Protokoll der Sitzung vom 16.12.2020

Entschuldigung, Herr Kollege Nückel, dass ich Sie unterbreche. Herr Kollege Blex von der AfD würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich war jetzt aufgrund der aufgeführten Politikernamen ein bisschen geschockt, musste auch erst mal wieder zu mir kommen.

Können Sie bitte mal erläutern, wieso Sie den demokratisch gewählten Präsidenten Bolsonaro – er ist der Präsident einer dreimal so großen Demokratie wie Deutschland; dort gibt es alles, was eine Demokratie ausmacht – mit dem Präsidenten der Russischen Förderation, Herrn Putin, in Einklang gebracht haben? Ich verstehe diese Aufzählung einfach nicht und bin ein bisschen verwirrt, wie Sie so etwas machen können. Vielleicht können sie das Ganze mal erläutern.

Dass Sie verwirrt sind, verwundert mich nicht.

(Beifall von der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Sie sehen, es gibt eben viele, eigentlich traditionell große Demokratien, wo aber durch Wahlentscheidung Politiker an die Macht gekommen sind, die nun das in sie gesteckte Vertrauen missbrauchen und viele Freiheiten und Grundrechte außer Kraft setzen,

(Dr. Christian Blex [AfD]: In Brasilien?)

die Rechte der Minderheiten nicht mehr achten, obwohl sie in der Verfassung und auch in den Gesetzen Brasiliens verankert sind, die das einfach ignorieren.

Auch bei Putin sehen wir viele Dinge, die die Pressefreiheit einschränken. Das ist ein unseliger Weg, und den gilt es zu bekämpfen.

(Beifall von Stephen Paul [FDP])

Deswegen gilt es auch, Solidarität mit den dort demokratisch noch aktiven Kollegen zu üben.

(Beifall von der FDP, der CDU und Berivan Aymaz [GRÜNE])

Der Bundestag hat 2003 das Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ ins Leben gerufen. Intensiv beteiligen sich auch heute viele Abgeordnete daran. Gyde Jensen, die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages und FDP-Abgeordnete, hat einige Beispiele aufgezählt, wo intensive Patenschaftsarbeit Sinn macht. Aber man muss sich eben auch an manchen Punkten selbstkritisch fragen, wo sie keinen Sinn macht.

Sehr oft sind gutgemeinte, ich sage jetzt mal: plakative Aktionen mit dem Hochhalten von Fotos von Politikern vielleicht sinnvoll, aber es gibt leider auch Fälle, in denen sich hinterher herausgestellt hat, dass es ihnen sehr geschadet hat. Deswegen müssen wir sehr achtsam mit diesem Instrument umgehen.

Was bedeutet es nun, wenn sich Abgeordnete weltweit für Menschenrechtsverteidiger engagieren, die in ihrem Heimatland wenig Unterstützung erfahren? Klar, auch Staaten mit fraglichen Menschenrechtsstandards ist natürlich daran gelegen, ein gutes Verhältnis zu Parlamentariern in Deutschland zu pflegen. Aber Obacht!

Natürlich stehen Abgeordneten einige wirksame Mittel zur Verfügung: Solidarität zeigen, Aufmerksamkeit generieren, Öffentlichkeit herstellen. Wir wissen durch die Erfahrung der Arbeit von Amnesty International aber auch, dass Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit nicht unbedingt schnelle Abhilfe bringen.

Die außenpolitische Zuständigkeit liegt grundsätzlich und ausschließlich beim Bund, sodass das Land hier sicherlich nur in begrenztem Rahmen tätig werden kann. Trotzdem sollten wir im Rahmen des Ausschusses erörtern, ob und unter welchen Vorzeichen die Übertragung eines solchen Programms ziel

führend und umsetzbar ist. Denn gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.

Gerade bei der Frage von Menschenrechten, bei der es sehr oft um die Frage des Überlebens der Betroffenen geht, ist Fingerspitzengefühl und auch ein bisschen regieführende Hilfe durch das Auswärtige Amt ganz sinnvoll; denn für reine PR und Zurschaustellung ist das Thema nicht geeignet.

Trotzdem lohnt es sich sicherlich, darüber im Ausschuss intensiv und selbstkritisch zu reden und auch die eigene Bedeutung und Wahrnehmungsschwelle von Landtagsabgeordneten zu hinterfragen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Nückel. – Für die AfD-Fraktion spricht Herr Kollege Seifen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Sehnsucht des Menschen nach einem Leben in Wohlstand, Sicherheit und Frieden, in dem er sich selbst entfalten und sich vorbehaltlos seinen Neigungen, Fähigkeiten und Zielen widmen kann, ist uralt. Alle Sagen, Geschichten und Erzählungen sind voll davon. Die größte und längste Erzählung, die das Heil des Menschen und des Gottesvolkes zum Thema hat, ist die Bibel, das Alte und das Neue Testament.

Auch jenseits von Religionen haben sich Philosophen immer wieder Gedanken über das Wesen des Menschen und seine Menschenrechte gemacht. Die Athenischen Akademien im 5. und 4. Jahrhundert vor Christus prägten die intensiven philosophischen Diskurse während der gesamten hellenistischen Zeit und fanden auch Eingang in die christliche Theologie.

Das ist im Übrigen eine Ursache dafür, dass sich im feudalistischen System im Mittelalter eine bürgerliche Gesellschaft in den Städten herausbilden konnte. Gerade dort in den Bürgergesellschaften entwickelten sich in der Diskussion um Bürgerrechte eben auch Vorstellungen von Menschenrechten, also bereits im Mittelalter hier in Europa.

Schon zu Beginn der Französischen Revolution am 26. August 1789 verkündete die Assemblée Nationale in Anlehnung an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 die Menschen- und Bürgerrechte für ganz Frankreich – für heutige Verhältnisse noch unvollkommen, natürlich, aber immerhin ein Fortschritt gegenüber den Verhältnissen im Ancien Régime.

Diese Idee setzte sich dann nach dem Zweiten Weltkrieg durch angesichts der schrecklichen Verbrechen, die von faschistischen, nationalsozialistischen und kommunistischen Regimen mit Abermillionen Toten verübt worden sind.

Doch angesichts der Anwesenheit von Vertretern völlig unterschiedlicher Systeme, eben auch von Vertretern kommunistischer Diktaturen, konnte die Erklärung nur als unverbindliche Resolution verabschiedet werden, die keine verbindliche Rechtsquelle des Völkerrechts darstellt. Die Begeisterung, die hier im Hohen Hause herrscht, ist dort also nicht geteilt worden.

Das wird auch darin deutlich, dass in den kommunistischen Staaten Folter und Verfolgung an der Tagesordnung waren, was im Grunde genommen bis heute gilt. Auch in anderen, nichtkommunistischen Staaten wurde und wird häufig noch gegen Menschenrechte verstoßen. Der Vatikan hat die Resolution übrigens gar nicht erst anerkannt.

Viele Staaten, welche die Resolution unterschrieben haben, haben sie in ihren Staaten gar nicht ratifiziert. In einer Diskussion wies der Botschafter Pakistans sehr geschickt darauf hin, dass 1948 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 48 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zugestimmt haben, wobei sich 8 enthalten haben. Jetzt aber, so der pakistanische Botschafter, seien in der UNO 192 Staaten, und die Geschichte sei weitergegangen. So müsse man sich nicht wundern, wenn nun auch im Verständnis der Menschenrechte eine Weiterentwicklung zu beobachten sei.

Folgerichtig haben 45 Außenminister der 57 Staaten der Organisation der Islamischen Konferenz am 5. August 1990 die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam unterschrieben, in der alle in der UNResolution erfassten Menschenrechte unter den Vorbehalt der Scharia gestellt werden. Damit wird nicht nur das Problem der Ausgestaltung von Menschenrechten deutlich, es wird auch die Universalität der Menschenrechte infrage gestellt, eben anders, als es der Kollege der SPD hier berichtet hat.

Die islamischen Staaten wenden aus Ihrer Sicht ein, dass die Menschenrechtserklärung von 1948 ihre Werteordnung zum Teil nicht berücksichtigt, und man wirft der nichtislamischen Welt Kulturimperialismus vor.

Dass Sie nun, sehr geehrte Kollegen von den Grünen, vom Land NRW fordern, möglicherweise in die Souveränität von Staaten einzugreifen, um Menschenrechte durchzusetzen, die den Regierenden und den Menschen in diesen Staaten fremd sind, macht Sie in den Augen dieser Gemeinschaften zu Kulturimperialisten. Fragen Sie einfach mal in Afghanistan nach. Aber Sie gehen wohl nach der Devise vor: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. – Das hatten wir schon mal.

Sie halten sich ja noch nicht einmal selbst an das, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Die moralisierende Attitüde, mit der Sie jede politische Kontroverse unterlegen, setzen Sie hier als Waffe ein, um missliebige Meinungen aus dem öffentlichen Diskurs herauszunehmen.

Dass Sie die Nähe zur Antifa pflegen, ist kein Geheimnis. Politiker von Bündnis 90/Die Grünen haben einen großen Anteil daran, dass der Meinungskorridor in Deutschland immer enger wird. Beispiele dafür gibt es genug.

Merkwürdigerweise pflegen Sie aber einen Kulturrelativismus und lassen Menschenrechtsverletzungen hier in Deutschland zu, die Sie eigentlich gar nicht stören. Ihre Nähe zu Regimen, die nach unseren Maßstäben knallharte Diktaturen sind, kennt jeder.

Die Redezeit.

Der „BAYERNKURIER“ schreibt unter dem Titel „Moralpolitikerin ohne Moral“:

„An einem Tag empört sich die grüne Parlamentsvize Claudia Roth über Antisemitismus in Deutschland. Am nächsten begrüßt sie freundschaftlich einen Spitzenrepräsentanten der iranischen Mullahs – die den Holocaust leugnen und Israel vernichten wollen.“

Das sagt ja wohl alles.

Die Redezeit.

Wir sind gespannt, wie die Diskussion im Ausschuss weitergeht. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege Seifen. – Da die Landesregierung bei diesem Tagesordnungspunkt auf ihr Rederecht verzichtet, kommen wir zur Abstimmung.

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages, über den wir gerade debattiert haben, an den Ausschuss für Europa und Internationales. Die abschließende Beratung und Abstimmung sollen dann in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Das ist nicht der Fall. Enthaltungen? – Sehe ich auch keine. Dann haben wir den Antrag Drucksache 17/12049 so überwiesen.

Ich rufe auf:

9 Gesetz zur Änderung des § 58 der Gemeinde

ordnung und des § 41 der Kreisordnung des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf der Fraktion der AfD Drucksache 17/12059

erste Lesung