Protokoll der Sitzung vom 26.05.2011

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Beratungen für eine Mittagspause bis 15 Uhr schließe, bitte ich Sie, gemeinsam mit mir Frau Funke alles Gute zu wünschen. Offensichtlich ist ihr Sturz doch

nicht ganz ohne Verletzungen verlaufen. Wir wünschen ihr alles Gute und hoffen, dass es doch nicht so schlimm ist. Wir tragen dafür Sorge, dass es nicht wieder vorkommen kann.

(Beifall)

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung: 13:02 bis 15:02 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung und rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:

Sicherungsverwahrung in Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1515

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Mit der Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! Stimmenenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich erteile für die Landesregierung dem Minister für Justiz, Gleichstellung und Integration, Herrn Emil Schmalfuß, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit ihrem Antrag fordert die Fraktion der SPD die Landesregierung auf, einen dezidierten Sachstandsbericht zur Sicherungsverwahrung in Schleswig-Holstein abzugeben. Ich will versuchen, diesem in der Kürze der eingeräumten Zeit zu entsprechen. Eine umfassende Stellungnahme zu allen Punkten ist schlichtweg nicht möglich. Ich beschränke mich auf die folgenden drei wesentlichen Unterpunkte, um die es geht. Erstens vollzugliche Aspekte der Sicherungsverwahrung, zweitens Aspekte zur Reform der Sicherungsverwahrung und zum Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Gewaltverbrechern und drittens Fragen zur Gutachterkapazität, therapeutischen Betreuung und zur Infrastruktur der Aus- und Fortbildung qualifizierter Fachkräfte.

Zunächst zu den vollzuglichen Aspekten der Sicherungsverwahrung. Auf der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister vom 18. bis

(Katja Rathje-Hoffmann)

19. Mai 2011 wurde ein Kritierienkatalog für eine grundlegende Neuausrichtung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung beschlossen. Dieser soll als Grundlage für die Besserstellung der Sicherungsverwahrten gegenüber den Strafgefangenen zwecks Gewährleistung des Abstandsgebots dienen. Seine Empfehlungen decken sich weitestgehend mit den Vorgaben zum Abstandsgebot zum Strafvollzug und zur therapeutischen Ausgestaltung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011.

Dieser Kriterienkatalog bildete auch in SchleswigHolstein die Grundlage für die baulichen und inhaltlichen Planungen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung. Aufgrund der prognostizierten Größe von langfristig 25 bis 30 Sicherungsverwahrten in Schleswig-Holstein scheint eine im Ganzen vom Justizvollzug getrennte Einrichtung nicht realisierbar. Für die Sicherungsverwahrung käme ein neu zu errichtendes Haus in der JVA Lübeck in Betracht, um dortige zentrale Ressourcen zu nutzen.

Als Alternativlösung sollte eine Unterbringung der Sicherungsverwahrten im Rahmen einer Mehrländerkooperation angestrebt werden. Hierzu hat bereits im Februar 2011 ein erstes Sondierungsgespräch auf Fachebene unter den Ländern Brandenburg, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein stattgefunden. Aufgrund der ähnlich geringen Fallzahlen in den genannten Bundesländern wäre eine gemeinsame Lösung im Rahmen des Nordverbunds wirtschaftlicher und zur Erreichung eines differenzierten Therapie-, Behandlungs- und Beschäftigungsangebots auch geboten. Konkrete Kosten können derzeit nicht beziffert werden, da zunächst die Rahmenvorarbeiten des Bundesgesetzgebers zum Abstandsgebot im Strafgesetzbuch abgewartet werden müssen. Der Musterentwurf für ein Landesstrafvollzugsgesetz wird derzeit durch eine länderübergreifende Arbeitsgruppe erstellt. Daneben wird der Sicherungsverwahrungsvollzug in einem eigenen Landesgesetz geregelt werden.

Ich komme nun zum Aspekt der Sicherungsverwahrung und dem Schutz der Bevölkerung. Zurzeit wird in Schleswig-Holstein gegen elf Personen die Sicherungsverwahrung in der JVA Lübeck vollzogen. Zusätzlich befindet sich ein Untergebrachter im AMEOS-Klinikum in Neustadt. Darüber hinaus sind in Schleswig-Holstein bislang zwei sogenannte Altfälle aus der Sicherungsverwahrung im Nachgang zur Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 entlassen worden.

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern hatte das Justizministerium eine gute Lösung gefunden und mit der AMEOS-Krankenhausgesellschaft eine Vereinbarung treffen können, nach der beide seit August 2010 in der AMEOS-Klinik in Neustadt/ Holstein auf freiwilliger Basis untergebracht sind. Dort erfahren sie die bestmögliche therapeutische Behandlung unter größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen. Mit der Polizei besteht engste Zusammenarbeit. Im Fall des Verlassens des Klinikgeländes, das nur mit einer gewissen Vorlaufzeit möglich ist, ist die Klinik sofort bereit, die Untergebrachten zu begleiten. Ich will gern betonen: Es handelt sich um eine Reaktionsform auf die Situation im letzten Jahr nach einer Entlassung im Nachgang zur EGMR-Entscheidung - eine Lösung, um die wir von anderen Bundesländern beneidet werden.

Ich will aber nicht verschweigen - Sie werden sich auch daran erinnern -, dass es mehrere, nicht abgestimmte Versuche gab, einzelne Entlassene auf freiwilliger Basis in Einrichtungen in Schleswig-Holstein unterzubringen, die dafür aber ungeeignet waren. Insbesondere der frühere Hamburger Justizsenator war hier sehr engagiert.

Das zeigt umso deutlicher, dass wir sowohl für die Sicherungsverwahrung als auch für die aus der Sicherungsverwahrung Entlassenen und gegebenenfalls nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts noch zu Entlassenden eine übergreifende Lösung brauchen. Auch dort versuchen wir, eine norddeutsche Verbundlösung zu erreichen. Trotz anstehender oder bereits vollzogener Landtagswahlen sind erste Gespräche bereits erfolgt. Noch im Juni werde ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen der norddeutschen Bundesländer treffen, um eine gemeinsame Lösung zu finden.

Dieses Thema ist sehr komplex. Ich will daher noch einmal verdeutlichen, dass wir es aufgrund der rechtspolitischen Entwicklungen mit drei Fallgruppen zu tun haben: erstens mit den in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten, für die -vollkommen getrennt vom Vollzug - eine Unterbringung und eine entsprechende Betreuung realisiert werden muss. Dies ist die Fallgruppe, die durch jüngste Bundesverfassungsgerichtsentscheidung betroffen ist. Hier sind alle Länder aktuell auf demselben Stand.

Zweitens haben wir es mit denjenigen Sicherungsverwahrten zu tun, die nach Beendigung der Sicherungsverwahrung gegebenenfalls nach dem Therapieunterbringungsvollzugsgesetz als psychisch gestört in einer therapeutischen Einrichtung untergebracht werden müssen. Das ist die zweite

(Minister Emil Schmalfuß)

Gruppe. Hier hat mein Haus die Hausaufgaben gemacht. Der Entwurf eines Therapieunterbringungsvollzugsgesetzes ist erstellt und liegt intern zurzeit in meinem Haus vor. Sobald wir Klarheit über eine norddeutsche Lösung haben, kann die Umsetzung erfolgen - entweder im Verbund oder allein in Schleswig-Holstein.

Die dritte Fallgruppe sind die vormals Sicherungsverwahrten, die aufgrund der Entscheidung des EGMR vom Dezember 2009 und nachfolgender Entscheidungen der Oberlandesgerichte bereits entlassen werden mussten. Diese Entlassenen sind vor dem Gesetz freie Menschen, für die wir in einem sehr schwierigen Prozess 2010 im AMEOS-Klinikum eine kontrollierte Unterbringung und Betreuung schaffen konnten - im Interesse der Sicherheit. Ich habe bereits darauf hingewiesen. Leider werden in der Öffentlichkeit und auch im parlamentarischen Raum diese drei Fallgruppen, die alle ihre ganz eigenen Probleme aufwerfen, sehr häufig vermengt und verwechselt.

