Protokoll der Sitzung vom 21.05.2015

verfahren zum Abbau bürokratischer Vorgaben – wurden von Rot-Grün schnöde abgelehnt, obwohl die kommunalen Spitzenverbände beide Initiativen begrüßt hatten.

(Beifall von der CDU)

Das ist besonders verwunderlich vor dem Hintergrund, dass man sich gerade in NordrheinWestfalen angesichts des hohen Kommunalisierungsgrades und der außergewöhnlich hohen Kosten pro Fall immer wieder die Frage stellen muss bzw. müsste, wie man den Kommunen effektiv helfen kann. Man muss darüber nachdenken, wie vor allem die Ausgaben im Sozialbereich, die die Städte und Gemeinden letztlich erdrücken, genauer in den Blick genommen und hinterfragt werden können.

(Beifall von der CDU)

Angesichts der dramatischen Finanzsituation darf nicht nur eine Ertragssteigerung etwa durch die Anhebung von Steuern und Gebühren das Mittel der Wahl sein. Meine Damen und Herren, es ist geradezu unerlässlich, auch die Aufwandsseite in den Blick zu nehmen und kritisch auf den Prüfstand zu stellen. Vielfältige bürokratische Regularien verhindern aber die dringend notwendige Reduzierung von Aufwand. Anstatt immer mehr Vorgaben zu machen, wäre es sinnvoll, in kommunalen Modellversuchen Alternativen praktisch zu erproben.

Die Landesregierung ignorierte jedoch die Probleme der hohen Kosten der Sozialleistungen und verweigerte sich bislang der Diskussion über die Überfrachtung der Kommunen generell. Sie muss sich aber diesem Prozess stellen. Daran führt kein Weg vorbei.

(Beifall von der CDU)

Das Ziel unseres Gesetzentwurfs ist es, die Kommunen von unnötigen bürokratischen Vorgaben durch das Land zu befreien, dadurch Konsolidierungserfolge zu erzielen, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken und letztlich das finanzielle Desaster von den Kommunen abzuwenden. Das, meine Damen und Herren, können wir von hier aus steuern, so wir es denn wollen.

(Beifall von der CDU)

Das alles soll auch nicht von oben vorgegeben werden, sondern die Städte, Gemeinden und Kreise sowie die kommunalen Spitzenverbände sollen hierbei eingebunden werden und die entsprechenden Anregungen geben. Diejenigen nämlich, die die Arbeit vor Ort machen, wissen am besten, wo es zu viel Bürokratie und unnötige Standards gibt.

Ich denke, niemand in diesem Haus wird ernsthaft daran zweifeln, dass Vorgaben im Überfluss vorhanden sind und dass sie inzwischen oft sogar mehr schaden als nützen.

(Beifall von der CDU)

Ich werbe daher sehr engagiert für unseren dritten Vorschlag zum Abbau unnötiger Bürokratievorgaben. Es ist mir wichtig zu zeigen, dass man die Kommunen ernst nimmt und sie bei der Frage der Sozialleistungen erstens einbezieht und zweitens nicht alleine lässt.

Ich freue mich deshalb auf die weitere Diskussion und Beratung im Ausschuss für Kommunalpolitik und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Thönnissen, und herzlichen Glückwunsch zur Jungfernrede! – Für die SPD-Fraktion spricht nun Kollege Hübner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von meiner Seite, Frau Thönnissen, erst mal herzlichen Glückwunsch zur ersten Rede, die uns auch verschiedene Einblicke in Ihre Gedankenwelt gegeben hat. Bei dem einen oder anderen Einblick habe ich mich allerdings – auch wenn das Ihre Jungfernrede war – gefragt, was das mit Bürokratie zu tun hat. Ich will das sehr freundlich etwas reflektieren.

Sie haben insgesamt über die Finanzausstattung der Städte und Gemeinden, die uns große Sorgen macht – keine Frage, auch in den letzten Jahren – Auskunft gegeben. Sie haben noch einmal über Flüchtlingskosten gesprochen, über die wir bereits gestern eingehend diskutiert haben und die auch im folgenden Tagesordnungspunkt noch Thema sein werden. Dabei spielen die Kommunen zugegebenermaßen eine ganz wesentliche Rolle.

Sie haben über die Taskforce zu den Sozialkosten gesprochen, die wir zuletzt im Ausschuss für Kommunalpolitik diskutiert haben. Dabei haben wir auch Unterschiede herausgearbeitet, warum sich beispielsweise die Eingliederungshilfe in NordrheinWestfalen anders darstellt als in anderen Flächenländern der Bundesrepublik.

All das ist eine gute Reflektion gewesen, die ich ausdrücklich anerkenne. Dann haben Sie einen neuen Konsolidierungsbereich entdeckt, der offensichtlich gar kein neuer ist, weil Sie mit einem Gesetzentwurf aus dem Jahre 2006 sozusagen eine Erneuerung vorgelegt haben. Sie wollen vor allem eines erreichen, nämlich die Tagesordnung mit dem Begriff „Bürokratie“ zu bestimmen.

Frau Thönnissen, ich sage Ihnen ganz offen, wenn Sie versuchen, mit dem Begriff „Bürokratie“ die Tagesordnung zu bestimmen, werden Sie auch von uns ganz viel Applaus dafür bekommen, dass kein Mensch Bürokratie mag, weil der Begriff ganz deutlich emotionsnegativ geladen ist. Wenn Sie in den Duden gucken, werden Sie feststellen: Mit „Bürokra

tie“ wird gemeinhin die Herrschaft der Verwaltung bezeichnet – das hört sich nicht so toll an –, und der Begriff wird synonym gesetzt mit „schwerfällig“, „aufgeblasen“, „überflüssig“. Genau das will die CDU-Fraktion hier erzeugen: dass diese überflüssige Bürokratie abgeschafft werden muss und dass das nur gelingt, indem man ein Bürokratieabbaugesetz auf den Weg bringt.

Da muss ich auf den von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf zurückkommen. Sie schreiben sofort am Anfang unter „Problem und Regelungsbedarf“, dass im Jahre 2006 der erste Versuch mit einem Gesetz gemacht worden ist, und weisen auch darauf hin, dass dieses mit Ablauf des 31. Dezember 2011 außer Kraft gesetzt worden ist.

Da stellt man sich natürlich die Frage: Warum ist es außer Kraft gesetzt worden? Weil im Jahre 2009 – das schreiben Sie auch unter „Problem und Regelungsbedarf“ – eine Ressortabfrage gemacht worden ist, inwieweit die Kommunen von dem Gesetz Gebrauch gemacht haben. Im Jahr 2009 kommt das Innenministerium zu der Überzeugung, dass die Erfahrungen mit dem Gesetz äußerst ernüchternd sind.

(Minister Ralf Jäger: 2009?)

2009. Dein Vorgänger, Herr Innenminister, war Herr Wolf, wenn ich mich recht erinnere. Er hat es im Jahr 2009 als ernüchternd bewertet.

Die Kommunen – so schreiben Sie in Ihrer Bewertung weiter – haben nur in geringem Umfang davon Gebrauch gemacht, und es wurden nur 69 Anzeigen bearbeitet. – Das bedeutet nicht, dass es nur in 69 Fällen zu Auswüchsen gekommen ist. 69 Anzeigen hat das Ministerium bearbeitet. Daher ist dieses Gesetz am 31. Dezember 2011 außer Kraft gesetzt worden. Denn Sie haben von 2005 bis 2010 nicht nur einen Raubzug durch die kommunalen Kassen gemacht, der aus Ihrer Sicht grandios war und den Sie gerade beklagt haben.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben gerade eines der Kernprobleme deutlich gemacht. In der Tat ist es ein Riesenproblem, dass wir mittlerweile allein in Nordrhein-Westfalen Kassenkredite von knapp 26 Milliarden € haben – bei insgesamt 50 Milliarden € Kassenkredite bundesweit. Der Aufwuchs zwischen 2005 und 2010 war aber mehr als 100 %, in der Amtszeit der CDU. Das muss man sich dabei vergegenwärtigen. Das, was Sie gerade richtigerweise beklagt haben, haben Sie also zum großen Teil verursacht. Wir versuchen seit 2010, das geradezurücken.

