Protocol of the Session on March 22, 2001

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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen allen einen schönen guten Morgen und bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen, damit wir in die Beratungen eintreten können. Ich darf zunächst auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Realschule Tarp begrüßen. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Außerdem begrüße ich Damen und Herren der Gemeindevertretung Kuddewörde mit unserem früheren Landtagskollegen Dr. Jürgen Hinz. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich darf weiter mitteilen, dass nach Angaben der Fraktionen Frau Abgeordnete Dr. Christel Aschmoneit-Lücke beurlaubt ist, ebenso der Herr Abgeordnete Günter Neugebauer.

(Zurufe von CDU und F.D.P.: Oh, oh!)

- Bedauern des gesamten Hauses.

(Heiterkeit)

Erkrankt sind der Herr Abgeordnete Thomas Rother von der SPD-Fraktion und der Herr Abgeordnete Berndt Steincke von der CDU-Fraktion.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2, 28 und 30 sowie dazu den Antrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/841, auf:

Gemeinsame Beratung

a) Regierungserklärung zur Situation nach BSE Bericht über Kontrollstatus und Lösungen

b) Lebensmittelund Futtermittelkontrollen in Schleswig-Holstein

Landtagsbeschluss vom 24. Januar 2001 Drucksache 15/646

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/832

c) Vorsorgemaßnahmen zur Verhinderung weiterer BSE-Erkrankungen und zur Erforschung der Verbreitungswege von TSE-Erkrankungen

Landtagsbeschluss vom 22. Februar 2001 Drucksache 15/720

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/830

(Vizepräsident Thomas Stritzl)

d) Neugliederung des Verbraucherschutzes

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/841

Ich erteile jetzt zur Regierungserklärung der Frau Ministerpräsidentin Simonis das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter Kollegen und Nachbarn, im Familienund Freundeskreis drehen sich in diesen Wochen viele Gespräche um die Rinderkrankheit BSE, um die Gefahren einer Übertragung auf den Menschen, um verseuchte Lebensmittel und Möglichkeiten, eine weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Nach BSE gibt es jetzt auch noch die Maul- und Klauenseuche. Nach gegenwärtigem Wissensstand ist sie für Menschen nicht gefährlich; für die Landwirte jedoch, deren Viehbestände betroffen sind, ist sie eine schlimme Bedrohung. Noch hat sich Gott sei Dank kein Verdachtsfall in Deutschland bestätigt, doch die Gefahr einer weiteren Ausbreitung ist unverändert hoch.

Die Probleme, die mit der BSE-Krise und dem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche offenkundig geworden sind, werden uns wohl noch sehr lange beschäftigen. Immer wieder wurden wir in der Vergangenheit von Lebensmittelskandalen aufgeschreckt und sind viel zu früh und manchmal wohl auch zu leichtfertig wieder zur Tagesordnung übergegangen. Das sollte uns dieses Mal nicht wieder passieren. Die Frage muss lauten: Wie bewältigen wir die Krise? Auf diese Frage wollen die Menschen von uns eine glaubwürdige Antwort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir über Korrekturen in der Landwirtschaft und in der Ernährungswirtschaft sowie in der Agrarpolitik nachdenken, möchte ich dies nicht nur auf die Fleischproduktion und deren Vermarktung beschränkt wissen. Unsere gemeinsame Perspektive sollte es sein, die Lebensmittelproduktion als Ganzes sicherer zu machen, den Umwelt- und Tierschutz stärker zu beachten und den Gedanken einer gesunden Ernährung in den Vordergrund zu stellen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Der Umgang mit BSE in den vergangenen 15 Jahren ist ein trauriges Beispiel dafür, wie dringend notwendig und längst überfällig die viel beschworene Argrawende ist.

1986 nahm die Öffentlichkeit in Großbritannien und in Europa zum ersten Mal die Meldungen über die so genannte Mad Cows Disease zur Kenntnis. Britische Forscher gaben ihr den Namen Bovine Spongiforme

Enzephalopathie, BSE. 2000, 14 Jahre später, erlässt die Europäische Kommission ein zunächst auf sechs Monate beschränktes totales Verfütterungsverbot für Tiermehl, um so den wahrscheinlichsten Infektionsweg der Krankheit auszuschließen.

Zwischen diesen beiden Daten liegt eine ganze Kette von Irrtümern, Manipulationen, gut gemeinten Absichten und mangelnden Kontrollen. Der Schutz von Mensch und Tier vor BSE muss stets gegen den Widerstand von nationalen Regierungen und Lobbyisten durchgesetzt werden. Fahrlässig und zum Teil mit krimineller Energie wurden Bestimmungen ignoriert oder umgangen. Dabei ist nur an den Einsatz verbotener Hormone in der Kälbermast oder Antibiotika im Tierfutter zu denken. Schon die Sprache ist hier verräterisch: Man spricht von „Leistungsförderern“ und meint Antibiotika, die für den Menschen zum Teil schon gar nicht mehr zugelassen sind. Immer wieder blockierten Mitgliedstaaten Maßnahmen der EU, die die Verbreitung der Krankheit eindämmen und BSE bekämpfen sollten. Auch die deutschen Regierungen machten in diesem Spiel leider keine Ausnahme.

Es ist sicherlich kein Trost, aber diese Haltung ist keine spezifisch deutsche Angelegenheit. War es nicht ein Deutscher, so stand ein Brite, Franzose oder Portugiese auf der Bremse. Die Geschichte von BSE ist wahrlich kein Ruhmesblatt für die gemeinsame europäische Argragpolitik.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Erst zum 1. Oktober 2000 wurde das Risikomaterial aus der Lebensmittelproduktion verbannt. Das war mindestens drei Jahre zu spät. Zu lange hatten sich Politiker darauf verlassen, ihr Land sei frei von der Krankheit. So verzichtete Deutschland lange auf BSEMassentests für Rinder. Auch das entspricht der Haltung: Was nicht sein kann, das nicht sein darf!

Diese kurzsichtige Politik ist spätestens seit dem 24. November 2000 vorbei. Sie ist endgültig gescheitert, als die erste in Deutschland geborene, mit BSE infizierte Kuh in Schleswig-Holstein nach einem freiwilligen Test bekannt wurde. Seitdem hat sich die Situation vor allem für unsere Landwirte dramatisch verändert. Der Rindfleischmarkt ist Ende vergangenen Jahres eingebrochen und erholt sich nur sehr langsam. In der Fleisch und Milch verarbeitenden Industrie arbeiten in Schleswig-Holstein ungefähr 5.300 Menschen, die einen Umsatz von 3,5 Milliarden DM erwirtschaften. Schlachthöfe und verarbeitende Betriebe haben als Konsequenz aus der BSE-Krise Kurzarbeit angemeldet. Rund 1.300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind davon betroffen und ein Ende ist nicht abzusehen.

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Die Verbraucherinnen und Verbraucher reagieren äußert sensibel auf jede neue Meldung. Unsicherheit und Misstrauen gegenüber der Kennzeichnung von Lebensmitteln sitzen tief und jeder Fall, der in der Zeitung genannt wird, macht dieses Misstrauen noch tiefer. Wer kann denn noch verstehen, warum eine Wildschweinbrust nur zu 5 % aus Wildschwein bestehen muss und weswegen es erlaubt ist, Kalbsleberwurst ganz ohne Kalbfleisch herzustellen oder zu verkaufen? Hier wurden in Brüssel eindeutig die falschen Signale gesetzt. Es wurde zu wenig Gewicht auf den Verbraucherschutz gelegt und zu wenig Transparenz gewährt. Massenproduktion kam vor Qualität.

Wir werden versuchen, über die Bundesregierung unseren ganzen Einfluss geltend zu machen, um diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Wir wollen in Schleswig-Holstein aber nicht darauf warten, bis andere ihre Entscheidung treffen. Was wir auf unserer Ebene anstoßen und umsetzen können, das tun wir jetzt.

