Protokoll der Sitzung vom 15.12.2020

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)

ohne zu übertreiben in die eine und in die andere Richtung. Der Föderalismus hat geholfen, die verantwortlichen Landräte, Oberbürgermeister, die kommunalen Gesundheitsämter, die das gut gemacht haben. Das sollten wir auch würdigen. Deshalb ist für mich in diesen Stunden dieses Engagement wichtig.

Es geht in den nächsten Tagen noch einmal verstärkt um den Schutz der Vulnerablen. Man könnte jetzt sagen, medizinisch darf es keine Besuche in Altenheimen und Krankenhäusern geben, das Risiko ist zu groß. Unsere Haltung ist: Es muss möglich sein, Menschen zu besuchen. Niemand darf in der Stunde seines Todes durch den Rigorismus von Verordnungen alleine sterben. Das dürfen wir menschlich nicht zulassen, dass das so passiert.

(Beifall von der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und der FDP)

Deshalb ist das ein Risiko, das ist schwer. Wir können so viel Schutz ermöglichen, wie es geht, mit Schnelltests, mit Masken, mit strengen Regeln, aber wir dürfen nicht den Fehler vom März wiederholen, Menschen über Wochen einsam sterben zu lassen, weil sie keiner besucht. In Nordrhein-Westfalen werden wir das nicht machen. Darüber sind sich Karl-Josef Laumann und ich und die gesamte Landesregierung einig.

Der Lockdown ist jetzt nötig, um das Infektionsgeschehen bis zum Einsatz des Impfstoffes kontrollierbar zu halten. Jeder muss seine Verantwortung kennen, jeder muss mitmachen, jeder muss solidarisch sein. Wir müssen jetzt einmal fest zusammenstehen – hier in Nordrhein-Westfalen, aber auch in ganz Deutschland. Gesundheit und Leben – für viele Betroffene geht es um alles. Uns allen muss es um die Betroffenen gehen.

Dieses Weihnachtsfest wird anders sein, aber vielleicht kann es auch zum Ursprung der Idee zurückführen, miteinander und füreinander da zu sein. Das wird die prägende Botschaft zum Weihnachtsfest 2020 sein. – Vielen Dank.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. – Ich eröffne nun die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Fraktion der SPD dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Kutschaty das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir haben es gehört: Die Lage ist ernst. Die Lage ist wahrscheinlich sogar noch ernster, als wir es gehört haben.

Die Zahl der Neuinfektionen ist weiterhin auf einem Höchststand. Das macht mir, das macht uns allen in diesem Raum Sorgen. Da bringt es auch nicht viel, Herr Ministerpräsident, wenn Sie bei jedem Auftritt immer stichelnde Nebenbemerkungen in Bezug auf den Vergleich zu anderen Bundesländern machen, in denen es noch höhere Zahlen gibt oder auch nicht. Wir müssen gemeinsam sehen, wie wir aus dieser Krise herauskommen und wie wir die Zahlen auch hier in Nordrhein-Westfalen senken können. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.

(Beifall von der SPD)

Der Inzidenzwert liegt in Nordrhein-Westfalen aktuell bei 171,8. Heute Morgen melden 17 kreisfreie Städte oder Kreise Inzidenzwerte von über 200. Das führt uns vor Augen, wie dramatisch sich die Lage in den letzten Tagen noch einmal entwickelt hat.

Von unserem ursprünglichen Ziel, dem ja alle Maßnahmen dienen sollten, den Inzidenzwert wieder auf 50 herunterzubringen, sind wir weit entfernt. Ich gebe mich auch nicht zufrieden, wenn wir stabil bei Werten von 100 oder 140 sind. Das Ziel muss doch sein, die Rückverfolgung in den Gesundheitsämtern wieder zu ermöglichen. Deshalb brauchen wir deutliche Maßnahmen.

Deswegen möchte ich auch gar nicht über die einzelnen vom Ministerpräsidenten vorgestellten Lockdown-Maßnahmen sprechen – diese Maßnahmen stehen; wir stehen zu diesen Maßnahmen –, sondern

mich zunächst den Punkten zuwenden, bei denen weiterhin akuter Handlungsbedarf besteht.

Extrem besorgt bin ich bezüglich der Infektionszahlen bei unserer älteren Generation. In der Mitte der Pandemiephase hatten wir da eine leichte Beruhigung. Aber die letzten Tage haben gezeigt, dass gerade in der Gruppe der Älteren wieder ein exponentielles Wachstum eingesetzt hat; allen voran die Gruppe der über 70- und 80-Jährigen. Die Todeszahlen führen uns das unmissverständlich vor Augen. Über 90 % der Todesopfer sind über 60 Jahre alt; Tendenz steigend.

Das kann doch nur heißen, dass wir uns jetzt mit weiteren Maßnahmen zuallererst dieser Bevölkerungsgruppe zuwenden müssen, um Menschenleben zu schützen.

Das fängt bei Masken an. In Bremen gibt es schon seit knapp einem Monat für alle über 65-Jährigen kostenlose FFP2-Masken, also Masken, die auch dem Eigenschutz dienen. Das haben wir in Nordrhein-Westfalen bislang leider nicht geschafft, nicht einmal flächendeckend in Alten- und Pflegeheimen. Heute werden Masken vom Bund verteilt. Dafür bin ich sehr dankbar. Wir müssen aber auch aufpassen. Denn da, wo Masken in den letzten Tagen schon geliefert worden sind, waren sie teilweise von minderer Qualität und nicht einsetzbar. Das muss man im Auge behalten. Diese Masken werden doch gerade so dringend benötigt.

Wenn es uns nicht gelingt, Corona in den Heimen und in den Senioreneinrichtungen in den Griff zu bekommen, werden wir an den Weihnachtstagen keinen Platz mehr auf unseren Intensivstationen haben. Kein Beatmungsgerät und kein Pflegepersonal werden mehr zur Verfügung stehen. Es wird keine Möglichkeit mehr geben, Kranke angemessen zu versorgen.

Deswegen müssen wir jetzt zweitens alle Kraftanstrengungen unternehmen, damit unser Gesundheitssystem nicht zusammenbricht. Wir stehen nämlich kurz vor dem Kollaps.

Deshalb hätte ich von Ihnen, Herr Laschet, heute eigentlich einen Notfallplan für unsere Krankenhäuser erwartet. Das hätten Sie uns heute in Ihrer Unterrichtung vorstellen müssen.

(Beifall von der SPD und Verena Schäffer [GRÜNE])

Professor Dr. Uwe Janssens, der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, übt an dieser Regierung in diesem Bereich scharfe Kritik. Denn diese Regierung überlässt es jeder Klinik, selbst zu entscheiden, ob sie verschiebbare Eingriffe aufschiebt oder durchführt. Die Kliniken, die derzeit auf solche Eingriffe verzichten, werden nicht angemessen finanziell dafür entschädigt. Deswegen werden im Augenblick immer

noch viel zu viele Eingriffe durchgeführt, die nicht zwingend nötig sind und nachgeholt werden können.

Ich will aber auch deutlich sagen: Unsere Krankenhäuser müssen in der Lage bleiben, neben Coronapatienten auch andere wichtige Fälle zu behandeln.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales: Aha!)

Es gibt in unserem Land Menschen, die an und mit Corona sterben. Es gibt in unserem Land aber auch Menschen, die wegen Corona sterben – nicht, weil sie infiziert sind, sondern, weil sie den Weg ins Krankenhaus scheuen oder weil die Krebs- oder Herzoperation gerade nicht durchgeführt werden kann. So etwas müssen wir allemal vermeiden, meine Damen und Herren. Das darf nicht sein.

(Beifall von der SPD)

Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen ein Ampelsystem für Intensivbetten. Berlin und Hessen haben im Frühjahr solche Systeme aufgebaut. Das wäre ein Schritt, den Sie heute hier hätten ankündigen können. Da muss dringend gehandelt werden.

