Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

Silvio Berlusconi will eine Wahlniederlage in seiner Heimatstadt Mailand verhindern und setzt dabei auf fremdenfeindlichen Parolen: Die Finanzmetropole dürfe kein islamisches ‚Zigeunopolus’ werden, sagt Italiens Regierungschef.“

„Fast die Hälfte ging freiwillig, der größere Teil aber wurde zwangsweise abgeschoben: Mehr als 13.000 Bulgaren und Rumänen, zumeist Roma, haben Frankreich seit Jahresbeginn verlassen.“

Auch das schreibt Björn Hengst.

Wir sehen, diese Leute sind traumatisiert, diese Leute sind schwerverletzt, seelisch schwerverletzt. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, ihnen hier bei uns die allerbesten Bedingungen zu geben, sich hier einzuleben. Der gute Wille ist da.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Lars Harms [SSW])

Aber wir haben auch einen Integrationsbedarf bei Sinti und Roma, die zur nationalen Minderheit gehören und die seit langer Zeit in Deutschland leben. Frau Damerow, vielleicht haben Sie einen Moment Zeit. Sie haben vorhin die Frage gestellt, wie es denn mit dieser Aussage mit den Analphabeten sei. Ich habe ein Zitat von Alexander Diepold rausgesucht. Damit will ich auch enden. Er ist Sozialpädagoge und Vorsitzender des Verein Madhouse, der Sinti und Roma in München ambulante Erziehungshilfe und Bildungsberatung in München gibt. Es ist ein bisschen länger, aber es lohnt sich, das anzuhören:

(Luise Amtsberg)

„Bei den Erwachsenen haben wir festgestellt, dass im Altersbereich zwischen 28 und 50 Jahren viele Analphabeten sind.“

- Es geht um deutsche Sinti und Roma.

„Dieser Analphabetismus hat eine der großen Ursachen im Bildungsknick des Nationalsozialismus. Da wurden die Kinder von den Schulen systematisch weggeholt, durften nicht mehr lesen und schreiben.“

- Man kann ergänzen: Viele durften anschließend auch nicht mehr leben.

„Aber auch, als man ihnen nach dem Nationalsozialismus erlaubt hat, wieder zurück in die Schule zu kommen, hat man keinen großen Wert auf sie gelegt. Die, die den Völkermord an den Sinti und Roma überlebt haben, waren äußerst skeptisch, ob sie ihre Kinder überhaupt noch in die Schulen bringen sollten, weil sie permanent in der Angst gelebt haben, die Kinder könnten wieder weggeholt werden. Diese Angst ist auch heute bei vielen Eltern, die die Traumatisierung ihrer Eltern miterlebt haben, immer noch da.“

Ich glaube, es ist ein Teil unserer historischen Verantwortung, da einzugreifen und Angebote zu machen, ohne zu zwingen und ohne Druck auszuüben. Ich glaube, deswegen werden wir im Ausschuss natürlich mit den deutschen Sinti und Roma reden müssen, um auf diese speziellen Bedingungen einzugehen.

Wir stimmen der Ausschussüberweisung zu und sind uns ziemlich sicher, dass wir einen guten Weg gehen.

(Beifall bei der LINKEN, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung erteile ich jetzt dem Minister für Justiz, Gleichstellung und Integration, Herrn Emil Schmalfuß, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Fraktion des SSW auf einen spezifischen Integrationsplan für Roma führt in seiner Begründung Punkte auf, die bereits heute Schwerpunkte der Integrationspolitik in Schleswig-Holstein bilden: Integration durch Sprache, Integration durch Bildung,

Integration durch Ausbildung und Arbeit, gesellschaftliche Integration.

Dabei gilt für uns folgender Grundsatz: Integrationspolitik orientiert sich an Bedarfen und nicht an Nationalitäten oder an der Zugehörigkeit einer Bevölkerungsgruppe.

(Beifall bei FDP und CDU)

Förderstrategien, wie sie zum Beispiel in der Qualifizierungsinitiative für Deutschland „Aufstieg durch Bildung“ zwischen Bund und Ländern vereinbart worden sind, umfassen alle sozial und wirtschaftlich benachteiligten Schülerinnen und Schüler und schließen insbesondere auch die Roma ein.