Erstens. Wir haben die Bürgerinnen und Bürger nach dem 24. November in einem beispiellosen Kraftakt informiert. Rund um die Uhr standen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit, die zum Teil gar nicht das Fachwissen hatten und sich dieses in Schnellkursen angeeignet haben, um somit zumindest die dringendsten Fragen der Menschen beantworten zu konnten. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bei der Polizei und anderen Fachkräften bedanken, die sich dafür zur Verfügung gestellt haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Zweitens. In den kommenden vier Jahren stellen wir zur Finanzierung der BSE-Folgekosten rund 30 Millionen DM in den Haushalt ein. Darüber hinaus werden wir uns weiter dafür stark machen, dass sich die Bundesregierung stärker als bisher geplant an den Kosten beteiligt.

Drittens. Am 2. Februar hatte ich alle betroffenen Gruppen zu einem runden Tisch zum Thema BSE nach Kiel eingeladen. Ich will auch weiterhin externen Sachverstand einbinden und die Erkenntnisse und Kompetenzen, die wir in Schleswig-Holstein haben, nutzen.

Viertens. Die Landesregierung hat unverzüglich dafür gesorgt, dass die Kapazitäten für BSE-Tests in staatlichen und privaten Labors erheblich erweitert wurden.

Fünftens. Das Arbeits- und Gesundheitsministerium berät und kontrolliert seit Dezember regelmäßig Schlachthöfe, Fleischereien und Tierkörperbeseitigungsanstalten, um den Gesundheitsschutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewährleisten.

Nach dem Krisenmanagement der ersten Wochen haben wir in Schleswig-Holstein einen Prozess in Gang gesetzt, bei dem es um deutliche Kurskorrekturen in der Landwirtschaft und in der Agrarpolitik geht. BSE war dabei der Auslöser. Jetzt geht es darum, wie bei uns in Deutschland und in Europa in Zukunft Lebensmittel produziert werden sollen. Für viele Menschen ist die aktuelle Krise ein heilsamer Schock. Ohne sie wäre die aktuelle Diskussion um die Zukunft der Landwirtschaft und eine gesunde Ernährung gar nicht erst auf die Tagesordnung der Politik gekommen. Ich bezweifele, ob Sie vor zwei oder drei Jahren ein Interesse daran gehabt hätten, wenn ich Ihnen die gleiche Regierungserklärung gegeben hätte wie heute.

(Holger Astrup [SPD]: Wohl war!)

Dennoch hatten wir in den vergangenen Jahrzehnten Hinweise genug, doch die wurden immer wieder ignoriert. BSE führt uns jetzt drastisch vor Augen, dass es ein schlichtes „Weiter so!“ nicht mehr geben darf. Vielleicht werden jetzt auch Verbandsvertreter Forderungen nach mehr Sicherheit für die Verbraucher nicht mehr als Panikmache abtun. So hat mir der Präsident des Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, noch am 24. November vergangenen Jahres - das war der Tag, an dem bei uns der erste Fall bekannt wurde - geschrieben, ich solle die „großen Anstrengungen der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft im Sinne eines vorbeugenden Verbraucher- und Gesundheitsschutzes nicht durch überzogene Reaktionen gefährden“.

Ich hatte nur darauf hingewiesen, dass Tiermehl nicht mehr in Tierfutter verfüttert werden sollte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn wir Ihnen heute einen Bericht zur Bekämpfung der BSE-Krise und zu Perspektiven für die Landwirtschaft vorlegen, setzen wir ganz bewusst ein Zeichen für Transparenz im Umgang mit der Öffentlichkeit, dem Parlament, den Medien und den Bürgerinnen und Bürgern. Zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme gehört es aber auch, eigene Fehler und Versäumnisse zuzugeben, nachzudenken und die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Seit Januar haben unter der Leitung der Staatskanzlei zwei ressortübergreifende Arbeitsgruppen getagt. Sie haben den Ist-Zustand der Verwaltung und der Kontrollen im Agrarbereich beschrieben. Darüber hinaus entwickeln wir jetzt einen Weg für die schleswigholsteinische Landwirtschaft und Ernährungsindustrie nach BSE. Es liegen Ihnen die Berichte der Landesregierung zu den Lebensmittel- und Futterkontrollen und zu den Vorsorgemaßnahmen zur Verminderung weite