Protokoll der Sitzung vom 16.09.2011

Die Rechtsprechung sieht das Streikverbot für Beamte als Teil der Treuepflicht und damit als Kernbestand der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in Artikel 3 Abs. 5 des Grundgesetzes an. Das Streikverbot genießt insoweit Verfassungsrang.

Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt laut Bundesverfassungsgericht dagegen nur der Rang eines einfachen Gesetzes zu. Daher kann eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das verfassungsrechtliche Streikverbot für Beamte gar nicht außer Kraft setzen.

(Beifall bei der FDP)

Insoweit gibt es Rechtssicherheit. Aus Sicht der FDP gibt es auch keinen Grund, dies zu ändern; es sei denn, man ändert viele andere Bedingungen im Berufsbeamtentum. Man kann nicht nur eine Seite der Medaille betrachten.

Herr Buder, dem, was Sie über die Unterschiede zwischen Angestellten und Beamten in den verschiedenen Ländern im Lehrerdienst gesagt haben, stimme ich zu; darüber sollte man nachdenken.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Thoroe?

Wenn es uns wirklich weiter hilft, ja.

Habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, egal, was der Europäische Menschengerichtshof entscheidet, die FDP bleibt bei ihrer Meinung, weil sie meint, das Urteil habe für Deutschland keine Wirkung?

- Das ist nicht ganz unrichtig, wie Sie das verstanden haben. In der Tat. Die Abstufung der Gerichte es würde zu weit führen, wenn ich jetzt versuchen würde, Ihnen das alles zu erklären - und deren Entscheidungen sind bei uns derzeit so. Deswegen besteht Rechtssicherheit. Wir reden hier nicht über den Lehrerstreik, der am 10. Juni stattgefunden hat; ich sage das noch einmal ganz deutlich. Ich versuche, Ihnen Grundsätze beizubringen.

(Beifall bei der FDP)

Das bringt mich zum eigentlichen Anliegen meines Redebeitrags. In Wirklichkeit wollen Sie nämlich etwas ganz anderes, meine Damen und Herren von den LINKEN. Sie wollen uns nämlich das Recht auf politischen Streik unterjubeln - eine zentrale Forderung in Ihrem Wahlprogramm und ein Beweis dafür, dass Sie eigentlich eine andere Republik wollen.

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

In Ihrem Parteiprogramm heißt es nämlich:

„Die Interessen der Beschäftigten und der großen Mehrheit der Gesellschaft sind in einer anderen Wirtschaftsordnung … besser aufgehoben,“

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

(Ingrid Brand-Hückstädt)

„einer Wirtschaftsordnung, die den Kapitalismus schrittweise überwindet, die in Kernbereichen … auf öffentlichem und Belegschaftseigentum aufbaut und die Marktsteuerung von Produktion und Verteilung in die soziale und politische Verantwortung demokratischer Institutionen einbindet.“

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

„Das wird nur gelingen, wenn viele Millionen Bürgerinnen und Bürger sich dafür in Betrieben und Verwaltungen, bei Demonstrationen, Massenprotesten und Streiks engagieren.“

(Beifall des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

Frau Lötzsch ruft zum politischen Streik gegen Hartz IV auf mit den Worten, ein politischer Streik wäre „ein gutes Mittel, um sozial ungerechte Gesetze wie Hartz IV zu bekämpfen“.

Oskar Lafontaine erteilt 2006 per Pressemitteilung mit:

„Zudem muss es in Deutschland wie in den meisten anderen Ländern … die Möglichkeit geben, politische Entscheidungen eines vom Volkswillen abgehobenen Parlaments durch das Mittel des politischen Streiks korrigieren zu können.“

Wer mit der Politik und den Politikern nicht einverstanden ist, kann in unserem Land andere wählen. Aber ein Land mit einem politischen Streik in zugespitzten Situationen komplett lahmlegen zu können, um Parlamente und Regierungen unter Druck zu setzen, ist für unsere Demokratie keine nachvollziehbare Alternative.

(Beifall bei FDP und CDU)

Noch ein Satz zum Schluss - noch einmal zur Erinnerung -: Der größte politische Umsturz in Deutschland passierte durch friedliche Demonstrationen an Montagabenden. Er führte zur deutschen Wiedervereinigung.

(Beifall bei FDP, CDU und des Abgeordne- ten Peter Eichstädt [SPD])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Kollegin Anke Erdmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht um zwei Teile in dem Antrag der LINKEN. Die ersten drei Punkte beschäftigen sich mit dem generellen Streikrecht für Beamte, die beiden anderen mit den Konsequenzen aus dem Lehrerstreik.

Anders als meine Vorrednerinnen möchte ich mit dem Lehrerstreik beginnen. Der Minister für Bildung hat uns deutlich gemacht, dass die Rechtslage seines Erachtens so eindeutig war, dass er keine andere Möglichkeit hatte, als 2.000 Disziplinarverfahren anzustrengen. Offensichtlich scheint die Rechtslage nun doch nicht so klar zu sein, wie die Urteile aus Düsseldorf und Kassel zeigen.

(Beifall der Abgeordneten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Ro- bert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie sind noch nicht rechtskräftig; das ist mir klar. Aber ich verstehe, Frau Brand-Hückstädt, dass sie diesen Bereich ein bisschen ausgeklammert haben. Da ist auch wirklich Musik drin.

Herr Minister Klug, Sie hätten schon eine Möglichkeit gehabt, milder vorzugehen. Sie hätten Gespräche mit den streikenden Lehrern führen können. Es gibt Missstände. Die OECD-Daten belegen das. Herr Buder hat das gesagt. Die Lehrer haben auf einen wichtigen Missstand aufmerksam gemacht. Sie, Herr Minister, haben sich dafür entschieden, alte Schule zu wählen und ein Exempel zu statuieren. Liberal geht anders.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

In der Konsequenz sind wir bei den Punkten vier und fünf bei den inhaltlichen Aussagen der LINKEN.

(Christopher Vogt [FDP]: Die Grünen sind die wahren Liberalen!)

Aber es ist so formuliert, dass wir diese Formulierung nicht mittragen können.

Ich möchte auf das generelle Streikrecht eingehen. Meine Damen und Herren von der LINKEN, ich möchte kurz darauf eingehen, dass es einen Unterschied gibt, ob man bei Karstadt oder Mercedes oder anderen privaten Einrichtungen beispielsweise die Bänder wochenlang stillstehen lässt oder ob bei der Berufsfeuerwehr oder bei der Polizei ein unbefristeter Streik begonnen wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Ingrid Brand-Hückstädt)

Darauf gehen Sie überhaupt nicht ein. Es geht hier auch um hoheitliche Kernaufgaben. - Ich glaube, Herr Thoroe möchte eine Zwischenfrage stellen.

Ich gehe davon aus, dass Sie diese zulassen wollen.

Ich habe mittlerweile schon zwei Fragen. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass dieser unsauber formulierte Antrag zu 100 % mit der GEW abgestimmt ist? - Erstens.

(Lachen bei CDU und FDP)

Zweitens. Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass in der Begründung unseres Antrags sehr wohl ein Unterschied gemacht wird zwischen Beamtinnen und Beamten mit hoheitlichen Aufgaben und Beamtinnen und Beamten, die diese nicht haben?

Ich nehme beides zur Kenntnis. Herr Thoroe, Sie können da ruhig stehen bleiben. Ich habe auch mit der GEW telefoniert. Sie weiß, dass wir an dieser Stelle eine andere Auffassung haben. Mir geht es vor allen Dingen um den Teilsatz in Punkt fünf. Darin sagen Sie, für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Streiks müsse gelten, dass die Befähigung für eine Leitungsposition beziehungsweise eine Beförderung nicht abgesprochen werden dürfe. Damit könnte ich noch übereinstimmen. Sie aber begründen das mit der ILO-Richtlinie. Das ist rechtlich noch ungeklärt. Ich übernehme nicht blind die Position geschätzter Verbände, auch wenn es die GEW ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Gern.

Frau Kollegin, vielen Dank für Ihre Ausführungen. Würden Sie mir zustimmen, dass die Differenzierung zwischen hoheitlichen und nicht hoheitlichen Aufgaben gelegentlich kompliziert ist? Ich will das an einem kurzen Beispiel erläutern. Stellen wir uns einmal vor, dass vor den

Sommerferien Lehrer streiken und Prüfungen nicht abgenommen werden könnten, das heißt, Abiturzeugnisse nicht erteilt werden könnten. Können Sie mir folgen, dass es schwierig für unsere Universitäten wäre, Jahrgangsabgänge, die keine Zeugnisse hätten, anschließend zum Studium zuzulassen?