Protokoll der Sitzung vom 12.11.2020

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Remmel. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der AfD Herr Abgeordneter Tritschler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fangen wir mal mit den Grundlagen an: Was ist ein Rechtsstaat? CDU und FDP verwenden den Begriff ganze 34-mal. Aber was Sie damit meinen, sagen Sie nicht. Sie sagten es auch in der Debatte eben nicht. Im Duden ist es wie folgt definiert – Zitat –:

„Staat, der [gemäß seiner Verfassung] das von seiner Volksvertretung gesetzte Recht verwirklicht und sich der Kontrolle unabhängiger Richter unterwirft“.

Sie glauben, dass das vor allem auf Polen und Ungarn nicht zutrifft.

Gut, fangen wir mal mit Polen an. Dort wird der konservativen PiS-Regierung vorgeworfen, sie habe durch die Ernennung von Richtern versucht, auf die Urteile des Verfassungsgerichts Einfluss zu nehmen. Ja, es sieht ziemlich danach aus. Alleine, ich verstehe Ihre Empörung nicht, meine Damen und Herren. Das ist doch genau Ihr Drehbuch. Das erleben wir genauso hier in diesem Hause.

Sie erinnern sich vielleicht noch: Als wir hier Verfassungsrichter für unser Land gewählt haben, da haben Sie, meine Damen und Herren von den Altparteien, das Ganze unter sich ausgekaspert. Dann haben Sie am Abend kurz vor der Wahl die Vorschläge hier reingeworfen – im besten Bananenrepublik-Stil.

(Beifall von der AfD)

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Da sind ganz hervorragende Juristen dabei, denen diese Farce übrigens sichtlich peinlich war. Aber es ist auch einer dabei, der mehrfach gegen unsere Partei agitiert hat und den das eigene Gericht wegen Befangenheit ausschließen musste, als wir dort ein Verfahren geführt haben. Das war alles schön ausgeklüngelt zwischen SPD und CDU. Bei jedem Richter war klar, wo er herkommt. So funktioniert das übrigens auch beim Bundesverfassungsgericht, und ja, so funktioniert es auch beim Verfassungsgericht in Mecklenburg-Vorpommern, wo gerade CDU-Abgeordnete eine SEDKaderfrau und Linksextreme reingewählt haben. – So viel zu Polen.

Dann schauen wir mal nach Ungarn. Dort ist Viktor Orbán Ministerpräsident, und seine Partei ist die konservative Fidesz, die – Herr Remmel hat es gerade auch schon angesprochen – übrigens im Europaparlament in einer gemeinsamen Fraktion mit der CDU sitzt, aber das nur am Rande.

Was wird ihm vorgeworfen? Ich zitiere aus dem Bericht der EU:

„Schwachstellen und Risiken für den Medienpluralismus nehmen zu, wenn die politische Unabhängigkeit der Medien in Gefahr ist, Vorschriften zum Schutz vor politischer Einflussnahme fehlen oder Vorschriften gelten, die politischen Akteuren das Eigentum an Medien gestatten.“

Wo gibt es denn so was, meine Damen und Herren? Das wäre ja, als ob die Rundfunkräte bei ARD und ZDF mehrheitlich mit Parteimitgliedern besetzt wären. Das wäre ja, als würde eine Partei in Deutschland zahlreiche Zeitungen und das größte Redaktionsnetzwerk besitzen. Das wäre ja, als würde hier in NRW ein Landesminister alle Zeitungen im Ruhrgebiet besitzen. Das wäre ja, als würden unsere Lokalradiosender von Gremien kontrolliert, deren Zusammensetzungen wir nicht mal kennen. Das wäre ja, als würde die Bundesregierung Steuergeld an Zeitungs

verleger auszahlen, um sich gefällige Berichterstattungen zu kaufen. Das wäre ja, als wären die Redaktionsstuben in einem Land zu 90 % mit Vertretern einer politischen Richtung besetzt.

Das wäre ja exakt wie in Deutschland 2020, meine Damen und Herren. Da liegt doch der Hund begraben. Sie alle würden Viktor-Orbán-Schlafanzüge tragen, wenn der nur genau dasselbe machen würde, aber ein Linker wäre. Er ist aber ein Rechter, meine Damen und Herren.