Zurück zu Ihrem Gesetz – 2011 –: Sie haben zwischen 2005 und 2010 dafür plädiert, Gesetze grundsätzlich zu befristen. Dazu gibt es auch in Bayern eine Initiative. Und Sie haben gesagt, wir müssten ständig evaluieren. Ein Beispiel, wo das aus meiner Sicht ganz erfolgreich von Ihnen einge

stielt worden ist: Das hat auch für tolle Gesetze wie etwa das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das öffentliche Flaggen, das Flaggengesetz, zu Auswirkungen geführt.

Herr Kollege Hübner, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Deppe zulassen?

Sehr gerne, Herr Deppe.

Bitte, Kollege Deppe.

Herr Kollege, Sie beschreiben hier wortreich Ihre Bemühungen zum Abbau der Bürokratie, die noch nicht so weit gediehen sind. Ist Ihnen bekannt, dass die Regelung zur fünfjährigen Befristung von Gesetzen in der Wahlperiode vor 2005 unter Ministerpräsident Steinbrück im Land eingeführt worden ist und dass dies jetzt offenbar unter dieser Regierung von Frau Kraft nicht mehr der Fall ist?

Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Deppe, ich will dazu gar keine Bewertung abgeben. Sie haben das in Ihrer Amtszeit aber immer sehr wortreich gelobt, und der Kollege hinter Ihnen hat das ja gerade auch noch einmal massiv eingefordert und hält das für richtig. – Ich will Ihnen nur ein paar Auswirkungen nennen.

Ich nenne einmal ein Beispiel, das zeigt, wozu das führt. Dazu, Herr Deppe, erinnere ich Sie an das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das öffentliche Flaggen. Damit ist beispielsweise die öffentliche Beflaggung von Gebäuden gemeint. Das Gesetz hatte früher einen Paragrafen. Sie haben im Jahr 2008 dafür gesorgt, dass ein zweiter Paragraf dazukam. Das Gesetz hat insgesamt zwei Artikel, und der Artikel 1 hat zwei Paragrafen.

Der zweite Paragraf, den Sie eingefügt haben, sah eine Befristung vor. Das haben wir am 2. Oktober 2014 zurückgenommen, weil diese Befristung beim Flaggengesetz letztlich keinen Sinn macht. § 1 hat beschrieben, dass Anstalten und Stiftungen sowie der Innenminister dafür zuständig sind, das Flaggen anzuordnen, und dass das entsprechend durch Erlass geregelt wird. In § 2 war geregelt, dass der Innenminister das befristet darf und dass uns das immer wieder vorgelegt werden muss. – In der Tat führen solche Dinge zu etwas mehr Bürokratie, nämlich hier zu einem 15-seitigen Bericht über dieses Gesetz.

(Zuruf von der SPD: 15 Seiten!)

Das führte zu einem 15-seitigen Bericht über dieses Gesetz! – Das haben wir dann im letzten Jahr zur Kenntnis genommen. Ich bin Innenminister Ralf Jäger übrigens sehr dankbar, dass wir das spätabends mit den Kolleginnen und Kollegen, die dazu geredet haben, behandelt haben. Wir haben dann auf die Debatte dazu verzichtet, und Minister Jäger hat seine Reden dazu jeweils zu Protokoll gegeben. – Ich bin also sehr dankbar dafür, dass wir den § 2 gestrichen haben.

Wenn Sie sich das jetzt angucken, werden Sie feststellen, dass der § 1 wie folgt geändert werden musste:

Die Paragrafenbezeichnung „§ 1“ wird durch die Paragrafenbezeichnung „Einziger Paragraph“ ersetzt.

Ich finde, das ist doch ein Fortschritt, den wir da erreicht haben. Die Landesflagge hat die Farben Weiß, Grün und Rot. Der Innenminister klärt per Erlass, wann zu flaggen ist und wann nicht, und wir haben das jetzt in einem einzigen Paragrafen geregelt. Der § 2 entfällt. § 2 beinhaltete eine ständige Evaluation. Ich finde, das ist ein riesiger Fortschritt beim Bürokratieabbau, den wir erreicht haben. Es war gut, dass Sie dabei mitgeholfen haben; denn es handelte sich quasi um einen einstimmigen Beschluss in diesem Plenum.

Ich erzähle Ihnen dieses Beispiel auch deshalb, Frau Kollegin, weil man sich natürlich sehr genau anschauen muss, in welchen Fällen es notwendig ist, sich mit bürokratischen Regelungen auseinanderzusetzen. Ihr Gesetzentwurf besticht aber vor allen Dingen dadurch, dass Sie die Fälle nicht konkret belegen. Vielmehr zieht sich wie ein roter Faden durch ihn hindurch, dass Standards abgebaut werden müssen. Wenn Sie das durchgehen, sehen Sie: Das Wort „Bürokratie“ taucht mehrfach auf. Das machen Sie ganz bewusst wegen der negativen Intonation, die ich Ihnen schon eingangs dargestellt habe. Genau deshalb machen Sie das. Dadurch wird der Gesetzentwurf nicht besser. Er wird auch nicht attraktiver für die Kommunen.

Ich will auch darauf hinweisen, dass wir zuletzt im Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit – davon versprechen wir uns erheblich mehr – einen Erprobungsparagrafen eingeführt haben. Wir wollen bestimmte Dinge viel stärker unter Effizienzgesichtspunkten bewerten. Auch da sind die Kommunen – das will ich ausdrücklich sagen – aufgefordert, davon Gebrauch zu machen. Wir können uns eine ganze Menge vorstellen, was dort zu erreichen ist.

In Ihrem Gesetzentwurf tauchen solche Überlegungen allerdings nicht auf. Sie benennen auch keine Bereiche, wo es sinnvollerweise geschehen könnte. Gleichzeitig haben Sie vorhin aber Bereiche wie beispielsweise die Eingliederungshilfe genannt, wo

wir uns darüber unterhalten, wie wir gleiche Standards in allen Bundesländern erreichen können. Da geht es also nicht darum, weniger Standardisierung einzuführen, sondern mehr.

Wir haben vorhin beim Thema „Schulrecht“ nicht über weniger Standards diskutiert, sondern hier ist insbesondere von Ihrer Seite eingefordert worden, über mehr Standards zu reden. Und Sie haben auch beim Thema „Flüchtlinge“, das wir gestern beraten haben – Herr Kuper hat dazu geredet; darüber werden wir beim gleich folgenden Tagesordnungspunkt auch noch einmal reden –, nicht über weniger, sondern über mehr Standards geredet. Insofern ist das Beispiel mit dem Flaggengesetz, wie ich finde, nicht so weit hergeholt. Auch da gibt es Standards. Wir müssen uns aber ganz genau anschauen, wo die Standards wie gelten.

Ihr unerfolgreicher Gesetzentwurf, den 2009 Minister Wolf noch negativ bewertet hat, ist für uns – das sage ich Ihnen jetzt schon einmal an dieser Stelle – kein geeigneter Maßstab, um weiter in eine verstärkte Debatte zum Thema „Bürokratieabbau“ mit der entsprechenden negativen Intonation, wie von Ihnen vorgeschlagen, hineinzukommen.

Insofern werden wir das natürlich bei uns im entsprechenden Ausschuss beraten. Ich will auch hoffen, dass wir das konstruktiv machen.