Protokoll der Sitzung vom 14.09.2016

Vielen Dank, Frau Korte. – Für die grüne Fraktion hat nun Frau Schäffer das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir müssen derzeit eine besorgniserregende Entwicklung feststellen: In allen Phänomenbereichen, insbesondere im Salafismus und im Rechtsextremismus, steigt die Radikalisierung und die Gewaltbereitschaft von jungen Menschen, von Jugendlichen, sogar bei Minderjährigen unter 16 Jahren.

Dabei ist eins völlig klar – das will ich hier noch einmal sagen, weil mir das wichtig ist –: Die allergrößte Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen steht für Demokratie und Vielfalt. Es betrifft nur eine absolute Minderheit von Jugendlichen, von Minderjährigen, die sich radikalisiert und gewaltbereit wird. Ja, von dieser Minderheit geht eine Gefahr aus. Ich will es aber nochmals betonen: Die allermeisten Jugendlichen engagieren sich für Demokratie.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben heute zwei Gesetzentwürfe vorliegen; einer stammt von der CDU. Die CDU will die Altersgrenzen im Hinblick auf die Speicherung personenbezogener Daten letztendlich komplett aufheben und damit die Möglichkeit der Beobachtung und der Datenspeicherung durch den Verfassungsschutz auch auf Kinder ausweiten. Das halte ich, ehrlich gesagt, für grundlegend falsch, weil Minderjährige besonders schutzbedürftig sind und wir in der Politik in der Verantwortung stehen, für genau diesen Schutz zu sorgen.

Frau Korte, ich finde, dass das nichts mit „parteitaktischer Hampelei“ zu tun hat. Es sind einfach zwei unterschiedliche Gesetzentwürfe, über die wir im Innenausschuss beraten haben.

Ich finde es richtig, dass wir auch über den CDUGesetzentwurf eine Anhörung eingefordert haben, weil es hier um Grundrechtseingriffe gerade bei Minderjährigen geht. Das muss man diskutieren, und man kann nicht einfach sagen: Zack, wir übernehmen das Bundesrecht. Vielmehr muss es eine eingehende Beratung geben, die wir auch durchgeführt haben.

Ja, es stimmt, der Gesetzentwurf der Landesregierung sieht ebenfalls eine Absenkung der Altersgrenze von 16 auf 14 Jahre vor. Der Gesetzentwurf hält aber an einer Altersgrenze fest, und das finde ich richtig. Die Verhältnismäßigkeit dieser Altersabsenkung wird zum einen durch die besonderen Voraussetzungen und zum anderen im Vergleich zu den 16Jährigen und zu den Erwachsenen durch abgestufte kürzere und damit auch strengere Löschfristen gewährleistet.

Wir wollen überprüfen, wie wirksam und wie verhältnismäßig dieser Grundrechtseingriff gerade bei den Minderjährigen ist. Deswegen haben wir rot-grüne Fraktionen einen Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung eingebracht, in dem wir eine Evaluationspflicht dieser neuen Regelung ins Gesetz aufnehmen.

Klar ist aber auch – das möchte ich gerade für uns Grüne noch mal feststellen –, dass wir mit der Beobachtung und der Speicherung personenbezogener Daten von Minderjährigen nicht sagen können: Da machen wir einen grünen Haken dran; das Problem ist erledigt.

Ganz im Gegenteil, wir brauchen gerade für diese Zielgruppe der Jugendlichen Prävention, Prävention und noch mal Prävention, damit sie sich eben erst gar nicht solchen salafistischen, solchen rechtsextremen Netzwerken anschließen. Hier sind die Schulen, die Jugendarbeit und viele mehr gefragt.

Natürlich brauchen wir gerade für diejenigen Jugendlichen, die sich bereits radikalisiert haben, Angebote. Mit den Beratungsstellen „Wegweiser“ und mit der interministeriellen Arbeitsgruppe, die ein ganzheitliches Handlungskonzept erarbeitet, sind wir meines Erachtens bereits auf einem guten Weg.

Wir haben in der Anhörung sehr gut gemeinsam herausgearbeitet, dass der Verfassungsschutz die Möglichkeit hat, Informationen an Behörden weiterzugeben – darunter auch die Jugendämter.

Es ist natürlich immer eine Einzelfallentscheidung, und es muss stets abgewogen werden, ob das sinnvoll ist. Aber ich will betonen: Das Ziel muss sein, Jugendliche nicht nur zu beobachten, sondern ihnen insbesondere Hilfestellung zu geben und Angebote zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber der Gesetzentwurf der Landesregierung – das hat Frau Korte angesprochen – regelt neben der Altersabsenkung noch weitere Punkte, die nach der aktuellen Rechtsprechung und aufgrund von Änderungen im Bundesverfassungsschutzgesetz notwendig sind bzw. in unserem Gesetz vollzogen werden sollten. Da kann man sich, wie ich finde, nicht auf die Frage zurückziehen: Werden einzelne Maßnahmen überhaupt angewandt oder nicht? Entscheidend ist vielmehr die Möglichkeit dazu und dass wir schon

heute eine Regelung zur Abgeordnetenbeobachtung im Verfassungsschutzgesetz haben, deren Anpassung an die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts absolut sinnvoll ist.

Mit unserem Änderungsantrag präzisieren wir genau diese Regelung, die im Innenausschuss von FDP und Piraten kritisiert wurde. Ich will noch mal darauf hinweisen, dass wir uns sehr eng an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts anlehnen, es im Prinzip abschreiben und ins Gesetz aufnehmen.

Insofern sorgt der Änderungsantrag aus meiner Sicht für die notwendige Klarstellung. Ich denke, wir sind uns hier alle einig, dass die Beobachtung von Abgeordneten natürlich ein sehr sensibler Punkt ist, von dem wir alle hoffen, dass davon hier in NordrheinWestfalen niemals Gebrauch gemacht werden muss.

Ich finde, dass der vorgeschlagene Gesetzentwurf der Landesregierung mit unserem Änderungsantrag verhältnismäßig ist und den aktuellen Entwicklungen gerecht wird. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Schäffer. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Lürbke.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorredner sind schon auf das Problem eingegangen. Radikale Islamisten suchen sich ganz offensichtlich und sehr bewusst zunehmend immer jüngere Zielgruppen und versuchen unseren Kindern, unseren Jugendlichen ihre krude Ideologie näherzubringen. Auch wir Freien Demokraten glauben, dass wir dieser Entwicklung nicht tatenlos zuschauen dürfen. Denn wenn versucht wird, die Radikalisierung in unsere Kinderzimmer zu tragen, müssen wir darauf reagieren.

Das heißt auf der einen Seite, dass die Präventionsmaßnahmen in Nordrhein-Westfalen deutlich wirksamer greifen müssen als bisher – am besten, bevor Jugendliche radikalisiert werden. Auf der anderen Seite muss endlich konsequenter mit allen Mitteln des Rechts gegen die den Behörden teilweise sogar bekannten Hintermänner und geistigen Brandstifter vorgegangen werden.

(Beifall von der FDP)

In beiden Punkten hängen wir in Nordrhein-Westfalen hinterher.

Zudem müssen wir die Frage beantworten, warum eine Radikalisierung von bei uns geborenen und aufgewachsenen Jugendlichen innerhalb unserer Gesellschaft überhaupt so erfolgen kann. Die schlechteste Antwort darauf wäre, vor solchen Entwicklungen die Augen zu verschließen. Vielmehr gilt es, die

Gefahren frühzeitig zu erkennen, um Anschläge wie beispielsweise auf den Sikh-Tempel in Essen möglichst zu verhindern.

Anschläge sind nicht unbedingt eine Frage des Alters, sondern eher eine Frage des Grades der Radikalisierung oder der extremistischen Absichten. Deswegen glauben auch wir Freien Demokraten, dass wir dem Verfassungsschutz die Möglichkeit geben müssen, alle Gefährder in den Blick zu nehmen, auch wenn sie leider erst 14 Jahre alt sind.

