Protocol of the Session on January 23, 2004

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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie recht herzlich begrüßen.

Ich darf Folgendes bekannt geben: Herr Abgeordneter Kayenburg, Frau Abgeordnete Sassen, Herr Abgeordneter Feddersen sind beurlaubt. Frau Abgeordnete Redmann, Herr Abgeordneter Jensen-Nissen und Frau Ministerin Moser sind erkrankt. Letztgenannten wünsche ich gute Besserung.

(Beifall)

Wegen dienstlicher Verpflichtung auf Bundesebene sind Landtagspräsident Arens und Ministerin Lütkes beurlaubt.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich die Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne begrüßen. Ich heiße die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerinnen und Lehrer des Städtischen Gymnasiums Bad Segeberg sowie den Angestelltenlehrgang der Verwaltungsakademie Bordesholm im SchleswigHolsteinischen Landtag herzlich willkommen.

(Beifall)

Die Geschäftsführer sind übereingekommen, mit Tagesordnungspunkt 11 zu beginnen.

Ich rufe daher Tagesordnungspunkt 11 auf:

Abschaffung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse - Einführung von unabhängigen Richteruntersuchungen Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/3128

Ich darf fragen, ob zur Begründung das Wort gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall.

Wir treten somit in die Aussprache ein und ich erteile für den Antragsteller der Sprecherin des SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Frau Abgeordneter Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als der Schleswig-Holsteinische Landtag 1993 ein Untersuchungsausschussgesetz verabschiedete, herrschte Aufbruchstimmung in diesem Haus. Die Ereignisse des Jahres 1987, die konstruktive Arbeit im BarschelPfeiffer-Untersuchungsausschuss und die Enquetekommission für die Verfassungs- und Parlamentsreform warfen ihre langen Schatten und prägten einen parlamentarischen Geist, der sich heute leider verflüchtigt hat.

8192 Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 106. Sitzung - Freitag, 23. Januar 2004

(Anke Spoorendonk)

Nach zehn Jahren des politischen Alltags und vier weiteren Untersuchungsausschüssen ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen und das Untersuchungsausschussgesetz auf den Prüfstand zu stellen. Unsere Bilanz lautet: Die Untersuchungsausschüsse werden immer stärker zu politischen Kampfinstrumenten.

(Beifall des Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD])

Im Vordergrund steht die Fortsetzung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln.

Natürlich ist es zutreffend, dass Untersuchungsausschüsse immer politische Kampfinstrumente waren und sein werden.

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock [CDU]: So ist es!)

Diese Erkenntnis ist übrigens nichts Neues: Schon die Enquetekommission zur Verfassungs- und Parlamentsreform schrieb 1988 in ihrem Schlussbericht, dass ein unlösbarer Widerspruch zwischen der praktischen Aufgabe von Untersuchungsausschüssen, die mit dem strafprozessualen Begriff der „Wahrheitsfindung“ umschrieben wird, und ihrer politischen Bedeutung als Kampfinstrument einer Gruppe von Abgeordneten bestehe.

Die Enquete mahnt deshalb - ich zitiere -:

„Wie man von einem Richter nicht verlangen darf, dass er nach politischen Präferenzen urteilt, sollte man umgekehrt den Abgeordneten auch nicht an der Elle richterlicher Distanz und Unabhängigkeit messen wollen.“

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist es!)

Es geht also gar nicht anders; das ist klar.

Allerdings: Im Spannungsfeld zwischen Aufklärung einerseits und Parteienkampf andererseits hängt die Waage schon seit langem extrem schief.

(Beifall beim SSW)

Es ist schwer zu vermitteln, worin noch der Wert der Untersuchungsausschüsse für die Demokratie - also für die Menschen draußen - liegen soll, wenn das Ziel der Aufklärung so stark in den Hintergrund rückt, wie es heute der Fall ist.

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock [CDU]: Das ist doch gar nicht wahr!)

Die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses suggeriert der Öffentlichkeit die Möglichkeit einer objektiven Aufklärung, die er schon von seiner Form her nicht leisten kann. Deshalb stellt sich die Frage, wozu das Ganze noch gut

sein soll. Es ist eine enorme Verschwendung von öffentlichen und privaten Ressourcen, wenn der Ausschuss wöchentlich Abgeordnete, Beamte, Fraktionsmitarbeiter, Journalisten und Anwälte davon abhält, sinnvolleren Tätigkeiten nachzugehen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Ich glaube nicht einmal, dass es parteipolitisch besonders produktiv ist.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Lieber Kollege Kubicki, hören Sie mir doch erst einmal zu!

Die wenigen Bürger, die noch bei Nachrichten aus dem Untersuchungsausschuss interessiert hinhören, wissen ohnehin, was dabei herauskommt: Die Opposition hält die Regierung für unfähig und kriminell, die Regierungsfraktionen finden alles nicht so schlimm; beide Seiten nutzen nur jene Zeugenaussagen und Fakten, die ihnen ins Konzept passen. - Angesichts der massiven Propaganda kann von Aufklärung kaum die Rede sein.

Aber natürlich gibt es weiterhin ein öffentliches Interesse an der demokratischen Aufarbeitung von politischen Skandalen. Diese kann das Parlament nicht allein der Justiz überlassen. Denn es geht nicht nur um juristisch relevante Skandale, sondern auch um politische Verantwortung.

Das Parlament und die Öffentlichkeit brauchen ein Untersuchungsinstrument, das bei Verdacht eines Missstands in der Regierung schnell und effektiv eingesetzt werden kann. Angesichts der grundsätzlichen Mängel der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse stellt sich aber die Frage, ob es nicht etwas Besseres gibt.

Der SSW schlägt vor, das Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses probeweise oder dauerhaft abzuschaffen und durch unabhängige Richteruntersuchungen zu ersetzen. Wir wollen, dass das Parlament einen Richter oder ein Richtergremium beauftragen kann, bestimmte Sachverhalte in der Regierung zu untersuchen.

Das heißt: Der Landtag erteilt den Auftrag und bestimmt, was untersucht werden soll. Die Richter führen eine öffentliche Untersuchung durch und tragen die Fakten in einem Bericht für den Landtag zusammen. Der Landtag liest den Bericht und gibt dann seine politischen Bewertungen des Sachverhalts ab.

Das halten wir für eine saubere Sache.

(Beifall beim SSW)

Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 106. Sitzung - Freitag, 23. Januar 2004 8193

(Anke Spoorendonk)

Die Untersuchung wird schnell, professionell und sachgerecht durchgeführt. Und wir vermeiden, dass schon die Beweiserhebung zu einer politischen Schlammschlacht wird, bei der kaum jemand durchblickt, der nicht im Untersuchungsausschuss sitzt.

Damit die Minderheitsrechte gewahrt bleiben, muss auch weiterhin eine unabhängige Untersuchung beantragt werden können, wenn ein Fünftel der Abgeordneten dies wünscht.

Damit die Persönlichkeitsrechte Dritter unberührt bleiben, muss bei solchen Untersuchungen die Strafprozessordnung gelten. Außerdem muss festgelegt werden, wie die politische Leitungsebene zur Mitwirkung an der unabhängigen Richteruntersuchung verpflichtet wird.

Der Vorteil einer solchen Reform liegt auf der Hand, liebe Kolleginnen und Kollegen: Eine unabhängige Richteruntersuchung kann nicht auf die gleiche Weise einseitig als politisches Kampfinstrument missbraucht werden. Gleichzeitig werden die Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Regierung aber nicht geschwächt, auch wenn mehrere Kolleginnen und Kollegen diese Auffassung vertreten haben. Denn die politische Bewertung der Ergebnisse der unabhängigen Richteruntersuchung steht selbstverständlich weiterhin dem Parlament zu. Lediglich die konkrete Vernehmung von Zeugen und die Erhebung von Informationen wird an unabhängige Fachleute übertragen.

Wir glauben, dass dies der richtige Weg ist, um wieder Vertrauen in die demokratische Aufarbeitung politischer Skandale zu schaffen. Außerdem hat eine solche Untersuchung den bestechenden Vorteil, dass ein Richtergremium wesentlich häufiger tagen könnte als viel beschäftigte Parlamentarier. Die Beweiserhebung könnte wesentlich schneller vonstatten gehen. Dadurch erhielte das Parlament die Möglichkeit, einen Skandal parlamentarisch aufzuarbeiten, bevor die Menschen vergessen haben, weshalb überhaupt eine Untersuchung eingeleitet wurde.

(Beifall beim SSW)

Es kann also keine Rede davon sein, dass wir der Opposition ein scharfes Schwert entreißen wollen. Im Gegenteil. Es soll wieder geschärft werden.