Protokoll der Sitzung vom 27.01.2017

Dafür ein Beispiel aus Westerbork, dem Sammel- und Durchgangslager für die Juden aus den Niederlanden: Eines Tages kam ein Transport mit einer Wöchnerin. Sie hatte eine Frühgeburt in einem anderen Lager gehabt. Das Baby war in Decken gewickelt. Es war ganz klein, wog nur dreieinhalb Pfund. Es wurde ins Krankenhaus gebracht, und der Lagerleiter – er hieß Gemmeker – hatte sich persönlich darum bemüht, einen Brutkasten aus einem anderen Krankenhaus zu bekommen. Das Kind wurde nun in den Brutkasten gelegt, und ein Kinderarzt wurde

aus Amsterdam geholt, der anordnete, bei der Nahrung jeweils einen Tropfen des besten Cognacs hinzuzugeben. Es war die Marke Hennessy. Als das Baby fünf Pfund wog, hat man es aus dem Brutkasten genommen. Als es sechs Pfund wog, ist es „auf Transport“ gekommen. Zum „Arbeitseinsatz“, wie es hieß.

Und noch eine Geschichte, die zeigt, wie hoffnungslos die Lage der Juden war. Rhodos, 1944. 23. Juli, also nach dem Attentat auf Hitler.

1.674 Jüdinnen und Juden waren festgenommen und zum Hafen gebracht worden. Das Schiff nahm Kurs, Schiff und Bahn legten mehr als 1.500 Kilometer bis nach Auschwitz zurück. Ein Jude hatte fliehen können. Die Insel war damals wild und unwegsam. Die Deutschen, die die Insel besetzt hatten, suchten die ganze Insel ab, um diesen einen entkommenen Juden zu finden. Einen von 1.674. Sie fanden ihn schließlich. Auf einem Berg, in einer Scheune, unter Stroh versteckt. Sie zerrten ihn hervor, stellten ihn an die Scheunenwand und erschossen ihn. Juli 1944, nach dem Attentat, wo doch schon lange klar war, dass dieser verbrecherische Angriffskrieg nicht mehr zu gewinnen war. Aber es durfte eben kein Jude überleben. Nicht einmal auf Rhodos, dieser abgelegenen Insel.

Warum dieser Fanatismus? Wir haben bis heute keine schlüssige Antwort darauf. Es war Hitlers Wahnidee, zum ersten Mal 1919, dann 1923 und 1926 in „Mein Kampf“ niedergeschrieben. Und dann immer und immer und immer wiederholt. Und seine Führungsclique, die Hitleristen, setzten diese Wahnidee fanatisch und effizient in die Tat um. Wir wissen: Nicht einmal Eichmann sagte von sich, dass er die Juden besonders gehasst hätte.

Aber die Deutschen haben es nicht allein fertiggebracht, sechs Millionen Menschen in die Tötungsstationen zu transportieren und sie dort zu ersticken und zu verbrennen. Die Ta t war eine deutsche, kein Zweifel. Aber die Hitleristen hatten Helfer und Helfershelfer.

Die Gründe für die Kollaboration waren vielfältig: Zunächst einmal natürlich Antisemitismus. Ein Rabbiner in Rumänien sagte mir: Die Rumänen hatten den Antisemitismus schon immer ganz locker in der Tasche. Sie konnten ihn sofort, wenn es denn passte, hervorholen. – Was wohl auch weitgehend auf viele Ungarn zutraf. Der zweite Grund war: Nichtwissen und Täuschung. Täuschung nicht nur der Opfer, sondern auch vieler Täter. Wenn das ganze Ausmaß dieses gigantischen grausamen Mordprogramms allen Tätern und Mittätern klar gewesen wäre, wäre zu hoffen, hätten sich vielleicht, möglicherweise mehr Täter verweigert.

Und drittens: Es gab Willfährigkeit und Gehorsam, vorauseilenden Gehorsam den deutschen Machthabern gegenüber. Besser, man macht rechtzeitig mit. Man wusste ja nicht, dass Hitler möglichst alle Juden töten wollte. Da wollte man doch nicht abseits stehen, sondern zuvorkommend kollaborierend die Hand reichen, auch, um bei der Verteilung der Beute rechtzeitig dabei zu sein.

