für alle gut. Sie wissen auch, dass das anders ist.

Es gibt eben auch Interessengruppen, und zwar insbesondere unter denjenigen, die für die Kinder mit Förderbedarf oder mit Behinderung sprechen, denen

es gar nicht schnell genug geht mit der Inklusion und die dafür plädiert haben, bestimmte Förderschultypen gänzlich auslaufen zu lassen.

Mir ist es wichtig, noch einmal zu sagen: Wir haben uns hier bewusst – dazu stehe ich und finde das auch richtig – für einen anderen Weg entschieden. Wir sagen nicht, wie CDU und FDP in Niedersachsen das tun: Die Förderschulen Lernen sollen automatisch, von Landesseite entschieden, auslaufen. – Wir haben hier einen anderen Weg. Wir haben ein Rahmengesetz, und die Kommunen entscheiden. Der Elternwille bestimmt sozusagen die örtlichen Entscheidungen. Die Schulentwicklung in NRW folgt insofern auch bei der Inklusion dem Elternwillen.

Was die Frage anbelangt, die Kinder individuell bestmöglich zu begleiten, sind wir uns einig. Wir streiten zwar über Wege und über Ressourcen. Das finde ich auch völlig in Ordnung. Jetzt zu sagen: „Wir müssen in der Sekundarstufe II einen Förderschwerpunkt Sprache neu einführen“ – wenn ich das richtig verstanden habe, ist das die Forderung –, wäre aber ein Sonderweg NRW. Das gibt es in keinem anderen Bundesland. Die CDU könnte im Vorfeld der weiteren Beratungen ja einmal ihre KMK-Kolleginnen und -Kollegen fragen, ob dort so etwas geplant ist.

Aus meiner Sicht wäre das nicht zielführend. Wir können uns über eine individuelle Förderunterstützung unterhalten. Diese muss ich aber nicht zwingend am Merkmal „Sprache“ festmachen. Es kann berücksichtigt werden oder einfließen, was mit der Sprache ist – das will ich gar nicht ausschließen. Wenn man das aber allein in diesem Bereich tun will, muss man da erst einmal sehr genau hinsehen, würde ich sagen. Gerade die Entwicklung der Förderschulen Sprache zeigt, dass die Zahlen in der Primarstufe am höchsten sind und in der Sekundarstufe I abnehmen. Das belegt, dass hier wirklich unterstützend etwas getan werden kann.

Frau Spanier-Oppermann habe ich dahin gehend verstanden, dass sie nicht gesagt hat, es solle nicht mehr unterstützt werden und es solle nicht begleitet werden. Sie hat gesagt, dass nicht jede schulische Unterstützung die Behinderung sozusagen auflöst, sondern dass es dann, wenn das nicht passiert – bei Körperbehinderung ist das vermutlich am einsichtigsten –, darauf ankommt, gleichwohl die Teilhabe zu sichern.

Frau Ministerin, würden Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Gebauer zulassen?

Ich war gerade schon kurz vor dem Punkt – Frau Gebauer weiß ja, dass ich die Zwischenfragen zulasse; das mache ich natürlich auch hier gleich –

und wollte sagen, dass das bitte betrachtet werden muss. Ich nehme an, dass hier ein Missverständnis vorgelegen hat. – Frau Spanier-Oppermann nickt. Ich habe sie offenbar richtig verstanden. – Jetzt bitte gerne die Zwischenfrage.

Herr Präsident! Lieben Dank, Frau Ministerin Löhrmann. Ich wollte eigentlich nur noch einmal auf das eingehen, was ich in meiner Rede gesagt habe. Vielleicht haben wir uns da auch missverstanden. Ich habe explizit gesagt, dass es um Förderschulangebote, also bedarfsorientierte Angebote, gehen muss. Das war mir wichtig.

Wir haben hier auch deswegen keine eng gefassten rechtlichen Regelungen aufgenommen, weil wir gesagt haben: Es gibt diese Gruppe. Sie darf nicht hinten herunterfallen. Für sie müssen wir tatsächlich auch spezialisierte Angebote vorhalten. Es gibt hier also kein Lex NRW.

Allerdings kann es auch nicht sein, dass sich diese jungen Menschen dann in andere Bundesländer – Frau Pieper hat es auch schon angesprochen – orientieren müssen, damit eine spezielle Förderung stattfinden kann.

Für bestimmte Bereiche gibt es manchmal auch bundesweit koordinierte Angebote. Manchmal kommen wiederum welche aus anderen Bundesländern zu uns, weil die dortigen Bundesländer Dinge nicht vorhalten. Auch da lohnt sich ein differenzierter Blick.

Ich entnehme aber der Zwischenfrage und greife das insofern gerne auf, dass es einerseits um bestmögliche Förderung geht. Andererseits kommt es aber auch darauf an, genau zu prüfen: Wo ist der schulische Auftrag? Wo ist möglicherweise ein medizinischer Auftrag? Wo ist ein dem Kind und Jugendlichen angemessener Nachteilsausgleich wie definiert? Es könnte aber auch sinnvoll sein, daran festzuhalten, dies insbesondere im Bereich der Sekundarstufe II von reinen fest definierten Förderschwerpunkten abzukoppeln, wie wir sie aus der Primarstufe und der Sekundarstufe I kennen. Das war mir wichtig, festzuhalten.

Abschließend möchte ich noch einmal an die Haushaltsberatungen erinnern. Frau Gebauer, Sie haben nach einem Nachsteuern gerufen. Wir behandeln das vielleicht gleich bei dem nächsten Tagesordnungspunkt intensiver, weil es da etwas globaler ist.

Ich fand den Hinweis Ihres Kollegen Witzel spannend, der auf einmal in den Raum gestellt hat, es wären 14.000 Stellen vorhanden, die durch nichts belegt wären. Da müssen wir meiner Auffassung nach noch einmal genauer hingucken, ehe wir glauben, wir hätten irgendwo im System Luft und müssten keine

neuen Stellen schaffen, wenn wir Dinge vor Ort verbessern wollen. Hier kommt es sehr auf die Details an. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache, und wir kommen zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 16/12110 an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung. Die abschießende Abstimmung soll dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist für diese Überweisungsempfehlung? – Gibt es Gegenstimmen? Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisungsempfehlung einstimmig angenommen.

Ich rufe auf:

5 Mülheimer Erklärung: Aktuelle Rahmenbedin

gungen gefährden den Erfolg der Inklusion – Landesregierung muss Fehlentwicklungen endlich entgegensteuern

Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/12108