Protokoll der Sitzung vom 29.04.2015

Was sagen Sie nun, Herr Justizminister? Oder haben Sie jetzt den Maulkorb von Herrn Jäger übernommen?

(Zurufe von Minister Ralf Jäger und Minister Thomas Kutschaty)

Meine Damen und Herren, die CDU begrüßt den nun gefundenen Kompromiss; denn wir brauchen dieses Instrument zur Abwehr und Verfolgung schwerster Straftaten wie Terror, Mord und Kinderpornografie. Das sind wir unseren Bürgern, aber insbesondere den Opfern schuldig. Es ist ein Ausgleich zwischen Freiheits-, Datenschutz- und Sicherheitsinteressen.

Die Landesregierung hat dabei im Diskussionsverlauf weder ein geschlossenes noch ein gutes Bild abgegeben.

Die CDU hatte und hat dagegen eine klare und vernünftige Linie vertreten. Daher lehnen wir den vorliegenden Antrag der Piraten und den Entschließungsantrag der FDP selbstverständlich ab. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Golland. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Bolte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frage der Vorratsdatenspeicherung beschäftigt uns ja nun zum fünften Mal innerhalb von knapp anderthalb Jahren. Ich habe gerade schon wahrgenommen: Sie möchten das gerne weiterhin so halten.

Es hat sich in dieser Zeit einiges getan. Das muss man konstatieren.

Der Europäische Gerichtshof hat die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im vergangenen Jahr für mit den europäischen Grundrechten unvereinbar erklärt und verworfen. Er hat insbesondere festgestellt, dass es unzulässig ist, die komplette Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen. Seine zentrale Begründung war, dass die Richtlinie eine Speicherung ohne Differenzierung, ohne Ausnahme und ohne Einschränkung vorsah.

Genau dieses Vorgehen war jahrelang eines der Kernargumente der Kritikerinnen und Kritiker der Vorratsdatenspeicherung. Und das war gut so; denn ein Mensch, der überwacht wird, ist niemals frei.

Heribert Prantl sprach damals in einem Kommentar, den ich immer noch für bemerkenswert halte, vom „Ende der Maßlosigkeit“. Ich hätte mir gewünscht, dass er recht behalten hätte.

Fast genau ein Jahr später legen der Bundesjustizminister und der Bundesinnenminister nun ein Leitlinienpapier – noch keinen Gesetzentwurf – vor, mit dem die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun doch wiederbelebt werden soll – ohne Not, denn eine Europäische Richtlinie steht nicht in Aussicht.

Auch wenn die Speicherfristen nun verkürzt werden sollen, so bleibt es doch bei der generellen Speicherung, bleibt es bei dem Generalverdacht. Man darf sich da nicht täuschen lassen: Die Leitlinien sind eben kein Kompromiss zwischen Sicherheit und Datenschutz, sondern sie sind die Ausreizung der Spielräume, die die Urteile von BVerfG und EuGH gelassen haben. – Das ist aus grüner Sicht ein Problem.

Neben dieser grundsätzlichen Problematik ist auch der Schutz der Berufsgeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnisträger – Hans-Willi Körfges hat das eben als eine ganz besondere Baustelle der Leitlinien angesprochen – unzureichend geregelt. Darüber gibt es schon jetzt Verunsicherung. Die Verunsicherung in den Verhältnissen zwischen Geheimnisträgern und ihren MandantInnen, PatientInnen und KlientInnen tritt bereits ein, wenn Daten gespeichert werden, und nicht erst, wenn sie ausgewertet werden.

Mit ihrem Vorstoß zieht die Bundesregierung keine Konsequenzen aus dem größten Überwachungsskandal der Geschichte. Sie höhlt das Label „Datenschutz made in Germany“ aus.

Meine Damen und Herren, wer sich die politischen Beschlüsse meiner Partei anschaut, der wird sofort sehen, dass Bündnis 90/Die Grünen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ablehnen.

