Aber jetzt gilt es, nach vorne zu schauen. Es ist noch so viel für die schulische Inklusion zu regeln, und zwar auf allen Ebenen. Ich möchte hierzu – das hatte hier schon jemand erwähnt – auf die Bonner Erklärung zur inklusiven Bildung in Deutschland hinweisen. Ich glaube, das waren Sie, Frau Löhrmann.
Meine Damen und Herren, aktuell stellt sich für mich die Frage, wie die Unterstützung der Schulträger jetzt umgesetzt wird. Wann genau stehen denn die Mittel zur Verfügung, und wie werden sie verteilt? Wenn ich das richtig verstanden habe, sollen die Mittel nach Schülerzahlen verteilt werden. Da frage ich mich – im Grunde ist es ein Gießkannenprinzip –, ob man sie nicht treffsicherer verteilen kann, nämlich insbesondere dort, wo Inklusion einen Anschub braucht. Man sollte nicht einfach sagen: Egal, wie weit sie sind und was sie gerade machen, wir streuen die Mittel übers Land. Ich glaube, man sollte sich noch mal überlegen, was da genau Sinn macht.
Frau Ministerin Löhrmann, Sie haben in der Debatte hier im Haus im Februar gesagt, die Koalition habe angeboten, dem Landtag noch vor Inkrafttreten des
9. Schulrechtsänderungsgesetzes am 1. August entsprechende Gesetzentwürfe zuzuleiten, um all die Maßnahmen rechtlich leistungsmäßig abzusichern. Da erwarte ich jetzt, dass das relativ zügig passiert.
Heute berichten zahlreiche Zeitungen vom „Datenreport Inklusion“ der Bertelsmann Stiftung. Dabei wird auf einen paradoxen Effekt hingewiesen. Im Zuge des Ausbaus des gemeinsamen Lernens steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit festgestelltem Förderbedarf – ein Effekt, den man auch in den Niederlanden beobachten konnte, wo bei der Finanzierung der sonderpädagogischen Förderung vor ein paar Jahren umgesteuert werden musste.
Der Effekt wird so erklärt, dass Eltern, die ihr Kind an der allgemeinen Schule lassen können und trotzdem sonderpädagogischen Sonderbedarf fordern können, sehr viel eher bereit sind, das einzufordern, als wenn damit ein Schulwechsel verbunden ist. Wenn sich das hier bestätigt, dann sind die Berechnungsgrundlagen für den Inklusionsprozess im Grunde falsch und können noch sehr viel höher ausfallen, als sich das im Moment abschätzen lässt.
Die Entwicklung der Schulangebote in den Städten und Kreisen werden wir sehr genau in den Blick nehmen. Werden die Kommunen von der Möglichkeit, Förderschulen im Bereich der Lern- und Entwicklungsstörungen zu schließen, Gebrauch machen? Viele sind besorgt, dass eine große Zahl von Förderschulen bald von der Landkarte verschwinden wird. Da stimme ich Frau Gebauer eindeutig zu. Das ist etwas, was wir nicht möchten, was wir auch immer gesagt haben.
Wir möchten die Wahlfreiheit erhalten. Wir möchten, dass Förderschulen bestehen bleiben, sodass Eltern entscheiden können, was sie für ihr Kind für am besten halten. Da sind wir uns einig.
Werden die anderen schulischen Lernorte für sonderpädagogische Förderung im Bereich emotionale und soziale Entwicklung tatsächlich eingerichtet? – Von all diesen Fragen wird es abhängen, ob der Ausbau der schulischen Inklusion noch eine Erfolgsgeschichte wird.
Ich muss mich aber auch fragen, welche Motive die anderen Fraktionen hier haben und wie ernst es einigen hier mit der Inklusion ist. Als ich vor knapp zwei Jahren hier in den Landtag kam, war das erste Thema, das wir hier besprochen haben, Inklusion. Damals waren wir noch alle der Meinung, dass wir das hier konsensual gemeinsam konstruktiv besprechen wollen. Da war ich voller Euphorie. Wenn ich sehe, wo wir jetzt angekommen sind, dann zeigt sich: Es ist ein Politikum geworden, bei dem es wieder in erster Linie ums Geld geht und nicht um diesen gemeinsamen Willen, tatsächlich etwas für die Schülerinnen und Schüler zu tun.
Herr Kaiser, Sie stellen sich hierhin – aber außer Bashing der Landesregierung kann ich nix sehen, keinen Vorschlag, nix.
Konkrete Vorschläge, was im Verfahren genau zu tun ist, habe ich nicht gesehen. Sie stellen sich hierhin und bashen die Landesregierung.
