Protokoll der Sitzung vom 25.08.2011

Ich stelle fest, dass der Berichtsantrag in der Drucksache 17/1618 durch die Berichterstattung durch die Landesregierung seine Erledigung gefunden hat. Damit ist der Tagesordnungspunkt insgesamt erledigt.

Ich unterbreche nun die Beratungen für eine Mittagspause bis 15 Uhr.

Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung: 13:10 Uhr bis 15:01 Uhr)

(Flemming Meyer)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne wieder die Sitzung und rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:

Stärkung des schleswig-holsteinischen Archivwesens

Antrag der Fraktion des SSW Drucksache 17/1571

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/1747

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Für die SSW-Fraktion hat Frau Fraktionsvorsitzende Anke Spoorendonk das Wort. - Ich nutze die Zwischenzeit und begrüße auf der Tribüne ganz herzlich Mitglieder der Seniorenunion Halstenbek und der SPD Ortsvereine Schleswig, Kappeln und Kropp. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Saal und an den Lautsprechern!

(Heiterkeit und Beifall)

In unserer Großen Anfrage zum schleswig-holsteinischen Archivwesen hat die Landesregierung eine beeindruckende Mängelliste für das Archivwesen festgestellt. Allerdings fehlt es an Handlungsansätzen, wie mit diesen Mängeln umgegangen werden soll. Die Landesregierung stellt fest und schweigt. Das ist zu wenig.

Die Archive sind das kulturelle Gedächtnis des Landes und so bedeutsam, dass wir Archivierungslücken und wegbrechende Aufgaben nicht einfach hinnehmen können. Der SSW hat deshalb einen Antrag zur Stärkung des schleswig-holsteinischen Archivwesens gestellt. Dabei ist uns durchaus klar, dass wir nicht alle Schwachstellen auf einmal beheben können. Darum müssen wir Schritt für Schritt vorgehen. Drei erste Schritte haben wir heute vorgelegt:

Erstens fordern wir die konsequente Umsetzung von § 15 des Landesarchivgesetzes. Demnach sind alle Kreise, Gemeinden und Ämter zu einer fachgerechten Archivierung verpflichtet. Mit Stand vom 9. Juni 2010 fehlen in Schleswig-Holstein aber drei Kreisarchive, neun Stadtarchive, 34 Amtsarchive

und zehn Archive der Gemeinden und amtsfreien Gemeinden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wir haben ein Gesetz, und das Gesetz wird nicht eingehalten. Das ist so, als ob man ein Verkehrsgesetz hätte, das besagt, dass man bei Rot nicht über die Ampel gehen oder fahren darf, jedoch keine Sanktionen dafür hätte.

Das Landesarchivgesetz darf auf kommunaler Ebene nicht einfach ignoriert werden. Wenn die Kommunen den Wert dieser Archive nicht erkennen, dann muss das zuständige Ministerium aus unserer Sicht die verschiedenen Organisationsmöglichkeiten zur Einrichtung von Archiven mit den Akteuren vor Ort prüfen und deren Realisierung begleiten.

Es gibt vielfältige Möglichkeiten zur Einrichtung von Archiven: Es gibt eigene Archive, Archivverbünde oder die Abgabe der Archivierung an Kreisarchive. Dabei fordern wir gar nicht die notwendige Fachlichkeit oder die technische Unterstützung zur digitalen Archivierung, aber wenn die Kommunen vom Ministerium unterstützt werden, dann muss es möglich sein, endlich zeitnah Archive aufzubauen oder gemeinsam die Kreisarchive so auszubauen, dass diese als Kompetenzzentren die Aufgaben für die Kommunen wahrnehmen können.

Zweitens fordern wir, dass das schleswig-holsteinische Landesarchiv von weiteren Kürzungen im Personalbudget ausgenommen wird. In den letzten 15 Jahren wurden die Personalstellen beim Landesarchiv halbiert, derweil eine Verdopplung der Aufgaben stattgefunden hat und die Bestände erheblich gewachsen sind. Es gibt Pläne, dass beim Landesarchiv bis 2015 von den 35 Mitarbeitern sechs weitere eingespart werden sollen. Das Landesarchiv kann aber keine weiteren Kürzungen vertragen. Schon heute kann der Alltagsbetrieb nicht mehr aufrechterhalten werden. Das Archiv hat die Öffnungszeiten gekürzt und kann Reproduktionswünschen nicht mehr nachkommen. Die Grenzen sind also erreicht, wenn wir die Arbeit des Landesarchivs nicht weiter gefährden wollen.

Drittens fordern wir Landesregierung und Landesarchiv auf, sich zusammenzusetzen und ein Zukunftskonzept für das Landesarchiv bis 2025 zu erarbeiten. Es darf nicht sein, dass das Landesarchiv durch die Kürzungen im Personalbudget langsam von innen ausgehöhlt wird. Das Landesarchiv muss seine Aufgaben adäquat erfüllen. Dafür braucht es aber auch die entsprechende Finanzierung. Mit anderen Worten: Die Erfüllung der Auf

gaben darf nicht nur gefordert werden, sondern sie muss auch möglich sein.

Die Förderung der Kultur ist in der Landesverfassung Schleswig-Holsteins verankert. Dazu gehören auch die Archive, die einen gesetzlichen Auftrag zur Sicherung, zur Erhaltung und zur Benutzung unseres schriftlichen Kulturguts besitzen. Das Archivrecht gesteht allen das Recht zu, Archivgut frei einzusehen. Dies ist eine große Errungenschaft, die nicht selbstverständlich ist. Allerdings nützt sie nichts, wenn es die Archive entweder gar nicht gibt, obwohl sie gesetzlich vorgeschrieben sind, oder wenn sie nicht funktionieren, weil sie nicht vernünftig ausgestattet sind.

Ich rufe noch einmal in Erinnerung: Die Geschichte Schleswig-Holsteins ist einzigartig. Wir müssen sie gemeinsam sichern. Ich denke, wir brauchen dazu vielleicht noch eine Ausschussrunde, um die Letzten zu überzeugen. Darum bitte ich um Ausschussüberweisung.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Wengler das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst voranstellen, dass wohl keine Fraktion dieses Hauses die Bedeutung des kommunalen Archivwesens für Schleswig-Holstein verkennt. Das Positionspapier der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag hat es treffend formuliert: Kommunalarchive wirken identitätsstiftend für die Kommune und die Bürger durch den Umgang mit der eigenen Geschichte, sie gewährleisten das Informationsrecht für alle Bürgerinnen und Bürger, sie bewahren rechtserhebliche Dokumente, sie sichern Kontinuität und Transparenz des Verwaltungshandelns, und sie erforschen prägende Phasen der Entwicklung ihres Ortes.

Ebenso wird der in diesem Bereich hohe Anteil ehrenamtlichen Engagements geschätzt. Für diesen Einsatz möchte ich mich hier ausdrücklich bedanken.

(Beifall bei CDU, SPD und SSW)

Wir haben uns im Herbst des vergangenen Jahres bereits ausführlich mit der Großen Anfrage des

SSW zum Archivwesen auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang hat der VKA, der Verband der kommunalen Archivarinnen und Archivare, in seiner Stellungnahme die Hauptproblemfelder des Archivwesens zutreffend umrissen: mangelnde Durchsetzung der Archivierungspflicht durch das Landesarchivgesetz; das wurde eben schon erwähnt. Etwa 30 % der Kommunen verfügen über kein Archiv. Liebe Anke Spoorendonk, den Kreis Segeberg können wir übrigens inzwischen von dieser Liste streichen. Der Kreis hat einen entsprechenden Vertrag geschlossen.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

Mangelnde Personalstellen und Fachlichkeit in den Archiven, davon sind etwa zwei Drittel der Archive betroffen, mangelnde Kompetenz zur Archivierung elektronischer Unterlagen, mangelnde Repräsentanz von Regionalgeschichte und Quellenarbeit in den Lehrplänen der Schulen und mangelnde Impulse und Unterstützung durch das Land. Es liegt also noch ein langer Weg vor uns, wollen wir diese Mängelliste abarbeiten.

Auch wenn wir uns hier im Verantwortungsbereich der kommunalen Ebene bewegen, gibt es Ansätze zur Verbesserung durch das Land. Das Landesarchiv bietet Unterstützung bei der Umsetzung des Landesarchivgesetzes auf kommunaler Ebene durch den Abschluss kostenpflichtiger Beratungsverträge. Ab dem Haushalt 2011 werden Projektmittel für den VKA zur Wahrnehmung seiner Qualifizierungsaufgaben zur Verfügung gestellt. Aber das sind erst Anfänge.

Doch nun zum Antrag des SSW. Die Forderung nach konsequenter Umsetzung des § 15 des Landesarchivgesetzes zur fachgerechten Archivierung der Unterlagen in den Kreisen, Gemeinden und Ämtern unter Position 1 können wir vorbehaltlos unterstützen.

Position 2, die völlige Tabuisierung des Personalbudgets des Landesarchivs, bereitet mir vor dem Hintergrund unserer Haushaltsprobleme Schwierigkeiten. Wir würden hier einen Präzedenzfall schaffen, der sofort in anderen Bereichen Erwartungen wecken könnte. Wir freuen uns sicherlich alle über den positiven Halbjahresabschluss, aber unser durch die Schuldenbremse gesetztes Ziel werden wir nur durch konsequente Ausgabendisziplin erreichen können.

Die Entwicklung eines Zukunftskonzepts für das Landesarchiv ist sicherlich ein sinnvoller Ansatz, den wir ausführlicher diskutieren sollten. Daher

(Anke Spoorendonk)

schlage ich ebenfalls vor, den Antrag des SSW zur Beratung in den Bildungsausschuss zu überweisen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Hans Müller das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vor ziemlich genau einem Jahr über die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage des SSW zum Archivwesen diskutiert. Die Regierung hatte darin auf eine Reihe von Defiziten hingewiesen. Unter anderem musste sie feststellen, dass fast zwei Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Landesarchivgesetzes - Frau Spoorendonk hat schon darauf hingewiesen - eine Reihe kommunaler Gebietskörperschaften einschließlich Kreisen nach wie vor keine befriedigende Archivlösung haben. Die Bemühungen um die Einrichtung eines zentralen Wirtschaftsarchivs, das der Landtag bereits vor zehn Jahren gefordert hatte, waren bisher nicht erfolgreich.

Der Gesetzgeber, also der Landtag, hatte bei der Verabschiedung des Landesarchivgesetzes bewusst darauf verzichtet, die Sanktionskeule zu schwingen, und hat stattdessen auf Kooperation gesetzt. Wir stellen fest: Die Kooperation funktioniert nicht annähernd in dem Maße, wie es sein sollte; da besteht also enormer Handlungsbedarf.

Die Bedeutung von Archiven besteht nicht - jedenfalls nicht ausschließlich - darin, das Quellenmaterial für künftige Historiker und für Heimatchronisten zu sichern. Es geht darum - das ist auch schon erwähnt worden -, langfristig Rechtssicherheit zu gewährleisten, indem das Handeln der Verwaltung und der Verwaltungsorgane auf allen Ebenen übergreifend dokumentiert und damit nachvollziehbar und rechtssicher wird.

Wir haben ein Beispiel in Griechenland. Dieser Staat versucht, an Steuergelder zu kommen. Er kommt aber nicht an die Gelder, weil die Finanzarchive entweder nicht existieren oder unzureichend sind. Wir sind in einer komfortableren Situation, müssen aber aufpassen, dass unsere Archive nicht nach und nach verschwinden.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man sich überlegt, dass bei Baumaßnahmen Baupläne beispielsweise aus den 50er-Jahren im

mer noch eine gewisse Rechtsrelevanz haben und dass es mittlerweile Ämter gibt, die verzweifelt danach suchen, weil der frühere Beamte schon 20 Jahre im verdienten Ruhestand ist, kann daraus eine Prozesslawine entstehen, die aufwendiger ist, als ein solches Archiv zu betreiben.

Deshalb hat der SSW natürlich recht, wenn er fordert, das Gesetz auch tatsächlich umzusetzen. Wir müssen uns da auch selbst ein bisschen ernster nehmen. Wenn wir hier Gesetze verabschieden, dann ist auch darauf zu achten, dass diese Gesetze realisiert werden.

Natürlich können wir jetzt in diesem Moment nicht über die finanzielle Ausstattung beschließen. Der Doppelhaushalt ist wirksam, der gilt, und der nächste Doppelhaushalt wird im nächsten Jahr von der Regierung aufgestellt, die im nächsten Jahr gewählt wird. Bis dahin haben wir aber Zeit, uns eingehend Gedanken darüber zu machen, diesen Rückgang bei den Archiven in den Griff zu bekommen. Meine Fraktion wird sich sicherlich sehr aktiv an diesen positiven Veränderungen beteiligen. Ich will aber darauf hinweisen, dass es viel sinnvoller wäre, wenn wir nicht nur für das Archivwesen oder andere Teile der Kultur, sondern für alle Bereiche der Kultur - wir wissen, wie bedroht die Kulturförderung insgesamt ist - ein Zukunftskonzept entwickeln würden, das über den Tellerrand und über die Legislaturperioden hinaus wichtige Angebote sichert.

(Beifall bei der SPD)