Protokoll der Sitzung vom 25.06.2015

Der Bund der Strafvollzugsbediensteten hatte bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen Vorschriften um „politisch bemühte“ Neuerungen handle, die an der Vollzugswirklichkeit völlig vorbeigingen und sich in der Praxis nicht realisieren lassen, weil der personelle und zeitliche Aufwand nicht leistbar ist. Ich verweise auf die Stellungnahme 16/1886, Seite 9.

Diese Warnungen aus der Praxis müssen endlich ernst genommen werden. Ich meine, dass wir uns im Rechtsausschuss dafür die notwendige Zeit nehmen sollten, und bitte daher um Zustimmung zur Überweisungsempfehlung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kamieth, auch für diese Punktlandung bezogen auf die Redezeit. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Wolf das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren ein durchaus sehr zentrales und wichtiges Thema der Rechtspolitik, nämlich den Strafvollzug und wie wir in Nordrhein-Westfalen uns die Planungen für die kommenden Jahre vorstellen. Ich meine, das ist ein Thema, das sehr viel Sachlichkeit bedarf, lieber Kollege Kamieth. Die habe ich jetzt ein bisschen vermisst. Das ist wichtig. Ich meine, es ist riskant und fahrlässig, in eine solche Debatte einen falschen Zungenschlag hineinzubringen.

Meine Damen und Herren, zur Einleitung lassen Sie uns noch einmal die Fakten betrachten! In Nordrhein-Westfalen befinden sich immer weniger Menschen in den Gefängnissen. Im vergangenen Jahr waren es 15.752. Das sind 500 weniger als im Jahr zuvor und 2.000 weniger als im Jahr 2006.

Richtig ist, Kollege Kamieth, dass nicht immer alle Haftplätze auch zur Verfügung stehen. Es gibt Reparaturen, es gibt Umbauarbeiten. Im Durchschnitt sind das rund 1.000 Hafträume.

Aber im Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen gibt es ausreichend Kapazitäten, um neue Häftlinge unterzubringen. Auch diese Zahlen schwanken. Es gibt zwischen 1.200 und 1.700 freie Haftplätze. Also im Durchschnitt stehen in Nordrhein-Westfalen jeden Tag 1.500 Haftplätze zur Verfügung, die zur sofortigen Belegung bereitstehen.

Lieber Kollege Kamieth, der Rechtsanspruch, den Sie hier gerade sehr ausführlich bemüht haben, kann erfüllt werden. Jeder Gefangene – das habe ich bei keinem Besuch einer Anstalt anders erlebt –, der einzeln untergebracht werden will, wird auch in Nordrhein-Westfalen einzeln untergebracht. Das sind die wirklichen Zahlen. Der Vollzug in Nord

rhein-Westfalen ist gut aufgestellt, und Ihr Populismus, Herr Kamieth, ist hier völlig fehl am Platz.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was erwartet uns in den nächsten Jahren? Wir können jetzt trefflich darüber streiten, wie es um die Kriminalität in NordrheinWestfalen bestellt ist – die Polizei in unserem Land leistet eine gute Arbeit. Die Aufklärungsquoten sind seit Jahren stabil. Diese Debatte sollten aber nicht die Rechtspolitiker, sondern vielleicht die Innenpolitiker führen.

Wir sollten uns daher nicht die Statistiken über Kriminalität anschauen, denn Sie wissen: Nicht jeder erfasste Fall führt zu einer Verurteilung oder zu einer Gefängnisstrafe. Wenn wir aber einen Blick auf die Verurteilungsstatistik werfen, ergibt sich ganz deutlich, dass die Zahlen der Verurteilungen gesunken sind.

2004 wurden in Urteilen in Nordrhein-Westfalen 31.200 Mal Freiheitsstrafen verhängt. 2013 waren es noch 26.000 und 2014 waren es noch rund 24.000 Freiheitsstrafen. Das sind die Statistiken, die für die Planungen im Strafvollzug maßgeblich sind. Ich darf also feststellen: Es werden immer weniger Täter zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kamieth?

Ja, bitte.

Das ist sehr freundlich. – Bitte schön.

Schönen Dank, Herr Kollege Wolf. – Würden Sie mit mir darin übereinstimmen, dass es nicht nur auf die Anzahl der Verurteilungen, sondern auch auf die Haftdauer ankommt?

Ich verstehe jetzt Ihre Frage nicht. Grundsätzlich würde ich Ihnen zustimmen. Aber ich habe gerade ausgeführt, dass immer weniger Verurteilungen zu Gefängnisstrafen ausgesprochen werden, und das ist die Planungsgrundlage für die Anzahl der Haftplätze, die wir zur Verfügung stellen müssen.

(Widerspruch von Heiko Hendriks [CDU])

Ich verstehe Ihre Frage nicht, aber wir können das im Rechtsausschuss diskutieren. Dann haben Sie die Möglichkeit, vielleicht noch zu erläutern, was Sie damit meinen.

Meine Damen und Herren, welche Schlussfolgerungen sollen wir hieraus ziehen? Die SPD-Fraktion – ich glaube, das machen alle Fraktionen – besucht

sehr regelmäßig die Haftanstalten. Wir wissen: Die baulichen Unterschiede sind sehr groß in NordrheinWestfalen. Es gibt etwa Anstalten, die aus der Kaiserzeit stammen, und solche, die in den 60er- und 70er-Jahren gebaut wurden. Dabei gibt es teilweise sehr große Herausforderungen. Diese Herausforderungen wollen wir gemeinsam anpacken.

In einer sehr ausführlichen Analyse hat Herr Minister Kutschaty die Anstalten unter die Lupe nehmen lassen. Er hat ganz richtig entschieden, kleinere Anstalten zu schließen und freie Mittel für den Umbau älterer Anstalten bereitzustellen. Über 2.700 Haftplätze in Nordrhein-Westfalen an den Standorten Iserlohn, Köln, Münster und Willich werden in den nächsten Jahren auf den neuesten Stand gebracht, wie es uns die Rechtsprechung für einen humanen Strafvollzug aufgegeben hat. Dieses Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Das ist das größte Modernisierungsprogramm in den Gefängnissen in Nordrhein-Westfalen.

(Dagmar Hanses [GRÜNE]: In Europa!)

Mit dem neuen Strafvollzugsgesetz haben wir einen neuen Schwerpunkt auf die Betreuung des Vollzugs gelegt. Wir verbessern die Ausbildung. Wir verbessern die Therapien. Wir verbessern den Übergang in die Freiheit. Dazu braucht der Vollzug mehr engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das wird durch die Schließungen auch möglich. Dafür setzt die Landesregierung die Mitarbeiter in anderen Einrichtungen ein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen: Mit Augenmaß beobachten wir die Entwicklung im Strafvollzug. Unser Prinzip gilt: Wir verwalten keine Überkapazitäten, sondern wir schaffen uns finanzielle Freiräume, und wir handeln vorausschauend.

Wir werden dennoch der Überweisung in den Rechtsausschuss zustimmen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Wolf. – Nun spricht für die grüne Fraktion Frau Hanses.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegt ein CDU-Antrag vor, in dem behauptet wird, der Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen stünde vor einem Kollaps.

Kollaps? Vielleicht hat die CDU Angst vor Ohnmacht. Vielleicht hat die CDU Kreislaufprobleme.

(Heiterkeit von den GRÜNEN)

Vielleicht wird der CDU ganz schwarz vor Augen.

(Heiterkeit von den GRÜNEN und Dietmar Schulz [PIRATEN])

Das mag alles sein. – Fakt ist: Der Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen ist stabil wie nie.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir haben den Strafvollzug in Nordrhein-Westfalen seit Regierungsübernahme kontinuierlich gestärkt. Wir haben das Ganze gesetzlich, konzeptionell und haushalterisch nachvollzogen und mit entsprechenden finanziellen Mitteln hinterlegt.

Mit der neuen gesetzlichen Aufstellung des Strafvollzugs und auch im Vorfeld des Strafvollzugsgesetzes – selbstverständlich gehören auch die Sicherungsverwahrung, der Jugendarrest und die Untersuchungshaft dazu; das alles müssen wir mitdenken, Herr Kollege Kamieth – haben wir ein klares Bekenntnis für einen aktivierenden Behandlungsvollzug mit dem Ziel der Resozialisierung abgegeben.

Der Strafvollzug hat mit unserer Landesregierung und den sie stützenden Fraktionen eine Lobby. Ja, wir schätzen die Arbeit der 8.500 Beschäftigten, die sich Tag und Nacht für die durchschnittlich aktuell 15.700 Gefangenen in 36 Hafteinrichtungen einsetzen. Und es ist ein richtig gutes Zeichen für unser Land, dass die Gefangenenzahlen seit 2006 kontinuierlich zurückgehen.

Ihre wirren Phantasien haben nichts, aber auch gar nichts mit der Realität zu tun. Ihre Zahlen sind mit nichts zu hinterlegen. Lag die Durchschnittsbelegung noch 2006 bei 17.711 Gefangenen, so lag sie im Jahr 2014 bei 15.752 Gefangenen. Allein von 2013 auf 2014 ist die Durchschnittsbelegung um 498 Personen gesunken.

In der Tat: Wir besuchen Einrichtungen. Wenn wir uns in einzelnen Haftanstalten umhören, stellen wir fest, dass es schon mal Spitzen gibt. Selbstverständlich existiert ein Unterschied zwischen Haftplätzen und Personen sowie Hafträumen. Diese Differenzierung habe ich von Ihnen schon erwartet.

Sie wissen auch, dass es Gründe gibt, dass sich Personen manchmal ausdrücklich wünschen, in Gemeinschaftshafträumen untergebracht zu werden. Das ist insbesondere der Fall, wenn wir uns die Situation von Frauen anschauen. Wir haben auch oft im Rechtsausschuss darüber gesprochen, dass es für suizidgefährdete Personen besonders wichtig ist, sie zu Beginn, in der kritischen Phase der Aufnahme, gemeinsam unterzubringen.

Ich war auch in Duisburg-Hamborn und habe dort mit den Beschäftigten gesprochen. Sie sorgen sich eher darüber, ob sie bis zum Termin der Schließung die qualifizierten Kolleginnen und Kollegen halten können. Ich war auch in dieser kleinen Perle, der Zweiganstalt Coesfeld, in der die Beschäftigten einen besonderen Spirit pflegen. Ich bin mir sicher, dass sie diese Haltung und Fachlichkeit auch mit nach Münster und mit in andere Hafteinrichtungen nehmen können. Das ist uns besonders wichtig.

Diese qualifizierte und engagierte Arbeit, die dort geleistet wird, hat einen hohen Stellenwert. Es gehört selbstverständlich zusammen: das Strafvollzugsgesetz, die Haushaltshinterlegung und unser Justizvollzugsmodernisierungsprogramm, mit dem wir dem Gesetz Rechnung tragen und den Gebäudebestand aus drei Jahrhunderten einer Prüfung unterziehen. Das ist das größte Investitionsprogramm im Strafvollzug in Europa, das mir bekannt ist.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich hoffe, dass die CDU ihren Kreislauf wieder in Schwung bekommt und sie damit nicht selbst vor einem Kollaps steht. Der Strafvollzug in NordrheinWestfalen steht es jedenfalls nicht. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank, Frau Hanses. – Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Wedel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Steht der Strafvollzug in NordrheinWestfalen vor dem Kollaps? Inwieweit gibt es ein belastbares Konzept für die Zukunft des Strafvollzugs in NRW? Baut Rot-Grün willkürlich Haftplätze ab? Das sind die wesentlichen Fragen, die wir hier heute diskutieren sollen.

Ihre Forderung nach Transparenz in Punkt II.6 des Antrags, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, ist berechtigt, aber bereits in die Wege geleitet. Nicht zuletzt aufgrund der Forderung der FDP haben wir in der Obleuterunde am 4. Mai mit dem JM vereinbart, dass im Produkthaushalt 2016 nach EPOS für jede Vollzugsform die Haftplätze jeweils gesondert ausgewiesen werden sollen,