Nichts beschreibt diese Verlogenheit besser als ein Tweet des ZDF von gestern. Das ist das ZDF, dessen Rundfunkrat Sie ja ganz rechtsstaatlich besetzen. Ich zitiere mal:

„Künftig soll es in der ungarischen Verfassung heißen, dass ‚die Mutter eine Frau ist und der Vater ein Mann.‘ Ein weiterer Schlag Orbans gegen Transgender und Homosexuelle.“

Ich sage Ihnen das jetzt als Homosexueller: Ich habe einen Vater, und das ist ein Mann, und ich habe eine Mutter, und das ist eine Frau. Meine Damen und Herren, ich kenne niemanden, nicht in Deutschland oder in Ungarn, bei dem es anders ist.

(Beifall von der AfD)

Das ist kein Schlag gegen mich, gegen die Homosexuellen insgesamt. Alles andere, meine Damen und Herren, wäre ein Schlag gegen den gesunden Menschenverstand. Wenn Sie gerne glauben, dass es 371 Geschlechter gibt, meinetwegen. Aber versuchen Sie nicht, Ungarn und andere souveräne Staaten zu Kolonien dieses Schwachsinns zu machen. Wir gehen da nicht mit. Wir lehnen Ihre Anträge ab. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Das war Herr Abgeordneter Tritschler. – Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der ehemalige Präsident der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Walter Hallstein, Staatssekretär bei Konrad Adenauer, hat das Diktum von Europa als Rechtsgemeinschaft geprägt.

Die Besonderheit einer Rechtsgemeinschaft besteht darin: Die Rechtsstaatlichkeit ist nicht eines neben anderen Prinzipien. Die Rechtsstaatlichkeit ist die Grundlage der Europäischen Union. Nur eine Gewaltenteilung, nur unabhängige Gerichte garantieren, dass das europäische Recht in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen gilt, und zwar verbindlich und unmittelbar. Daraus ergibt sich zwingend die besondere

Stellung der Europäischen Union im Grundgesetz sowie in den Verfassungen der deutschen Bundesländer, also auch in der Verfassung von NordrheinWestfalen.

Ich begrüße die heutige Debatte daher außerordentlich. Die Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips in der Europäischen Union ist nicht lediglich für Sonntagsreden geeignet, um dort angemahnt zu werden. Verstöße müssen zwingend Konsequenzen nach sich ziehen, weil Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit Verstöße gegen die Identität Europas sind.

Deshalb begrüßt die Landesregierung die Einigung zwischen den Verhandlungsführern der deutschen Ratspräsidentschaft und des Europäischen Parlaments. Diese Einigung ermöglicht, die Auszahlung von EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen. Das gilt ebenso für Einzelfälle wie auch für systematische Verstöße gegen die Unabhängigkeit der Justiz, für die Auflösung oder die Gefährdung der Gewaltenteilung. Es wird sichergestellt, dass nicht die EU-Mittel für die begünstigten Bürger gekürzt werden, sondern die des Staates, der gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt oder sie abschaffen will.

Das ist ein guter, ein wichtiger Schritt. Der 5. November 2020, der Tag dieser Einigung, war ein guter Tag für Europa. Deshalb hat die Landesregierung die Position auch im Bundesrat vertreten. Nordrhein-Westfalen fordert einen starken Rechtsstaatlichkeitsmechanismus und hat deshalb in einem Plenarantrag diesen Vorschlag begrüßt. Dieser Antrag hat im Bundesrat eine große Mehrheit gefunden.

Auf europäischer Ebene sind nun Rat und Parlament gefordert, diesen Beschluss umzusetzen. Wir wollen eine zügige Verabschiedung des mehrjährigen Finanzrahmens. Wir wollen aber nicht erpressbar sein. Dafür setzen wir uns auf allen Ebenen ein.

Die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union ist für Europa, für Europäer, nicht verhandelbar. Das muss allen Regierungen klar sein, die gleichzeitig von europäischen Mitteln profitieren und die Gewaltenteilung abschaffen. Bürgerinnen und Bürger in Mitteleuropa und in Osteuropa kennen aus bitterer Erfahrung kommunistische Diktaturen und den unschätzbaren Wert einer Gewaltenteilung und unabhängiger Gerichte. Grundrechte können nur unabhängige Gerichte durchsetzen. Der Schutz der Freiheit und der Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedstaaten ist ein Kern der europäischen Idee. Wir sind verpflichtet, wehrhaft zu sein.