Zu der Altersgrenze: Bei einer starren Festsetzung der Altersgrenze droht womöglich sogar noch das Problem der Verlagerung in jüngere Altersgruppen. Deshalb glaube ich, dass der Vorschlag der CDU in ihrem Gesetzentwurf an dieser Stelle zielführender ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch auf einen anderen Punkt im Gesetzentwurf der Landesregierung eingehen. Es gibt einen Punkt – Frau Schäffer hat gerade darauf abgezielt –, den ich schon im Innenausschuss kritisch bewertet habe: die Art und Weise der nachrichtlichen Überwachung von Abgeordneten. Das wurde auch in der Expertenanhörung deutlich und von den Sachverständigen ganz klar beschrieben, dass die diesbezüglichen Formulierungen im Gesetzentwurf nicht präzise genug oder, um es anders auszudrücken, handwerklich nicht gut gemacht sind.

Die Experten haben Ihnen sogar noch Tipps gegeben,

(Hans-Willi Körfges [SPD]: Ja!)

wie man das besser machen kann. Herr Körfges nickt. Das haben Sie aufgegriffen. Aber Sie haben es leider zum Anlass genommen, Ihre ursprüngliche Formulierung noch weiter aufzuweichen, statt sie zu präzisieren.

(Verena Schäffer [GRÜNE]: Nein! – Zuruf von Hans-Willi Körfges [SPD])

Doch, ich gehe gerne darauf ein. Ihrem Vorschlag folgend soll die Überwachung von Abgeordneten zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Einzelfall „insbesondere“ möglich sein, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für ein bestimmtes Verhalten bestehen: „insbesondere“ – kleines Wort, große Wirkung.

Frau Schäffer, das haben Sie zwar aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts abgeschrieben – Sie haben es wörtlich abgeschrieben –, Sie haben aber die vom Gericht im Weiteren dargestellten Einschränkungen einfach weggelassen. Und das hat zur Folge, dass Sie unbenannte Fallgruppen der nachrichtendienstlichen Aufklärung von Abgeordneten zulassen, die das Bundesverfassungsgericht so nie ausgeurteilt hat.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Herr Kollege Lürbke, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Beer?

Natürlich.

Danke. Bitte schön, Frau Beer.

Danke schön, Herr Kollege. Sie haben ja nun gerade eingeräumt, dass das der Text eins zu eins vom Bundesverfassungsgericht stammt. Würden Sie denn auch zugestehen, dass die Schutzgüter nicht verändert sind, auch nicht durch die Formulierungen, die im Gesetzentwurf gefunden worden sind?

Frau Beer, das Problem ist: Sie haben es an dieser Stelle abgeschrieben, aber Sie haben es nicht weiter präzisiert.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Antworten Sie doch bitte auf meine Frage, ob die Schutzgüter nicht verändert sind!)

Sie haben die Fallgruppen nicht klar benannt; Sie haben da Tür und Tor offengelassen. Das ist aber auch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts!

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Sind denn jetzt die Schutzgüter verändert oder nicht?)

Angesichts dieser hohen Eingriffsintensität darf es bei dieser Frage gar keine unbenannten Fallgruppen geben. Frau Beer, Fragen, die individuelle Rechte intensiv berühren, muss der Gesetzgeber im Detail regeln, und genau das haben Sie unterlassen.

(Beifall von der FDP und den PIRATEN)

Fazit: Wenn das Bundesverfassungsgericht offene Formulierungen verwendet, hält es sich seine künftige Rechtsprechung offen. Wenn der Gesetzgeber aber dasselbe tut, dann schafft er unbestimmte Eingriffsermächtigungen für die Verwaltung, und das hat dann eine ganz andere Bedeutung.

Wir haben also, was diesen Punkt anbelangt, einen zumindest – ich will mal so sagen – verfassungsrechtlich nicht unbedenklichen Gesetzentwurf auf dem Tisch liegen. Deshalb möchte ich Sie eindringlich bitten, an der Stelle unbedingt nachzubessern. Wir werden den Gesetzentwurf der Landesregierung ablehnen und dem der CDU zustimmen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP)