Protokoll der Sitzung vom 27.01.2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung hat ihre Redezeit um 1 Minute überschritten. Diese Zeit steht nun auch den Fraktionen zu.

Begrüßen Sie zunächst mit mir auf der Tribüne Besucherinnen und Besucher der Techniker-Fachschule Kiel und des Landgerichts Lübeck mit dem Fachlehrgang für Justizsekretärsanwärterinnen und -anwärter. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Frau Abgeordnete Spoorendonk vom SSW hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, vielen Dank auch für Ihren mündlichen Bericht. Wichtig ist mir auch, mich nicht nur im Namen des SSW, sondern auch ganz persönlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für die Beantwortung dieser Großen Anfrage zu bedanken. Wir haben es mit einer wohltuend differenzierten Beantwortung zu tun. Dafür ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim SSW)

Die Antworten auf unsere Große Anfrage machen deutlich, welche Ziele die Landesregierung in Sachen Erwachsenen- und Weiterbildung verfolgt. Nicht nur, dass die Nachfrage nach Weiterbildung erhöht werden soll, auch die Teilnahme soll gesteigert werden. Das ist das Ziel. Darüber hinaus geht es vor allem um die Bereitstellung einer guten Infrastruktur mit vernünftigen Rahmenbedingungen und die Verbesserung von Transparenz, Information und Beratung. Dies sind hohe Ziele. Die interessante Frage lautet natürlich, was die Landesregierung tut, um diese dann auch zu erreichen.

Die Infrastruktur Schleswig-Holsteins hat in Sachen Erwachsenen- und Weiterbildung seit Mitte der 90er Jahre eine Vorreiterrolle in Deutschland. Dafür spricht nicht nur die historisch sehr hohe Anzahl an Volks- und Heimvolkshochschulen, sondern

vor allem sprechen dafür die Weiterbildungsverbünde, die es im Land gibt. Diese Verbünde sind nicht nur ein wertvolles Instrument, um über die Angebote der Erwachsenen- und Weiterbildung vor Ort zu informieren, sondern um generell in Sachen Bildung für Erwachsene zu werben und die Angebote zu koordinieren. Mit etwas Sorge betrachten wir daher das Auslaufen der Finanzierung der Verbünde im Jahr 2013; mit sehr viel Sorge, will ich sagen.Wir hoffen sehr, dass allen klar ist, was für eine herausragende Arbeit die Verbünde in unserem Flächenland leisten und dass wir auf ihre Arbeit nicht verzichten können. Gerade die unentgeltliche Beratung ist ein wichtiges Instrument, um über Fördermöglichkeiten, Angebote und Anbieter zu informieren und darf nicht von einem Entgeltsystem abgelöst werden.

Die Landesregierung hat ganz richtig erkannt, dass wir in Sachen Weiterbildung einen Handlungswandel brauchen. Zwar herrscht weitestgehend gesellschaftlicher Konsens über die Bedeutung der Bildung für Erwachsene, aber trotzdem wird sie nicht entsprechend genutzt. Gerade das Instrument der Bildungsfreistellung - oder des Bildungsurlaubs, wie es häufig heißt - hat nicht zu der gewünschten Erhöhung der Teilnahme an Weiterbildungskursen geführt. Dass die Zahl der Anspruchsberechtigten in 20 Jahren nie über 1,2 % gestiegen ist, ist wirklich ärgerlich. Die Ursachen dafür sind längst bekannt; darauf werde ich jetzt nicht eingehen. Die Konsequenz darf aber nicht sein, dass dies einfach akzeptiert wird. Vielmehr muss gerade hier angesetzt werden. Wir brauchen vernünftige Instrumente, um vor allem in Betrieben für die Bildungsfreistellung zu werben und Kurse passgenau anbieten zu können. Mit Interesse habe ich jetzt vernommen, dass die Landesregierung vorhat, das Bildungsfreistellungsgesetz zu novellieren. Wir werden sehen, wie das dann im weiteren Verlauf aussehen wird.

Ein weiterer interessanter Punkt der Großen Anfrage ist der Umgang mit der Erwachsenenbildung. Die Landesregierung hat ihre Kürzungen bei den Volkshochschulen im Doppelhaushalt entschärft. Trotzdem haben die Kürzungen fatale Folgen, weil das Angebot reduziert, Personal entlassen werden muss und Teilnehmergebühren erhöht werden müssen. Wenn die Landesregierung dann gleichzeitig feststellt, dass die ansehnlichen Eigen- und Drittmitteleinnahmen der Volkshochschulen erhöht werden müssen, verliert man doch den Glauben an eine Landesregierung, die sich zum Ziel gesetzt hat, gute Rahmenbedingungen für die Erwachsenenbildung zu schaffen. Schon heute liegt der Eigenanteil bei

(Minister Jost de Jager)

65 %. Bei einer weiteren Erhöhung haben wir das System also völlig privatisiert. Eine Förderung der flächendeckenden Grundversorgung sieht aus unserer Sicht anders aus.

Daher sage ich: Wir brauchen für Schleswig-Holstein ein Weiterbildungsgesetz. Man könnte sagen: Wenn nicht jetzt, wann dann? Wir wissen, dass wir noch den SPD-Antrag im Ausschuss haben, und ich hoffe, dass wir uns mithilfe dieses Antrags darauf verständigen können, ein Weiterbildungsgesetz in Arbeit zu geben.

Positiv nehmen wir dennoch zur Kenntnis, dass die Landesregierung das Projekt „VHS 2020“ des Landesverbands wahrnimmt und auch unterstützt. Berücksichtigt werden muss aber auch, dass sich die Volkshochschulen nur mit ihrer Zukunft auseinandersetzen können, wenn sie nicht tagtäglich ums Überleben kämpfen. Es ist daher notwendig, eine angemessene finanzielle Förderung auf einem hohen Niveau zu erhalten, um eine Entwicklung zu ermöglichen. Mit Kaputtsparen kommen wir an dieser Stelle nämlich überhaupt nicht weiter.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt weitere interessante Inhalte in dieser Anfrage wie zum Beispiel die Teilnehmerstruktur und die Ausrichtung der Erwachsenen- und Weiterbildung auf Nachfrageorientierung. Ich wünsche mir vor diesem Hintergrund, dass wir auch im Bildungsausschuss die Diskussion bekommen, die dieses Thema verdient, auch vor dem Hintergrund dessen, was der Minister vorhin ansprach, nämlich des Fachkräftemangels, den wir bekommen werden. Wir wissen alle, dass das ein brennendes Thema ist.

Ich wünsche mir auch, dass wir uns auf eine Anhörung verständigen, sodass wir dann auch insgesamt dazu beitragen können, dass dieses Thema verstärkt auf die politische Agenda des Landtags gesetzt wird.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion hat das Wort die Frau Abgeordnete Marion Herdan.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die aktuelle Plenartagung setzt einen deutlichen Akzent im Bildungswesen. Gestern haben wir mit dem Schulgesetz sowie dem Hochschulgesetz wichtige Neuerungen auf den Weg gebracht. Heute wen

den wir uns einem nicht minder wichtigen bildungspolitischen Thema zu, nämlich der Erwachsenen- und Weiterbildung in Schleswig-Holstein. Neben frühkindlicher Bildung, Schul- und Hochschulbildung ist die Weiterbildung als vierte tragende Säule unseres Bildungswesens unverzichtbar für Schleswig-Holstein und die Menschen, die hier leben.

Die Ministerien für Bildung und Kultur sowie für Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehr haben hier ein umfangreiches Papier vorgelegt, für dessen Erstellung ich mich bedanken möchte.

(Beifall bei CDU und FDP)

Im Folgenden möchte ich zwei Aspekte aus der Ausarbeitung herausgreifen. Das Wirtschaftsministerium geht in seinen Ausführungen in besonderem Maß auf das Bildungsfreistellungs- und Qualifizierungsgesetz ein. Seit 1990 in Kraft, bildet das BFQG die Grundlage für Freistellungs- und Anerkennungsregelungen von beruflicher Weiterbildung. Ziel des BFQG war es, die Teilhabe an Weiterbildung insbesondere auch bei benachteiligten Personengruppen zu erhöhen. Es ist allerdings festzustellen - das haben wir vorhin schon gehört dass Bildungsfreistellung zwar eine hohe Akzeptanz besitzt, aber offenbar nicht den gewünschten Effekt erzielen und eher bildungsferne Gruppen nicht erreichen konnte. Die Teilnahmequoten haben in den 20 Jahren des Bestehens des BFQG den Faktor von 1,2 % der Anspruchsberechtigten pro Jahr, insgesamt 144.000 Teilnehmer, nicht überschritten. Daneben gibt es aber auch 1,3 Millionen Menschen, die anerkannte Veranstaltungen besuchten, ohne die Bildungsfreistellung in Anspruch zu nehmen.

Meine Damen und Herren, bereits in den Beratungen der 8. Plenartagung im Juni vergangenen Jahres hat die CDU-Fraktion verdeutlicht, dass es Sinn mache, das BFQG zu novellieren. Nunmehr haben wir hier ganz konkrete Ansätze vorliegen, auf deren Grundlage gearbeitet werden kann. Dabei muss auch überlegt werden, wie wir es schaffen, mehr Frauen sowie über 50-jährige Arbeitnehmer zur Teilnahme an beruflicher und betrieblicher Weiterbildung zu motivieren.

Auch mit Blick auf den vorhandenen Fachkräftemangel in Schleswig-Holstein sind effiziente Weiterbildungsmaßnahmen geboten. Denn gut ausund weitergebildete Arbeitnehmer sind der Grundstock für ein gesundes Unternehmen und schließlich auch ein wichtiger Faktor für die Innovationskraft unseres Landes.

(Anke Spoorendonk)

Einen weiteren beachtlichen Teil der Ausführungen nimmt der Bereich der Erwachsenenbildung ein. Hierzu gehören die Volkshochschulen, der Landesverband der Volkshochschulen sowie die Bildungsstätten. Neben allgemeinen Bildungsangeboten kommt den Volkshochschulen bei der Integration von Migrantinnen und Migranten eine Schlüsselrolle zu. Sie fungieren als Prüfungszentrale für Sprach- und Einbürgerungstests. Volkshochschulen führen Alphabetisierungskurse durch und ermöglichen das Nachholen von Haupt- und Realschulabschlüssen.

Meine Damen und Herren, die Regierungskoalition hält die Arbeit der Volkshochschulen auch insofern für sinnvoll, wertvoll, nachhaltig und unverzichtbar und hat daher im aktuellen Doppelhaushalt die Ansätze für die nachgeholten Schulabschlüsse ungeschmälert übernommen.

(Beifall bei CDU)

Der Landesverband der Volkshochschulen fungiert als Dachverband für die schleswig-holsteinischen Volkshochschulen, Heimvolkshochschulen und Bildungsstätten. Er ist Impulsgeber, Berater und Ansprechpartner für Politik und Verwaltung.

Das Projekt „VHS 2020“ zeigt bereits erste Erfolge. Vor Kurzem wurde eine Kooperation der Volkshochschulen Kiel, Kronshagen und Altenholz begonnen.

Die CDU wird auch künftig die Arbeit der Volkshochschulen und des Landesverbandes aktiv unterstützen und begleiten.

Die Situation der vom Land geförderten fünf Bildungsstätten hat sich erfreulicherweise etwas entspannt. Die für 2012 vorgesehene zweite Kürzungstranche konnte entfallen. Gleichwohl bedeuten die bereits durchgeführten Kürzungen für die Bildungsstätten einen schmerzhaften Einschnitt. Wir tun gut daran, diesen nicht noch weiter zu vertiefen. Dies würde unweigerlich die Schließung von Einrichtungen nach sich ziehen. Den Verlust an kultureller, politischer und Jugendbildung könnte das Land Schleswig-Holstein nicht kompensieren. Volkshochschulen und Bildungsstätten gemeinsam sorgen in unserem Land für ein flächendeckendes und ortsnahes Weiterbildungsangebot.

Die sogenannte Weiterbildungsdichte liegt in Schleswig-Holstein über dem Bundesniveau. Obendrein erwirtschaften Bildungsstätten und Volkshochschulen aus allen öffentlichen Zuschüssen in Höhe von rund 15,4 Millionen € jährlich einen Umsatz von rund 47 Millionen € im Jahr. Dies ist eine

nicht zu unterschätzende volkswirtschaftliche Leistung.

(Beifall bei der CDU)

Um auch künftig die Arbeit der Bildungsstätten sicherzustellen, werden wir in der nächsten Zeit damit beginnen, die zugrunde liegenden Förderrichtlinien zu überarbeiten. Die Bildungsstätten des Landes brauchen einen festen Status und Planungssicherheit über einen längeren Zeitraum hinweg.

