Protokoll der Sitzung vom 08.07.2010

(Antje Jansen)

scheint nur auf den ersten Blick sinnvoll, weil die Betroffenen ja genau wissen, was sie riskieren, wenn sie gegen ihre Auflagen verstoßen und sie daher bereits aus Eigeninteresse die Auflagen erfüllen werden. Trotzdem bleibt hierbei ein Unbehagen, auf ein technisches System zu vertrauen, das manipuliert werden kann und dessen Daten vergleichsweise einfach zu veröffentlichen sind.

Nach unser aller Erfahrung gibt es keine sichere Datenverarbeitung. Die Ortung der Fußfessel und die Berechnung der Daten bezüglich verbotener Orte wie Schulen oder Kindergärten ist nichts anderes als EDV, und die ist, wie wir bisher festgestellt haben, auch immer hackbar. Schon manchem Experten wurde sein angeblich todsicheres System von einem Schüler gehackt. Das wird bei der kriminellen Energie der Täter sicherlich auch schnell erledigt sein, und dann gaukelt die manipulierte Fessel den Behörden einen völlig falschen Aufenthaltsort des Täters vor. Darüber hinaus zeigt auch heute schon jedes Navigationsgerät in einem Auto, wie fehlbar ein GPS-gesteuertes System sein kann. Es kann sich manchmal um mehrere Kilometer vertun. In einer Großstadt wäre ein derartiger Rechenfehler in einer Fußfessel katastrophal.

Daneben ist, wie bereits ausgeführt, die Datensicherheit keineswegs gewährleistet. Zahlreiche Fälle in den USA belegen, dass ganz gezielt die genauen Adressen der Fußfesselträger den Medien zugespielt werden, damit diese eine öffentliche Kampagne gegen den Täter lostreten können. Das möchte ich ganz bestimmt nicht. Dieses Kesseltreiben gilt es wirklich zu vermeiden.

Das alles spricht gegen die Einführung der Fußfessel, die der Justizminister beziehungsweise die Justizminister möglicherweise aus finanziellen Erwägungen heraus präferieren. Das war aus der Justizministerkonferenz. Eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung ist natürlich auch sehr teuer, und das kann ich auch verstehen. Aber unabhängig davon, wie wir ideologisch zur Fußfessel stehen, ob man sie ablehnt oder befürwortet, wir müssen sie zunächst auf ihre Tauglichkeit testen. Das hat der Kollege Koch ja auch schon gesagt. Die ersten Versuche in Hessen sind dazu nicht aussagekräftig, schließlich ging es dort nicht um Schwerverbrecher. Die Justizminister sollten darum erst einmal die Ergebnisse des Feldversuches unter Alltagsbedingungen abwarten, bevor sie gesetzliche Regelungen auf den Weg bringen.

Ich darf dann noch als Abschlusssatz sagen: Die Eckpunkte, die die Bundesjustizministerin zur Sicherungsverwahrung vorgelegt hat, finde ich gut.

Sie hat es vor allem abgelehnt, die nachträgliche Sicherungsverwahrung weiterhin zu behalten. Das finde ich superrichtig, und darin werden wir sie gern weiterhin unterstützen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Beratung und stelle fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 17/691 durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat und zugleich damit auch der Tagesordnungspunkt erledigt ist.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:

Dem Parlament müssen Hintergrundpapiere und Risikoanalysen zur Verfügung gestellt werden!

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/702

Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/724

Änderungsantrag der Fraktion des SSW Drucksache 17/733

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? Ich stelle fest, das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Herr Fraktionsvorsitzende Dr. Robert Habeck.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um entscheiden zu können, brauchen wir Entscheidungsgrundlagen. Um Verantwortung zu übernehmen, brauchen wir Informationen. Damit sich die Opposition, wie von uns versprochen und auch stets bewiesen, konstruktiv verhält, braucht es eine konstruktive Regierung. Wir beantragen mit diesem Punkt die Übermittlung all der Informationen, die im Zuge der Beratung der Haushaltsstrukturkommission an dritte Nicht-Regierungsmitglieder gegangen sind.

Wie wichtig dies ist, lässt sich an den letzten beiden Tagen beispielhaft erklären. Gestern stand in den „Lübecker Nachrichten“, dass der Plan zum Medi

(Silke Hinrichsen)

zinabbau in der CAU entwickelt wurde. Wer hat welche Papiere geschrieben? Wo kommen sie her? Wer ist eigentlich für was verantwortlich?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Die Haushaltsstrukturkommission wird so im nachhinein immer mehr zur Nebelbank der Regierung, ihre Entscheidungen werden undurchsichtig, ihre Beschlüsse werden verschwommen. Deswegen muss Transparenz und Licht über dieses Parlament wieder zurückkommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Oder heute: Sie sagen, wichtige Menschen sind wieder zu ehrlichen Kaufleuten nach Berlin gefahren. Oder es heißt heute, der Bund wolle über eine Finanzspritze an das GEOMAR den Landeshaushalt entlasten, sodass die Medizin in der Uni Lübeck weiter bestehen könnte. Aber ist diese Entlastung wirklich deckend? Wo ist das Einsparziel in Lübeck? Sind es 26 Millionen oder 50 Millionen oder 70 Millionen? Keiner kann überprüfen, ob das, was wir dann morgen hören werden oder heute Abend sehen werden, wirklich eine Kompensation ist oder ob das Geld reicht.

Davon abgesehen hätte ich es gern einmal Schwarz auf Weiß, was da wirklich vereinbart wurde, und dass nicht nur wolkig gesagt wird: „Aus Kieler Koalitionskreisen heißt es...“.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und der Abgeordneten Detlef Buder [SPD] und Dr. Ralf Stegner [SPD] - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Warten Sie doch mal ab!)

- Das sagen Sie immer! „Warten Sie doch mal ab!“ - Ich will aber nicht mehr abwarten. Ich will das gern einmal überprüfen können. Nachdem die 100 Millionen € fehlen und nach der Verschiebedebatte von heute Vormittag glaube ich einfach kein Wort mehr. Sie haben zu oft falschgespielt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Ich teile dieses Misstrauen offenbar auch mit vielen Mitgliedern in der CDU- und der FDP-Fraktion. Während es noch in der letzte Debatte von einigen Parade-Parlamentariern, die Mitglied der Kommission waren und alle Unterlagen haben, hieß, wir müssten uns auf den Kopf stellen oder einen PUA einberufen, um darin Einsicht nehmen zu können,

und ich noch Anfang der Woche ein Schreiben der Staatskanzlei auf einen Brief von mir erhalten habe, in dem genau das abgelehnt wird, was Sie in einem Änderungsantrag jetzt fordern, muss ich feststellen: Gut, dass Sie, meine Damen und Herren in der CDU- und FDP-Fraktion, sich durchgesetzt haben

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Danke!)

gegen Ihre Fraktionsvorsitzenden.

(Lachen bei der CDU)

Allein der Antrag springt zu kurz. Nur die - ich zitiere verkürzt - „für die Entscheidung maßgeblichen Unterlagen“ zu fordern, heißt in Wahrheit, nichts zu fordern. Denn die Positiv-Aussage „für die Entscheidung maßgeblichen“ bedeutet ja, dass wir nur die Papiere haben wollen, deren Resultat wir sehen. Wir müssen aber die Alternativen kennen. Wir müssen die verworfenen oder kritisierten Punkte kennen, sonst ist all das Gerede vom BaukastenSystem - nur wer etwas vorschlägt, darf etwas kritisieren - eine Farce.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und der LINKEN sowie vereinzelt bei der SPD)

Wir müssen wissen, wie groß die Bauklötze sind, wo sie hingehören und ob sie überhaupt zusammengepasst haben.

Gemäß Art. 23 Abs. 2 der Landesverfassung kann man Akteneinsicht beantragen. Gemäß Abs. 3 kann die Landesregierung diese Akteneinsicht zurückweisen, wenn durch das

„… Bekanntwerden des Inhalts... Staatsgeheimnisse oder... die Funktionsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Landesregierung beeinträchtigt werden.“

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Die Regierungsfä- higkeit ist schon beeinträchtigt!)

Das ist der zweite Punkt, in dem der Antrag der CDU- und FDP-Fraktionen etwas zu kurz springt. Zwar werden die Unterlagen wie Staatsgeheimnisse gehütet - und ich würde gern wissen, warum eigentlich -, aber was auch immer darin steht: Die Funktionsfähigkeit oder Eigenverantwortung der Landesregierung kann davon nicht betroffen sein, da sie ja die Papiere bereits an Nicht-Regierungsmitglieder wie den Landesrechnungshof weitergegeben hat.

(Dr. Robert Habeck)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und des Abgeordneten Flem- ming Meyer [SSW] sowie vereinzelt bei der SPD)

In dem Schreiben der Staatskanzlei steht, dass Zitat - „die Haushaltsstrukturkommission kein Gremium der Landesregierung ist“. Entsprechend hat es auch der SSW in seinem Änderungsantrag Drucksache 17/655 zitiert. Das ist die Aussage, hinter die nicht zurückgewichen werden kann. Jetzt auf Bürokratie zu verweisen und alles auf die formale Schiene zu schieben, ist genau nicht das, was notwendig ist. Wir müssen es politisch und nicht administrativ lösen. Es ist eben keine typische Oppositionsangelegenheit, noch nicht einmal eine Parlamentsangelegenheit. Es ist eine Angelegenheit, die die Bevölkerung betrifft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und SSW)

Sie muss wissen, dass der Weg, den wir hier stellvertretend suchen, der richtige ist. Deshalb sollten wir uns als Stellvertreter der Bevölkerung verstehen und für sie ist das Mandat, das sie uns verliehen hat, darauf gegründet, dass das Parlament alle Informationen - alle Informationen! - bekommt, die es für seine Entscheidung braucht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Tobias Koch das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am letzten Freitag war es endlich soweit: Auch die SPD hat ihr sogenanntes Konsolidierungskonzept vorgelegt.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Monatelang hatte zuvor ein geheimes SPD-Gremium seine Empfehlungen vorbereitet, alle Beratungen erfolgten am Parlament vorbei.

(Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Am Thema vorbei! - Zuruf: Sie waren auch schon mal besser! - Weitere Zu- rufe)