Protokoll der Sitzung vom 18.09.2019

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 65. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich drei Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Wir treten in die heutige Tagesordnung ein.

(Unruhe – Glocke)

Ich rufe auf:

1 Gesetz über die Feststellung des Haushalts

plans des Landes Nordrhein-Westfalen für das Haushaltsjahr 2020 (Haushaltsgesetz 2020)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/7200

erste Lesung

Und:

Finanzplanung 2019 bis 2023 des Landes Nordrhein-Westfalen

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/7201

erste Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Änderung haushaltswirksamer Landesgesetze (Haushaltsbegleitgesetz 2020)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/7203

erste Lesung

In Verbindung mit:

Fünftes Gesetz zur Änderung der Landeshaushaltsordnung

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/7318

erste Lesung

In Verbindung mit:

Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände im Haushaltsjahr 2020 (Gemeindefinanzierungsgesetz 2020 – GFG 2020) und zur Änderung des Stärkungspaktgesetzes

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/7202

erste Lesung

Zur Einbringung dieser Gesetzentwürfe erteile ich für die Landesregierung Herrn Minister Lienenkämper das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche Beobachtungen sind auch nach Jahrzehnten noch aktuell – vielleicht sogar aktueller denn je –, zum Beispiel die Beobachtung von Ludwig Erhard aus den Aufbaujahren.

Ludwig Erhard warnte damals vor der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit, vor Schwarz-WeißDenken und vor dem Hang zum radikalen Entwederoder. Schon seinerzeit sagte er, dass katastrophale Irrwege oft die Folge davon seien. Eine Ordnung der Mitte sei zwar komplizierter und differenzierter, weil sie zum Nachdenken und zur Rechenschaft zwinge. Das Gefühl für Maß und Mitte bereichere uns jedoch.

Denn differenzierte Antworten sind meist die besseren. Deshalb charakterisiert „Maß und Mitte“ unsere Haushaltspolitik.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Wir setzen vor allem an zwei Stellen an.

Erstens wollen wir uns nicht länger damit abfinden, dass in Nordrhein-Westfalen wirtschaftliche Chancen ungenutzt bleiben, dass Familien von der Kita bis zur Hochschule immer öfter erfahren, dass es mit der Bildung bergab geht, und dass die mangelhafte innere Sicherheit weitere weltweite Schlagzeilen produziert. Das ist nicht das Nordrhein-Westfalen, das wir wollen. Denn damit bliebe unser Land weit unter seinen Möglichkeiten.

Vom ersten Tag an ging es uns deshalb darum, diese Fehlentwicklungen umzukehren und mit echten strukturellen Investitionen die Schwerpunkte neu zu justieren. Daran arbeiten wir seit dem ersten Tag mit Sorgfalt, mit Herzblut und ohne Ideologie. Denn wir wollen das alte Aufstiegsversprechen, das früher hier in Nordrhein-Westfalen galt, erneuern. Wir wollen das Aufsteigerland Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Zweitens gilt in guten wie in schlechten Zeiten, dass wir die gewaltigen Investitionsaufgaben stemmen müssen. Dabei müssen wir mit dem auskommen, was wir einnehmen. Genau das haben wir zu Beginn in der Nordrhein-Westfalen-Koalition vereinbart, und genau das tun wir seitdem.

Meine Damen und Herren, dank vorausschauender Planung und Vorsorge setzt dieser Haushalt – auch im Angesicht einer konjunkturellen Delle und rund 841 Millionen Euro weniger Einnahmen im Haushalt 2020 als erwartet – unsere klare Linie fort: notwendige Aufstiegsinvestitionen ohne neue Schulden.

Wenn ich von „Maß und Mitte“ spreche, werden das manche auf den allerersten Blick vielleicht etwas altmodisch finden. Denn „Maß und Mitte“ setzt eben nicht auf Spaltung, nicht auf lautes Getöse und nicht auf unvereinbare radikale Ziele, sondern auf Versöhnung vermeintlicher Gegensätze, auf stille Vernunft und auf gesunden Menschenverstand.

Das setzt eine klare Haltung voraus. Klarheit bedeutet, dass man sich entscheiden muss. Gleichzeitig scharf nach rechts, scharf nach links und moderat geradeaus zu steuern, geht eben nicht. Haltung bedeutet, Kurs zu halten. Man darf nicht das Fähnchen in den Wind hängen und sich wundern, wenn man sich dann um sich selber dreht, auch wenn der Wind etwas lauer wird. Es geht vielmehr darum, Maß und Mitte sowie Haltung zu bewahren.

Haltung ist in den Zeiten radikaler Positionen für unsere Opposition manchmal etwas schwierig.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Eine radikale Position ist furchtbar einfach. Sie passt auch gut ins 280-Zeichen-Format von Twitter. In der Haushaltspolitik vertritt man zum Beispiel die fast unschuldige Position, wie die drei Affen über Schwierigkeiten einfach hinwegzusehen – so, als gäbe es in Nordrhein-Westfalen keine Versäumnisse aus mehreren Jahrzehnten aufzuholen, was Geld kostet. Wer sich auf dieses Glatteis begibt, der rutscht schnell aus.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Ernst gemeinter Beliebtheit erfreut sich ohnehin im Moment die andere Extremposition. Eine Tageszeitung brachte sie kürzlich entwaffnend ehrlich auf die Schlagzeile „Haut das Geld raus“. Diese Haltung ist zwar falsch, aber immerhin klar. Da weiß man jedenfalls, was man hat. Und ehrlich gesagt: Da weiß man, was wir in Nordrhein-Westfalen nicht wieder haben wollen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Seit gerade einmal zwei Jahren machen wir in Nordrhein-Westfalen keine neuen Schulden mehr – anders als in den 45 Jahren zuvor. Das sind zwei Jahre, in denen Nordrhein-Westfalen bereits das tut, was rein rechtlich ab 2020 der Regelfall für alle Länder

und Kommunen werden soll. Wir gleichen nämlich Einnahmen und Ausgaben aus.

Dennoch ist nicht zu übersehen, dass sich das politische Meinungsklima zu den staatlichen Finanzen viel schneller verändert hat als das thermisch-radiative Gleichgewicht im Erdklimasystem.

Es gibt neuerdings sogar den nicht sonderlich subtilen Versuch, beide Themen so miteinander zu vermischen, dass das Weltklima als Entschuldigung für das staatliche Schuldenmachen herhalten soll.

Aber der Hauptgrund für diese Diskussion ist in Wahrheit die schwächere Konjunktur. Sie trifft natürlich auch das wirtschaftlich eng verzahnte Industrieland Nordrhein-Westfalen.

Wenn China infolge des Handelskrieges mit den USA weniger deutsche Autos importiert, dann merkt das der mittelständische Automobilzulieferer beispielsweise in Bocholt.

Wenn am 31. Oktober dieses Jahres zwischen Großbritannien und der Europäischen Union plötzlich Einfuhrzölle erhoben werden sollten, dann merkt das unsere Chemieindustrie in Essen und in Leverkusen.