Und das funktionierte nicht nur in Buttenhausen, sondern auch zum Beispiel in Amsterdam. Eine Jüdin erzählte mir von der Verhaftung und Abholung ihrer Mutter. Sie wollte

die Mutter in den Bus, der vor der Tür stand, begleiten. Die Mutter beschwor die Tochter, das nicht zu tun. Der Bus fuhr los, die Mutter war weg, die Tochter ging weinend die Treppen zu ihrer Wohnung hoch. Im ersten Stock öffneten die Nachbarn die Tür: Ob sie jetzt wohl die Möbel der Mutter holen könnten? Die Tochter brauche doch so viele Sessel und das Sofa nicht mehr. Nicht Deutschland, Amsterdam!

Gibt es keine tröstlichen Geschichten? Doch. In Belgien habe ich eine Frau getroffen, jetzt Ehefrau eines berühmten reichen Anwalts, damals, 1941, jung, blond, nichtsahnend. Sie war Lehrerin. Und endlich fiel ihr auf, dass immer mehr jüdische Kinder im Unterricht fehlten. Sie fragte die Schüler. Und die sagten: „Ja, wissen Sie nicht, dass die von den Deutschen abgeholt und verschleppt werden?“ Nun wusste sie es. Und schloss sich einer kommunistischen Untergrundorganisation an, deren Ziel es war, so viele jüdische Kinder wie möglich zu kidnappen. Ja, richtig, zu kidnappen. Auf der Straße, auf dem Schulhof, im Kindergarten, beim Spielen, wo auch immer. Auch beim Laufen, auf der Straße. Die Eltern wurden benachrichtigt, durften alle vier Wochen für ihre Kinder einen mit Bleistift beschriebenen Zeitungsfetzen übergeben, damit der Helfer diesen bei einer möglichen Festnahme in der Not herunterschlucken konnte. Die Lehrerin erzählte mir, es hätten sich erschütternde Szenen abgespielt. Die Eltern beschworen sie: Geben Sie mir mein Kind zurück! – „Ja“, sagte sie, „wenn die Deutschen weg sind, am Ende dieses Krieges.“

Aber viele Eltern sahen ihre Kinder nie wieder. Sie waren von den Deutschen deportiert und ermordet worden. Aber dreitausend jüdische Kinder wurden auf diese Weise in Belgien vor den Deutschen und ihrem sicheren Tod gerettet.

Eines dieser geretteten Kinder habe ich sprechen können. Das Kind war inzwischen ein großer, stattlicher, erfolgreicher Geschäftsmann. Und dieser große stattliche Mann brach, als er von dem Kloster erzählte, in dem er versteckt war – es waren 86 Klöster, die jüdische Kinder versteckt hatten –, mit falschem, natürlich nicht mit seinem jüdischen Vornamen, seine Eltern nie wieder sehend, dieser große stattliche Mann brach, als er es mir erzählte, in Tränen aus. Er hat überlebt, ja. Aber das Gefühl und die Angst, entdeckt zu werden, alleingelassen zu sein, seine Eltern nicht sehen zu können, dieses Gefühl des Alleinseins hat ihn nie verlassen.

Was erzählt uns das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin? Es erzählt uns, dass der 27. Januar – dieser Tag heute – nie wieder ein Tag sein wird wie jeder andere Tag. Es ist ein unvergleichlicher Tag. In Israel wird an diesem Tag für eine Weile der Atem angehalten. Auch wir müssten den Atem anhalten. Denn die Bilder, derer die entsetzten sowjetischen Soldaten gewahr wurden, als sie das Vernichtungslager Auschwitz erreichten, die hatten Menschen zuvor noch nie gesehen. Es war ein Abgrund. Es war die Hölle. Leichen. Verhungerte. Erschossene. Verbrannte. Erdrosselte. Die, die noch lebten, waren menschliche Wracks, zu Skeletten abgemagert, unfähig, sich ohne fremde Hilfe zu bewegen. Auschwitz. Synonym für industrielle Vernichtung von Menschen, Tötung in Gas

kammern, Verbrennungsöfen, Krematorien.

