(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Martin Haller, SPD: Kann man nicht genug tun! – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sehr richtig!)
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben gestern und heute viermal über Diesel, Grenzwerte und Fahrverbote gesprochen. Aber mir gibt das Gelegenheit, gerade auch zu dieser schon fast abendlichen Stunde
Die Bundesumweltministerin hat vor Kurzem geäußert, Grenzwerte sind eine gesellschaftliche Garantie für saubere Lust – Entschuldigung, Luft,
für saubere Luft. Welch ein Trugschluss. Wir, die ganze Gesellschaft, lassen uns in diesen Tagen einreden, dass wir nur Grenzwerte für Stickoxide einhalten müssen – zum Beispiel durch Fahrverbote –, und dann ist alles wieder gut. Wir denken nicht an andere Schadstoff- und Umweltbelastungen. Wir denken nicht an Auswirkungen in anderen Bereichen. Wir verpassen auch, darauf hinzuweisen, dass wir Erfolge haben und die Luft besser geworden ist. Herr Minister Wissing hat das heute schon dargelegt.
Nach der Beantwortung der Großen Anfrage gab es eine neue Sachlage zwischen Mainz und Wiesbaden. Das konnte natürlich in die Beantwortung noch nicht aufgenommen werden, scheint mir aber sehr interessant; denn vor wenigen Tagen hat die Deutsche Umwelthilfe die Klage gegen Wiesbaden zurückgeführt.
Warum erzähle ich das? Remo Klinger, der Anwalt der Deutschen Umwelthilfe, hat Wiesbaden für dessen Konzept zur Luftreinhaltung über den grünen Klee gelobt
und Mainz in gleichem Maße getadelt. Er hat betont, Wiesbaden habe gemeinsam mit dem Land Hessen ehrgeizige Maßnahmen aufgesetzt. Zum Beispiel fördert die Landesregierung 110 neue Busse. Mainz, so Remo Klinger, habe das Problem bisher nicht verstanden.
(Zuruf der Abg. Jutta Blatzheim-Roegler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ministerpräsidentin Malu Dreyer: 105 Busumrüstungen in Mainz! – Staatsministerin Ulrike Höfken: 105!)
Sie kennen mich. Normalerweise würde ich das jetzt gerne als Gelegenheit nehmen, um auch die Landesregierung zu kritisieren. Das sollten wir einmal in Ruhe machen und nicht zu dieser abendlichen Stunde. Ich will auf etwas anderes hinaus; denn das entsprechende Interview hat Remo Klinger mit dem Satz begonnen: „Tor für Wiesbaden in der Nachspielzeit.“ Dieses Bild trifft genau meinen Eindruck
Der Umweltschutz ist inzwischen zum Spielball der Umwelthilfe geworden. Wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Abgase die Gesundheit beeinträchtigen, sind unumstritten. Aber es ist durchaus umstritten, welchen genauen Anteil daran Stickoxide und insbesondere Dieselabgase von Autos haben.
Ein kleines Beispiel aus der Beantwortung der Anfrage: Dort wird berichtet, dass nach dem Säureunfall auf dem Rhein im Jahr 2011 bei Mainz sozusagen ein Schiffsstau herrschte und, ich zitiere, „signifikant“ höhere Stickoxidwerte gemessen wurden.
Es heißt dann, aber im Normalfall werde der Beitrag durch den Schiffsverkehr nur „als gering eingestuft“. Das ist nicht wissenschaftlich. Dort ist keine Messstation. Mein Eindruck ist, dass das dann auch keine Rolle spielt.
Wir sind so darauf fixiert, die Grenzwerte an diesen Messstationen einzuhalten, um Fahrverbote zu vermeiden und die Umwelthilfe gnädig zu stimmen, dass wir das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren. Das eigentliche Ziel müsste doch sein, dass wir uns als mobile Industrienation so aufstellen, dass wir unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhalten können und gleichzeitig möglichst wenige Gesundheitsgefahren aus der Umwelt erwachsen.
Was stellen wir aber fest? Die Größe unserer Autos nimmt jedes Jahr zu und damit auch der Ressourcenverbrauch, der Spritverbrauch und der Reifenabrieb. Viele Wissenschaftler sind gerade der Überzeugung, dass Feinstaub durch Reifenabrieb weitaus gefährlicher ist als Stickoxid. Aber wir haben mit den Dieselproduzenten und den Dieselfahrern einen Sündenbock gefunden.
Die Umwelt ist krank, und wir verhalten uns wie ein Arzt, der gleich einem Wunderheiler ein ungeprüftes Medikament ohne Beachtung neuer
(Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ist das jetzt eine Rede gegen die Umwelthilfe, oder was soll das sein?)
wissenschaftlicher Studien, ohne Beachtung weiterer Symptome und ohne Rücksicht auf Nebenwirkungen und Langzeitschäden verabreicht.
Wir waren einmal ein Volk der Denker und Tüftler. Gerade sind wir dabei, eines der wichtigsten Standbeine
Statt Innovationen zu würdigen, machen fehlerhafte Aussagen von Wissenschaftlern Schlagzeilen. Einmal sind es die Lungenärzte, die in die Schlagzeilen kommen, dann wieder die Kritiker der Lungenärzte,
dann wieder die Kritiker der Kritiker der Lungenärzte. Jetzt haben Mathematiker nachgewiesen, dass das Umweltbundesamt sich bei so etwas Kleinem wie der Zahl der Toten durch Abgase völlig verrechnet hat. Das Neueste ist: Der größte Umweltsünder ist die Butter.
Diese Fixierung auf Schlagzeilen, vermeintliche Studien und Messwerte fördert Politikverdrossenheit und gesellschaftliche Lethargie.
Benedikt Oster sagte gestern, nur mit Hardwarenachrüstungen können wir dem Klimawandel Rechnung tragen. – Genau das ist ein Beispiel dafür, ein Thema eindimensional anzugehen, ein Thema, das sehr komplex ist.
Es wird höchste Zeit, dass nicht mehr die Umwelthilfe mit ihrer ideologischen Fixierung auf Dieselproduzenten das Handeln bestimmt. Wie wollen wir denn dem einfachen,
(Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es geht doch um Grenzwerte und um die Gerichtsurteile, Frau Wieland, bitte!)
wenig verdienenden Dieselfahrer klarmachen, dass er durch Fahrverbote die Luft durch kilometerlange Umwege verpestet, während es kaum Einschränkungen für den Flug- und Schiffsverkehr gibt?