Vor diesem Hintergrund sind die Bestrebungen der Landesregierung zu sehen, eine Politik der Vielfalt, Teilhabe und Integration voranzutreiben, die auf Augenhöhe erfolgt und keine Bewertung von Menschen nach Nützlichkeit und Integrationswürdigkeit vorsieht.

So hat das Kabinett auf meinen Vorschlag am 20. Juni 2010 beschlossen, das seit 2002 bestehende Integrationskonzept in einen Aktionsplan Integration fortzuschreiben. Der Aktionsplan Integration Schleswig-Holstein umfasst zehn Themenschwerpunkte, die mit dem Ziel bearbeitet wurden, Bedarfe zu identifizieren und strategische und operative Ziele zu entwickeln, die mit konkreten Maßnahmen innerhalb einer definierten Zeit erreicht werden sollen. Die bisherigen Grundsätze und Kernaussagen des Integrationskonzeptes werden die Integrationspolitik der Landesregierung auch zukünftig bestimmen.

Mit der Fortschreibung in einem Aktionsplan Integration werden diese noch zielgenauer ausgerichtet und Erfolge messbarer gemacht. Gleichzeitig knüpft der Plan an die aktuelle Diskussion sowie neue Herausforderungen und politische Aktivitäten von Bund, Land und Kommunen an.

Die Bundesregierung hat bisher offengelassen, ob sie eine nationale Roma-Strategie oder integrierte Pakete mit politischen Einzelmaßnahmen ausarbeiten beziehungsweise ihre vorhandenen Strategien und Maßnahmepakete aktualisieren wird. Genauso offen ist derzeit, ob sich daraus ein Anpassungsbedarf für den schleswig-holsteinischen Aktionsplan ergibt. Bei den formulierten Zielen ist das eher unwahrscheinlich. Das ist bei den konkreten Maßnahmen derzeit auch nicht abschätzbar. Aus diesem Grund sollten wir die Bundesplanung abwarten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Integration ist keine Einbahnstraße. So reicht es nicht, zu

(Heinz-Werner Jezewski)

fordern, um beispielsweise die Rahmenbedingungen für eine Integration der Roma-Kinder und -Jugendlichen ins Schulsystem in Deutschland zu schaffen. Die Roma müssen ihren Kindern auch die Möglichkeit einräumen, die Schule zu besuchen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Integration bedeutet daher immer eine Zweibahnstraße. Ein gutes Beispiel für diese Zweibahnstraße ist ein Projekt an Kieler Schulen, das von der Landesregierung unterstützt wird. In dem Projekt arbeiten vier Mediatorinnen. Die Kosten dafür werden zu drei Viertel vom Landesverband der Deutschen Sinti und Roma e.V. getragen, der für diesen Zweck Landeszuschüsse erhält. Die vierte Mediatorin ist im Landesdienst.

Die Zielsetzung der Erhöhung der Bildungschancen der Sinti- und Roma-Kinder soll erreicht werden durch Begleitung der Kinder im Unterricht, durch Hausaufgabenhilfe, die Beratung der Lehrkräfte, die Kontaktpflege zu den umliegenden Kindertageseinrichtungen und Beratung der Eltern beziehungsweise Mütterarbeit.

Gerade weil die Problemlage so komplex ist, sollte sich niemand Illusionen über schnelle Erfolge machen. Gefragt ist in diesem Bereich eine über Jahre

hinweg laufende, sehr kleinteilige und aufwendige Sozialarbeit, und zwar ganz unten. Mit der anstehenden Umsetzung des schleswig-holsteinischen Integrationsplans wird die Landesregierung ihren Beitrag dazu leisten.

(Beifall bei FDP und CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 17/1887 federführend an den Europaausschuss und mitberatend an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich unterbreche die Tagung bis morgen früh um 10 Uhr und schließe die heutige Sitzung.

Schluss: 18:01 Uhr

(Minister Emil Schmalfuß)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst