Schönen guten Morgen allerseits! Wir treten wieder in die Tagesordnung ein. Auf der Tribüne darf ich Besucher der Klaus-Groth-Realschule in Kiel, des CDUOrtsverbandes Altenholz und der Jugendweihegruppe Bad Bramstedt begrüßen. Herzlich willkommen!
Antrag der Fraktion von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, F.D.P. und der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/567 (neu)
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der SPD der Frau Abgeordneten Birgit Herdejürgen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits im achten Jugendbericht, vorgelegt im Jahr 1990, wurde auf die Notwendigkeit einer verstärkten Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe hingewiesen. Auch der aktuelle Bericht, inzwischen der zehnte, räumt diesem Bereich einen hohen Stellenwert ein. Die fachliche Bewertung dieses Themenkomplexes greift dabei aktuelle Entwicklungen der Praxis auf. Zahlreiche Projekte, in denen schulische Angebote mit denen der Jugendhilfe zusammengeführt werden, machen deutlich, dass die Betroffenen eine Verknüpfung der beiden bislang getrennten Systeme für dringend erforderlich halten.
Veränderte Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen, veränderte Sozialisierungsprozesse und Problemlagen erfordern auch eine Anpassung der institutionellen Rahmenbedingungen. Schule ist unter den
heutigen Rahmenbedingungen nicht in der Lage, mit dem Fachpersonal allein den Auftrag von Bildung und Erziehung zu erfüllen. Lehrerinnen und Lehrer sind zunehmend konfrontiert mit aggressivem Verhalten von Kindern, Aufmerksamkeitsstörungen, sozialen Problemen, Angst und zurückgezogenem Verhalten Problemfelder, auf die sie nur unzulänglich vorbereitet sind. Auf der anderen Seite sind es aber gerade die Lehrerinnen und Lehrer, die durch ihre täglichen Begegnungen mit den Kindern und Jugendlichen in der Lage sind, Auffälligkeiten wahrzunehmen und eine aktive Rolle in der Prävention zu übernehmen.
Die Maßnahmen der Jugendhilfe als die andere Seite der Medaille sollen das gesamte Umfeld der Jugendlichen - so sagt das KJHG - in ihre Handlungskonzepte einbeziehen. Die Schule ist eine der wichtigsten Lebensräume und darf nicht ausgeklammert werden, wie dies zum Beispiel in der Jugendhilfeplanung immer noch passiert; da kommt Schule in der Regel nicht vor. Eine Zusammenarbeit ist umso wichtiger, da durch den Wandel der Familie außerfamiliäre Erziehungs- und Bildungsprozesse einen entscheidenden Bedeutungszuwachs erlangt haben, der ein Umdenken in den beteiligten Institutionen erfordert.
Schulische Angebote und Angebote der Jugendhilfe können und sollen einander nicht ersetzen, aber sie sollen sich sinnvoll ergänzen. Letztlich profitieren beide Systeme von einer Vernetzung
die Schule durch die Bereitstellung sozialpädagogischer Kompetenz, die Jugendhilfe durch die Einbeziehung des Lebensraumes Schule als Handlungsfeld.
Die rechtlichen Grundlagen sehen eine Kooperation von Schule und Jugendhilfe zwar vor, sind dabei aber wenig konkret und verbindlich. Schule und Jugendhilfe sind - abgesehen von beispielhaften Modellprojekten in der Praxis immer noch zwei voneinander getrennte Bereiche, die sich zwar mit der gleichen Zielgruppe beschäftigen, sich aber in der Annäherung sehr schwerfällig zeigen.
Unterschiedliche organisatorische Strukturen, ministerielle und finanzielle Anbindungen und unterschiedliche pädagogische Konzepte erschweren eine Zusammenarbeit. Dennoch stimmen beide Bereiche in ihren grundlegenden Zielsetzungen überein, nämlich Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeit zu stärken, sie zu eigenverantwortlichem Handeln zu bewegen und ihnen die Kompetenzen zu vermitteln, die ein Leben in der Gemeinschaft ermöglichen - wichtige Aspekte
Weder das System Schule noch die Jugendhilfe kann dies für sich allein leisten. Daher ist es dringend erforderlich, die oben beschriebenen Kooperationshemmnisse zu überwinden und bessere Rahmenbedingungen für eine Zusammenarbeit zu schaffen. Dass Kooperation machbar und von den Beteiligten gewünscht ist, zeigen die Beispiele schleswig-holsteinischer Projekte. Sowohl inhaltlich als auch organisatorisch sehr unterschiedlich strukturiert haben sich hier Kooperationen entwickelt, die stark an den regionalen Bedürfnissen orientiert sind. Ein verbindliches Konzept zur Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe muss die Verschiedenartigkeit dieser Projekte zulassen und unterstützen. Nur so sind bedarfsgerechte Angebote sicherzustellen.
Kooperationspartner schleswig-holsteinischer Projekte sind neben den Schulen und Jugendämtern Vereine, Verbände, Jugendzentren, aber auch die Polizei, das Arbeitsamt oder die Kreishandwerkerschaft. Die Maßnahmen reichen von der Hausaufgabenhilfe über sportliche oder musikalische Nachmittagsangebote bis hin zu gewalt- oder suchtpräventiven Vorhaben. Es gibt Angebote im Freizeitbereich, aber auch unterrichtsbegleitende sozialpädagogische Unterstützung. Sie sehen: ein breites Feld!
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei denen bedanken, die sich sehr häufig unter hohem Zeitaufwand zumeist ehrenamtlich in den Projekten engagieren.
Die Beteiligten haben vor Ort bewiesen, dass es sinnvoll ist, institutionelle Schranken einmal zu vergessen und bei der Gestaltung der Zusammenarbeit jede Menge Fantasie und Biss an den Tag zu legen. Das ist sicherlich nicht selbstverständlich. Entsprechende Angebote sind in Schleswig-Holstein aber immer noch Einzelfälle, mit starker Konzentration auf die größeren Städte, aber auch im ländlichen Raum gibt es beispielhafte Projekte, beispielsweise in Schafflund - um nur eines zu nennen -, die sehr erfolgreich arbeiten. Von einem flächendeckenden Angebot kann aber keinesfalls die Rede sein. Kooperationen sind stark abhängig vom Engagement Einzelner. Damit unterliegt es einem gewissen Zufall, ob ein Kind eine Förderung erhält
Die SPD-Fraktion hat sich innerhalb einer arbeitskreisübergreifenden Arbeitsgruppe mit diesem Themenkomplex beschäftigt. Gespräche mit den Projektträgern und mit den kommunalen Spitzenverbänden haben uns gezeigt, dass der Bedarf für eine verstärkte Vernetzung von Schule und Jugendhilfemaßnahmen von beiden Seiten gesehen wird. Wichtig ist es, schnell zu konkreten Handlungsansätzen zu kommen und sich nicht länger in fachtheoretischen Diskussionen zu ergehen.
Die Gespräche haben auch deutlich gemacht, welche Probleme sich zurzeit bei der Durchführung kooperativer Maßnahmen ergeben. Eine langfristige finanzielle Absicherung der Maßnahmen ist in der Regel nicht gegeben. Die Suche nach qualifiziertem Personal wird dadurch erschwert, die Kontinuität in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen kann über einen längeren Zeitraum nicht gewährleistet werden. Problematisch ist dies unter anderem, da innerhalb der Projekte mangels fachlicher Vorgaben Handlungskonzepte häufig erst erarbeitet werden müssen. Um diese Konzepte bewerten zu können, ist eine längerfristige Geltung der Maßnahmen unumgänglich.
Ein Großteil der schleswig-holsteinischen Projekte wird zumindest teilweise - ich habe es angesprochen ehrenamtlich begleitet. Der bisherige verwaltungstechnische Aufwand von der Organisation über die Finanzierung bis zur Durchführung der Maßnahmen ist von ehrenamtlicher Seite kaum zu leisten. Die Ausrichtung der Hilfen zur Erziehung entsprechend KJHG erschwert die Finanzierung einzelfallunabhängiger Maßnahmen im Sinne offener präventiver Jugendarbeit.
Um einen verlässlichen Rahmen regionaler Aktivitäten in Bereichen der Kooperation zu schaffen, wird die Landesregierung aufgefordert, in interministerieller Zusammenarbeit ein inhaltliches und finanzielles Konzept zur besseren Vernetzung von Schule und Jugendhilfe zu erarbeiten.
Die zu berücksichtigenden Punkte sind in unserem Antrag aufgeführt. Ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren,
In diesem Zusammenhang noch einige Erläuterungen zu einem Prüfauftrag. Verschiedene Projekte setzen Lehrer zur Betreuung von Schülerinnen und Schülern in besonderen Problemlagen ein. Dies kann sinnvoll und bewusst so gewollt sein, um den Bildungsauftrag zum Beispiel innerhalb einer vom regulären Unterricht getrennten Lernwerkstatt zu gewährleisten oder um auch den Lehrern sozialpädagogische Kompetenz zu vermitteln. Möglicherweise ist dies aber auch eine aus der Not geborene Konstruktion. Wir möchten mit unserem Prüfauftrag Informationen darüber erhalten, inwieweit es sinnvoll ist, teure Lehrerstunden in diesen Fällen möglicherweise durch sozialpädagogische Kräfte zu ersetzen.