Die Sozialdemokraten haben inzwischen in verschiedenen Gliederungen ähnlich lautende Beschlüsse gefasst. Ungeachtet dessen gibt es bei der Sozialdemokratie auf der Bundesebene aber auch einen Beschluss pro Vorratsdatenspeicherung.

Es lässt sich tatsächlich nicht leugnen, dass wir zwei Parteien sind, die in dieser Sachfrage unterschiedlicher Auffassung sind. Das kommt in den besten Familien und sogar in Koalitionen vor. Es wäre schlimm, wenn es in einer Demokratie anders wäre.

Und weil das normal ist, meine Damen und Herren, wenn Parteien Koalitionen bilden, haben wir für diesen Fall klare Verfahren: Da, wo es tatsächlich etwas zu entscheiden gibt, nämlich im Bundesrat, enthält sich das Land, wenn in der Koalition keine Einigkeit über das Abstimmungsverhalten besteht. Das haben wir hier oft genug erklärt.

Noch viel wichtiger ist aber: Wir sind noch nicht an diesem Punkt. Bevor es so weit kommt, muss die Bundesregierung erst einmal einen Gesetzentwurf vorlegen. Der geht dann in die Fachausschüsse und in den Bundesrat. Dort gilt das Ressortprinzip, die Ministerinnen und Minister können ihre Positionen dazu festklopfen. Dann gibt es eine Bundestagsabstimmung. Wenn der Entwurf dann noch einmal in den Bundesrat kommt, dann – das kann ich Ihnen versichern – werden wir Grüne für unsere ablehnende Position werben und streiten. Ich freue mich über jeden Sozialdemokraten, ich freue mich über

jeden Liberalen, ich freue mich über jeden Piraten und über alle anderen, die uns dabei unterstützen.

Wir haben heute eines ganz deutlich gehört, nämlich dass bei der CDU, die sich ja immer modernisieren will, in dieser Frage wie überhaupt beim Schutz der bürgerlichen Freiheitsrechte Hopfen und Malz völlig verloren ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Gregor Golland [CDU]: Das Gegenteil ist der Fall!)

Das hat der Kollege Golland gerade eindrücklich bewiesen.

Lieber Kollege Lürbke, Sie werden gleich das Hohelied der Bürgerrechtler bei der FDP singen. Wir haben es uns schon mehrfach erzählt, aber ich will das gerne noch einmal hervorholen: FDP

Innenminister Ingo Wolf hat damals in diesem Haus die Onlinedurchsuchung im Landesverfassungsschutzgesetz beschließen lassen. Das hat Karlsruhe Ihnen um die Ohren geschlagen, und zwar völlig zu Recht.

(Marc Lürbke [FDP]: Frau Leutheusser- Schnarrenberger!)

Deswegen müssen wir uns von Ihnen da keine Ratschläge einholen.

(Marc Olejak [PIRATEN]: Mehr Fehlerkultur!)

Wir können diese Debatte – das wurde schon angekündigt – sehr gern fortsetzen. Das ist das Schöne an der Demokratie. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Bolte. – Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Lürbke das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal grundsätzlich, damit es nicht durcheinandergeht: Die anlassbezogene Überwachung ist seit Langem ein wichtiger Baustein in einem Gesamtkonzept unserer Sicherheitsbehörden. Die anlassbezogene Überwachung, Herr Minister, findet etwa bei der Überwachung von bekannten Gefährdern bei ausreichenden Anhaltspunkten für die Begehung von Straftaten statt. Ich denke: Das ist Ihnen bekannt.

Kurz: Wenn Sie vermeintliche Straftäter kennen, können Sie diese bereits nach geltendem Recht umfassend technisch anlassbezogen überwachen. Wenn Sie diese nicht kennen und es auch keine ausreichenden Belege gibt, können Sie diese eben auch nicht überwachen. Das sind die Leitplanken, in denen unser geltendes Recht die Überwachung heute – rechtsstaatlich – erlaubt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Vorratsdatenspeicherung geht es um mehr und um Grundsätzliches: Darf ich jemanden, gegen den bis dato nichts, rein gar nichts, gegen den kein Verdacht wegen Gefährdung oder Straftaten besteht, völlig anlasslos auf Vorrat umfassend technisch überwachen und sensible Verkehrsdaten über diese Person auf Vorrat aufzeichnen und: von wo, mit wem, wann, wie lange, wie oft?

Sowohl der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom April 2014 als auch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom März 2010 hatten zu den entsprechenden Regelungen klar geurteilt: Nein. Die Regelungen zu einer solchen anlasslosen Speicherung sind ein erheblicher Eingriff in die Daten der Bürger und mit europäischem Recht bzw. den Grundrechten unvereinbar, ungültig und nichtig.

Dennoch: Da ist sie wieder, die Vorratsdatenspeicherung.

(Marc Olejak [PIRATEN]: Hui!)

Die ganze Story ist eigentlich kaum zu glauben. Als in Zeiten erhöhter Terrorgefahr nahezu reflexartig der Ruf nach anlassloser Datenspeicherung aufkam, passierte Folgendes: Die EU-Kommission offenbarte, man werde keinen neuen Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung starten. Bundes- wie auch NRW-Landesregierung lehnten zunächst einen nationalen Alleingang ab.

SPD-Bundesjustizminister Maas warnte, Deutschland dürfe grundgesetzlich nicht. SPD-Landesjustizminister Kutschaty mahnte, Deutschland könne rechtlich gar nicht. SPD-Innenminister Jäger tönte in bester CSU-Manier: Ich will aber!

(Lachen von Minister Ralf Jäger)

SPD-Ministerpräsidentin Kraft sagte … – Ich weiß es nicht; ich habe sie in der Frage nicht gehört. Sie hat nichts gesagt. Sie tauchte ab.

Die Grünen ließen das der Landesregierung dann auch noch durchgehen. Die CDU pochte in Berlin weiter darauf. Und SPD-Vorsitzender Gabriel fragte unter der Hand augenscheinlich: Sag mal, Frau Merkel, was gibst du mir denn eigentlich dafür, wenn wir hier mitgehen?

Das Ergebnis, meine Damen und Herren, ist: Die Justizminister wurden vorgeführt. Haltung und Überzeugung wichen parteipolitischem Gehorsam.

Herr Körfges, weil Sie es angesprochen haben, erinnere ich in puncto Rückgrat gern einmal an Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Die Bürgerrechte sind bei der SPD in schlechter Hand.

(Beifall von der FDP – Frank Sundermann [SPD]: Weiter! Weiter! Weiter!)

Lassen Sie uns die weiteren Ergebnisse anschauen: Eine Ministerpräsidentin offenbart mangelnden

Einfluss in Berlin. Ein Innenminister bekommt recht, was nicht rechtens ist. Ein SPD-Vorsitzender führt die eigene Partei und die Öffentlichkeit an der Nase herum. Ein Bundesverfassungsgericht bekommt einen neuen Fall.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Weder eine Unrechtsvereinbarung der Bundeskanzlerin Merkel oder des Vizekanzlers Gabriel noch eine Mehrheit in der Großen Koalition kann grundrechtswidrige Gesetze legitimieren.

Sie haben einen neuen Fall bzw. ein neues Aktenzeichen für das Bundesverfassungsgericht geschaffen. Vielleicht kalkulieren Sie sogar mit der Verfahrenslaufzeit, in der man nun munter Daten sammeln und nutzen kann. Aber die Wahrheit ist doch, liebe Kolleginnen und Kollegen: Schon heute fehlt bereits aufgrund der desolaten Personalpolitik der rotgrünen Landesregierung das Personal zur bereits erlaubten anlassbezogenen Überwachung konkreter Personen.