Auch die gesundheitlichen Bedürfnisse der betroffenen Langzeitarbeitslosen müssen stärkere Berücksichtigung finden. Langzeitarbeitslose leiden überdurchschnittlich oft an gesundheitlichen Beeinträchtigungen; bundesweit sind es ca. 40 %. Deshalb müssen gesundheitliche Aspekte stärker in die Betreuung und Förderung arbeitsloser Menschen einbezogen werden.
Aber natürlich sind auch Arbeitgeber aufgefordert, die Potenziale der Arbeitslosen zu nutzen und ihre Personalpolitik stärker für Langzeitarbeitslose zu öffnen. Hierfür muss aber auch der Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik erkannt werden. Eine gute Wirtschaftspolitik in NordrheinWestfalen ist Grundvoraussetzung für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit.
Auf die Erörterung dieses doch sehr komplexen Themas im Ausschuss freuen wir uns. Ich denke, dass auch ein Expertengespräch fällig ist. Die CDUFraktion stimmt der Überweisung in den Ausschuss selbstverständlich zu. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Frau Kollegin Jansen, es tut mir leid, jetzt steht einer am Pult, der dieses Thema verdammt sexy findet. Immerhin war ich acht Jahre im Aufsichtsrat vom Werkhof Hagen, einer sozialen Institution, die sich genau mit diesem Kreis beschäftigt. Wir haben dort Wertstoffrecycling gemacht; wir haben ein Sozialkaufhaus betrieben. Seitdem ich hier bin, bin ich dort nicht mehr dabei; die Firma existiert aber immer noch. Ich wollte damit nur auf Folgendes hinweisen: Ich glaube, Frau Jansen, kein Mensch in diesem Haus wird die Notwendigkeit eines sozialen Arbeitsmarktes bestreiten. Es geht nur um das Wie und um den Umfang.
Rot-Grün greift mit diesem Antrag eine Problematik auf, die die FDP-Fraktion bereits – Herr Staatssekretär, erinnern Sie sich? – im September 2014 in einem Antrag thematisiert hat. Aber wahrscheinlich hat von den Regierungsfraktionen wieder keiner zugehört. Die FDP hat gefordert, die Betreuung und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen in NRW zu verbessern. Bisher haben wir noch nicht einmal einen Termin für eine Anhörung im Ausschuss zustande bekommen.
Was hat uns damals zum politischen Handeln bewogen? – Das war die Perspektivlosigkeit dieser betroffenen Menschen in Nordrhein-Westfalen. Die Kampagnen von Herrn Minister Schneider haben nichts gebracht. Jeder dritte Langzeitarbeitslose in Deutschland lebt nach wie vor in NordrheinWestfalen; das sind rund 300.000 Personen.
Unser Bundesland leidet unter der hohen verfestigten, strukturellen Arbeitslosigkeit wie kaum ein anderes Land, vielleicht noch vergleichbar mit Bremen. In fast allen Arbeitsmarktstatistiken liegt NRW auf den hinteren Plätzen. Das hätte die Landesregierung doch schon längst alarmieren müssen. In der Begründung zu Ihrem Antrag machen Sie aber zunächst Strukturwandel und Wirtschaftskrise verantwortlich. Wie immer sind es also die anderen. Liegt es nicht gerade auch an der Wirtschaftspolitik des Landes, wenn NRW so schlecht dasteht?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Politik der letzten Jahre in unserem Land und im Bund ist mit immer neuen Belastungen und Bürokratiemonstern verbunden.
Tariftreue- und Vergabegesetz, Vorfälligkeitsgesetz – Sie können gleich eine Zwischenfrage stellen –, Sozialversicherungsbeiträge, Dokumentationspflichten beim Mindestlohn, die steigende EEGUmlage und die Reformvorschläge zur Erbschaftsteuer sind nur ein paar Beispiele.
Hinzu kommt das soeben auch von Frau Jansen angeführte Arbeitgeber-Bashing, dass es nur Mitnahmeeffekte seien, um billige Arbeitskräfte zu bekommen. Mein Zwischenruf dazu steht, glaube ich, in den Protokollen.
Doch wie sieht Ihre Antwort auf das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit aus? – Sie fordern auf Dauer angelegte Beschäftigung im sozialen Arbeitsmarkt und mehr Mittel vom Bund. Wer sich jedoch auf zusätzliche Bundesmittel verlässt, der baut auf Sand. Aktuell hat Andrea Nahles die Mittel für die Jobcenter bei einem Bundesprogramm, das für 43.000 Personen gelten soll, im allgemeinen Eingliederungstitel um 750 Millionen € in den nächsten drei Jahren gekürzt. Insbesondere sollen Verpflich
Damit werden gerade die Handlungsmöglichkeiten vor Ort eingeschränkt. Dabei geht Flexibilität in der Arbeitsförderung verloren. Langfristige oder mehrjährige Maßnahmen wie Ausbildung usw. können nicht mehr durchgeführt werden. Das ist die Realität: Kürzungen um bis zu 50 % statt der von Ihnen geforderten zusätzlichen Mittel im Eingliederungstitel. Dazu schweigen Sie aber in Ihrem Antrag.
Nun zum sozialen Arbeitsmarkt: Öffentlich geförderte Beschäftigung kann zwar eine Hilfe sein, um Menschen wieder an Arbeit und geregelte Tagesabläufe zu gewöhnen, sowie um Grundqualifikationen zu erwerben. Sie sollte aber aus unserer Sicht immer das Ziel haben, die betroffenen Langzeitarbeitslosen wieder zur Teilnahme am Arbeitsmarkt zu befähigen und so einen Zugang in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Mit Ihrer Forderung nach einer dauerhaft angelegten öffentlich geförderten Beschäftigung geben Sie allerdings dieses Ziel der Integration in den ersten Arbeitsmarkt auf.
Diese Politik schafft keine Arbeit, sie simuliert nur Arbeit. Der Bund soll für eine teure Beschäftigungstherapie zahlen, damit das Problem der Langzeitarbeitslosen aus der NRW-Statistik verschwindet. Und Sie schaffen so wieder zusätzliche Fehlanreize, wahrscheinlich aufgrund mangelnder Praxiskenntnisse, sodass zum Beispiel Fallmanager in den Jobcentern in ihrer Not die Betroffenen wieder in diesen Arbeitsmarkt abschieben werden. Gerade für Langzeitarbeitslose, die dem ersten Arbeitsmarkt noch näherstehen, kann eine öffentlich geförderte und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
Die bereits laufenden Maßnahmen für einen sozialen Arbeitsmarkt in NRW sind teuer und wenig effektiv. Mit rund 47 Millionen € wurden nur 1.200 Stellen geschaffen. Martina Maaßen, in dieser Aussage ist auch die Antwort auf die Zwischenfrage enthalten. Eine Ausweitung zu einem riesigen und teuren Sektor öffentlicher Beschäftigung lehnen wir ab.
Was sollten wir stattdessen tun? – Über einzelne Aspekte Ihres Antrags lohnt es sich durchaus zu diskutieren. Passiv-aktiv-Transfer kann ein sinnvolles Instrument sein, indem wir die SGB-IILeistungen zum Lebensunterhalt in Lohnkostenzuschüsse umwandeln. Der Ausgleich einer geringeren Leistungsfähigkeit und Produktivität von Langzeitarbeitslosen über Lohnkostenzuschüsse hat sich als ein durchaus effektives Instrument der Arbeitsmarktpolitik erwiesen.
Es kommt allerdings auf die Rahmenbedingungen an. So sollte eine Beschäftigung in Unternehmen und nicht im öffentlichen Bereich gefördert werden. Mitnahmeeffekte bei der Auswahl der Teilnehmer
und eine dauerhafte Subventionierung sollten so weit wie möglich vermieden werden. Auch ergänzende Maßnahmen wie Coaching können hilfreich sein.
Das Modellprojekt zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung als eigenständige Dienstleistung der Jobcenter setzt im Sinne des Work-First-Ansatzes darauf, dass Mitarbeiter der Jobcenter sich intensiv um die Beratung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen kümmern. So gibt es zahlreiche in Projekten entwickelte Instrumente und Maßnahmen, die zwar positive Ergebnisse zeigen, die bisher aber immer nur eine geringe Anzahl von Personen erreichen. Wir fordern daher einen nachhaltigen Ansatz durch vertiefte Gespräche mit der Regionaldirektion hier in Nordrhein-Westfalen.
Vor allem aber ist Qualifikation der Schlüssel, um Menschen die Tür in die Arbeitswelt zu öffnen. Deshalb stellt aus unserer Sicht eine bessere Qualifizierung die vordringlichste Aufgabe dar. In Bezug auf die Qualifikation von Langzeitarbeitslosen kommt es darauf an, niedrigschwellige Angebote zu machen. Dabei bieten Teilqualifikationen für bestimmte Zielgruppen die Möglichkeit, statt einer relativ langen Ausbildung einzelne Module, sogenannte Teilqualifikationen, aus bestehenden Ausbildungsinhalten zu absolvieren.
Fazit: Im Sinne unseres Antrages wollen wir keine massive Ausweitung eines dauerhaften sozialen Arbeitsmarktes, sondern wir wollen vielmehr die Betreuung und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen verbessern und so den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt fördern. Lassen Sie uns darüber im Ausschuss diskutieren. Ich freue mich darauf, weil die Sache eben doch sexy ist.
Genau. Sie haben das optische Signal erkannt und haben jetzt auch die Premiere. Herr Garbrecht würde die Kurzintervention halten wollen. – Herr Garbrecht, bitte!
Lieber Kollege Alda, ich freue mich auch schon auf die Diskussion im Ausschuss. Zunächst einmal habe ich einige kurze Fragen, weil schon wieder verbreitet wurde, Andrea Nahles kürze die Mittel für die Jobcenter.
Sind Sie bereit, erstens zur Kenntnis zu nehmen, dass mit Regierungsantritt der Großen Koalition die Übertragung der nicht ausgeschöpften Mittel der Jobcenter von einem Jahr auf das andere Jahr möglich wurde und dass damit dem Gesamtsystem über 1 Milliarde € jährlich zur Verfügung gestellt worden ist?
Sind Sie bereit, zweitens zur Kenntnis zu nehmen, dass allein im Jahre 2013 die Vorgängerin von Frau
Nahles, Frau von der Leyen, die heute für Verteidigung zuständig ist, der aktiven Arbeitsmarktpolitik in beiden Rechtskreisen über 2 Milliarden € entzogen hat?
Sind Sie bereit, drittens zur Kenntnis zu nehmen, dass dies eben keine Kürzung ist, sondern eine Umschichtung zugunsten von Langzeitarbeitslosen, und dass die unselige Personalisierung auf eine Ministerin hier völlig fehl am Platze ist, weil sie Maßnahmen aufsetzt, die wir im Grunde genommen hier in unserem Antrag so fordern?
Vielen Dank, Herr Garbrecht. – Herr Kollege Alda, bevor Sie antworten, will ich gerne für die Kolleginnen und Kollegen noch einmal klarstellen: Das war eine Kurzintervention. Sie hat keinerlei Formerfordernisse, sodass man durchaus auch Fragen in die Kurzintervention packen kann. Das war jetzt in der Tat mehr als eine. Eine andere Regel haben wir nur bei der Zwischenfrage. – Herr Kollege Alda, wenn Sie mögen, dürfen Sie jetzt antworten; Sie haben ebenfalls 90 Sekunden Zeit.
Vielen Dank, Kollege Alda. – Damit hat er die 90 Sekunden nicht ausgeschöpft. – Wir kommen zum nächsten Redner. Für die Piraten hat Herr Kollege Sommer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schöne Antwort – danke, lieber Uli. Gleichwohl ist es sicher so, dass die Bundesebene hier nicht ganz ungeschoren davonkommen wird.
Fangen wir erst einmal mit dem Antrag auf Länderebene an. Ich finde es gut, dass Sie den Antrag eingebracht haben. Ich glaube schon, dass es Sinn macht, einen dauerhaften sozialen Arbeitsmarkt auszubilden, vor allem, wenn dies mit Integration der privat-gewerblichen Unternehmungen ge
schieht. So, wie wir es bis jetzt hatten – dass nämlich gGmbHs, Integrationsunternehmen usw. damit „belastet“ wurden –, hat es nicht zu dem Ziel geführt, das wir gerne gehabt hätten.
Wir müssen das Ganze auf mehr Schultern verteilen. In Gesprächen mit allen Trägern – sowohl der gGmbHs wie auch mit der freien Wirtschaft – ist immer klar geworden: Die Unternehmen stehen dafür bereit. Auch die Unternehmen in diesem Land wollen ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. Und das können wir auf diese Weise schaffen.
Zurzeit ist es so – das haben die Kollegen alle einhellig gesagt, das ist nun einmal die Faktenlage –, dass NRW mit am schlechtesten im Bund dasteht, was die Langzeitarbeitslosen betrifft. In NRW leben die Menschen, die am längsten arbeitslos sind. Hier leben die meisten Menschen, die länger als ein Jahr, sogar länger als zwei Jahre arbeitslos sind. Das alles wurde bereits benannt. Bis jetzt haben keine Projekte und keine strukturellen Maßnahmen dazu geführt, dass dem begegnet worden wäre, dass den Menschen eine Chance gegeben worden wäre, wieder in Arbeit zu kommen.
Wir haben eben gehört, welche Menschen das überhaupt betrifft, nämlich Menschen mit sogenannten multiplen Vermittlungshemmnissen. Da ist alles Mögliche dabei: Migrationshintergrund der letzten Generation, familiäre Verhältnisse, Menschen, die in der Familie andere Familienangehörige pflegen usw. Manche Menschen aus dieser Gruppe haben ob der Dauer ihrer Arbeitslosigkeit verlernt, ihren Tagesablauf zu gestalten.
Alles das soll man – ich denke, das ist Ziel des Antrages – demnächst nicht nur im Rahmen eines Integrationsunternehmen oder nur alleine, auf die Jobcenter abgeschoben, wieder erlernen, sondern auch mit einem privatwirtschaftlichen Unternehmen als Partner. Das finde ich das Gute an dem Antrag; das möchte ich hier herausstreichen.
Wie brauchen diese Menschen jeweils individuell, um wieder in Arbeit kommen? Das Arbeitsumfeld habe ich gerade angesprochen; dann sind da die Unternehmen. Dann brauchen sie natürlich Qualifizierung. Da finde ich an Ihrem Antrag besonders gut, dass Sie nicht nur sagen: „Wir brauchen für die Menschen einen Eingang in dauerhafte duale Ausbildung“, sondern – Uli Alda hat es eben auch schon gesagt, Kollege Preuß auch – dass Sie auch davon ausgehen, dass der modulare Anteil wahrscheinlich erhöht werden muss.
Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die es nicht schaffen werden, eine komplette duale Ausbildung durchzuziehen. Da hilft dann einfach die Überlegung: Wenn es jemand nicht schafft, eine komplette Lehre zum Werkzeugmacher zu absolvieren, dann wird er vielleicht mit einem Schweißerschein glücklich und kann so am Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen.