Protokoll der Sitzung vom 15.06.2000

Jeder, dem es nicht darum geht, die Stammtische zu bedienen, sondern einen seriösen Beitrag zur Prävention und zum angemessenen Umgang mit jungen Menschen zu leisten,

muss sich zunächst eingestehen, dass es den Königsweg nicht gibt. Das ist natürlich schon stammtischfremd, da dort immer · jemand ganz genau weiß, wie das geht. Ruck, zuck, und dann ist das Problem gelöst. Diesen Weg gibt es nicht, sondern wir· haben uns auf das Mühsal der kleinen Schritte einzulassen, auch wenn sie nichtspektakulär sind.

Die Kinder- und Jugendhilfe kann einen wichtigen Beitrag leisten, und sie tut das auch. Dies natürlich nicht erst im kommenden Jahr, sondern schon die ganze Zeit. Wenn uns zum Beispiel de·r Landtag durch seine Haushaltsentscheidungen für die Jahre 2000/2001 in die Lage versetzt hat, die Anzahl der Projekte für Schulsozialarbeit, deren Finanzierung durch das Ministerium für Kultur, Jugend, Familie und Frauen, das Ministerium für _ Wissenschaft und Weiterbildung und die Kommune geteilt wird, zu verdoppeln, ist das ein

. ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung, weil man dort nämlich unmittelbar mit den Juge·ndlichen zu tun hat, die in Gefahr sind, abzurutschen. Man kann es gar nicht hoch genug bewerten, wenn es dann noch gelingt, sie rechtzeitig einzugliedern.

Im Rahmen der _Beratung des Antrags im zuständigen Ausschuss haben wir erneut über die rheinland-pfälzische Erziehungshilfeoffensive diskutiert. Ich greife diesen Bereich noch einmal ganz kurz auf. Es war richtig und es bleibt richtig, dass die Landesregierung viel Geld in die Hand genommen hat und den Sachverstand von Wissenschaft und Praxis mobilisiert hat, um neue Ansätze zu entwickeln und zu erproben und die Kommunen dabei zu unterstützen, dieses Feld noch intensiver zu betreuen; denn der Königsweg "ab ins Heim" ist nicht immer der richtige Weg. Es gibt Alternativen, die erfolgreicher und besser sind.

Da der Fachöffentlichkeit bis hin zum Ausland sehr daran gelegen ist, von den rheinland-pfälzischen Erfahrungen zu lernen - es ist erstaunlich und macht mich auch ein bisschen stolz, dass wir so.viele Anfragen von allen Seiten bekom• ·

men -, haben wir unser Konzept jetzt ·gerade erst beim 11. Deutschen Ju.gendhilfetag vor zwei Wochen in Nürnberg präsentiert. Mir wurde berichtet, dass ein ganz großes Interesse daran bestand, diese Maßnahmen vermittelt zu bekommen und zu erfahren, welche neuen Wege wir gegangen sind.

Wer bei der erforderlichen Prävention auf Ressortpartikularismus setzt, wird keinen Erfolg haben. Da haben Sie in Ihrem Antrag völlig Recht. Das geht nur vernetzt. Wir brauchen Maßnahmen in vielen Bereichen; wir brauchen Koordinatlonen. Diese Erkenntnis liegt dem Antrag zugrunde.

Das hat inzwischen auch die Jugendministerkonferenz begriffen, die sich immer wieder intensiv mit der Vermeidung von Gewalt und Deliktbereitschaft von Kindern und Jugendlichen beschäftigt hat. Auf der letzten Konferenz, dem diesjährigen Treffen im Mai in Schwerin, war die Deliktbereitschaft und Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen ein zentrales Thema, und zwar die Strategien zur Prävention.

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Eine schon vor zwei Jahren auf Initiative der Jugendministerkonferenz eingerichtete ressortübergreifende Arbeitsgruppe, in der sowohl die lnnenministerkonferenz, die Justizministerkonferenz, die Kultusministerkonferenz und die Jugend-ministerkonferenz gemeinsam a~beiten, hat ein umfangreiches Strategiepapier erarbeitet, in dem sich auch gewisse Missverständnisse und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen a_ufeinander zubewegt haben. Die Länder ·legen das Schwergewicht im Umga_ng mi~ auffälligen Jugendlichen auf strafvermeidende Maßnahmen und solche der intensiven Betreuung, wenn eine Straffälligkeit.bereits vorherrscht.

ln dem Beschluss der Jugendministerkonferenz werden alle

staatliche!) und kommunalen Stellen sowie die freien Träger aufgerufen, verstärkt zu kooperieren und Ressourcen für Präventionszwecke zu bündeln, um ein Optimum an Synergie zu erreichen. Außerdem sollen ambulante Maßnahmen und sozialpädagogische Hilfen für straffällig gewordene junge Menschen weiter ausgebaut und qualifiziert werden; ·de.nn nur wenn wir uns im Hinblick auf die Jugendlichen, die in

dem einen oder anderen Bereich auffällig geworden sind, vernetzen und uns fragen, was wir gemeinsam an Hilfen leisten können, wird das erfolgreich sein.

Ich nenne als erfolgreiche Modelle und als Beispiele fiir solche Kooperationen den Täter-Opfer-Ausgleich und soziale ·

Trainingsmaßnahmen. Beim Täter-Opfer-Ausgleich wird nicht einfach nur eine Strafe verhängt, sondern der Jugendliche wird mit seinem Opfer konfrontiert.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Und der Tat!)

- Ja, und er muss sich selbst überlegen, was er tun kann, um das wieder gutzumachen. Das ist mehr als einfach nur eine Strafe hinzunehmen, die die Jugendlichen bockig macht und im Staat den großen Gegner sehen lässt. All das liegt auf der Linie, die auch der Antrag verfolgt, den der Landtag heute abschließend behandelt und für den ich mich ausdrücklich bedanke.