Meine Damen und Herren, abschließend ist anzumerken, dass Weiterbildung in Schleswig-Holstein einen hohen Stellenwert besitzt und wir in unserem Land ein vielschichtiges Angebot vorfinden. Darauf wird die CDU aufbauen. Gerade die Weiterbildung ist ein wichtiges Element des lebenslangen Lernens. Unsere Gesellschaft kann nur gewinnen, wenn wir auch zukünftig einen gesunden Einklang unserer vier Säulen im Bildungswesen bewahren.

Die weiteren Beratungen sollten in den zuständigen Fachausschüssen, im Bildungsausschuss und im Wirtschaftsausschuss, weitergeführt werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile nun Herrn Abgeordneten Hans Müller von der SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage des SSW gibt mir Anlass, mich sowohl bei der Frage stellenden Fraktion als auch bei der Landesregierung und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu bedanken. Nicht zuletzt gilt der Dank natürlich auch dem Minister für seinen persönlichen Bericht. In diesen Antworten sind viele wichtige Fakten und Entwicklungstrends zusammengefasst worden. Hierbei handelt es sich nicht nur um kluge Antworten, sondern auch um kluge Fragen, sodass man diese Große Anfrage unbedingt weiter bearbeiten muss.

Die Institutionen der beruflichen und allgemeinen Fort- und Weiterbildung von Menschen haben mit dem schnellen sozialen Wandel in Deutschland im Großen und Ganzen Schritt gehalten. Es ist eine enorme Leistung von Volkshochschulen et cetera, diese aktuellen Trends immer wieder mitzuverfolgen. Es ist nicht zu unterschätzen, was von ihnen geleistet wird.

(Marion Herdan)

Der immer komplizierter werdende Arbeitsmarkt macht lebenslanges Lernen, berufliche Weiter- und auch Neuqualifizierung zur Herausforderung für jeden Arbeitnehmer, aber auch für diejenigen, die die Arbeitnehmer beschäftigen, also für die Betriebe und Verwaltungen. Wir haben gehört und gelesen, dass die Fachkräfte in Teilen Schleswig-Holstein verlassen. Die Weiterbildung ist also ein ganz wichtiger Aspekt, um die Leute hier halten zu können.

Wir vertreten deshalb seit Langem die Auffassung, dass Weiterbildung die eigenständige vierte Säule unseres Bildungssystems ist. Sie ist allerdings anders konstruiert. Sie wird weniger staatlich gestaltet und gesteuert als die anderen drei Säulen. Das kann durchaus auch Vorteile haben, wie wir bei einzelnen Bildungsträgern wie zum Beispiel bei der Volkshochschule sehen.

Das Land hat unter sozialdemokratischer Verantwortung - das sage ich natürlich sehr gerne - 1990 das richtungsweisende Bildungsfreistellungs- und Qualifizierungsgesetz eingeführt. Es ist in die Jahre gekommen. Das gebe ich gerne zu. Die jetzige Landesregierung hat dieses Gesetz bislang aber nicht infrage gestellt. In der Beantwortung der Anfrage wird zudem deutlich, dass die Landesregierung mit diesem Gesetz recht gut arbeitet.

Es ist natürlich unbefriedigend, dass die Teilnahmequote der Anspruchsberechtigten fast immer unterhalb von 1 % liegt. Das ist natürlich ein Ärgernis. Anke Spoorendonk hat darauf hingewiesen, dass Änderungen herbeigeführt werden müssen, um die Akzeptanz deutlich zu erhöhen. Weiterbildung ist eben nicht nur ein privates Anliegen des Einzelnen, sondern auch der Arbeitgeber.

Es ist daher ein Missverhältnis, wenn in den vergangenen 20 Jahren nur rund 144.000 Menschen ihr Recht auf Bildungsfreistellung in Anspruch genommen haben, während fast zehnmal so viele Menschen an anerkannten Veranstaltungen teilgenommen haben, ohne deswegen eine Freistellung in Anspruch genommen zu haben. Wir ziehen daraus die Konsequenz, dass die Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Erwachsenenbildung gesetzlich neu geregelt werden müssen. Das haben wir im Juni vergangenen Jahres bereits vorgebracht. Die Länder Nordrhein-Westfalen und Brandenburg haben es uns mit aktuelleren und umfassenderen gesetzlichen Regelungen vorgemacht. Darüber könnte auch im Ausschuss debattiert werden.

Es ist schade, dass die Landesregierung darauf bisher nicht eingegangen ist. Ich freue mich aber, dass