Protokoll der Sitzung vom 08.10.2008

„Schulleiter verwalten Mangel. In Englisch, Mathe und Biologie werden Stunden gestrichen.“

„Riesige Lücken im Stundenplan“, stand in der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung“.

Heute erschien wieder etwas in der „LN“ aus einer anderen Region des Erscheinungsbereichs. Hier kann man eine ganz lange Liste erstellen, übrigens auch bezüglich anderer Schularten. Es ist ja keines

(Detlef Buder)

wegs so, Frau Erdsiek-Rave, dass die Einzelbeispiele, die besonders plastisch sind, sich nicht auf die Gesamtsituation im Land übertragen lassen. Mithilfe des Kollegen Heiner Garg, der über einen mit einem Taschenrechner ausgestatteten I-Pod verfügt

(Zurufe)

- das ist alles Technik, nach der Geschäftsordnung alles zulässig -, habe ich die Schüler-Lehrer-Relation ausgerechnet. Sie haben ja gesagt, dass es seit fünf Jahren besser wird. An den Gymnasien in Schleswig-Holstein hat es vor fünf Jahren 70.200 Schüler zu 4.318 Lehrerstellen gegeben. Das ist eine Schüler-Lehrer-Relation von etwas mehr als 1:16. Im letzten Jahr betrug die Schüler-Lehrer-Relation mehr als 1:18. Das heißt, die Ausstattung verbessert sich nicht, sondern sie verschlechtert sich von Jahr zu Jahr. Das drückt sich in solchen Einzelberichten aus den Schulen vor Ort aus, die Sie praktisch täglich im Pressespiegel nachlesen können. Dass die Schulen im Vergleich zu den Mehranforderungen durch die steigende Schülerzahl und durch G8 nicht besser ausgestattet werden - jedenfalls in diesem Schuljahr bisher nicht -, kann man hervorragend im Einzelfall durch präzise Berechnungen nachweisen, wenn man auch noch einbezieht, dass beispielsweise der Wegfall der Vorgriffsstunde die Gymnasien praktisch 85 Lehrerstellen kostet, weil im entsprechenden Umfang Unterrichtskapazität wegfällt, und dass in einem erheblichen Umfang in diesem Schuljahr an Gesamtschulen wie auch an Berufsschulen durch den Wegfall der Vorgriffsstunde Unterrichtskapazität wegfällt. Deshalb werden Sie, Frau Erdsiek-Rave, mit der heilen Welt, mit dem Ut(e)opia, das Sie beschreiben, bei den Betroffenen auf wenig Verständnis in den verbleibenden Monaten - man weiß ja nicht genau, wie viele es sind - dieser Wahlperiode stoßen.

(Beifall bei der FDP)

Da ich vermute, dass der Landtag diesen Bericht an den Bildungsausschuss überweist, werden wir über die einzelnen Punkte in der Ausschussberatung im Detail sprechen können. Angesichts der vorgerückten Zeit und des einen oder anderen Termins, der vielen Kollegen noch bevorsteht, möchte ich es damit bewenden lassen.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Angelika Birk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eltern und Schülerschaft haben weiter Grund zum Protest. Die Proteste der Eltern, deren Kinder weiterführende Schulen besuchen, sind, wenn man die vielen Einzelfälle zusammennimmt, durchaus verständlich. An diesen Schulen sind die Schülerzahlen um 1.300 angestiegen. Die Unterrichtsversorgung hat trotz ständig wachsendem Bildungsetat zu größeren Klassen geführt. Das leugnen Sie auch nicht. Der Durchschnitt ist nunmehr bei fast 26 Schülerinnen und Schülern angelangt. Das ist im Bundesvergleich gut, dennoch liegen jedoch viele Klassen über dem Durchschnitt. Natürlich liegen auch welche unter dem Durchschnitt, aber das nützt denjenigen, die über dem Durchschnitt liegen, nichts. Wir haben, wie man im Verkehrsbusiness sagt, die Situation: Wenn es nicht genug Sitzplätze im Flugzeug gibt, dann bleiben eben welche zurück. Genauso knallhart ist die Realität. Diese wollen wir ja gemeinsam verändern. Das teilen wir durchaus mit Ihnen, Frau Erdsiek-Rave, und dass Sie kein Geld drucken können, wissen wir auch. Trotzdem müssen wir erst einmal feststellen, dass im Augenblick an den weiterführenden Schulen unter den Rahmenbedingungen gemeinsames Lernen und individuelle Förderung sehr erschwert werden. Nicht umsonst hat ja Herr Buder der Lehrerschaft gedankt.

Auch wenn Sie, Frau Herold, eine Rede wie zu besten Oppositionszeiten der CDU gehalten haben, so möchte ich Sie daran erinnern: Die CDU hat im Wahlkampf versprochen, sie könne den Unterrichtsausfall beseitigen und deutlich mehr Lehrerinnen und Lehrer einstellen als Rot-Grün. Die Schulen, die vor dem Landeshaus demonstrieren, die Eltern, die sich landesweit für mehr Lehrkräfte engagieren - wir werden sehr viel in alle Landesteile eingeladen -, sind hier offenbar anderer Meinung. Ich habe den Eindruck, dass diese Einladungen deutlich mehr geworden sind als zuzeiten unserer grünen Regierungsbeteiligung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Richtig ist, es dauert noch mindestens vier Jahre, bis sich in den Eingangsklassen der weiterführenden Schulen tatsächlich ein deutlicher Schülerrückgang bemerkbar macht. Lesen Sie einmal, was

(Dr. Ekkehard Klug)

heute im Pressespiegel über Rendsburg steht. Professor Klemm hat die Rendsburger Gymnasialsituation untersucht und kommt zu ähnlichen Schlüssen wie auch unsere überschlägige Rechnung: Erst ab dem Jahr 2017 kann man von einem deutlichen Schülerrückgang an den weiterführenden Schulen ausgehen, weil erst dann die Schüler, die es jetzt noch in großer Anzahl in breiten Jahrgängen gibt, ihre Schulzeit beendet haben.

Das dauert auch deswegen so lange, weil endlich mehr Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein bis zur Hochschulreife kommen. Immerhin sind heute mehr als 50 % der Schülerinnen und Schüler entweder an Gymnasien oder an Gemeinschafts- oder Gesamtschulen angemeldet, können also potenziell Abitur machen. Wir haben die Hoffnung, dass wir die jetzige Abiturquote in Höhe von 22 % deutlich steigern, aber dann müssen wir natürlich die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. In diesem Bereich ist Schleswig-Holstein Entwicklungsland.

Wir kritisieren auch zum wiederholten Mal, Frau Erdsiek-Rave, dass wir Entwicklungsland sind, was die Behandlung der freien Schulen angeht. Sie werden eigentlich nur an einer Stelle erwähnt, nämlich dort, wo der Bericht Unstimmigkeiten in der Statistik entschuldigt. Deutlicher kann eine Behörde nicht zum Ausdruck bringen, dass sie diese Schulen für einen Fehler im System hält. Wir erwarten hier eine andere Darstellung. Es sind Tausende Schülerinnen und Schüler, die nicht einzeln ausgewiesen werden, an den Schulen in freier Trägerschaft. Das verzerrt die Wahrnehmung.

Wir möchten an dieser Stelle noch einmal deutlich darauf eingehen, dass wir wissen, dass es eine große Anstrengung ist, dass hier mehr Lehrerstellen geschaffen werden. Trotzdem sind 1.000 Lehrkräfte, die in befristeten Teilzeitstellen und Mutterschaftsvertretungen auf ihre Einstellung warten oder in andere Bundesländer mit besseren Konditionen abwarten, nicht akzeptabel. Noch schwieriger ist es, wenn wir uns klarmachen, dass nur die Hälfte der 1140 Bewerbungen für den Vorbereitungsdienst berücksichtigt werden kann, und das, obwohl wir uns auf dem Höhepunkt des Generationswechsels in den Lehrerkollegien befinden beziehungsweise uns dieser zum Teil noch bevorsteht.

Der Bericht macht also deutlich: Die zurückgehenden Schülerzahlen dürfen uns keineswegs zu der Annahme verleiten, jetzt könnte schon im Schuletat massiv gespart werden. Das sage ich in Richtung Finanzminister, der Sie da ja auch hart bedrängt. Und ich sage auch deutlich in Richtung FDP: Zu

denken, dass ein Rückfall, wie ihn die FDP gern hätte, nämlich die Beibehaltung des mehrgliedrigen Schulsystems, zu einer Erleichterung in der Unterrichtsversorgung führen würde, ist falsch. Das ist illusionär. Insofern hat Frau Erdsiek-Rave in dem Punkt recht. Der schizophrenen FDP begegnen wir auf Schritt und Tritt bei jeder Protestveranstaltung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Abgeordneten des SSW hat die Vorsitzende, die Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das neue Schulgesetz bescherte vielen Schülerinnen und Schülern einen ganz besonderen ersten Tag nach den Sommerferien: Sie mussten vielfach neue Gebäude und auch neue Unterrichtskonzepte kennen lernen. Zu Beginn des neuen Schuljahres nahmen mit anderen Worten 35 Regionalschulen und 55 Gemeinschaftsschulen ihre Arbeit auf. Der vorliegende Bericht zur Unterrichtsversorgung im Schuljahr 2007/2008 spiegelt also eine schulische Wirklichkeit wider, die wir so in Schleswig-Holstein nicht mehr haben werden. Der aktuelle Bericht zur Unterrichtsversorgung zeigt andererseits aber auch die Dynamik innerhalb des Schulsystems, soll heißen, die Entwicklung, die letztlich dazu beigetragen hat, dass es aus Sicht des SSW notwendig wurde, unsere Schullandschaft zu ändern. Ich möchte das anhand einer Zahl belegen, und zwar den Rückgang der Zahl der Hauptschüler um mehr als 10 % von einem Schuljahr zum nächsten. Ähnliche Entwicklungen haben wir bereits im letzten Jahr im Bildungsausschuss diskutiert.

Der Bericht belegt außerdem die Notwendigkeit der individuellen Förderung. Neu ist, dass sie nun zu einer tragenden Säule des neuen Schulgesetzes geworden ist. So nimmt die Zahl der Schülerinnen und Schüler weiter ab, die wegen ihrer Behinderung separat beschult werden. Stattdessen werden diese Schülerinnen und Schüler über die Förderzentren dahin gehend unterstützt, dass sie in einer allgemeinbildenden Schule integriert werden können. Das begrüßen wir ausdrücklich. Wir wissen aber auch, dass es hier immer noch genug zu tun gibt.

Die konsequente Einschulung im sechsten Lebensjahr ist dagegen eine konkrete Folge des neuen Schulgesetzes. Laut Bericht gibt es erstmals keine Ausnahmen vom Einschulungsalter mehr, und ge

(Angelika Birk)

nau dies ist ja auch gewollt. Dennoch sollten wir uns nach einer angemessenen Erprobungsphase im Bildungsausschuss berichten lassen, wie sich diese Neuerung vor Ort in den Schulen auswirkt.

Im Ausschuss sind aus Sicht des SSW die klassischen Problemfelder, wenn es um den Bericht zur Unterrichtsversorgung geht, also die Fragen der Lehrerausstattung, des Stundenausfalls, auch am besten aufgehoben, weil dort auch detaillierter nachgefragt werden kann. Tatsache ist aber, dass es in diesem Schuljahr eine aufgeregte öffentliche Diskussion über die Unterrichtsversorgung an den Gymnasien gegeben hat. Diese Diskussion hat nun dazu geführt, dass die Lehrerversorgung der Gymnasien mit zusätzlich 173 Stellen aufgestockt wird, wobei die Begründung die steigenden Schülerzahlen und nicht etwaige Defizite in der Unterrichtsversorgung ist. Wir werden sehen, ob damit Ruhe einkehren wird. Der Besuch von Schulleiterinnen und Schulleitern aus dem Raum Lübeck deutet eher darauf hin, dass das nicht der Fall sein wird.

Ich wünsche mir eigentlich, dass es einmal eine Statistik gibt, die nicht so viel Interpretationsspielraum übrig lässt. In jedem Jahr diskutieren wir die Unterrichtssituation. Ich meine, es muss heute im Zeitalter der Computer möglich sein, etwas zu erfinden, was zu mehr Transparenz führt. - So viel zu diesem Thema.

Der Bericht belegt einen weiteren Trend, der sich auch schon in den vergangenen Jahren abzeichnete. 7711 Schüler lernen im aktuellen Schuljahr an Beruflichen Gymnasien. Das sind 6,5 % mehr als im letzten Schuljahr. Ich bin sicher, dass die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre dazu führen wird, dass sich diese Entwicklung weiter verfestigen wird. Daher fordert der SSW, dass es längerfristig auch andere Strukturen im Gymnasialbereich geben muss. Unser Ziel ist weiterhin eine Schule für alle mit der Möglichkeit, dass sich Schülerinnen und Schüler nach der 9. beziehungsweise nach der 10. Klasse entweder für eine Berufsausbil

dung oder einen Gymnasialabschluss entscheiden können. Wir brauchen auch im Gymnasialbereich neue Strukturen; ich meine, das ist das Wichtigste.

Der nächste Bericht zur Unterrichtsversorgung wird sich, wie erwähnt, mit der neuen Schullandschaft in Schleswig-Holstein befassen. Auch die Diskussion um die gerechte Verteilung von Ressourcen wird dadurch eine neue Qualität bekommen. Daher als letzte Bemerkung die Feststellung, dass es aus unserer Sicht wenig hilfreich ist, wenn die Kommunen jetzt mit dem von der FDP ins Spiel gebrachten Gutachten zur Konnexität mit der Brechstange operieren wollen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Debatte um die Finanzierung der anstehenden Investitionen mit Augenmaß geführt wird. Die Aufregung, die jetzt in die anstehenden Verhandlungen getragen wird, ist der Sache völlig abträglich. Denn eine gute Gemeinschaftsschule trägt letztlich zum Beispiel auch zur Weiterentwicklung der Städte und Kommunen bei.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, die Drucksache 16/2212 dem Bildungsausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen.

Ich schließe die heutige Sitzung. Wir sehen uns morgen früh um 10 Uhr an dieser Stelle wieder.

Schluss: 18:07 Uhr

(Anke Spoorendonk)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst