Protokoll der Sitzung vom 06.07.2016

(Zuruf von Thomas Stotko [SPD]: Wer setzt sie denn nicht durch?)

Herr Stotko, Sie wissen genau über die Situation Bescheid, die wir in Nordrhein-Westfalen haben. Oft genug werden die Vermummungsverbote nicht durchgesetzt, um an einem bestimmten Punkt eben keine weitere Eskalationsstufe aufkommen zu lassen.

Was mag denn ein Beamter vor Ort denken, wenn ihm der Dienstherr dann sagt, er solle ein Namensschild oder eine Kennzeichnung tragen? Deshalb ist doch natürlich die Sorge der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten berechtigt, die in schwierige Einsatzlagen geraten und von bestimmten Demonstrationsgruppierungen gezielt erfasst oder angegangen werden könnten. Immer häufiger wird das Ganze dann auch noch gefilmt und bei YouTube oder auf andere Plattformen hochgeladen. Auch das muss man dabei bedenken.

Auf der anderen Seite müssen natürlich von Maßnahmen betroffene Bürger – das will ich gar nicht ausklammern – jederzeit die Möglichkeit haben, diese Maßnahmen auch überprüfen zu lassen. Zur Wahrheit gehört aber dazu, dass es bei Nummern auch zu Verwechslungen kommt. Verwechslungsgefahr besteht etwa, wenn es zu einem Zahlendreher kommt. Wenn das Ganze dann vielleicht noch bei einem Anlass geschieht, bei dem Emotionen und Alkohol im Spiel sind, ist dies auch nicht ganz einfach.

Meine Damen und Herren, abschließend darf ich vielleicht noch einen letzten Gedanken äußern; denn ein bisschen verkehrte Welt ist das Ganze natürlich schon. Bei der Diskussion um eine Kennzeichnung von Polizeibeamten stellt man sich doch zu Recht die Frage, ob man sich nicht erst einmal mit der einfachen Identifizierung anderer Personenkreise auseinandersetzen sollte, zum Beispiel der von Gefährdern oder Straftätern in Nordrhein-Westfalen. Ich meine, das wäre eher angebracht.

(Zuruf von Matthi Bolte [GRÜNE])

Unsere Beamten stehen doch tagtäglich vor der Herausforderung, dass sich immer mehr Personen, die man überprüfen möchte, gar nicht mehr sicher identifizieren lassen. Da werden einfach irgendwelche Bescheide und Kopien hingehalten; Straftäter und Gefährder ziehen irgendwo in NRW-Unterkünften nach Lust und Laune ein und aus, ohne dass die Landesregierung einen Überblick darüber hat, wo sie sich aktuell aufhalten. Statt aber die Identifizierung dieser Gruppen zu ermöglichen, treten Sie lieber an die Überprüfer, also an unsere Polizeibeamten, heran. Das erzeugt bei den Bürgern und Beamten dann doch eher ein ungläubiges Kopfschütteln.

Deshalb bleibt abschließend die Frage: Verstärken Sie mit diesem Gesetzentwurf wirklich nachvollziehbar den Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger, oder belasten Sie nicht eher nachhaltig den Vertrauensschutz der Beamten? Ich hoffe, Sie haben sich das gut überlegt. Wir werden im Innenausschuss noch weiter darüber beraten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Lürbke. – Für die Fraktion der Piraten spricht Herr Kollege Schatz.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuschauer auf der Tribüne! Dieser Gesetzentwurf ist von der Sachlage her äußerst interessant; denn damit werden im Prinzip zwei gegensätzliche Problemfelder gleichzeitig behandelt. Mit den Bodycams sollen die Polizeibeamten vor der immer weiter ausufernden Gewalt gegen sie geschützt werden; ebenso will man mit der Kennzeichnungspflicht die andere Seite besser vor immer mehr Polizeigewalt schützen.

Ich möchte zunächst einmal klarstellen, dass beide Phänomene nicht wegdiskutiert werden können; sie sind einfach da: Sowohl unberechtigte Gewalt von Polizisten als auch Gewalt gegen Polizeibeamte existieren – und beides ist völlig inakzeptabel.

Schaut man sich einmal an, wie sich diese Diskussion in den letzten 30 Jahren entwickelt hat, dann wirft das Fragen auf. Wenn es tatsächlich so wäre, dass die Gewalt und die Qualität der Gewalttaten in den letzten 30 Jahren von Jahr zu Jahr immer weiter zugenommen hätten, dann müssten wir uns doch inzwischen im Bürgerkrieg befinden. Gott sei Dank ist dem nicht so.

Das zeigt aber auch – und da müssen wir die Diskussion wieder auf eine sachliche Ebene zurückholen –, dass rein objektiv betrachtet vielleicht gar nicht die Gewalt an sich so stark zugenommen hat, sondern dass sich lediglich die Art und Weise verändert hat, in der „Gewalt“ in diesem Kontext definiert wird.

Jetzt kann man natürlich – nicht ganz zu Unrecht – erwidern, dass die strafrechtlich relevante Gewalt, also registrierte Körperverletzungshandlungen, in den letzten Jahren zugenommen hat.

Das liegt aber nicht zwingend daran, dass tatsächlich mehr Verletzungshandlungen vorgenommen würden. Ein erster Grund ist folgender: Derartige Gewalttaten finden am häufigsten bei Großereignissen stattfinden. Die Einsätze bei Großereignissen haben in den letzten Jahren massiv zugenommen, sei es bei Fußballspielen, Demonstrationen oder sonstigen Großereignissen. Wenn die Zahl der Einsätze ansteigt, dann steigt natürlich auch die absolute Zahl der registrierten Gewalttaten an.

Ein weiterer Grund ist, dass die Beamten in den letzten Jahren zunehmend sensibilisiert wurden und deshalb heute tendenziell eher eine Anzeige schreiben als noch vor einigen Jahren. Das ist nichts Schlechtes, sondern das ist gut so. Das erklärt jedoch den vermeintlichen Anstieg, ohne dass tatsächlich zu einem Anstieg gekommen sein muss. Aus denselben oder zumindest ähnlichen Gründen

glaube ich auch nicht, dass die Gewalt von Polizeibeamten tatsächlich stark zugenommen hat.

Nichtsdestotrotz diskutieren wir heute über zwei Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, beides einzudämmen. Ich möchte klarstellen, dass das grundsätzlich nicht verkehrt ist; beide Maßnahmen können wir selbst dann diskutieren, wenn es keinen objektiven Anstieg der Gewalt gegeben haben sollte. Auch bei gleichbleibenden Zahlen könnten und müssten wir über geeignete Gegenmaßnahmen reden; denn auch die niedrigeren Zahlen waren bereits zu hoch.

Kommen wir zunächst einmal auf die Kennzeichnungspflicht zu sprechen. Aus meiner Sicht sollte es eigentlich zum Selbstverständnis der Polizei gehören, umfassend und von allen Seiten kontrolliert zu werden, und zwar völlig unabhängig von den konkreten Gegebenheiten. Das hat nicht im Mindesten mit geringer Wertschätzung oder mit einem Generalverdacht zu tun, sondern mit der Frage, wie die Polizei als Institution, aber auch jede einzelne Beamtin und jeder einzelne Beamte seine Aufgabe und Rolle in dieser Demokratie definiert.

Die Kontrolle der Staatsgewalt – insbesondere der Exekutive, die das Gewaltmonopol ausübt – ist ein konstitutives Element eines jeden demokratischen Rechtsstaates. Insbesondere bei der Polizei kommt noch ein wichtiges Element hinzu, nämlich ein ganz besonderes Gewaltverhältnis. Die Polizei ist eine der ganz wenigen Institutionen in einer Demokratie, die körperliche Gewalt legal anwenden darf, zumeist sogar anwenden muss und es gleichzeitig auch am häufigsten macht.

Solche Maßnahmen bedeuten daher gerade keine geringe Wertschätzung – im Gegenteil: Sie sind ein Zeichen der hohen Wertschätzung, die die Polizei den Bürgern entgegenbringt und auch entgegenzubringen hat. Selbst wenn diese Maßnahmen rein objektiv betrachtet keinerlei Auswirkungen haben sollten – was ich nicht glaube –, gibt es dennoch viele subjektive Gründe, die dafür sprechen. Gerade bei der CDU ist doch immer wieder von „subjektivem Sicherheitsempfinden“ und „Vertrauen in die Rechtsordnung“ die Rede, zuletzt noch heute Morgen beim Thema „Einbruchsdiebstahl“. Dasselbe Prinzip gilt aber auch hier.

Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass die Polizei ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung genießt; das belegen die Umfragen immer wieder. Je nach Umfrage geben 80 % bis 90 % der Bevölkerung an, dass sie der Polizei vertrauen.

(Minister Ralf Jäger: In Nordrhein-Westfalen!)

Nicht nur da, sondern überall.

Das Problem ist aber, dass genau diese 80 % bis 90 % diejenigen Menschen sind, die polizeilich so gut wie gar nicht in Erscheinung treten und deshalb weder für Gewalt gegen Polizei verantwortlich sind,

noch jemals Gewalt vonseiten der Polizei erfahren haben, und zwar unabhängig davon, ob es illegale oder legale Gewalt war. Die dahin gehend Betroffenen sind nämlich genau die 10 % bis 20 %, die der Polizei nicht vertrauen.

Vielmehr erhöhen solche Maßnahmen – damit sind wir wieder beim Thema „subjektives Sicherheitsempfinden“ –, selbst wenn sie ansonsten keinerlei objektiven Nutzen haben sollten, mit der Zeit bei genau diesen 10 % bis 20 % wieder das Vertrauen in die Polizei und in die Rechtsordnung, und sei es nur dadurch, dass diese Personen – unabhängig davon, ob sie es objektiv betrachtet vorher bereits konnten oder nicht – zumindest wieder daran glauben, sich bei einem Fehlverhalten von Polizeibeamten effektiv zur Wehr setzen zu können.

Solche Maßnahmen verschaffen der Polizei somit auch ein Stück weit Legitimität für ihr Handeln, und zwar genau in den Teilen der Bevölkerung, in denen sie diese nicht oder nur unzureichend genießt, was am Ende zu weniger Gewalt auf beiden Seiten führen wird. Zu diesen Maßnahmen – das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen – zählt auch der Einsatz eines Polizeibeauftragten.

Unser Antrag dazu befindet sich noch in der Beratung; deshalb möchte ich hier noch einmal um Zustimmung werben. Schließlich sind die Gründe genau dieselben wie bei der Kennzeichnungspflicht.

Ob das beabsichtigte Ziel allerdings mit dem Einsatz der Bodycams erreicht werden kann, möchte ich zumindest bezweifeln. Das Hauptziel hierbei ist – im Gegensatz zur Kennzeichnungspflicht – gerade nicht, das Vertrauen der Polizei bei den Bürgern zu erhöhen. Das ist weder die Aufgabe der Polizei, noch ist es die Aufgabe der Politik. Die Bürger sind der Souverän. Das Vertrauen hat da zu sein, Punkt.

Das Ziel hierbei ist vielmehr eine tatsächliche Reduzierung der Gewalt gegen Polizeibeamte, und zwar aus meiner Sicht unabhängig davon, ob die Gewalt zugenommen hat oder nicht. Diesem Ziel muss man grundsätzlich sicher zustimmen.

Falls diese Maßnahme aber keinerlei oder eine nur sehr geringe objektive Wirkung haben sollte, kann man sie im Unterschied zur Kennzeichnungspflicht nicht mit anderen Gründen rechtfertigen; denn hierbei finden massive Grundrechtseingriffe statt,

(Beifall von Marc Olejak [PIRATEN])

insbesondere eine Verletzung des Art. 13 Grundgesetz, also der Unverletzlichkeit der Wohnung.

