Protokoll der Sitzung vom 18.03.2015

Ein nicht unkritischer Punkt des Solidarmodells ist, dass es für Studierende, die direkt an der Hochschule wohnen, häufig das Fahrrad nutzen und selten mit Bus und Bahn fahren wollen, ärgerlich ist, wenn die Preise für Leistungen deutlich erhöht werden, die sie nicht oft in Anspruch nehmen. Nur, das ist der Grundpfeiler des Solidarmodells Semesterticket. Es ermöglicht im Sinne der Solidarität sehr niedrige Preise für Studierende, die auf den ÖPNV angewiesen sind. Denn natürlich ist darauf hinzuweisen, dass für Personen, die den ÖPNV regelmäßig nutzen, ein Ticketpreis von unter 30 € pro Monat sehr günstig ist.

Die einzelnen Studierendenschaften sind grundsätzlich und uneingeschränkt frei darin, das Semesterticket mit dem Solidarmodell in Anspruch zu nehmen oder nicht. Wir werden ihnen dazu keine Empfehlungen oder gar juristische Zwänge auferlegen. Denn dies würde der Autonomie der Studierendenschaften widersprechen.

Dieses eindeutige Bekenntnis zur Autonomie betrifft das gesamte Verhältnis der Vertragspartner beim Semesterticket. Die im Verkehrsverbund organisierten Kommunen mit ihren Verkehrsunternehmen machen ein Angebot, bei dem die Studierenden entscheiden können, ob sie dieses annehmen oder nicht. Das Land kann und will hier keine konkreten Vorgaben zur Preisgestaltung machen abseits dessen, dass es mit seinen jährlichen Zahlungen aus dem Landeshaushalt den Preis nochmals niedriger hält, als er sonst wäre.

Neben allgemeinen rechtlichen Fragen einer weitergehenden Einmischung des Landes wäre eine weitere gravierende Folge, dass nicht ansatzweise eine Betrachtung des Angebots nach Preis und Leistung möglich wäre. Das ÖPNV-Angebot ist an den unterschiedlichen Hochschulstandorten verschieden ausgestaltet, und dies sollte sich auch in den Preisen widerspiegeln.

Insgesamt zeigt die Lage an verschiedenen Hochschulstandorten innerhalb und außerhalb von Nordrhein-Westfalen ein sehr heterogenes Bild. So kostet ein Semesterticket in Aachen beispielsweise 17 €, in Paderborn 28 € und in Mainz über 30 €. Von daher dürfte sich auch der zukünftige Ticket

preis im VRR angesichts des vergleichsweise guten ÖPNV-Angebots in diesem Tarifgebiet im Rahmen halten.

Auch die vorgesehene außerordentliche Erhöhung der Preise ist grundsätzlich nachvollziehbar, wenn man sich die Preisentwicklung bei vergleichbaren normalen Tickets oder Tickets für Auszubildende ansieht. Das Problem ist allerdings die kumulative Wirkung mit den normalen Preiserhöhungen. Nach unseren Berechnungen würde dies dazu führen, dass im Jahr 2019 bei angenommenen 3,5 % normaler Preiserhöhung pro Jahr ein Endpreis von rund 26 € zustande käme. Ungefähr die Hälfte des Zuwachses im Vergleich zum Status quo entstünde durch die üblichen Tarifanhebungen. Hier sehen wir vor allem einen Ansatz, um die Preisentwicklung des Semestertickets, aber auch aller anderen Tickets zu begrenzen.

Jahr für Jahr wird Nordrhein-Westfalen beim Kostenausgleich für die Leistungen des Schienenpersonennahverkehrs benachteiligt. Aufgrund von Regelungen noch vom Beginn der 1990er-Jahre erhält NRW gerade einmal 15,8 % für den SPNV, obwohl es knapp 22 % der Bevölkerung stellt. Die Differenz liegt bei ungefähr 440 Millionen € jährlich. Hinzu kommt eine mangelhafte Fortschreibung der Mittel von derzeit 1,5 %, obwohl die Preise für die Nutzung von Schienen und Infrastruktur deutlich stärker steigen.

Wir haben uns als Grüne auf Bundesebene intensiv für eine Erhöhung der Mittel und einen angemessenen Anteil des Landes NRW eingesetzt. Das Verfahren läuft noch. Wir erhoffen uns daraus explizit neue Spielräume für eine attraktive Tarifgestaltung der Verbünde und deutlich geringere Preissteigerungen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ungeachtet dessen bemühen wir uns ständig um Verbesserungen im ÖPNV. Wir sehen durchaus, dass die Struktur der Verkehrsverbünde hinterfragt werden kann. Dies diskutieren wir gerade in der Enquetekommission zur Finanzierung, Innovation und Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrs. Diese Diskussionen müssen jedoch auch die besondere Rolle der Kommunen und ihrer Verkehrsbetriebe berücksichtigen. Daher möchten wir darauf hinweisen, dass eventuell daraus resultierende Lösungen auf die Fragen zum Semesterticket aktuell keine Antworten geben können, sondern erst mittelfristig.

Jede weitere überproportionale Vergünstigung des Semestertickets würde heute die Verteuerung der anderen Fahrkartenarten zur Folge haben. Es ist nicht sozial, wenn beispielsweise eine Verkäuferin oder eine angestellte Friseurin, die mit ihrem Verdienst knapp über den Grenzen für ein Sozialticket liegt und die keine Möglichkeit zur Inanspruchnahme eines Jobtickets hat, den vierfachen Preis für ihre normale Monatskarte zahlen muss.

Wir appellieren an die verfassten Studierendenschaften und an die Vertreterinnen und Vertreter in den kommunal verfassten Verkehrsverbünden, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein und in beidseitigem Interesse die Zukunft der Semestertickets in NRW sicherzustellen.

Das Land kann hier keine Ausputzerrolle übernehmen; die Zuständigkeiten sind klar geregelt. Deshalb kann der Piratenantrag nur abgelehnt werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Beu. – Nun spricht für die FDP-Fraktion Herr Kollege Rasche.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Piraten haben in den vergangenen Monaten einige Anträge zu den Themen „Schienenpersonennahverkehr“ und „ÖPNV“ gestellt. Der Minister hat das immer zusammengefasst mit der Formulierung: Kein ÖPNV auf lau!

In diese Tendenz, ÖPNV und SPNV möglichst billig, fast kostenlos zu organisieren, geht Ihre Initiative mit diesem Antrag erneut. Das ist finanziell unseriös, und das ist zunehmend unglaubwürdig, selbst für die Studenten.

Das Semesterticket beim VRR in Nordrhein-Westfalen ist im Vergleich zu anderen Metropolen in Deutschland nach wie vor sehr günstig. Das ist gut so, und das soll auch so bleiben. Aber die Befürchtung, dass sich die Studierenden das Studium wegen der jetzt vorgenommenen Erhöhung – die vorgenommen werden musste – nicht mehr leisten könnten, ist absurd. In diesem Zusammenhang eine Sozialdebatte zu führen, ist ebenso absurd und aus unserer Sicht missbräuchlich. So geht man mit den Studenten nicht um!

Wir brauchen also eine finanziell seriöse Regelung beim Semesterticket, mit der erreicht wird, dass die Studenten mit einem angemessenen Beitrag beteiligt werden, und die zudem sicherstellt, dass die Finanzierung des Systems aufrechterhalten werden kann. Mit einem seriösen Ausgleich dieser unterschiedlichen Interessen der Beteiligten hat Ihr Antrag leider nichts zu tun, und deshalb können wir ihm auch nicht zustimmen.

Wir würden gerne mehr Geld in den Schienenpersonennahverkehr stecken – ich glaube, das wollen alle Fraktionen in diesem Hause –, aber dazu wäre es notwendig, dass Nordrhein-Westfalen vom Bund einen fairen Anteil an dem großen Kuchen „Schienenpersonennahverkehr“ erhält. Das fordern alle Fraktionen; die einzigen, die es blockieren, sind Union und SPD in der Großen Koalition in Berlin. Hier müssen wir weiter angreifen und weiter tätig werden – der Minister schmunzelt leicht –, dann

können wir uns mehr leisten, auch für die Studenten. Ansonsten ist das leider unmöglich. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Rasche. – Nun spricht Herr Minister Groschek.

(Zuruf von der SPD: Greif an!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich habe gerade nur einmal hochgerechnet, wie viele Bären ihr Fell geben müssten, um das zu verteilen, was jetzt schon im Vorgriff auf mehr Regionalisierungsmittel verteilt wird.

(Martin-Sebastian Abel [GRÜNE]: Das müs- sen Sie die Jäger draußen fragen!)