(Beifall der SPD und der F.D.P.)

Vizeprä~ident Schuler:

Ich erteile Herrn Abgeordneten Bruch das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will vier Bemerkungen zu dem Teil machen, der sich mit der Aktion.. Wer nichts tut macht mit" und mit der Sicherheitslage sowie mit der Lage der Verbrechensbekämpfung in Rheinland-Pfalz beschäftigt.

Meine erste Bemerkung lautet: Die Sicherheitslage in Rheinland-Pfalzist gut. Die objektiven Zahlen sind so gut wie

nie zuvor. Ich will sie jetzt nicht wiederholen, weil sie schon genannt worden sind. Dabei muss man eine Situation im Auge haben: Das ist die Präsenz der Polizei insbesondere im Schichtdienst. Sie bereitet uns Sorge, und wir werden sie mit Sicherheit auch parlamentarisch begleiten und zu verbessern versuchen. Einen ersten Punkt haben wir sicherlich mit der höheren Einstellungsquote gesetzt. Herr Kollege Creutzmann hat darauf hingewiesen. ln die,sem Jahr waren es 255 Beamtinnen und Beamte, und im Doppelhaushalt werden es insge~ samt über 450 sein.

Ich will eine zweite Bemerkung machen, weil es meiner Meinung nach ein wichtiges Ergebnis einer Umfrage ist, dass sich zum ersten Mal seit über zehn Jahren die subjektive Sicher

heitssituation der Bürgerinnen und Bürger des Landes Rheinland-Pfalzund der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland deutlich verbessert hat. Die Bürgerinnen und Bürger sagen, befragt zur subjektiven Sicherheitsla

ge, sie hätten ein besseres Gefühl. Jeder, der sich mit Sicher

heitspolitik im Inneren beschäftigt, weiß, dass wir immer mit dem Zwiespalt gelebt haben, dass die objektiven Daten nicht mit dem subjektiven Sicherheitsgefühl der. Bürgerinnen und Bürger in Übereinstimung gestanden haben. Das ist auch heute nicht der Fall. Es ist offensichtlich systembedingt, dass ältere Bürgerinnen und Bürger, die weniger Opfer werden, viel mehr über diese Opferfrage reden, als jüngere Bürgerinnen und Bürger, die delinquent werden, die aber auch Opfer sind.

(Staatsministerin Frau Dr. Götte: Immer die Schwachen!)

Das ist eine Situation, mit der wir seit Jahren zu tun haben. Durch vielerlei Möglichkeiten versuchen wir, darauf einzuwirken und Verbesserungen zu ·erreichen.. ln der Frage der. Verbrechensbekämpfung liegen wir also meiner Meinung nach gut. Die Neuorganis_ation und all das, was damit verbunden war, die technische Ausstattung, ist beschrieben worden. Daher brauche ich sie an dieser Stelle nicht noch einmal zu beschreiben.

Meine Damen und Herren, meine dritte Bemerkung: Kriminalität ist immer bedrohlich. Der Mensch ist aus krummem

Holz geschnitzt, und wir werden ihn nicht gerade kriegen. Das bedeutet, dass wir auch immer eine schlagkräftige und gute Polizei und Justiz brauchen.

Vorhin· ist eine Bemerkung-über Graffiti gemacht worden. Ich habe in meiner Gemeinde einen Präventionsrat gegründet und Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern geführt. ln meiner Gemeinde passiert nic\lt sehr viel, wenn man von einem Vorfall absieht, der sich vor· einem Jahr erei~nete.

Es sind vier Dinge, die die Bürger besonders beeinträchtigen.

Sie· artikulieren dies und verbinden das mit ihrer Sicherheit, obwohl der Sicherheitspolitiker sagt, dass es mit "der Sicher

heit wenig zu tun hat.

Hierbei handelt es sich

1. um die Verschmutzung, die Unachtsamkeit, dass man etwas wegwirft und nicht darauf achtet,

2. um den Vandalismus- man hat überhaupt kein Verständnis dafür, dass eine Bank oder ein Papierkorb zerstÖrt wird; die Menschen empfinden dies als einen persönlichen Eingriff in ihre Sicherheit-,

3. um die Ruhestörung, die einen breiten Raum einnimmtviele Beschwerden kommen- und

4. um die Integration unserer Aussiedlerinnen und Aussiedler.

Wer darüber hinweg redet, redet sich etwas Falsches vor. ·

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Frage ist, wie!)

Der Minister hat schon vor einiger Zeit - ich kenne keinen probateren Weg; wir sind diesen Weg mit Schwierigkeiten, aber doch konsequent gegangen - kriminalpräventive Räte eingeführt, um viele Gespräche mit den betroffenen Personengruppen zu führen, und zwar auch mit Aussiedlerinnen und Aussiedlern, soweit dies möglich ist, und Einladungen und Besuche erfolgen.

Jetzt hatten wir die Aktion ,.Wer nichts tut macht mit".

Meine Damen und Herren, ich komme zu der vierten Bemerkung. Nur durch unser bürgerschaftliches Mitmachen, die Mitarbeit und das Mitwirken- die Franzosen sagen Engagement·_ werden wir dies nicht in den Griff.bekorrimen. Wir können versuchen, es zu kanalisieren, öffentlichkeitswirksam damit umzugehen und auch in die Menschen hineinzuwirken.

Es gibt kein anderes Mittel. Wir leben eine Delegationsgesellschaft. Wer nach dem Motto delegiert, die Polizei und die Justiz werden es tun können, liegt falsch. Meine Damen und Herren, wir müssen es gemeinsam tun. Nur so wird es gehen.

(Beifall der SPD und der F.D.P.)