Protokoll der Sitzung vom 23.09.2004

Im Rahmen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes sollte die engere Verzahnung der ambulanten und der stationären Versorgung beschleunigt werden. Denn für die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt ist die Abschottung der Sektoren eine der Gründe für die viel zitierte „Über-, Unter- und Fehlversorgung“ im Gesundheitswesen. Nach ihrem Willen überwindet die so genannte integrierte Versorgung die „Schnittstellenprobleme zwischen den einzelnen Sektoren, reduziert unnötige Untersuchungen im Behandlungsprozess, schafft mehr Vertrauen in die Therapie und leistet einen erheblichen Beitrag zur finanziellen Entlastung des Gesundheitssystems“. So jedenfalls die Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums auf der zur Gesundheitsreform eingerichteten Internetseite. Das hört sich zunächst sehr viel versprechend an. Aber wir sind leider vom Ziel noch deutlich entfernt.

Grundsätzlich ist der Ansatz - das betone ich - einer integrierten Versorgung und damit den Patienten ein Angebot aus einer Hand anzubieten, ein interessantes Angebot. Aber warum hat es sich bisher nicht ausreichend durchsetzen können, wenn das Gesundheitsmodernisierungsgesetz bis zu 1 % der Gesamtvergütung von den stationären und ambulanten Leistungen als Anschubfinanzierung vorsieht? Für SchleswigHolstein bedeutet dies einen Betrag von immerhin 22 Millionen €.

(Werner Kalinka [CDU]: So ist das!)

Liegt es daran, dass Kooperationen durch einen Dschungel von widersprüchlichen Vorschriften und Gesetzen eher verhindert als gefördert werden? Liegt es daran, dass niedergelassene Ärzte - da sehe ich ein Problem - bisher zu wenig eingebunden worden sind, sondern sich mehr der Gefahr ausgesetzt sehen, künftig als Angestellte einer Poliklinik agieren zu müssen? Liegt es vielleicht aber auch daran, dass Krankenhäuser nur dann Vergütungen erhalten, wenn sie mehr Patienten behandeln, als zuvor vereinbart wurde und ihnen gleichzeitig das Geld fehlt, das zur Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung abgezweigt worden ist? Es könnte aber auch daran liegen, dass die Krankenhäuser überhaupt nicht über genügend freie Kapazitäten verfügen, um die von RotGrün politisch gewollte größere Teilnahme an der ambulanten Patientenversorgung zu meistern.

Der Verband der Krankenhausdirektoren Schleswig-Holstein rechnet in den nächsten zwei Jahren mit einem Abbau von 1.200 Stellen im Pflegebereich der Kliniken. Schon in den letzten Jahren sind viele Stellen im Pflegebereich weggefallen. Ein Rekorddefizit von 100 Millionen € bei den 100 Kliniken des Landes wird ebenfalls erwartet. Durch die Deckelung des

Budgets werden die Krankenhäuser bei einer Steigerung von 0,38 % in 2005 die dritte Nullrunde hinnehmen müssen, während die Personalkosten weiter steigen. Je weiter gleichzeitig die Zahl der Fachärzte sinkt, umso schwieriger werden es die Krankenhäuser haben, die Zahl der Behandlungsfälle zu erhöhen.

Eine integrierte Versorgung bietet sicher Vorteile. Diese müssen aber allen Akteuren bekannt sein. Eine integrierte Versorgung darf nicht allein unter dem Aspekt der Einsparung betrachtet werden. Das Gegenteil könnte auch eintreten, wenn gute Konzepte eine Sogwirkung entfalten und damit zu einer höheren Inanspruchnahme von Leistungen führen könnten.

Sie sehen mich auf Ihrer Seite, wenn wir die integrierte Versorgung wollen. Ich bin aber der Meinung, die Diskussion muss eine andere sein. Es müssen - darauf will ich noch einmal hinweisen - alle Akteure eingebunden sein. Die niedergelassenen Ärzte sind bislang nicht ausreichend eingebunden. Auch die Krankenhäuser vermissen es in großer Anzahl, darüber eingebunden zu sein.

Lassen Sie uns den Weg beschreiten, in den Dialog mit allen einzutreten. Dann werden wir vielleicht in einigen Jahren über eine integrierte flächendeckende Versorgung in Schleswig-Holstein berichten können.

(Beifall bei FDP und CDU)

Kolleginnen und Kollegen, ich gehe davon aus, dass Sie der Regenbogen vor dem Fenster zwar optisch fasziniert, dass Sie aber den Rednerinnen und Rednern weiterhin lauschen. - Frau Abgeordnete Birk, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich erfreue mich an dem Regenbogen und sehe ihn als gutes Zeichen für unser Thema.

