Protokoll der Sitzung vom 15.12.2020

Fakt ist nun einmal, dass wir heute in NordrheinWestfalen rund 30 % mehr Intensivplätze mit Beatmungsmöglichkeit haben als in der ersten Welle. Dafür sind gewaltige Anstrengungen sowohl vom Land Nordrhein-Westfalen als auch vom Bund als auch von den Krankenhäusern selbst geleistet worden.

Natürlich hat man sich auch um die Personalsituation gekümmert, um diese zusätzliche Technik zu betreiben, denn ansonsten hätten wir nicht mehr Meldungen im DIVI-System als im Frühjahr.

Am 13. März 2020 wurden die Krankenhäuser in der ersten Coronawelle gebeten, medizinisch nicht notwendige Operationen zu verschieben, um so Kapazitäten für COVID-Patienten zu schaffen.

Die Krankenhäuser haben bundesweit rund 10 Milliarden Euro an Ausgleichszahlungen aus dem Gesundheitsfonds erhalten; das waren Finanzmittel aus dem Bundeshaushalt. Das war aus damaliger Sicht richtig, um die Krankenhausstrukturen zu stützen.

Man muss aber auch die andere Seite sehen: Die Absage planbarer Eingriffe kann auch zu erheblichen Schäden führen. Auch wenn es damals die richtige

Ansage war, es so zu machen, wissen wir mittlerweile, dass man auch klug beraten ist, es etwas differenzierter zu sehen als im Frühjahr.

Die Krankenhausgesellschaft hat gestern Alarm geschlagen, dass immer mehr onkologische Eingriffe, Untersuchungen und Nachsorge teilweise stark zurückgefahren werden.

Ich erinnere an die Ausschusssitzung vom 18. November 2020, in der Ihr Kollege und Intensivpfleger Herr Yüksel gesagt hat: auf der einen Seite Bettenkapazitäten schaffen, aber auf der anderen Seite nicht vergessen, welchen Schaden man durch Absagen dieser Operationen anrichtet. Das ist genau der Bereich, wo sich jedes Krankenhaus, jeder Chefarzt, jeder Leitende Arzt in einem Spagat befindet – und natürlich auch das Gesundheitsministerium.

Der Bund hat nun wieder eine Freihaltepauschale eingeführt, allerdings nicht für alle Krankenhäuser, sondern nur für Krankenhäuser, die vom Land für eine Versorgung bestimmt werden. Der Bundesgesetzgeber sieht aber per Gesetz ein gestuftes Verfahren anhand der G-BA-Notfallstufen vor. Das ist ein Beschluss des Deutschen Bundestages, und an den sind wir in diesem Gesetz gebunden.

Es gibt derzeit viel Kritik an der neuen Regelung, insbesondere von kleineren Krankenhäusern, die bislang einen sehr wichtigen Beitrag für die Versorgung der Coronapatienten geleistet haben. Das neue System ist kompliziert und passt in vielen Ländern – auch nicht bei uns – nicht zu allen Versorgungsstrukturen, die in den letzten Monaten entstanden sind. Wir werden deshalb natürlich unsere politischen und rechtlichen Spielräume, soweit es eben geht, nutzen, um uns auf Bundesebene für eine Änderung einzusetzen. Aber zurzeit ist das Gesetz die Grundlage des Handelns.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass diese Regelung mit dem Segen eines Expertenrats entstanden ist, bei dem die Krankenhausseite sehr hochrangig vertreten war. Wir werden auf dieser Grundlage landesweit Krankenhäuser bestimmen. Den entsprechenden Erlass haben die Bezirksregierungen am 11. Dezember erhalten. Die Ausgleichszahlungen werden rückwirkend bis zum 18. November 2018, dem Tag der Gesetzesverabschiedung, gezahlt.

Die Entscheidung, ob planbare Operationen verschoben werden, liegt nach der neuen Regelung im Ermessen des jeweiligen Krankenhauses. Das ist auch gut so, weil es sich um eine medizinische Entscheidung handelt, die am besten der behandelnde Arzt vor Ort trifft.

Zum Schluss noch zu dem Thema „Patientenverlegung“. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Auslastung der Intensivkapazitäten haben wir durch Erlass vom 4. Dezember 2020 angeordnet, dass bei jeder Bezirksregierung ein einheitlicher Ansprechpart

ner eingerichtet wird. Dieser soll Problemlöser sein, wenn es bei der Verlegung von Krankenhaus zu Krankenhaus hakt. Eine zentrale Steuerung der Patienten durch eine einzelne Behörde oder durch ein Krankenhaus – davon bin ich überzeugt – funktioniert in einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen nicht. Ein Stadtstaat wie Berlin ist in einer völlig anderen Situation als ein Flächenland wie Nordrhein-Westfalen.

Die Frage, für welche Patienten welche Klinik am besten geeignet ist, sollte nicht ein Verwaltungsmitarbeiter einer Behörde entscheiden, sondern der behandelnde Arzt in Abstimmung mit dem Arzt des aufnehmenden Krankenhauses. Das sollte der Grundsatz bleiben, auch in der Pandemie. Es handelt sich hier in erster Linie um eine medizinische Frage.

Alle Krankenhäuser, der Rettungsdienst, die örtlichen Krisenstäbe und die Kommunen wurden von den Bezirksregierungen über die Einrichtung eines einheitlichen Ansprechpartners informiert. Mit Stand von gestern gab es noch kein Hilfeersuchen irgendeines Krankenhauses in der Frage der Verlegung an irgendeine Bezirksregierung in Nordrhein-Westfalen.

Nach meiner derzeitigen Bewertung liegen ausreichende und gute Instrumente vor, mit denen wir im Land die aktuelle Entwicklung in den Krankenhäusern beherrschen können. Wenn wir sie brauchen, werden wir weitere Maßnahmen ergreifen. Das haben wir auch schon in der ersten Pandemiewelle getan. Wir haben in Nordrhein-Westfalen immer noch die Möglichkeit – etwa über unsere Rehabilitationskliniken –, in erheblichem Umfang sowohl Personalkapazitäten als auch strukturelle Kapazitäten zu mobilisieren. Das sollte man auch nicht ganz vergessen. – Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Danke schön, Herr Minister Laumann. – Jetzt hat sich für die SPD Herr Kollege Neumann zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bisschen bin ich schon über die Argumentation erstaunt, dass diese Aktuelle Stunde doch angeblich übertrieben sein soll.

Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich die Meldung der „Deutschen Presse-Agentur“ vom 14. Dezember 15:47 Uhr:

„Intensivbetten-Kapazität sinkt in NRW unter 15 Prozent. Die Zahl der freien Betten auf den Intensivstationen in Nordrhein-Westfalen ist am Montag unter 15 Prozent gesunken. Laut Intensivregister waren noch 840 Betten frei. … Der Anteil der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen lag damit bei 18,1 Prozent.

Am Montag schlugen die medizinischen Krebsgesellschaften Alarm. Immer mehr onkologische Eingriffe würden verschoben, diagnostische Untersuchungen und Nachsorge teilweise stark zurückgefahren. Die Fachleute appellierten an die Bevölkerung, unbedingt die Schutzmaßnahmen einzuhalten.

Bei einer weiteren Verschärfung der Lage an den Kliniken könne eine Versorgung aller schwerkranken Menschen nicht mehr gewährleistet werden. ‚Dazu zählen insbesondere die 1.400 Patienten, die Tag für Tag neu an Krebs erkranken‘.“

Ja, eben wurde einiges erzählt, was die NRWKoalition alles so gemacht hat oder nicht gemacht hat.

Zur aktuellen Situation gehört es, dass nur ein Drittel der Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen eine Ausgleichszahlung nach den Bundesregelungen bekommt. Die Notfallstruktur sieht so aus, dass nur diejenigen, die die höheren Notfallstufen II und III haben, überhaupt berücksichtigt werden. Alle anderen gehen leer aus, also die Kliniken, die, wie Herr Minister Laumann eben sagte, das untereinander irgendwie regeln sollen. Das heißt, die Kliniken, die jetzt etwas bekommen, sollen etwas mit denen regeln, die für das Freihalten der Betten nichts bekommen. Ich frage mich: Wie soll das funktionieren? Wer soll das regeln? Oder dürfen die das überhaupt untereinander? Ist das überhaupt so zulässig?

Sie sagen, das solle auf örtlicher und kommunaler Ebene geklärt werden. Das sind genau die Aspekte, die zuerst für die Krankenhäuser und die Verbünde geklärt werden müssen. Diese Chancen ermöglichen es überhaupt erst, dass ein kollegialer Austausch ohne jegliche Folgen für die Finanzierung der Krankenhäuser rechtlich möglich ist. Dazu gehört auch, dass unabhängig von den Inzidenzwerten und den Notfallstufen für die Kliniken eine Perspektive für das Jahr 2021 geschaffen werden muss; denn – das haben wir heute Früh sehr ausführlich gehört – diese Pandemie wird uns noch ziemlich lange beschäftigen. Da sehe ich aktuell überhaupt keine solche Regelung.

Es muss, Herr Minister Laumann, natürlich mit Herrn Spahn geklärt werden, wie diese Struktur erfolgen soll, wie die Finanzierung 2021 für erfolgen wird. Denn eines ist klar: Nur die Schwerpunktkrankenhäuser werden für die COVID-Patientinnen auf den Intensivstationen nicht reichen.

Eine der schwierigsten Herausforderungen, vor der wir aktuell auch stehen, ist, dass viele Kliniken und deren Akteure sich seit mindestens einem Dreivierteljahr mit der Krankenhausreform Nordrhein-Westfalen beschäftigen müssen – meistens hinter verschlossenen Türen – und gar keine Zeit haben, auf

konkrete Herausforderungen der Pandemie hinzuwirken. Hinter den verschlossenen Türen geht es nicht um die Frage der Regelung, wie wir mit Pandemie und mit Intensivbetten umgehen, sondern es geht um die Frage, wie wir die Effizienzstruktur in den Klinken steigern können. Das ist die eigentliche Wahrheit. Von denjenigen, von denen man das abverlangt, verlangt man gleichzeitig, dass sie für die Intensivstationen Vorsorge treffen, ohne dass deren finanzielle Situation geregelt ist. So geht das nicht.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales: Quatsch!)

Ein weiterer zentraler Fehler ist, dass Sie letztendlich die Verantwortung für die Steuerung der Intensivbetten auf die Ebene der Kommunen und der Bezirksregierungen abwälzen.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales: Ja, da muss es doch hin!)

Nein, da muss es nicht hin, Herr Laumann.

Ohne die Sicherstellung der eben von mir genannten Aspekte wird das einfach nicht funktionieren. Es muss im Rahmen einer Zentralsteuerung dafür gesorgt werden, dass jeder Patient, jede Patientin in diesem Land an ein Bett kommt, und zwar unabhängig von der Frage, wie örtlich oder wie nichtörtlich die Struktur aussieht oder ob die Finanzierung der Kliniken gesichert ist. Und genau das erfolgt nicht. Sie sagen, das sollen die Kommunen machen, das sollen die Bezirksregierungen machen. Eine eigene Struktur haben Sie dafür nicht geschaffen.

(Zuruf: Doch, die Bezirksregierungen!)

Die Bezirksregierungen sind sozusagen eine der Stellen, die sich dazwischenschalten sollen, die aber die zentralen Punkte der Verteilungssysteme, der Finanzierung und der Notfallstufen nicht regeln können, weil sie dafür gar nicht zuständig sind. Das ist die Situation, die Sie dafür geschaffen haben.

Ein strukturelles, strategisches Konzept zur Sicherstellung der Intensivbetten, auch der Intensivbetten mit Beatmungsgeräten einschließlich der Personale, und zwar im Rahmen einer Prognose oder einer Hochrechnung, gibt es nicht. Letztendlich lebt man hier vom Prinzip der Hoffnung, dass es nicht so schlimm wird, wie es vielleicht im Frühjahr war, und der Täuschung, dass es noch schlimmer wird, als wir es aktuell erleben.

Genau das darf aber nicht passieren. Wir brauchen ein Konzept und eine Struktur, womit die Intensivbettenversorgung in diesem Land garantiert wird. Und dafür tragen Sie die Verantwortung.

(Beifall von der SPD)

Ich bin heute der letzte Redner,

(Matthias Kerkhoff [CDU] und Josef Hovenjür- gen [CDU]: Nein!)

und wir stehen vor Weihnachten. Das Weihnachtsfest war in den Wochen der letzten Zeit das Thema schlechthin, nämlich die Frage, wie viel Lockdown es überhaupt geben darf, damit man sich Weihnachten treffen kann oder nicht, weil es das große Fest der Familie ist, das große Fest der Geburt Jesu und Sonstiges.

(Daniel Sieveke [CDU]: Ja!)

Ja, das ist es. Nur wird in diesem Jahr das Weihnachtsfest nicht so aussehen, dass wir uns um die Krippe in der Kirche versammeln werden, sondern dass viele der Menschen, die sich normalerweise um die Krippe in der Kirche versammeln, die Hoffnung haben, dass ihre Verwandten – Oma und Opa, Onkel, Tante oder wer auch immer aktuell erkrankt ist – gesund bleiben, dass er oder sie eine Station mit Beatmungsgeräten findet, mit Pflegerinnen und Pflegern, Ärztinnen und Ärzten, die ihn oder sie versorgen.

Das wird das Weihnachtsfest 2020 sein. Da wird sozusagen die Hoffnung, das Prinzip sein: Wie werde ich mit meiner Gesundheit fertig, und wie werde ich in dieser Struktur überleben.

Ich finde, es ist wichtig, dieses Fest auch dazu zu nutzen, sich dessen bewusst zu werden, wie wir sicherstellen, dass die Hoffnung auf Leben und auf eine gesundheitliche Zukunft, mit einer klaren Struktur, mit einem klaren Konzept und klaren Verantwortlichkeiten gewährleistet sind. Jeder Mensch in Nordrhein-Westfalen muss sich am Ende des Tages darauf verlassen können, dass er versorgt wird. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD)

Danke schön, Herr Neumann. – Und jetzt spricht für die CDU-Fraktion Herr Schick.