Sie stellen sich hierhin und machen hier einen auf Robin Hood. Sie kommen mir immer so ein bisschen vor wie der Herr Kaiser von der HamburgMannheimer, der nix im Koffer hat.
Frau Löhrmann hat das hier auch ganz deutlich gesagt. Wir haben immer konstruktiv mitgearbeitet, Vorschläge gemacht und uns beteiligt. Aber außer Kritik ist von Ihnen nichts gekommen.
Sie haben ja gerade gesagt, Sie hätten bei den Kommunen „geworben“. –Werben stelle ich mir anders vor. Ende März haben Sie den Kommunen gedroht, nicht geworben.
Sie sagen, ohne Einigung bis Ostern gibt es gar nix; dann gibt es gar kein Geld. Das hat mit „Werben“ nix zu tun. Ich finde, das war kein guter Stil. Das muss man nicht tun. Denn ich gehe mal davon aus – das hat gestern Herr Walter-Borjans hier auch gesagt –, dass Sie von sich selber glauben, dass Sie glaubwürdig sind. Das glaube ich auch. Wenn ich Ihre Aussage ernst nehme, heißt das doch: Es gibt kein Geld für Kommunen für die Schulen für die Inklusion, wenn die kommunalen Spitzenverbände nicht mitspielen. – Dafür habe ich kein Verständnis.
Der Ausbau des gemeinsamen Lernens stellt die Schulen und uns alle vor große Herausforderungen. Ich habe riesengroßen Respekt vor allen, die sich dieser Herausforderung stellen, den Kommunen, den Schulen, den Lehrern, den Eltern, wer immer daran beteiligt ist, und auch vor uns hier im Landtag. Wir hier im Landtag haben die Aufgabe, wirklich gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jetzt alle erfolgreich diesen Inklusionsprozess umsetzen können.
Unser Problem damit ist, dass wir die verlässliche Grundlage für den weiteren Prozess der Inklusion, die der Antrag feststellt, so im Moment nicht sehen. Wir haben im Gesetzgebungsverfahren eine Reihe von Punkten genannt, die uns immer noch Sorge bereiten. Diese Sorge haben wir in weiten Teilen weiterhin.
Das betrifft zum Beispiel die Möglichkeit der Schulträger, Förderschulen im Bereich LES auch dann zu schließen, wenn die Mindestgröße vorhanden ist. Wie wird sich das auf das Schulangebot auswirken? Wieder: Wo bleibt da die Wahlmöglichkeit der Eltern?
Auch die Ausstattung des gemeinsamen Lernens mit Sonderpädagogen halten wir immer noch für unzureichend. Die Verschlechterung der Bedingungen im Vergleich mit den integrativen Lerngruppen haben wir schon mehrfach kritisiert.
Auch die Stellenbudgets für LES überzeugen uns immer noch nicht. So berichten Schulträger von privaten Ersatzschulen, dass diese Budgets keineswegs ausreichend sind, wenn in den privaten Förderschulen die Schülerschaft nicht zurückgeht. Dabei gehen Schulträger von Privatschulen davon aus, dass eine wachsende Nachfrage nach privaten Förderschulen wahrscheinlich ist, wenn die öffentlichen Förderschulen schließen.
So erkennen wir zwar an, dass mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Kompromiss gefunden wurde, der für Schulträgeraufgaben und nicht lehrendes Personal Verbesserungen bringt, aber für eine Zustimmung reicht uns das nicht.
Der Entschließungsantrag der CDU ist hier gerade erst vorgelegt worden. Ich weiß es nicht. Da werden wir uns enthalten. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Löhrmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte natürlich zuerst noch einmal auf die Konnexitätsfrage eingehen und etwas zu den Vorwürfen von CDU und FDP sagen, ich hätte den Landtag diesbezüglich – noch dazu bewusst – getäuscht. Es ist immer wichtig, dass man genau zuhört. Ich meine, mich zu erinnern, dass ich auf einen Sachverhalt sehr ausdrücklich an vielen Stellen hingewiesen habe – und nicht ich alleine, weil der Gesetzentwurf ja nicht mein Privatvergnügen ist, sondern die Landesregierung insgesamt ihn beschließt und verantwortet. Ich zitiere ich aus dem Gesetzentwurf:
„Im Übrigen lassen die verfügbaren Erkenntnisse derzeit eine hinreichend belastbare Aussage darüber, ob und gegebenenfalls inwieweit die Einführung der inklusiven Schulbildung zu einer im Sinne des KonnexAG relevanten, d. h. wesentlichen finanziellen Belastung der Gemeinden und Gemeindeverbände führt, nicht zu. Weder stehen dem Land entsprechende Daten zur Verfügung noch haben die Kommunalen Spitzenverbände solche vorgelegt. Eine tragfähige Datenlage lässt sich dazu gegenwärtig auch nicht herstellen. Die fraglichen Kosten sind nicht prognostizierbar, weil sie maßgeblich von den Entscheidungen des Schulträgers beim Ausbau von Angeboten Gemeinsamen Lernens und der Ausübung des elterlichen Wahlrechts abhängen.“
Das war unser damaliger Kenntnisstand. Darauf haben wir hingewiesen. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch daran erinnern. Die eine Verschiebung ist ja entstanden, weil wir auf die kommunalen Spitzenverbände zugegangen sind und im Raum stand, dass wir eine gemeinsame Arbeitsgruppe bilden, um Näherungswerte für die entstehenden Kosten festzustellen.
Grundsätzlich war das zum Thema „Konnexität“ der damalige Stand. Diesen Stand haben wir damals auch festgehalten. Dazu ist es dann leider doch nicht gekommen, weil die KSV’en sich dagegen entschieden haben. – Das ist etwas anderes, als Sie behaupten. Es stimmt also nicht, dass hier die Unwahrheit gesagt worden wäre.
Inzwischen haben wir das Klemm-Gutachten, Frau Gebauer. Es ist kein juristisches Gutachten zur Konnexität. Herr Klemm weist ausdrücklich darauf hin, dass es ihm nicht darum geht, diese Frage zu entscheiden. Deswegen haben wir auch gesagt: In Wahrung dessen gehen wir in den Arbeitsprozess.
Herr Klemm weist ferner ausdrücklich darauf hin, dass die Kosten, die er hier ansetzt, Schätzwerte sind und dass diese Kosten nicht zu 100 % eintreten werden. Das ist ein ganz wichtiger Hinweis. Gleichwohl haben wir, weil wir uns gemeinsam auf den Gutachter verständigt haben und gemeinsam die Kommunen ausgesucht haben, genau diese Daten als Grundlage für unsere Einigung genommen. Jetzt ziehen wir jährlich eine Zwischenbilanz, um diese Näherungswerte zu echten Werten zu machen.
Selbst Herr Schäfer vom Städte- und Gemeindebund hat in einem Interview ausdrücklich festgestellt: Nein, eine genaue Kostengrundlage haben wir nicht. – Deswegen ist es richtig, das prozesshaft zu machen. Wir haben den Kommunen von Anfang an zugesagt, dass es einen fairen Evaluationsprozess gibt.
Es wäre aber fahrlässig gewesen, mal eben über den Daumen einen Blankoscheck auszustellen, wie Frau Pieper das offensichtlich wollte, und zu sagen: Wir erkennen das jetzt an, egal was es kostet. – Als Regierung und als Koalitionsfraktionen haben wir natürlich eine Verantwortung für den Landeshaushalt. Deswegen haben wir das damals nicht getan. Deswegen ist das auch ein qualitativer Unterschied zu der Entscheidung, die wir jetzt hier treffen. Es ist mir sehr wichtig, das noch einmal festzuhalten.
Darüber, ob Herr Römer die kommunalen Spitzenverbände erpresst hat oder wie die Position der kommunalen Spitzenverbände in den Gesprächen war, decken wir jetzt den Mantel des Schweigens.
Ich erinnere aber an öffentliche Bekundungen – nicht von mir – in einem Interview. Dort hat Herr Schäfer auf die Bemerkung, jetzt habe sein Verband aber diese arme Koalition mächtig erpresst, indem er immer mit der Verfassungsklage gedroht habe, gesagt: Nein, wir haben überhaupt nicht gedroht. – Obwohl der Prozess noch gar nicht abgeschlossen war, sind aber schon Zettel mit einem Flatrateangebot herumgeschickt worden: Kreuzt das schon mal an; sagt schon mal, dass ihr in jedem Fall klagt! – Trotzdem wird heute gesagt: Wir haben das nur mal so in den Raum gestellt.
Wer da wie agiert hat, wird vielleicht an diesem Beispiel deutlich. Ich glaube, dass die Mittel, die die jeweiligen Personen eingebracht haben, da in einem ausgewogenen Verhältnis standen. Das hat dann auch dazu beigetragen, dass es zu diesem Ergebnis gekommen ist.
Wir haben uns dann dafür entschieden, beim Korb I die Konnexität anzuerkennen; denn wir haben keine Prinzipienreiterei und keine Rechthaberei betrieben, um diese Frage erst vom Verfassungsgericht klären zu lassen,
weil uns an diesem gelingenden Prozess gelegen ist und weil wir diesen Streit, der erst nachgelagert zu Ergebnissen geführt hätte, nicht auf dem Rücken der Kinder und nicht auf dem Rücken der Kommunen austragen wollten.