In Mitteleuropa und in Osteuropa haben Bürgerinnen und Bürger diese Errungenschaften blutig erkämpft. Wer die Rechtsstaatlichkeit missachtet, verrät die Ideale der friedlichen Revolution des Jahres 1989 in Polen, in Ungarn, in der DDR, verrät die Grundidee der Europäischen Union. Das müssen die Regierungen wissen, die ein Konzept einer sogenannten illi

beralen Demokratie propagieren. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen wird die deutsche Ratspräsidentschaft und das Europäische Parlament in diesem Kurs engagiert unterstützen.

Die Landesregierung begrüßt den vorliegenden Antrag. Zur Zukunft Europas gehört – ganz im Sinne Walter Hallsteins –, Europa als Rechtsgemeinschaft zu verstehen und zu verteidigen. Das kann nur bedeuten, dass wir wehrhafte Demokraten sein müssen und für irgendwelche Deals mit Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit nicht zur Verfügung stehen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Holthoff-Pförtner. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass wir am Schluss der Aussprache sind.

Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/11659. Die antragstellenden Fraktionen von CDU und FDP haben direkte Abstimmung beantragt, sodass ich nunmehr frage, wer dem Inhalt des Antrags Drucksache 17/11659 zustimmen möchte. – Das sind die Fraktionen von CDU und FDP. Gibt es Gegenstimmen? – Die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der AfD. Gibt es Einhaltungen? – Die Abgeordneten der Fraktion der SPD sowie der fraktionslose Abgeordnete Langguth. Dann stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 17/11659 mit dem festgestellten Abstimmungsverhalten die Mehrheit des Hauses gefunden hat und angenommen ist.

Ich lasse zweitens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/11736 und darf fragen, wer hier zustimmen möchte. – Das sind die Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der SPD. Gibt es Gegenstimmen? – Die Abgeordneten von CDU, FDP und AfD und Herr Abgeordneter Langguth. Gibt es jemanden, der sich der Stimme enthalten möchte? – Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, dass der Antrag Drucksache 17/11736 nicht die Mehrheit gefunden hat und damit abgelehnt ist.

Ich lasse drittens abstimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/11809. Wer möchte dem Inhalt des Entschließungsantrags zustimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenstimmen? – Das sind die Abgeordneten der Fraktionen von CDU, FDP und AfD sowie Herr fraktionsloser Abgeordneter Langguth. Damit stelle ich fest, dass der Entschließungsantrag Drucksache 17/11809 abgelehnt wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am Schluss von Tagesordnungspunkt 5 angelangt. Ich rufe auf:

6 Arbeitsschutzkontrollgesetz muss jetzt kom

men – Schluss mit der Blockadehaltung von CDU und CSU!

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/11677

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der SPD Herrn Abgeordneten Neumann das Wort. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Schweinerei der unwürdigen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie muss beendet werden.

(Beifall von der SPD)

Anfang November sollte der Deutsche Bundestag ein Gesetz zum Thema „Fleischkontrollgesetz für die Fleischindustrie“ verabschieden. Auf Druck der Fraktionen von CDU und CSU ist es von der Tagesordnung genommen worden.

Ich erinnere hier an das Brennglas „Corona“ im Frühjahr dieses Jahres. Ich erinnere hier an Westfleisch und Tönnies. Ich erinnere an die vielen Reden, die zu diesem Thema hier im Landtag gehalten wurden, sowie an die Feststellung, dass es so nicht weitergehen kann und dass diese Zustände beendet werden müssen.

Und ich erinnere daran, dass nicht nur unser NRWArbeitsminister sich hier klar und deutlich geäußert hat. Ja, seine Reden erweckten manchmal den Eindruck, als befände er sich auf dem Parteitag einer Partei, die es schon lange nicht mehr in Deutschland gibt, nämlich der DKP. Ich hatte manchmal den Eindruck, als spräche da einer wie beim Zentralkomitee für die Rettung der Welt und gegen den Kapitalismus.

(Zuruf von der CDU: Unverschämtheit!)

Ja, diesen Einsatz fand ich gut. Wir alle waren uns einig, dass wir diese Zustände beenden wollen.

Nun ist die Situation so, dass anscheinend die Lobbyisten in der CDU und in der CSU wieder irgendwie durch die Tür in den Bundestag gekommen sind.

(Zuruf von der CDU: Unterstellung!)