Wir, die Bürgerinitiative Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas, haben ihnen, mitten in der Hauptstadt, ein Denkmal gesetzt: das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Es war die Initiative von Bürgern, der sich der Staat hernach angenommen hat. Aus unserer Initiative wurde ein Parlamentsbeschluss, mit einer guten, einer Zweidrittelmehrheit, wofür wir sehr dankbar waren.

Wir wollten drei Dinge: Wir wollten an d i e Ta t erinnern. Das durfte nicht vergessen werden über dem Jubel der Vereinigung der beiden Deutschlands. Wir wollten zweitens die Opfer ehren, und wir wollten ihnen drittens ihre Namen zurückgeben. All das erfüllt das Denkmal. Das – das muss man auch begreifen – hat es noch nie und nirgends gegeben, dass ein Land, eine Regierung und die Bevölkerung, seines eigenen größten Menschheitsverbrechens gedenkt und die Opfer ehrt, mitten in der Hauptstadt.

Ein Freund schrieb mir nach der Eröffnung des Denkmals: „Es passiert eben doch etwas, woran niemand gedacht hatte und was wenige zu hoffen wagten. Es gibt nun einen Ort, wo alle die, die kein anderes Grab fanden als eins in den Lüften, ihre Stele, etwas Irdisches haben, endlich angekommen dort, wohin wir Menschen alle am Ende gehören: auf und in die Erde.“

Wer es annimmt, für den ist das Stelenfeld ein Friedhof. Ein Friedhof für die sechs Millionen. Und natürlich ist es eine Mahnung. An uns, an die Welt: N i e w i e d e r.

Nie wieder das Menschenrecht so verletzen lassen.

Nie wieder den Nachbarn alleinlassen.

Nie wieder wegsehen.

Nie wieder Hass gegen irgendwelche Minderheiten dulden.

Sich immer vorstellen, man ist auf der Seite der Verlierer, nicht der Gewinner.

Aufstehen, widerstehen, kämpfen. Nie mehr Exil.

Dann wird es ganz selbstverständlich, mit den Juden am 27. Januar zu sagen: Nie wieder. Nie wieder.

Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.

(Lang anhaltend Beifall im Hause)

Musik

Viktor Ullmann (1898-1944) III. Mejdel in die Johren („Ich bin schejn a Mejdel in die Johren“), Volkslied

Ansprache

Dr. Volker Wissing, stellvertretender Ministerpräsident:

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident Hering, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen des rheinlandpfälzischen Landtags, liebe Kolleginnen und Kollegen der rheinland-pfälzischen Landesregierung, meine Damen und Herren Mitglieder des konsularischen Korps, verehrte Repräsentantinnen und Repräsentanten der zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgten Menschen, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Sehr geehrte, verehrte Frau Rosh, ich danke Ihnen für Ihre eindrücklichen Worte. Ich kann für uns alle hier im Raum sagen: Sie haben uns tief, tief bewegt. Einer Ihrer Sätze hat mich besonders ins Mark getroffen: „Von einem Beistand der Bevölkerung, von Hilfe für die Bedrängten und Wehrlosen ist nichts bekannt.“ Neben den unmenschlichen Taten, den Verbrechen gegen die Menschheit, ist es das Fehlen jeglicher Herzenswärme und Mitmenschlichkeit der Bürgerinnen und Bürger, die uns sprachlos macht. Kein Mensch, der dies heute gehört hat, kann mehr fragen, warum es diesen Gedenktag gibt und warum es ein Mahnmal im Herzen unserer Hauptstadt gibt.

Gestatten Sie mir, liebe Frau Rosh, Ihnen einen weiteren Dank auszusprechen: für Ihre Hartnäckigkeit. Und für Ihr Engagement, mit dem Sie Ihr Thema, Ihr Lebensthema verfolgen.

Dass es das Denkmal für die ermordeten Juden Europas gibt, ist auch Ihrer Hartnäckigkeit und Ihrem Engagement zu verdanken. Sie formulierten damals den Anspruch: Unser Land muss ein „riesiges, unübersehbares Mahnmal” für die ermordeten Jüdinnen und Juden bekommen. Das Stelenfeld mitten im Herzen Berlins ist dieses unübersehbare Mahnmal geworden.