Wir sollten eines nach dem anderen angehen. Deshalb bin ich den übrigen Fraktionen ausgesprochen dankbar, dass sie mit Realismus darauf hingewiesen haben, dass der Antrag der Piratenfraktion im Grunde ein Sträußchen Vergissmeinnicht in Richtung studentische Wählerinnen und Wähler ist, aber keine ernsthafte Perspektive zur Lösung unserer Nahverkehrsprobleme darstellt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Ich glaube, die unterschiedlichen Wortbeiträge der übrigen Fraktionen haben das Problem richtig umrissen, indem sie darauf hingewiesen haben, dass es nach wie vor keinen Zweifel daran geben kann, dass ein sehr gutes Semesterticket allenfalls ein gutes werden kann, wenn es sich aus der Sicht von Studentinnen und Studenten verschlechtern sollte. Viele Bundesländer blicken neiderfüllt auf das, was wir in Form des Semestertickets anbieten können. Deshalb vertraue ich auf die Verhandlungs- und Konsensfähigkeit der beiden beteiligten Seiten.

Auch die Studentinnen und Studenten wissen, dass mehr Qualität, auch mehr Lohnqualität für Fahrerinnen und Fahrer, ihren Preis hat, der bezahlt werden muss. Und wenn man alle Fahrgäste an dieser neuen Preisgestaltung beteiligt, werden alle ein wenig mehr bezahlen müssen.

Eine Fahrgastgruppe besonders zu privilegieren, macht da keinen Sinn, weil beispielsweise die soziale Not – Herr Rasche hat darauf hingewiesen – nicht einseitig bei einer Gruppe verortet werden kann. Wenn man über soziale Bedrängnis von Studentinnen und Studenten redet, muss man einen anderen Aspekt als den eines erhöhten Beitrags für das Semesterticket betonen. Aber diese Diskussion können wir im Ausschuss weiterführen.

Vielen Dank dafür, dass es eine breite Ablehnung dieses Antrags gibt.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Groschek. – Damit sind wir am Ende der Debatte.

Wir kommen zur Abstimmung. Die antragstellende Fraktion der Piraten hat direkte Abstimmung über den Antrag Drucksache 16/8112 beantragt. Wer stimmt diesem Antrag zu? – Die Fraktion der Piraten. Ich müsste ja eigentlich sagen: die Fraktion der Piratinnen und Piraten. Verdammt, jetzt merke ich das erst.

(Heiterkeit – Beifall von der SPD, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zurufe von der SPD: Ui!)

Wer stimmt dagegen? – SPD, CDU, Grüne und FDP. Gibt es Enthaltungen? – Die sehe ich auch ohne Brille nicht. Damit ist der Antrag mit Mehrheit des Hohen Hauses abgelehnt.

Wir kommen zu:

9 Zweites Gesetz zur Änderung des Rettungs

gesetzes NRW

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/6088

Änderungsantrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 16/8206

Änderungsantrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP Drucksache 16/8213

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales Drucksache 16/8143

zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion Herrn Kollegen Scheffler das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute das Rettungsgesetz beschließen, wird eine seit Jahren andauernde Debatte in Nordrhein-Westfalen beendet. Ich selbst habe sie seit 2010 erneut erleben dürfen. Ich kann nur sagen: Ich freue mich sehr, dass wir einen gelungenen Abschluss der Beratungen finden werden und dass wir heute Vormittag im Ausschuss eine Beschlussempfehlung mit breiter Mehrheit auf den Weg gebracht haben.

In der Tat war es bis zum heutigen Tag ein langer Weg. Wir mussten die Anpassung an das geänderte EU-Recht gemäß der Rechtsprechung des EuGH gewährleisten. Wir mussten außerdem die Umsetzung des Notfallsanitätergesetzes, das am 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist, sicherstellen.

Meine Damen und Herren, mit der neuen Gesetzgebung des Bundes dauert die Ausbildung künftig drei Jahre und löst die zweijährige Rettungsassistenzausbildung ab. Der heute zur Abstimmung anstehende Gesetzentwurf wurde in der 62. Plenarsitzung am 2. Juli 2014 eingebracht und an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales – federführend – sowie an verschiedene andere Ausschüsse – mitberatend – überwiesen. Hierzu hat es eine Anhörung am 22. Oktober 2014 mit Sachverständigen gegeben. Die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Ausschüssen haben sich konstruktiv an diesen Debatten beteiligt.

Nach der Anhörung hat es noch eine Vielzahl von Gesprächen mit anderen, mit vielen Organisationen, mit den privaten Anbietern, den Krankenkassen, den kommunalen Spitzenverbänden, den anerkannten Hilfsorganisationen usw. gegeben. Nach wie vor gab es viel Diskussions- und Gesprächsbedarf. Der Kollege Garbrecht hat vor einigen Tagen darauf hingewiesen, dass wir, wenn man die Sommerpause abzieht, insgesamt sechs Monate Beratungszeit für dieses Gesetz benötigt haben. Ich glaube, meine Damen und Herren, das kann sich durchaus sehen lassen.