Protokoll der Sitzung vom 25.02.2010

Zweitens wird es für uns auch interessant sein, zu welchen Diskussionsergebnissen die Integrationsministerkonferenz im März kommt. Das möchten wir gern abwarten.

Drittens möchte ich hier deutlich sagen: Die CDU ist offen für eine sachliche Diskussion über die Weiterentwicklung unseres Staatsbürgerschaftsgesetzes, aber wir möchten uns Zeit nehmen, uns mit ein paar Fragen auseinanderzusetzen. Ich nenne hier einige beispielhaft: Wir müssen einmal fragen, wie viele der jungen Menschen sich tatsächlich die doppelte Staatsbürgerschaft wünschen. Wie viele Einbürgerungen mit doppelter Staatsbürgerschaft gibt es darüber hinaus? Sie haben es angesprochen. Ist der Verwaltungsaufwand angemessen? Welche Probleme entstehen für diese Menschen tatsächlich?

Wir müssen auch darüber diskutieren, wie wir mit dem Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatlichkeit umgehen. Wie sehen wir die Frage der Loyalität gegenüber einem Staat? Auch das muss diskutiert werden.

Wir müssen uns auch dafür entscheiden, ob die automatische Einbürgerung oder eher die bewusste Entscheidung eines Erwachsenen der Integration dient. Das sind Themen, mit denen wir uns in der Diskussion, die wir sicherlich haben werden, auseinandersetzen müssen.

Es ist nicht damit getan, auf die Schnelle eben ein Gesetz zu ändern, noch bevor wir die Erfahrungen aus dem bisher geltenden Gesetz bewertet und unsere Schlussfolgerungen daraus gezogen haben. Die betroffenen Menschen, die Notwendigkeit gelingender Integration, aber auch der Respekt, den viele ihrer Staatsangehörigkeit gegenüber empfinden sie ist schließlich kein Hut, den man einmal eben so wechselt -, verlangen, dass wir uns sorgfältig mit diesen Fragen auseinandersetzen.

Meine Damen und Herren, aus diesem Grund bitte ich Sie, unserem Berichtsantrag zuzustimmen, und empfehle, den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Antrag der SPD, der in der Tat gleichlautend mit dem der Grünen ist - denn beides stammt aus einem Antrag, der gerade im Bundestag vorliegt -, dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. An der Stelle werden wir die Diskussion weiterführen, wenn wir den Bericht des Justizministers erhalten haben. Möglicherweise werden wir warten müssen, bis wir die Evaluationsergebnisse aus dem Bundesinnenministerium haben, deren Vorlage noch dauert. Das sind wir der Sache schuldig, um mit diesem Thema seriös umzugehen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile jetzt der Frau Abgeordneten Serpil Midyatli für die SPD-Fraktion das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr, heute mit Ihnen über diesen Antrag zu sprechen. Wie Ihnen allen bekannt ist, geht es in dem Änderungsantrag um die Streichung des Optionszwangs aus dem Staatsangehörigkeitsrecht. Es widerspricht aller Logik, dass sich hier geborene Jugendliche nach Vollendung des 18. Lebensjahres für eine der Staatsangehörigkeiten entscheiden müssen. In keinem anderen Staat

(Luise Amtsberg)

außer Deutschland gibt es einen derartigen Optionszwang.

Oftmals wird das Argument eingebracht, dass am Ende einer erfolgreichen Integration der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft stehen sollte, und nur der deutschen. Nun kann man ja bei aller Liebe und allen Bemühungen nicht behaupten, dass uns in Deutschland die Integration gelungen ist.

Außerdem ist bereits heute die Mehrstaatlichkeit in Deutschland Realität. Bei Jugendlichen aus den EU-Ländern wird die Mehrstaatlichkeit seit August 2007 hingenommen. 2005 hatten in Deutschland bereits knapp 2,5 Millionen Menschen die doppelte Staatsangehörigkeit. In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl sicherlich weiter erhöht.

Ich bin Deutsche, aber glauben Sie, ich höre jetzt auf, mit meinen Kindern türkisch zu sprechen, zu Hause türkisch zu kochen oder türkische Musik zu hören? Sie glauben doch wohl nicht allen Ernstes, dass man, wenn man seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt und die deutsche annimmt, seine kulturelle Identität aufgibt! Warum auch!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wie Sie an meinem Beispiel sehen können, geht auch wunderbar beides.

Meine Damen und Herren, das nenne ich Integration. Oft habe ich den Eindruck in der Debatte, dass Kolleginnen und Kollegen Integration mit Assimilation verwechseln.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Ich verstehe auch nicht, mit welcher Rechtfertigung zunächst eine Staatsangehörigkeit ausgesprochen wird, um sie hinterher im Falle der Beibehaltung der anderen Staatsangehörigkeit wieder einzukassieren. Außerdem möchte ich auch ganz pragmatische Gründe gegen das Optionsmodell ansprechen.

Eine junge türkischstämmige deutsche Frau, Abiturientin, möchte gern Polizistin werden, ihr Traumjob. Nun gibt es aber Probleme in der Familie. Nicht, weil sie Polizistin werden möchte oder, wie vielleicht einige von Ihnen vermuten, weil das ihr Machovater verbietet. Nein, es gibt einen ganz pragmatischen Grund: Wenn sie ihren Traumjob annimmt, muss sie dafür ihre türkische Staatsangehörigkeit aufgeben, weil sie dann Landesbedienstete ist. Nach türkischer Gesetzeslage darf sie dann das mühsam erarbeitete Erbe ihrer Eltern in der

Türkei nicht mehr annehmen, weil sie als Deutsche kein Recht mehr dazu hat. Was würden Sie tun?

Viele junge Menschen sind verunsichert und fühlen sich durch die Ungleichbehandlung benachteiligt, da die Mehrstaatlichkeit für andere ja gelte. Ich verstehe auch nicht, warum man in Deutschland für jeden einzelnen Millimeter der Gleichbehandlung in Integrationsfragen dermaßen kämpfen muss.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Wir sollten Integration erleichtern und nicht erschweren. Junge Menschen können nur politische, berufliche und oftmals auch gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland mit der deutschen Staatsangehörigkeit erlangen. Deshalb handelt es sich hier nicht um ein Optionsmodell, sondern man spricht von einem Optionszwang.

Bevor ich gleich wieder von rechts und links den Einwand von Ihnen höre - ich habe ihn ja auch schon von der Kollegin Amtsberg gehört -, die SPD-Fraktion hätte dies bereits in der 16. Wahlperiode verändern können, hier ein Zitat des ehemaligen Kollegen Klaus-Peter Puls aus seiner Rede vom 27. Februar 2008 - das passt ja vom Tag her - zum Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW „Staatsangehörigkeitsrecht überarbeiten“ -

(Zurufe der Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU] und Wolfgang Kubicki [FDP])

- Zuhören, meine Herren!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Text und Begründung des Antrages der Grünen beschreiben nämlich exakt die Grundpositionen der SPD-Landtagsfraktion.

„In diesem Falle bedauere ich, dass Oppositionsanträge, die von den Regierungsfraktionen inhaltlich unterschiedlich bewertet werden, bis 2010 leider keine Chance auf eine parlamentarische Mehrheit haben werden.“

Aber sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion, heute können Sie uns ja vielleicht demonstrieren, dass es auch anders geht.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang möchte ich die Pressemitteilung vom 21. Januar 2010 des Justizministers

(Serpil Midyatli)

Schmalfuß zu dieser Thematik in Erinnerung rufen, in der steht:

„Ich werde mich dafür einsetzen, dass das Optionsmodell abgeschafft wird … Jugendliche, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt oder als Kind nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz erworben haben, sollen diese unabhängig von einer anderen Staatsangehörigkeit auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres behalten können.“

Vielen Dank für Ihre Unterstützung. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Kubicki, ich bin noch nicht fertig, einen kleinen Augenblick bitte. - Wenn wir wirklich wollen, dass Integration in Deutschland gelingt, dann müssen wir auch die Hindernisse aus dem Weg räumen. Eines dieser Hindernisse ist das Optionsmodell. Daher bitte ich Sie, dem Änderungsantrag der SPDFraktion zuzustimmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der CDU- und der FDP-Fraktion, noch einen Satz zu Ihrem Antrag: Er ist weder Fisch noch Fleisch. Ich hoffe, dass wir noch hören, was Sie wirklich davon halten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Gerrit Koch das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird die Antragsteller nicht erstaunen, wenn ich Ihnen zustimme, dass das Staatsangehörigkeitsrecht in dem Punkt der sogenannten Optionsfälle tatsächlich zu überdenken und zu diskutieren ist. Sicherlich haben Sie auch bemerkt, dass sich die Koalition auf Bundesebene dieses Themas bereits angenommen hat und eine Überprüfung vornehmen wird.

Eine Überarbeitung könnte dabei aus unserer Sicht schon deshalb in Betracht kommen, weil die Bestimmungen in § 29 Staatsangehörigkeitsgesetz, in dem die sogenannte Optionspflicht normiert ist, auch verfassungsrechtlich nicht unumstritten sind.

Die Bestimmungen sehen vor, dass ein Kind ausländischer Elternteile, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit erhält. Damit wurde das bisherige, strenge sogenannte Recht des Blutes übrigens grundlegend durchbrochen. Das Kind, das bis zum 18. Lebensjahr zwei Staatsangehörigkeiten besitzt, soll sich dann mit Erreichen der Volljährigkeit für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden. Tut das Kind dies nicht bis zum 23. Lebensjahr, verliert es automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Zwar wird der Betroffene nicht in ein staatsrechtliches Niemandsland entlassen, da er ja eine der beiden Staatsangehörigkeiten auf jeden Fall behält. Dennoch wird er quasi durch die Bundesrepublik Deutschland automatisch ausgebürgert. Die Entscheidung für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entfällt in dem Fall. Das Gesetz nimmt ihm diese Entscheidung ab.

Dies ist zwar vereinbar mit Artikel 16 unseres Grundgesetzes. Kann das trotzdem so angehen? Bis zum 23. Lebensjahr konnten die Betroffenen bereits an mehreren Wahlen teilnehmen. Wie sieht es mit der Wehrpflicht aus, der die männlichen Betroffenen in Deutschland unterliegen könnten? Wie ist es aber vor allen Dingen mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Artikel 3 des Grundgesetzes vereinbar, dass andere Deutsche mit einem zweiten Pass nicht quasi automatisch ausgebürgert werden? Ich weise auf EU-Bürger hin, bei denen es toleriert wird, dass sie eine doppelte Staatsbürgerschaft innehaben. Es gibt noch mehr Beispiele.

Die Staatsbürgerschaft ist die unabdingbare Grundlage, um allen Rechten und Pflichten unseres deutschen Staates zu unterliegen. Wie ist es mit dem Schutz und der Fürsorgepflicht des Staates für seine Bürger zu vereinbaren, wenn unser Staat per Gesetz genau diesen Schutz und diese Fürsorge mit Ablauf des 23. Lebensjahres für einen Teil seiner Bürger enden lässt? Das sind sicherlich spannende rechtliche Fragen, derer sich der Gesetzgeber und erforderlichenfalls auch die Gerichte annehmen müssen.

Es gibt aber auch interessante Fragen tatsächlicher Art. Ich nenne hier beispielhaft folgende Fragen. Wie hat sich das bisherige Optionsmodell entwickelt? Wie sehen die tatsächlichen Zahlen der Ausbürgerungen oder derjenigen aus, die vom Optionsmodell Gebrauch gemacht haben?

Aus diesem Grund stellen CDU und FDP den vorliegenden Berichtsantrag, nachdem auch unser Ju

(Serpil Midyatli)