Nur eine integrierte Gesundheitsversorgung ist zukunftsfähig. Die Grünen verfolgen seit ihrer Gründung das Ziel, die verschiedenen Angebote der Gesundheitsvorsorge auf gleicher Augenhöhe miteinander zu vernetzen. Leitbild ist für uns nicht der Halbgott in Weiß oder der einsame Landarzt, der 24 Stunden zur Verfügung steht. Dieses Bild der Arztromane gilt es endlich durch realitätstüchtige Kooperationen zwischen ambulanten und stationären Angeboten zu ersetzen. Pflege, Laboruntersuchungen, Massagen, osteopathische Heilbehandlungen, Rehabilitationen müssen mit ärztlichen Leistungen gleichgestellt, ver

(Angelika Birk)

bunden werden. Nur so kann ein optimales Gesundheitsangebot für die Patientinnen und Patienten geschaffen werden. Nur so sind Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen möglich.

Frau Kolb, Sie haben soeben darauf hingewiesen, dass, sei es in den Krankenhäusern, sei es im ambulanten Sektor, zu wenig Menschen in den Prozess eingebunden seien.

(Veronika Kolb [FDP]: Es ist so!)

- Das glaube ich Ihnen. Aber schon das Bild scheint mir missverständlich. Es geht nicht darum, dass da irgendjemand ist, der Marionetten miteinander verbindet. Es ist eine Frage der Selbstinitiative. Gerade Sie von den Liberalen müssten doch eigentlich froh darüber sein, dass der Bundesgesetzgeber nun endlich hierfür das Forum geschaffen hat. Stattdessen schreien Sie nach jemandem, der sagen soll, wo es langgeht. Das passt doch überhaupt nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Zurufe von der CDU)

Sie haben es zwar höflich vorgetragen, aber dahinter war doch sehr deutlich die Aufforderung zu hören: Helft uns! Die Ministerin hat deutlich gemacht: Eine ganze Reihe Leute hat das ganz offensichtlich geschafft, ohne dass ihnen jemand den Weg gewiesen hat.

An dieser Stelle darf ich auch sagen: Gerade Schleswig-Holstein ist in der Landespolitik immer auf dem Weg gewesen, denjenigen, die das wollten, den Weg zu ebnen. Das hat die Ministerin mit ihrem engagierten Schlusssatz auch deutlich gemacht. Sie wenden sich also wirklich an die falsche Adresse.

(Veronika Kolb [FDP]: Nein!)

Sie könnten allerdings Ihren Aufruf vielleicht an die Krankenkassen oder auch an die Kommunen richten, die manchmal auch als Kostenträger nicht unbedingt förderlich sind und die beispielsweise in ihren Gesundheitsämtern so sehr das Leitbild der integrierten Versorgung kappen, dass der Eindruck entsteht, diese Gesundheitsärzte seien nur für das Impfen zuständig.

(Veronika Kolb [FDP]: Das ist der Unter- schied zwischen Theorie und Praxis, liebe Frau Birk!)

Das ist natürlich der falsche Weg. Da gebe ich Ihnen völlig Recht. Aber auch dies kann die Landesregierung nicht mit einem Hauruck verhindern, sondern es bedarf der gemeinsamen politischen Anstrengung, um das, was der Bundesgesetzgeber als Möglichkeit geschaffen hat, nun mit Leben zu füllen.

Ich möchte an dieser Stelle nicht verhehlen, dass die Kostensituation eine sehr schwierige ist. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Besonderheit in Schleswig-Holstein eingehen, die wir nur mit der integrierten Versorgung verbinden können, die wir aber auch mit weiteren Schritten gemeinsam angehen müssen. Ich denke, das muss das Interesse des gesamten Hauses sein. Schleswig-Holstein ist immer schon das Bundesland mit den niedrigsten Kostensätzen in den Krankenhäusern gewesen. Dies gilt schon seit Jahren. Wir waren sozusagen Schrittmacher beim Einsparen und hinsichtlich der Effizienz. Durch die DIG muss sich jedes Krankenhaus innerhalb dieser niedrigen Kosten noch einmal auf eine neue Sparrunde einstellen.

(Wortmeldung der Abgeordneten Veronika Kolb [FDP])

- Frau Kolb, ich lasse jetzt keine Zwischenfrage zu.

(Veronika Kolb [FDP]: Das kann ich gut verstehen!)

Ich habe nur noch eine Minute Redezeit. - Wenn wir es - was das ursprüngliche Ziel war - geschafft hätten, dass alle Bundesländer ihre DIG, ihre Konten, ihre Preise für die Gesundheitsleistungen an einen bundesdurchschnittlichen Wert orientierten, dann könnten sich die schleswig-holsteinischen Krankenhäuser und Ärzte gelassen zurücklehnen. Denn dann wären wir jetzt schon in einer Art und Weise Schrittmacher, dass wir vielleicht sogar noch etwas Geld aus der Verteilmasse der Krankenkassen hinzugewinnen könnten. Dies ist aber leider bisher nicht gelungen. Und so stehen wir einem landesweiten Wettbewerb der low costs, der auch mir Sorgen macht. Aber deswegen zu sagen: Wir probieren nicht die integrierte Versorgung, wäre genau der falsche Weg. Denn richtig ist: Nur, indem vernetzt zusammengearbeitet wird, lassen sich Qualitätssteigerung und Effizienzsteigerung miteinander verbinden.

Ich denke, die Frau Kollegin Schümann hat Recht. Wir brauchen dazu noch mehr Detaildiskussion im Ausschuss. Auch ich hätte zu einzelnen genannten Punkten noch Fragen beziehungsweise wollte gern solche, die vor der Tür stehen und es noch nicht geschafft haben, fragen, wie man ihnen helfen kann. Das ist eine Einzeldiskussion, die es sich lohnt unter Abgeordneten mit der Ministerin zu führen, es ist aber nicht der Vorwurf eines Versäumnisses oder der Ruf nach dem großen Bruder, der den Karren aus dem Dreck ziehen soll. Erstens. Es gibt keinen Dreck.

(Angelika Birk)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst

Zweitens. Die einzelnen Wägelchen laufen schon ganz gut.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf heute voraussichtlich als letzte Rednerin reden. Zunächst einmal möchte ich mich bei Ihnen für den Bericht bedanken. Ich selber habe natürlich auch eine Recherche hierzu gemacht. Es war spannend, was man auf der entsprechenden Seite zur integrierten Versorgung in Schleswig-Holstein fand. In diesem Zusammenhang darf ich auch einen Dank an unseren Datenschutzbeauftragten aussprechen. Er erschien als Erster auf dieser Seite, weil er vor einigen Tagen einen Vortrag darüber gehalten hat, wie der Datenschutz bei der integrierten Versorgung gewährleistet werden kann. Das hat mich sehr überrascht, ich fand es aber sehr schön.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung hat die integrierte Versorgung im Gesundheitswesen einen neuen Schub erhalten. Denn die integrierte Versorgung kann die Akteure dazu bewegen, die gewohnten Bahnen zu verlassen und neue Wege zu beschreiten, mit denen die Versorgung der Patienten verbessert wird, ohne die Kosten zu erhöhen.

In Flensburg gibt es ein Beispiel dafür, wie man mit der integrierten Versorgung beginnen kann. Dort haben Anfang Mai die AOK Schleswig-Holstein, die Diakonissenanstalt und das Malteserkrankenhaus einen Vertrag mit 170 ambulant tätigen Ärzten und Psychotherapeuten geschlossen, die nunmehr im „Praxisnetz Flensburg“ arbeiten. Dies ist eine integrierte Versorgungsform, fällt aber, soweit mit bekannt ist, nicht unter § 140 SGB.

Aber interessant ist - das hatten Sie als Beispiel soeben genannt -, dass die Ersatzkassen in SchleswigHolstein im Juni 2004 durch die Unterzeichnung

eines Vertrages mit einer Fachklinik zur integrierten Versorgung über das gesamte Leistungsspektrum ein bundesweites Zeichen für zukunftsweisende Behandlungsstrukturen gesetzt haben. Denn hier wurden erstmalig sämtliche medizinischen Schritte von der Diagnose bis zum Abschluss der Therapie in einer Fachklinik aus einer Hand geplant. Meine Vorredner sind zum Teil auf dieses Projekt in Manhagen weiter eingegangen. Man rechnet damit, dass bei diesem Projekt viel für die Krankenkassen erspart werden kann, sodass wir alle etwas davon haben. Das will ich auch gleich dazu sagen. Man gibt zwar zunächst Geld hinein, aber alle, die dort einzahlen, die Beiträge zahlen, profitieren hinterher davon, indem nämlich die Krankenhasse nicht mehr so hohe Aufwendungen hat.

(Beifall bei SSW und SPD)

Insbesondere wird aber, was ich für viel wichtiger halte, die Versorgungs- und Servicequalität für die Patienten eindeutig verbessert. Das ist, denke ich, für uns alle ein Vorteil. Wir wissen, wie schrecklich es ist, wenn man im Krankenhaus liegt, nach Hause kommt und dann drei- oder viermal dieselbe Untersuchung über sich ergehen lassen muss.

Man kann also mit Recht sagen, dass die integrierte Versorgung das zukünftige Markenzeichen einer modernen Gesundheitspolitik in Schleswig-Holstein werden muss.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Aus Sicht des SSW muss so weitergearbeitet werden. Wir wissen, wie schwierig das bei einer solchen Versorgung ist. Wir sind aber wohl auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe die Beratung. Der beantragte Bericht ist gegeben und diskutiert worden, sodass damit der Tagesordnungspunkt erledigt ist. Gibt es andere Meinungen dazu? - Das ist nicht der Fall.

Ich schließe die heutige Sitzung und wünsche Ihnen allen einen schönen Abend.

Schluss: 18:10 Uhr