Ich verstehe, ehrlich gesagt, auch nicht – damit komme ich zu Ihnen, liebe regierungstragenden Fraktionen – im Geringsten, warum Sie an dieser Stelle von der bisherigen Meinung abweichen.

(Beifall von Marc Olejak [PIRATEN])

Bis vor Kurzem waren wir uns doch völlig darin einig, zunächst einmal die bereits laufenden Tests abzuwarten. Es gibt auch bereits Erfahrungen aus den USA, auf die ebenso zurückgegriffen werden kann.

Jetzt plötzlich, aufgrund des politischen Drucks vonseiten der CDU – das ist nämlich der einzige Grund –, ändern Sie Ihre Meinung. Das ist definitiv der falsche Weg. Sie schaffen Fakten. Sie ändern das Polizeigesetz.

Zugegeben: Die Änderung ist befristet. Aber seien wir doch mal ehrlich: Welches befristete Gesetz – egal, was am Ende dabei herausgekommen ist – hat man bisher einfach auslaufen lassen? Das passiert nicht. Abgesehen davon würde das auch voraussetzen, dass Sie 2019 immer noch die Regierung stellen. Denn die CDU will dieses Gesetz mit Sicherheit nicht auslaufen lassen,

(Heiterkeit von Frank Herrmann [PIRATEN])

egal was die Auswertung am Ende bringt.

Von daher bin ich sehr gespannt auf die weiteren Beratungen im Ausschuss. Ich weiß nicht, ob es noch eine Anhörung geben wird; wir haben ja schon einige Anhörungen durchgeführt. Ich kann es mir jedoch durchaus vorstellen. Daher bin ich gespannt auf die Beratung. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Schatz. – Für die Landesregierung spricht Herr Minister Jäger.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich damit beginnen: Ich bin einigermaßen irritiert, dass sich heute Abgeordnete aus der CDU-Fraktion als Beschützer und Wahrer des Landespersonalvertretungsgesetzes aufspielen. Das hätten diejenigen mal in der Vergangenheit tun sollen!

(Heiterkeit von der SPD – Heiterkeit und Bei- fall von den GRÜNEN – Gregor Golland [CDU]: So weit ist es schon gekommen!)

Aber in dieser Debatte geht es um etwas anderes; es geht um ein anderes Thema, nämlich um das Verhältnis zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern. Fakt ist: Unsere Polizei in Nordrhein-Westfalen steht für Bürgernähe und dafür, von jedem Mann und jeder Frau jederzeit ansprechbar zu sein, schnell da zu sein, wenn man sie braucht, und zu helfen, wenn Hilfe gebraucht wird.

Auf der anderen Seite steht diese Polizei für Rechtsstaatlichkeit. Sie sorgt dafür, dass Gesetze eingehalten werden. Sie setzt Recht durch. Zur Not setzt sie dieses Recht auch mit Zwang durch.

Diese Polizei ordnet sich nicht der Maxime „Law and Order“ unter. Unsere Polizei in Nordrhein-Westfalen – darauf sind wir stolz – sorgt für ein ausgewogenes Verhältnis. Wir setzen auf Deeskalation, nicht auf Konfrontation. Wir stehen für eine bürgernahe, für eine helfende Polizei. Zu Recht genießt unsere Polizei bei den Menschen eine hohe Anerkennung. Das beruht auch auf einem gewachsenen Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern.

Was wir nicht außer Acht lassen dürfen, ist die zunehmende Gewalt gegen Beamtinnen und Beamte, die sie in Einsätzen erfahren. Der Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Grünen setzt hierbei zwei wichtige Schwerpunkte, indem er zum einen das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Polizei stärkt sowie andererseits dazu beiträgt, Polizeibeamtinnen und -beamte vor Übergriffen zu schützen.