Ich muss gestehen, ich fühle mich diesem Denkmal besonders verbunden. Ich war 2005 bei der Einweihung dabei, und ich höre oft den Gesang des Kantors, der tief in die Herzen der Anwesenden eingedrungen ist. Das Stelenfeld liegt direkt gegenüber der Vertretung unseres Landes Rheinland-Pfalz. Aus den Sitzungsräumen in der Landesvertretung geht unser Blick direkt auf das Mahnmal – umrahmt von Tiergarten, Reichstagskuppel, Amerikanischer Botschaft und dem tosenden Verkehr der geschäftigen Großstadt. Es ist dieser Blick auf das Denkmal und die Geschichte, auf die es verweist, und seine Eingebundenheit in die Umgebung, der uns jedes Mal wieder gefangen nimmt.

Wenn ich dort – in der Landesvertretung, im Angesicht des Denkmals – Gäste zu politischen Gesprächen treffe, dann mache ich die immer gleiche, immer berührende Erfahrung: Da ist ein Innehalten. Ein Besinnen. Ein Nachdenken. Bei allen Gesprächspartnern. Das zeigt, wie wichtig dieses Denkmal für uns heute ist.

Wir erinnern uns noch gut: Der Streit um das Denkmal wurde seinerzeit erbittert geführt. Sie, sehr geehrte Frau Rosh, mussten persönlich darunter leiden und mussten Anfein

dungen hinnehmen. Bis heute erstaunt mich die Schärfe, die die Auseinandersetzung über das Mahnmal teilweise erreicht hatte. Viele Argumente waren vorgeschoben und erscheinen heute im Rückblick geradezu nichtig und klein. Was damals – und auch leider heute immer wieder – eine Rolle gespielt hat, war das Thema selbst, das manche und mancher – vielleicht unbewusst – loswerden wollte. Aber das Thema – der Nationalsozialismus und die unzähligen Opfer, die er gekostet hat –, dieses Thema dürfen und wollen wir nicht loswerden. Im Gegenteil: Wir wollen erinnern, wir wollen aus der Erinnerung lernen. Es ist gut, dass es diesen Gedenktag gibt. Wir verbringen ganz bewusst Stunden des Erinnerns miteinander.

Wenn wir uns die Zahl der Opfer vergegenwärtigen, fehlen uns die Worte. Die Zahlen sind abstrakt unfassbar. Wenn wir uns auf das Leid der einzelnen Opfer einlassen, wird das Ausmaß der Schuld noch größer. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns an die Kinder erinnern, die man aus den Armen ihrer Mutter gerissen hat, um ihnen ihr Leben zu nehmen. Und an diejenigen, deren Eltern und Großeltern sinnlos getötet wurden. An die Kranken, die statt gepflegt heimtückisch ermordet wurden. Es ist wichtig, dass wir uns an all die Menschen erinnern, denen man ihre Würde genommen hat, die man ihrer Heimat entrissen und die man voneinander getrennt hat, um sie zu vernichten. In jedem Einzelnen von ihnen waren Liebe, Sehnsucht und Träume. Sie waren wertvoll, jeder auf seine Art. Sie wurden in Gruppen eingeteilt, ausgegrenzt, verachtet und vernichtet. Daraus folgen für uns die Verantwortung und der Auftrag dafür, dass es in unserem Land nie wieder Normalität sein darf, wenn politisches Reden und Handeln bei den Menschen Gefühle von Ausgrenzung und Hass erwecken.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir gedenken heute der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit. Auschwitz steht seitdem für den millionenfachen Mord an den europäischen Juden, an Sinti und Roma, an Homosexuellen, Oppositionellen und Widerständlern, Kranken und Behinderten, Künstlern und vielen anderen Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Auschwitz ist das Synonym für die eiskalt geplante und umgesetzte Vernichtung von Menschen, für den industriellen Völkermord.

