Protokoll der Sitzung vom 16.09.2011

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion der CDU hat nun Frau Kollegin Damerow das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Thoroe, über Ihr Verständnis unserer Verfassung und unseres Grundgesetzes können wir an dieser Stelle leider nicht diskutieren. Dafür brauchten wir wahrscheinlich ein bisschen mehr Zeit. Wie erfolgreich dies wäre, sei jedoch dahingestellt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Menschen haben an den Staat und an die reibungslose Erfüllung öffentlicher Aufgaben besondere Erwartungen. Deshalb ist der Beamtenstatus mit Rechten verbunden, aber auch mit Pflichten und Einschränkungen. Im Übrigen weiß dies jeder, der Beamter wird. Wir haben in unserem Staat die Erwartung an die Beamtenschaft, dass sie politisch neutral, loyal und verlässlich die öffentlichen Aufgaben erfüllt. In den Parlamenten oder in der Gesellschaft mögen die größten politischen Streitigkeiten bestehen, aber seit Bestehen der Bundesrepublik - Sie haben recht, durchaus seit noch längerer Zeit - ist das neutrale Berufsbeamtentum demgegenüber ein erheblicher Stabilitätsfaktor im Staat. Wir erwarten im Handeln des Staates Stabilität, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit. Herr Thoroe, dies soll mit Artikel 33 Abs. 5 des Grundgesetzes gewährleistet werden.

Dass es in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Entscheidung zum Streikrecht gegen die Türkei gegeben hat, ist bekannt. Dass diese so auch gegen Deutschland erginge, ist Spekulation, und zwar Ihre Spekulation. Klar ist zwar, dass es mittlerweile auch von deutschen Gerichten einzelne unterschiedliche Beurteilungen gibt, aber keines dieser Verfahren ist bislang rechtskräftig abgeschlossen. Sie haben hier nur - Ihrer Wahrnehmung entsprechend - selektiv einzelne Urteile herausgegriffen. Es gibt immer auch ein anderes Urteil, das genau das Gegenteil besagt. Es wäre nett gewesen, wenn Sie auch das hier erwähnt hätten.

Die Haltungen des deutschen Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichts zum Beamtenstreik sind völlig klar: Er ist verboten. Bei dieser Grundsatzfrage geht es nicht allein um den Sicherheitsbereich, also um die Polizeibeamten, die Beamten der Justiz oder im Strafvollzug, bei denen auch für DIE LINKE klar ist, dass diese nicht streiken dürfen. Wenn man meint, dass die Beamten in unseren Verwaltungen und Schulen streiken dürfen, was der Antrag der LINKEN fordert, dann hätte dies zur Folge, dass eine neue politische Kraft entstehen würde, die die Regierungs- und Handlungsfähigkeit des Staates schwer belasten würde.

(Björn Thoroe)

Sehr geehrte Kollegen der Linksfraktion, Ihr Antrag fordert für die Beamten ein Recht, das der überwiegende Teil unserer Beamten gar nicht haben will. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist dieser: Durch Ihre Unterscheidung zwischen hoheitlichen Aufgaben und anderen Aufgaben würden wir in der Folge Beamte erster und zweiter Klasse haben, nämlich diejenigen mit Streikrecht und diejenigen ohne Streikrecht. Der Deutsche Beamtenbund hat dazu ganz klar Stellung bezogen. Er lehnt ein Streikrecht für Beamte ab. Im Übrigen und in letzter Konsequenz gilt: Würde Ihrem Antrag gefolgt, dann wäre dies der Beginn der Abschaffung unseres Beamtentums. Wenn Sie das wollen, dann sollten Sie das hier auch sagen.

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Das wollen wir auch!)

- Gut, Herr Thoroe hat vergessen, das zu erwähnen.

Die Motivation für diesen Antrag finden wir heute wohl eher unter Nummer 4 des Antrags. Dort geht es um die Konsequenzen aus dem Lehrerstreik im vergangenen Jahr. Diese beamteten Lehrer haben in voller Kenntnis der Rechtslage gestreikt. Sie wurden darauf aufmerksam gemacht. Sie haben die möglichen Folgen in Kauf genommen. Sie versuchen nun im Nachhinein, unsere Rechtslage einem klaren Rechtsbruch anzupassen.

(Beifall bei der FDP)

Im Übrigen sollen wir dazu das Grundgesetz ändern.

Ich kann Ihnen das noch einmal an einem anderen Beispiel klarmachen, vielleicht verstehen Sie es dann besser: Wenn Sie zu schnell fahren, einen Strafzettel bekommen und Ihren Führerschein verlieren, dann starten Sie anschließend eine Bundesratsinitiative, die die Straßenverkehrsordnung ändert, damit sie zu Ihrem Vergehen passt. Es ist wirklich gut, dass Sie in unserem Staat keine Verantwortung tragen, denn das ist totale Anarchie.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU - Zurufe von der LINKEN)

Ich könnte Ihnen das auch an anderen Beispielen weiter ausführen, aber das ist es wirklich nicht wert. Die Lehrer wussten haargenau, was sie tun, und dafür werden sie jetzt die Folgen zu tragen haben. Dies ist und bleibt unsere Haltung dazu. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag aufs Schärfste ab.

Alles Weitere wird meine Kollegin noch ausführen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Detlef Buder das Wort.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Arp nach dem Warnstreik vom 3. Juni 2010 hat das Ministerium - wir erinnern uns daran - gegen rund 2.000 Lehrer Disziplinarverfahren eingeleitet. Es hat sich seinerzeit sehr weit aus dem Fenster gelehnt und erklärt, es gehe davon aus, dass angesichts der Rechtswidrigkeit des Streiks gerichtliche Verfahren zugunsten des Landes entschieden werden und damit für das Land kostenfrei seien. Wenn allerdings irgendetwas in diesen Tagen unklar ist, dann ist es die derzeitige Rechtslage. Bundesweit jagt ein Urteil das nächste. Die Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und in Kassel kamen zu dem Ergebnis, dass die Gewährung des Streikrechts aufgrund des dienstlichen Status als Angestellter oder Beamter kein angemessenes Kriterium sein könne, weil im Lehrerbereich beide dieselbe Tätigkeit erfüllen. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht Osnabrück festgestellt, dass der Kernbestand des Grundgesetzes eine solche Unterscheidung sehr wohl rechtfertige.

Diese ganzen Verfahren sind jetzt bei den Oberverwaltungsgerichten anhängig und danach vermutlich auch bei den zuständigen Verfassungsgerichten. Die GEW Schleswig-Holstein hat bereits angekündigt, notfalls bis zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu ziehen. Aber auch die GEW hat ihre ursprüngliche Rechtsaufassung mittlerweile geändert und für die Inhaber von Funktionsstellen die Klagen gegen die Disziplinarmaßnahmen mangels Erfolgsaussicht zurückgezogen.

In dieser ganzen Auseinandersetzung haben wir dem Minister seinerzeit dringend geraten - ich war das -, sich auf seine eigenen Maßstäbe zu besinnen, mit denen er noch im Frühjahr 2009 seiner sozialdemokratischen Amtsvorgängerin nahegelegt hat, auf jede Form von vorbeugender Rechtsbelehrung zu verzichten. Ich weiß, dass wir beide uns in diesem Zusammenhang damals auseinandergesetzt haben.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kubicki?

(Astrid Damerow)

Sehr geehrter Kollege Buder, halten Sie es nicht wie auch ich für sinnvoll, die Maßnahme der GEW zu begrüßen, zur Klärung der Rechtslage in Deutschland eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs herbeiführen zu wollen?

- Ich habe überhaupt nichts kritisiert, ich habe nur festgestellt, dass sie das will, um aufzuzeigen, dass die Rechtslage im Moment nicht klar ist. Der Europäische Gerichtshof wird diese Lage klären. Wenn wir dann eine endgültige Klärung haben, können wir uns an dieser Stelle - darauf komme ich gleich noch zurück - weiter unterhalten. Es geht nur darum, den Zustand zu beschreiben. Im Gegensatz zu der Kollegin Damerow bin ich der Meinung, dass das juristisch nicht alles klar ist, sondern dass wir dort in einen neuen Prozess der Klärung eintreten müssen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, weil Sie nun nicht wissen, welcher Tätigkeit Sie nachgehen sollen oder wollen, bemühen Sie sich lieber - das sage ich so als Bildungspolitiker - darum, dass Deutschland und SchleswigHolstein nicht auf Dauer so blamabel abschneiden wie beim jüngsten OECD-Jahresbericht mit Bildungsausgaben von nur 4,8 % des Bruttoinlandsprodukts!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist das Er- gebnis von 21 Jahren SPD-Bildungspolitik! - Weitere Zurufe)

Stemmen Sie sich mit Ihrem ganzen politischen Gewicht, stemmen Sie sich mit Ihrem ganzen Gewicht

(Christopher Vogt [FDP]: Politischem Ge- wicht!)

- ich wollte nur mal gucken, ob der Minister auch zuhört, ob er diese Unterscheidung in der Sprache wahrnimmt -, also stemmen Sie sich mit Ihrem ganzen politischen Gewicht gegen weitere Kürzungen im Bildungsbereich, die Sie hier Ihrerseits so verteidigen!

Die rechtliche Auseinandersetzung um den Warnstreik zeigt, dass das öffentliche Dienstrecht in Deutschland - darum geht es ja auch - antiquiert und möglicherweise nicht europatauglich ist. Man kommt ja schon ins Schleudern, wenn man Ausländern erklären soll, welche Unterschiede es zwischen Angestellten und Beamten gibt. Es gehört zu

den Versäumnissen aller Bundesregierungen in diesem Bereich, gleich welcher Koalitionszusammensetzung, dass bisher keine Klärung geschaffen worden ist. Es gibt keine Klärung. Im Lehrerbereich gibt es deshalb keine Klärung, weil es Länder gibt, in denen es keine Beamten im Lehrerbereich gibt, und es gibt Länder, in denen es nur Beamte gibt, und es gibt Länder, in denen es sowohl Beamte als auch Angestellte gibt. Das ist sehr unterschiedlich geregelt. Es kann aber nicht die Position vertreten werden, Lehrer sind Beamte und haben deshalb kein Streikrecht, weil sie hoheitliche Aufgaben erfüllen, wenn es in anderen Bundesländern anders ist. Hier müssen wir also zu einer einheitlichen Klärung kommen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Nein, keine weitere Zwischenfrage! Ich habe meine Redezeit schon überzogen.

Die wird ja nicht angerechnet.

Wir werden uns in den Ausschüssen damit befassen, eine endgültige Klärung für Schleswig-Holstein herbeizuführen. Ich schlage vor, den Antrag an den Bildungsausschuss und den Ausschuss für Inneres und Recht zu überweisen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Ingrid Brand-Hückstädt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Tatsache, dass ich zu diesem Thema rede, können Sie entnehmen, dass ich mich nicht mit der Lehrerdemonstration am 3. Juni befassen werde.

Liebe LINKE, was ist ein Streik? - Aus Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes hat sich in langjähriger Rechtsprechung folgende Definition entwickelt: Ein Streik ist eine kollektive Arbeitsniederlegung während der Arbeitszeit, um in einer Streitigkeit

zwischen Tarifparteien bestimmte Ziele zu erreichen, nach einem bestimmten Regelablauf, zum Beispiel Ende der Friedenspflicht, Urabstimmung in der Gewerkschaft. Diese Ziele haben sich auf tarifpolitische Ziele zu beziehen, also Arbeitsbedingungen wie zum Beispiel Entgelt oder Wochenarbeitszeit.

(Björn Thoroe [DIE LINKE]: Was ist mit Arbeitsplatzabbau?)

- Das ist keine tarifliche Regelung! - Dieses Recht ist jedem Arbeitnehmer in Deutschland gegeben, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Ganz klar, es ist ein essenzielles demokratisches Grundrecht.

Nun, was ist ein Beamter? - Im Unterschied zu einem normalen Arbeitnehmer genießt er das Privileg der Unkündbarkeit und der gesicherten Altersversorgung. Er hat dem Staat zu dienen und ihm gegenüber loyal zu sein. Bei Unmut über seine Arbeitsbedingungen darf er während der Arbeitszeit nicht streiken. Der Staat darf sich nämlich keine Versorgungsengpässe leisten, ob bei Schulstunden oder im Rettungsdienst.

(Beifall bei FDP und CDU)

Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die von Ihnen zitiert wird, sagt, dass jede Person das Recht hat, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen. Und weiter: „Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, Sicherheit der Ordnung, Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

Die Rechtsprechung sieht das Streikverbot für Beamte als Teil der Treuepflicht und damit als Kernbestand der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums in Artikel 3 Abs. 5 des Grundgesetzes an. Das Streikverbot genießt insoweit Verfassungsrang.