Protocol of the Session on December 15, 2004

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Meine Damen und Herren, ich eröffne die 48. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig. Erkrankt sind die Abgeordneten Frau Kleiner, Herr Neugebauer und Herr Nielsen. - Allen drei wünsche ich von dieser Stelle aus gute Genesung.

(Beifall)

Die Fraktionen sowie die Abgeordneten des SSW haben einen Antrag mit dem Thema „Beauftragter für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen“ eingereicht. Der Antrag liegt Ihnen mit der Drucksache 15/3868 vor. Ich schlage Ihnen vor, dieses Thema als Tagesordnungspunkt 41 a in die Tagesordnung einzureihen. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Ich werde diesen Antrag den Punkten ohne Aussprache hinzufügen und zu einem späteren Zeitpunkt aufrufen. - Widerspruch höre ich nicht, dann werden wir so verfahren.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Redezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 3, 4, 9, 13, 15, 18, 20 bis 22, 24, 25, 32, 34, 39, 49, 51 bis 63, 65 sowie 68 und 69 ist eine Aussprache nicht geplant. Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte 6 und 7, Gesetz zur Verbesserung der kommunalen Verwaltungsstruktur und Gesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften, weiter die Punkte 11 und 19, Gesetz zum Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und Änderung des Landes Rundfunkgesetzes, sowie die Punkte 21 und 25, Änderung des Hafenanlagensicherheitsgesetzes. Auch die Punkte 30 und 64, Änderung des öffentlich rechtlichen Vertrages mit dem Sparkassen- und Giroverband und Zukunft der Provinzial Nord Versicherungsgruppe mit Sitz in Kiel, sowie die Punkte 37 und 40, Bildungsqualität im gegliederten Schulwesen verbessern und PISA II, sollen gemeinsam aufgerufen werden.

Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Punkte 10 und 66. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, den Aufruf der Tagesordnungspunkte 29 und 50 zu tauschen, auch der Aufruf der Punkte 27 und 33 soll getauscht werden.

Anträge zur Aktuellen Stunde und Fragen zur Fragestunde liegen nicht vor. Wann die einzelnen Tagesordnungspunkte voraussichtlich aufgerufen werden,

ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen in der 48. Tagung.

Wir werden unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause jeweils längstens bis 18 Uhr tagen. - Auch hier höre ich keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Ich möchte jetzt gern die Gäste auf der Tribüne begrüßen. Ich begrüße Mitglieder der Reservelazarettgruppe Ausbildung 6101, Kellinghusen, sowie Studierende der Fachschaft Wirtschaft/Politik der Universität Flensburg. - Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

(Beifall)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 und 40 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Bildungsqualität im gegliederten Schulwesen verbessern

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/3849

b) PISA II

Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/3857

Das Wort zur Begründung wird offensichtlich nicht gewünscht. Ich möchte darauf hinweisen, dass mit dem Antrag unter b) ein mündlicher Bericht für diese Tagung erbeten wird. Ich lasse deshalb zunächst über den Berichtsantrag abstimmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltung? - Dann haben wir so beschlossen.

Wir hören den Bericht der Landesregierung. Ich erteile der Frau Kultusministerin das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer erwartet hatte, dass die deutsche PISA-Debatte Nummer 2 ein bisschen sachlicher, ein bisschen unaufgeregter und vielleicht ein Stück optimistischer ausfallen wird, der sah sich spätestens nach den Vorveröffentlichungen getäuscht. Die Liste der Schlagzeilen reichte in den Zeitungen von „Aufgerückt bis Mittelmaß“ bis zur „Bild“-Zeitung, die getitelt hat: „PISASchock - warum sind Asiaten so viel schlauer als wir?“. Dies liest sich wie ein einziges Katastrophenszenario und manchmal so, wie andere europäischen Länder die Deutschen sehen, nämlich mit der deut

Schleswig-Holsteinischer Landtag (15. WP) - 130. Sitzung - Mittwoch, 15. Dezember 2004 10073

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

schen Krankheit behaftet, alles negativ zu sehen und fast eine depressive Grundstimmung zu haben.

Eine erste Analyse der PISA-Ergebnisse gibt diese gänzlich negative Einordnung nicht her. Die Ergebnisse sind komplex und sie sind ambivalent. Es gibt Licht und Schatten, es gibt positive Entwicklungen und es gibt alarmierende Befunde.

Zu den positiven Entwicklungen zählen die deutlich besseren Ergebnisse in den mathematischen Kompetenzen und die ebenfalls besseren in den naturwissenschaftlichen Aufgaben. Leider kann man das bei der Lesekompetenz nicht sagen. Besonders hier wird übrigens deutlich, dass eineinhalb Jahre Zeit zwischen dem Ergebnis der ersten Studie und der Erhebung zur zweiten Studie nicht ausreichen, um messbare Verbesserungen zu erreichen.

Zum ersten Mal wurden übrigens unsere Schüler auf ihre allgemeine Problemlösefähigkeit hin überprüft. Und, siehe da, sie schnitten weit überdurchschnittlich besser ab, als in den mathematischen Leistungen. Die Bildungsforscher nennen das ungenutztes Potential. Das gilt insbesondere für Mädchen, die im Problemlösen wesentlich besser sind, als ihre mathematischen Leistungen dies vermuten lassen. Gerade daraus müssen wir übrigens für den Unterricht und die Motivation deutliche Schlüsse ziehen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

PISA beschreibt aber nicht nur Kompetenzen, sondern auch Lernbedingungen, Klassengröße und Stundenzahl, Umfang von Hausaufgaben, Wiederholungen, Lehrergehälter und so weiter, also alles, was an formalen und materiellen Voraussetzungen am Zustandekommen dieser Kompetenzen beteiligt ist.

Die Studie beschreibt weiter die Verteilung der Leistungen auf Kompetenzstufen, also die Leistungsstreuung. Wir haben in Deutschland nach wie vor im internationalen Vergleich eine relativ kleine Spitzengruppe, aber viele Schülerinnen und Schüler, die zur so genannten Risikogruppe gehören. Die Differenz zwischen den Starken und den Schwachen ist noch größer geworden. Verbessert haben sich bei PISA vor allem die leistungsstärkeren Schulen und die sind natürlich auch verantwortlich für den besseren Gesamtdurchschnitt.

PISA untersucht darüber hinaus die sozialen Hintergründe von Bildung. Da steht Deutschland nach wie vor nicht gut da, um es einmal vorsichtig zu formulieren. In keinem anderen Land sind nach wie vor der Bildungserfolg und die Bildungsbeteiligung so stark von den sozialen Situationen, vom Bildungshinter

grund der Eltern abhängig. Das ist das eigentliche deutsche Armutszeugnis, meine Damen und Herren. Das ist es nicht nur in einem humanen, sozialen Sinne, sondern auch im ökonomischen Sinne. Mir macht der Befund Sorgen, mir macht das wirklich Sorge. Deshalb lasse ich es nicht zu, dass Sie nur mit Ideologie und Polemik gegen solche Sorgen angehen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Widerspruch bei CDU und FDP)

- Lieber Herr de Jager, dass Sie dabei so hochgehen, zeigt Ihr schlechtes Gewissen. Mit dieser Problematik setzen Sie sich nämlich überhaupt nicht auseinander.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Beschreibung unseres Schulsystems im internationalen Kontext

(Zurufe von der CDU)

- nun einmal ruhig! - ist komplex. Eines ist klar:

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ihr Versagen! Ihr seid schuld!)

Die PISA-Studie - ich zitiere jetzt Herrn Prenzel - sei nicht so angelegt - -

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer regiert denn hier seit 17 Jahren? Wir doch nicht! - Lothar Hay [SPD]: Guck dir doch Bayern an! Da ist es noch viel schlimmer! - Lachen bei der CDU)

- Dürfte ich meine knappe Redezeit weiter nutzen, meine Damen und Herren?

Die PISA-Studie - das sagt Herr Prenzel und das ist wichtig in diesem Kontext - sei nicht so angelegt, dass direkte Ursachen für Leistungsunterschiede überhaupt erforscht worden seien. Also, sie enthält keine monokausalen Ursachen- und Wirkungszusammenhänge; das habe ich übrigens auch nie behauptet. Sie ist ein Befund und keine Therapie. Und sie darf auch nicht auf Einzelaussagen nach dem Motto „Sie ist ein Beleg für die erfolgreiche deutsche Tradition des dreigliedrigen Schulsystems“ zurechtgebürstet werden.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Und umgekehrt! - Zuruf des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

- Darf ich bitte zu Ende reden? Herr Stritzl, bitte bringen Sie ein bisschen Geduld auf.

(Thomas Stritzl [CDU]: Gern!)

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Sie ist auch kein eindeutiger Beweis für die Überlegenheit integrativer Systeme. Solche Systeme gibt es allerdings mehrheitlich bei den Siegerländern, aber sie gibt es auch am unteren Ende der Leistungsskala, meine Damen und Herren. Das ist doch eine Grundlage, auf der wir in Zukunft sachlich und unideologisch über die Auswirkungen von Schulsystemen reden können.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Ergebnisse sind komplex. Die Frage und Herausforderung besteht darin, wie wir verantwortlich, sachlich und differenziert mit ihnen umgehen. All die Initiativen, die zur Qualitätssicherung von Schule und Unterricht auf den Weg gebracht worden sind - von den Standards über Vergleichsarbeiten, mehr Verlässlichkeit, mehr Eigenverantwortung bis hin zu individuellem Fordern und Fördern -, müssen konsequent und bundesweit fortgeführt werden.

Genauso konsequent und früh müssen wir beginnen - da haben alle Recht, die dies sagen; auch Sie, Herr Dr. Klug - mit der vorschulischen Bildung - mit der Sprachförderung vor allen Dingen -, mit dem Aufbau von Ganztagsschulen, mit der Stärkung der Grundschule müssen wir unbedingt konsequent weiterkommen. Das ist ein Kurs, der Gott sei Dank von allen mitgetragen wird.

Aber wir hatten in den letzten Jahren allen Anlass, meine Damen und Herren, uns die Schulsysteme der Länder anzuschauen, die besser sind als wir und denen es besser gelingt, überdurchschnittliche Leistungen und zugleich mehr soziale Gerechtigkeit zu erreichen.