Wenn wir gut durch die Krise kommen wollen, muss diese Regierung als Erstes wieder damit beginnen, zusammen zu regieren. Aber leider regiert hier im Augenblick kein Kabinett, sondern das totale Chaos in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der SPD – Lachen von Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales)

Der Ministerpräsident hat einen Rückblick auf die letzten Wochen gegeben. Ich möchte das auch gerne einmal machen.

Am Sonntag vor neun Tagen hat Markus Söder für Bayern harte Maßnahmen angekündigt. Von Armin Laschet war erst einmal nichts zu hören.

Stattdessen kritisierte am Dienstag der stellvertretende Ministerpräsident das Vorgehen Bayerns und warnte vor Schnellschüssen. Zur Begründung führte er aus, „die Politik müsse eine gewisse Verlässlichkeit ausstrahlen“. Weiter sagte er:

„Ich glaube nicht, dass das Höher, Schneller, Weiter, was Herr Söder in die Welt ruft, wirklich hilfreich ist.“

Am nächsten Morgen hat der Ministerpräsident mit Agenturmeldung um 6:10 Uhr dann mitteilen lassen, dass er einen harten Lockdown befürwortet. Was für eine Verlässlichkeit, meine Damen und Herren!

(Beifall von der SPD)

Das hat aber am selben Mittwoch die Schulministerin überhaupt nicht daran gehindert, trotz rasant steigender Coronazahlen einem Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht erneut eine Absage zu erteilen: Mit

ihr werde es das Aussetzen einer Schulpflicht nicht geben. – Darauf komme ich gleich noch einmal zurück.

Am Donnerstag kam dann die vermeintliche Wende. Im Familienausschuss kündigt der Familienminister an: Wir werden nicht bloß abwarten, was die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin beschließen, sondern vorausschauend damit umgehen. – Was auch immer das heißen soll! Sie haben es an dem Donnerstag leider für sich behalten, Herr Stamp.

Aber dazu nur so viel: Wenn Sie bereits zu diesem Zeitpunkt am Donnerstag wussten und planten, was Sie einen Tag später, also am Freitag, den Medien präsentiert haben, dann sind Sie umso mehr verantwortlich für das Chaos, das diese Landesregierung jetzt angerichtet hat.

(Beifall von der SPD und Josefine Paul [GRÜNE])

Am vergangenen Freitag kündigte dann der Ministerpräsident auf einmal den sogenannten harten Lockdown an – nur drei Tage, nachdem sein Stellvertreter von alledem noch gar nichts wissen wollte.

Die Präsenzpflicht an Schulen ist auf einmal aufgehoben. Aber die Schulpflicht bleibt bestehen; man muss nur nicht mehr hingehen. Der Unterschied ist bemerkenswert – bemerkenswert klein.

Die Kitas reduzieren ihr Angebot drastisch. „Bitte nur noch äußerste Notfälle“, heißt es jetzt. Das ist – Achtung: Ironie – natürlich keine Schließung mit dem Angebot eines Notbetriebs. Nein, das ist nach Ihrer Auffassung Regelbetrieb mit ein paar kleinen Ausnahmen. Merken Sie eigentlich gar nicht mehr selbst, was Sie uns da erzählen wollen, Herr Stamp?

(Beifall von der SPD)

Mutige landeseinheitliche Regelungen für den Betrieb von Kitas? Fehlanzeige! Erstattung von Kitagebühren? Nicht Ihre Verantwortung! Genau das ist Ihr Problem. Sie tragen als Regierung für nichts Verantwortung. Es sind die Schulen; es sind die Kita-Leitungen; es sind die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Alle sind schuld, aber Sie nicht, und Sie wollen nichts machen.

(Christian Dahm [SPD]: So ist das! Jawohl!)

Das ist kein vernünftiger Umgang mit dieser Krise und mit allen Beteiligten in dieser Krise.

(Beifall von der SPD)