Abschließend wenige Worte zu den Gutachterkapazitäten hinsichtlich Sicherungsverwahrung und Therapieunterbringung.

Ich stütze mich insoweit auf Angaben des Sozialministeriums. Grundsätzlich können neben den 33 in beiden Maßregelvollzugseinrichtungen in Schleswig-Holstein beschäftigten Ärzte und Psychologen auch die niedergelassenen oder an anderen Kliniken beschäftigten Ärzte oder Psychologen für eine Begutachtung im Rahmen von Nebentätigkeiten infrage kommen. Sie müssen über forensische Erfahrungen verfügen, und ihre Haupttätigkeit muss dies zulassen. Auch im Ruhestand befindliche Ärzte und Psychologen kommen in Betracht. Das MASG unterstützt schleswig-holsteinische Maßregelvollzugseinrichtungen in ihren Bestrebungen, den ärztlichen Nachwuchs zu sichern. Im Rahmen der Ärzteweiterbildung den Schwerpunkt forensische Psychiatrie auszubilden, ist ein erfolgversprechender Weg. Ebenso hilfreich sind verschiedene Weiterbildungen für Psychologen, die bei hiesigen Maßregelvollzugseinrichtungen angeboten werden.

Ich wiederhole mich gern. Die schleswig-holsteinische Justiz - Herr Innenminister, hier möchte ich ausdrücklich die unterstützende Landespolizei einbeziehen - sowie die damit befassten Einrichtungen leisten in allen drei Fallgruppen gute und verantwortungsbewusste Arbeit. Wir sind im bundesweiten Vergleich sehr gut aufgestellt. Von irgendwelchen Versäumnissen kann insoweit keine Rede sein. Es gilt nun, hinsichtlich der Sicherungsver

wahrung die neuen Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Zunächst stelle ich fest, dass der Herr Minister die verabredete Redezeit um vier Minuten überschritten hat. Diese Zeit steht nun auch den Fraktionen zusätzlich zur Verfügung. Begrüßen Sie mit mir gemeinsam Mitglieder des Sozialverbands Deutschland, des Ortsverbands Mielkendorf, und des CDUOrtsverbands Pinneberg auf der Tribüne.

(Beifall)

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Andreas Beran das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, Ihnen und Ihren Mitarbeitern sage ich herzlichen Dank für den Bericht. Wir haben diesen beantragt, weil wir nach den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Dölp in der Kabinettspressekonferenz vom 10. Mai 2011 den Eindruck hatten, dass die Landesregierung trotz der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009, der daraufhin erfolgten Freilassung von gefährlichen Sexualstraftätern im vergangenen Jahr und schließlich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung vom 10. Mai 2011 - um es vorsichtig zu formulieren - bisher nicht die Zeit gefunden hat, sich angemessen mit diesem Thema zu beschäftigen und - im Gegensatz zu andern Ländern - Antworten auf die Frage zu finden, was nun zu tun sei.

Ich bin dankbar für den Bericht, weil er den einen oder anderen Ansatz zeigt, über den man diskutieren wird. Ich hoffe, dass wir das später im Ausschuss vertiefen können.

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs 2009 war jedem Beobachter klar, dass sich rechtliche Rahmenbedingungen und Vollzugspraxis der Sicherungsverwahrung in Deutschland verändern müssen. Das, was das Bundesverfassungsgericht jetzt insbesondere zur Frage der Ausgestaltung des Vollzugs festgestellt hat, war ebenso vorhersehbar wie die Tatsache, dass dies mit Kosten für das Land verbunden sein wird.

Dass auch Regierungskreise mit einem Urteil in dieser Art gerechnet haben, mag man daran erken

(Minister Emil Schmalfuß)

nen, dass bereits am 25. März 2010, also vor über einem Jahr, die Justizstaatssekretäre der Länder mit den Vertretern des Bundesministeriums der Justiz über eine Reform der Sicherungsverwahrung konferierten. Von diesem Zeitpunkt an hätte ich erwartet, dass die Landesregierung mit ihren Schularbeiten begonnen hätte, um das zu erwartende Urteil des Bundesverfassungsgerichts schnellstmöglich auch im Interesse unserer Bevölkerung umzusetzen. Herr Innenminister Schlie, er ist jetzt nicht da? - Doch, er sitzt bei der FDP. Herr Innenminister Schlie hatte bereits im August letzten Jahres den Vorschlag für eine länderübergreifende Lösung zur Unterbringung der zu entlassenden Altfälle aus der Sicherungsverwahrung gemacht.

Als dann am 10. Mai dieses Jahres der zuständige Justizstaatssekretär in einer Landespressekonferenz lediglich den Forderungskatalog des Bundesverfassungsgerichts vorstellte und auf keinerlei inhaltliche Fragen zu antworten wusste, war ich entsetzt. Ich empfand dieses Nichtstun der Landesregierung als armselig. Ich kann es mir auch nicht erklären, weiß ich doch die Fachlichkeit und Kreativität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizministerium zu schätzen.

Hochgefährliche Straftäter dürfen künftig nur unter engen Voraussetzungen in Sicherungsverwahrung genommen werden. Ebenso ist bei den Altfällen in jedem Fall zu prüfen, ob bei einer Freilassung künftige schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten des Betroffenen drohen würden. Nötig sei eine strikte Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Die Sicherungsverwahrung darf nur noch als letztes Mittel angeordnet werden. Nötige Therapien müssten schon während des vorangehenden Strafvollzugs beginnen und so intensiv betrieben werden, dass sie möglichst schon vor Ende der Strafhaft abgeschlossen werden können. Überdies muss künftig - wohlgemerkt - jährlich überprüft werden, ob die Voraussetzungen der Unterbringung noch vorliegen. Auf all dies haben die Betroffenen einen Rechtsanspruch. Hierfür benötigen wir qualifizierte Fachleute für Begutachtung und Therapie.

Wie ist Schleswig-Holstein hierauf vorbereitet? Dem international renommierten Leiter der Sektion für Sexualmedizin, Herrn Prof. Dr. Bosinski, wird in der Sitzung des Bildungsausschusses vom 13. Januar 2011 von Frau Staatsekretärin Dr. Andreßen ernsthaft bescheinigt, Forschung und Lehre seien bei seiner Sektion nicht besonders ausgeprägt. Anschließend wurde ihm untersagt, Fragen nach den aus unserer Sicht unzureichenden Rahmenbe

dingungen seiner Arbeit und der Ausstattung seiner Einrichtung zu beantworten.

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Aber gern.

Herr Kollege Beran, angesichts Ihrer Frage, wie SchleswigHolstein darauf vorbereitet ist: Würden Sie mir freundlicherweise die Frage beantworten, wer bis Oktober 2009 Justizminister des Landes Schleswig-Holstein gewesen ist?

- Ich weiß nicht, was das damit zu tun hat. Es tut mir leid. Wir sind jetzt mitten in einer Regierungszeit, in der die Verantwortung klar verteilt ist. Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, was diese Frage zu bedeuten hat.

(Zurufe)

- Natürlich kann ich die Frage beantworten. Ich weiß aber nicht, in welchen Zusammenhang das hier gehört. Ich finde, das ist ziemlich aus dem Zusammenhang gerissen. Deshalb ist das völlig unnötig. Jeder, der hier sitzt, weiß, wer das ist.

(Zurufe)

- Ich kann das nicht als Vorwurf erkennen. Ich glaube, dass die Justiz in der Vergangenheit gute Arbeit geleistet hat. Hier ist jedoch etwas, über das wir reden müssen. Das ist eine ganz normale Sache, Herr Kubicki. Das haben Sie früher in der Opposition nicht anders gemacht.