In diesem Jahr gedenken wir insbesondere der verfolgten Künstlerinnen und Künstler. Ich danke unserem Präsidenten des Landtags, Hendrik Hering, für seine einführenden Worte. Ihre Berichte über die Leidenswege von Künstlerinnen und Künstlern – stellvertretend für viele andere, die verfolgt wurden – zeigen uns: Wir haben sie verloren, aber wir haben sie nicht vergessen.

Dazu wird es eine Reihe von Veranstaltungen geben. Wir erleben das Erinnern auch heute im musikalischen Rahmenprogramm mit Werken der verfolgten Komponisten Paul Ben-Haim und Viktor Ullmann. Ich danke den Herren des Duos Kuhn ausdrücklich. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Werke von Künstlerinnen und Künstlern der verschollenen Generation aufzuführen – nicht nur an Gedenktagen wie diesem. Mit jedem Ton, den Sie spielen, gelingt es Ihnen, die Musik dem Vergessen zu entreißen.

Meine Damen und Herren, ein Denkmal für Opfer des Holocaust, die Musik verfolgter Komponisten, die Ausstellung im Mainzer Abgeordnetenhaus über „Verbrannte Bücher – von den Nazis verfemte Schriftsteller“, die gestern eröffnet wurde. Das alles zeigt uns: Der Tod hat nicht das letzte Wort.

Der Tod hat Macht – aber er triumphiert nicht über die Erinnerung. Und nicht über die Kunst. Auch die Kunst hat Macht. Und deshalb ist die Kunst allen Unterdrückern auf der Welt suspekt. Der Nationalsozialismus und all jene, die Menschen verfolgen und unterdrücken, haben Angst vor der Kraft der Freiheit, die den Künsten innewohnt. Deswegen wurden im Nationalsozialismus und werden noch heute weltweit Künstlerinnen und Künstler verfolgt.

Die Kultur ist ein Gegenentwurf zur Barbarei. Aber wir müssen feststellen, und das mit immer wieder neuem Erschrecken: Alle Kultur hat die Barbarei nicht verhindern können.

Sie kennen Adornos These „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“. Adorno hat damit ein tiefes Misstrauen gegenüber der Kultur nach der Erfahrung des Holocaust in Worte gekleidet. Und dieses Misstrauen ist verständlich. Und trotzdem möchte ich Adorno ergänzen. Kunst und Kultur nach der Erfahrung von Auschwitz sind nötig. Vielleicht sogar lebensnotwendig. Wir brauchen die Werke der verfolgten Künstlerinnen und Künstler, denen das Vergessen droht.

Genauso brauchen wir auch die Kunst „nach Auschwitz“. Sie kann uns helfen, die Ermordeten zu ehren und ihr Andenken zu wahren. In Gedichten und Kunstwerken. In den Theaterstücken, Filmen, Opern, Skulpturen und Denkmälern, wie dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. In einer Zeit, in der die wenigen Zeitzeugen hochbetagt sind, sodass es ihnen immer schwerer fällt, für uns weiter Zeugnis abzulegen, brauchen wir die Stimmen der Künstlerinnen und Künstler.

Meine Damen und Herren, der Nationalsozialismus hat millionenfach Leben beendet – und millionenfach Leben zerstört. Auch das Leben vieler Künstlerinnen und Künstler. Wie viele Kunstwerke blieben ungemalt, ungeschrieben, ungetanzt, und wie viele Leben blieben ungelebt? An einem Tag wie heute spüren wir deutlich: Bei all dem Reichtum, über den wir heute, mehr als 70 Jahre nach Kriegsende verfügen, sind wir doch arm. Weil uns diese Menschen fehlen, ihre Geschichten und auch ihre Werke. Was können wir tun, damit nie wieder eine solche Lücke in die Menschheit gerissen wird?

Ihre Rede, sehr geehrte Frau Rosh, hat mich an ein Wort von Carl Zuckmayer erinnert. Er sagte: „Das Böse in der Welt lebt nicht durch die, die Böses tun, sondern durch die, die Böses zulassen.“ Zuckmayers Wort nimmt uns alle in die Pflicht: als Mitglieder der Landesregierung, als Mitglieder des rheinland-pfälzischen Landtags, als Men