Protokoll der Sitzung vom 06.10.2011

- Wir wissen ja, wie Einschulungsverfahren laufen. Das ist innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten gar nicht zu erledigen. Insofern ist es schon richtig, auch zum Schutz dieser Kinder deutlich zu machen, dass wir pädagogische und bauliche Voraussetzungen haben müssen, damit die Kinder dort beschult werden können. Das ist nicht nur eine Frage des Haushalts, sondern dient auch dem Schutz derjenigen, die dort inklusiv beschult werden sollen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Uli Hase, bei allen Differenzen in der einen oder anderen Frage und dem Vorwurf, die Landesregierung tue zu wenig, habe ich aus der letzten halben Stunde Debatte den Eindruck gewonnen, dass es in diesem Haus fraktionsübergreifend, und zwar ohne Unterschiede, wie in den vergangenen zehn Jahren, in denen ich diesem Parlament angehören durfte, Einigkeit darin gibt, nicht eine Politik für Menschen mit Behinderung von oben herab zu machen, um irgendetwas Gutes für Menschen mit Behinderung zu tun, sondern dass sie mitten in die Gesellschaft geholt werden sollen, dass sie als ganz selbstverständliche Mitglieder in unserer Gesellschaft mit all ihren Möglichkeiten leben können. Das finde ich gut.

(Beifall)

Gestatten Sie mir eine weitere Vorbemerkung: Lieber Uli Hase, ich freue mich, dass Sie diesen Bericht zum ersten Mal so abgeben konnten, wie es sich viele von uns immer gewünscht haben, nämlich frei, als Beauftragter dieses Parlaments für Menschen mit Behinderung und nicht irgendeinem Ministerium zugeordnet. Kein Sozialminister konnte redigieren, auch ich nicht. Da muss man im Zweifel einmal Kritik einstecken, aber ich finde das gut so. Deshalb war die Entscheidung, die in der

vergangenen Legislaturperiode getroffen worden ist, richtig.

(Beifall)

Bei allem Für und Wider in der letzten halben Stunde: Diese Landesregierung tritt nach wie vor mit großer Überzeugung weiter für die Leitbildorientierung einer inklusiv orientierten Gesellschaft ein. Dazu gehört, dass Menschen mit Behinderung mit Selbstbewusstsein und Selbstverständlichkeit einen gleichberechtigten Platz mitten in der Gesellschaft nicht nur einfordern, sondern dass sie diesen Platz auch bekommen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Dafür stehen die Arbeit des Landesbeauftragten und sein Tätigkeitsbericht. Natürlich kritisiert er darin die Landesregierung, das soll er auch tun, genau das ist seine Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, die Kritik aufzunehmen und in Politik umzusetzen. Adressat sind wir alle, Legislative, Landesregierung, aber auch Kreise, Kommunen und Zivilgesellschaft. Deswegen lese ich den Bericht als zentrale Bestandsaufnahme mit einer ganzen Fülle von Anregungen und Hinweisen für die Landesregierung, für die ich hier spreche, aber auch für uns alle. Für seinen Tätigkeitsbericht danke ich dem Landesbeauftragten im Namen der Landesregierung sehr herzlich, selbstverständlich auch Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Punkt Eingliederungshilfe kommen. Noch niemals zuvor wurde so viel für die gesetzliche Pflichtleistung nach dem SGB XII ausgegeben wie in dieser Legislaturperiode. Ich will das, weil hier immer von Sparbemühungen die Rede ist, herausstreichen: Keine Landesregierung zuvor hat mehr für die Eingliederungshilfe ausgegeben als diese christlich-liberale Landesregierung, und das vor dem Hintergrund eines harten Konsolidierungskurses. Selbstverständlich besteht ein Rechtsanspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe, aber unsere Herausforderung ist es doch, nicht nur die der Sozialpolitiker, sondern auch der Finanzpolitiker und aller anderen, das System der Eingliederungshilfe dauerhaft finanzierbar zu halten und zu sichern. Dazu gehört angesichts der demografischen Entwicklung eine Dämpfung des Kostenanstiegs, sonst bleiben das Sonntagsreden im Finanzausschuss, sonst bleiben das Sonntagsreden in Haushaltsprüfgruppen oder in Beteiligungsausschüssen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Leistungen in den kommenden Jahren für Menschen mit Behinderung gesichert werden können. Da braucht es keine Kampfparolen

und keine Kampfpolemik, sondern da braucht es intelligente Ideen. Dazu gehört für mich an allererster Stelle selbstverständlich auch die Frage, wie wir das persönliche Budget bekannter machen und wie mehr Menschen mit Behinderung in Zukunft genau diese intelligente Art der Teilhabe in Anspruch nehmen können.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich will im Rahmen des Ausführungsgesetzes zum SGB XII erwähnen: Ja, die Kommunalisierung der Eingliederungshilfe war ein Erfolg. Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass es richtig war, dass wir die finanziellen Fehlanreize, die bestanden, mit dem AG SGB XII im vergangenen Jahr beseitigt haben, dass es keinen Unterschied mehr gibt bei der Finanzierung ambulanter oder stationärer Leistungen. Ich will darauf hinweisen, dass mit dem AG SGB XII auch die Möglichkeit zur sozialräumlichen Orientierung geschaffen wurde.

(Beifall der Abgeordneten Heike Franzen [CDU])

Es ist Aufgabe der Kreise und kreisfreien Städte, die sozialräumliche Orientierung aktiv als Instrument zu nutzen, und es ist eine schöne Aufgabe für jeden Abgeordneten, dafür vor Ort zu werben.

Lassen Sie mich zu dem Punkt kommen, den die Kollegin Bohn angesprochen hat. Sie wissen, dass eine ganze Menge arbeitsmarktpolitischer Instrumente nicht nur zur Verfügung steht, sondern auch eingesetzt wird. Ich will exemplarisch das Modell des Fachberaters nennen. Ich will aber auch sagen, dass wir am 7. November 2011 gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit eine große Initiative für Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung starten. In diesem Gesamtkonzept werden 2.000 Unternehmen in SchleswigHolstein nicht nur angeschrieben, sondern auch dafür interessiert, dass Menschen mit Behinderung Potenziale haben, dass man diese Menschen nicht nach Defiziten beurteilt, sondern dass man endlich zuallererst die Potenziale von Menschen erkennt und sie nutzt und dann, wenn es Defizite gibt, schaut, wie wir gemeinsam mit den Möglichkeit, die es gibt - beispielsweise über die Ausgleichsabgabe -, dazu beitragen können, dass diese Menschen tatsächlich im ersten Arbeitsmarkt arbeiten können. Ich lade dazu ein, Gebrauch hiervon zu machen. Ich lade die Unternehmen dazu ein, aber auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei FDP und CDU)

(Minister Dr. Heiner Garg)

Und ja, es ist richtig: Ich habe keine Mitarbeiterin und keinen Mitarbeiter im Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit aufgefordert, einen Plan aufzuschreiben, und wir haben zum Schluss „Aktionsplan“ darüber geschrieben. Das ist richtig. Das war auch eine ganz bewusste Entscheidung, weil ich der Auffassung bin, dass ein Aktionsplan gemeinsam mit allen gestaltet werden sollte. Die Kollegin Franzen hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass es schwierig ist, auf Kritik zu reagieren, wenn eine Veranstaltung, die angeblich nie stattgefunden hat, stattgefunden hat und an der dann nur Vertreter der Regierungsfraktionen teilgenommen haben. Das allerdings ist ein bisschen schwierig, meine Damen und Herren.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Bundeskabinett hat am 3. August 2011 den Nationalen Aktionsplan beschlossen. Er beinhaltet neben einer Bestandsaufnahme die behindertenpolitischen Ziele und Maßnahmen der Bundesregierung zur Umsetzung einer Gesamtstrategie. Angesprochen sind auch hier alle Ressorts. Die Diskussionsprozesse werden in den entsprechenden Bund-Länder-Arbeitsgruppen geführt, und zwar intensiv geführt. Die laufende Vernetzung zwischen Bund und Ländern begrüße ich ausdrücklich. Schleswig-Holstein beteiligt sich daran übrigens aktiv.

Ich darf an dieser Stelle auch an den Zwischenbericht der Landesregierung vom August des vergangenen Jahres über die Umsetzung der UN-Konvention in Schleswig-Holstein erinnern. Schon darin ist der Inklusionsansatz als zentrales Konzept und Programm der Politik für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein dargestellt, und davon wird - um das ganz deutlich zu sagen - auch kein Jota abgewichen. Beleuchtet werden Handlungsfelder mit Bezug auf alle Lebensbereiche, von Erziehung und Bildung über Arbeit, Wohnen, Kultur, Sport und Freizeit bis hin zur Interessenvertretung.

Vor zwei Wochen war es dann soweit. Am 20. September 2011 - man kann sagen: viel zu spät - hat die Landesregierung gemeinsam mit den Paritätischen die Fachtagung hier in Kiel durchgeführt, auf die ich gerade eingegangen bin. Es wird ein gemeinsamer Aktionsplan entwickelt, der sich selbstverständlich an der vollen Beachtung sämtlicher für das Land verbindlichen Vorgaben der UN-Konvention orientiert. Wie könnte es auch anders sein? Alle Betroffenen werden an der Erarbeitung dieses Aktionsplans intensiv beteiligt. In diesem Sinne wird es schon in Kürze eine Folgeveranstaltung zur Inklusionskonferenz vom 20. September geben.

Es geht um die Vermeidung von Doppelungen gegenüber dem Nationalen Aktionsplan und um die Konzentration auf Landesaufgaben, also auf das, was wir tatsächlich hier vor Ort tun können. Wir respektieren selbstverständlich die Verantwortlichkeit von Kreisen und Kommunen, und außerdem geht es - das ist mir neben der Beteiligung aller Betroffenen fast das Wichtigste - um die Entwicklungsfähigkeit eines solchen Plans. Sie alle wissen, dass das Konzept der Inklusion kein eindeutig zu definierendes Ziel oder irgendein Fünfjahresplan ist, der irgendwann erreicht wäre oder abgearbeitet ist. Es geht um einen stetigen Prozess, den ein Aktionsplan abbilden und anregen soll. Prozesshaftigkeit und nicht etwa in Stein gemeißelte Zielmarken sollen den Aktionsplan charakterisieren.

Dieser beteiligungsorientierte Prozess ist im Übrigen schon selbst wieder ein weiterer Baustein für mehr Inklusion in Schleswig-Holstein. Deswegen freue ich mich auf die Ausschussberatungen sowohl zu dem Bericht des Landesbeauftragten als auch zu den Anträgen.

Lassen Sie mich am Ende meiner Rede noch einmal auf das zurückkommen, womit ich begonnen habe. Bei aller Kritik und bei allen zum Teil ritualisierten Vorwürfen - der eine mag berechtigt sein, der andere weniger - glaube ich, dass wir, einer guten Tradition in diesem Landtag folgend, so wie wir in der Vergangenheit behindertenpolitische Themen diskutiert und oft auch gemeinsam und fraktionsübergreifend vorangebracht haben, gemeinsam an der Umsetzung arbeiten sollten, damit Menschen mit Behinderung in Zukunft ganz selbstverständlich als selbstbewusste, selbstständige und geschätzte Mitglieder in dieser Gesellschaft dieselben Chancen haben wie alle anderen Menschen auch.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Landesregierung hat die verabredete Redezeit um 6 Minuten überschritten. Diese Redezeit könnte jetzt von allen anderen Fraktionen genutzt werden, das muss man aber jetzt nicht tun. - Ich sehe auch keine Wortmeldung. Daher schließe ich die Beratung, und wir kommen damit zur Abstimmung.

Der Antrag in der Drucksache 17/1883, Antragsteller BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, enthält in dem Buchstaben B einen Berichtsantrag zur 22. Tagung. Hierüber lasse ich zunächst abstimmen. Wer diesem Antrag auf Berichterstattung in der 22. Tagung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzei

(Minister Dr. Heiner Garg)

chen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Das ist einstimmig so beschlossen.

Weiterhin ist beantragt worden, die Anträge in der Drucksache 17/1883 - das ist wieder der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hier: Buchstabe A - sowie in der Drucksache 17/1885 - Antragsteller ist die Fraktion DIE LINKE - an den Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Weiterhin ist beantragt worden, den Bericht des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung in alle Ausschüsse zu überweisen. Wir haben nachgefragt: Der Petitionsausschuss ist damit nicht gemeint. In alle Ausschüsse soll er also überwiesen werden. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig beschlossen. Damit schließe ich diesen Tagesordnungspunkt.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 14 auf:

Strukturfonds zukunftsfähig für Schleswig-Holstein gestalten

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/1860

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall.

Mit Nummer 2 des Antrags in der Drucksache 17/1860 wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich lasse zunächst darüber abstimmen, ob der Bericht in dieser Tagung gegeben werden soll. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Das ist einstimmig so beschlossen.

Sodann erteile ich für die Landesregierung dem Herrn Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag greift ein wichtiges Thema auf, und er nennt sogar ein paar richtige Schlagworte; aber er verkennt die Realitäten auf der europäischen Ebene.

Es ist richtig: Die Europäische Kommission hat am 29. Juni 2011 ihren Vorschlag zum mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 veröffentlicht, und

es ist auch richtig: Sie macht darin allgemeine Vorschläge für die zukünftige Gestaltung der Strukturfonds. Der mehrjährige Finanzrahmen gibt also einen gewissen Rahmen vor. Aber er ist nicht die Grundlage, auf der wir die künftige Strukturpolitik in Schleswig-Holstein konzipieren können.

Die Grundlage dafür werden die sogenannten Legislativvorschläge zu den einzelnen Fonds-Verordnungen sein. Darin wird festgelegt, wie groß der Anteil der Mittel am Gesamthaushalt ist und wie, zu welchen Konditionen, für welche Ziele und in welchen Verfahren sie eingesetzt werden können. Diese Legislativvorschläge hat die Europäische Kommission erst heute vorgelegt. Schon jetzt ist klar: Die Beschlüsse werden am Ende ganz anders aussehen als die Vorschläge der Kommission.

Nach dem vorliegenden Antrag soll die Landesregierung aufgefordert werden, sich dafür einzusetzen - ich zitiere -„die Strukturfondsförderung zukunftsfähig zu gestalten“. - Dazu müssen Sie uns nun wirklich nicht auffordern. Die Landesregierung ist seit Beginn der Diskussion mit der Reform der EU-Strukturpolitik befasst.

Gern will ich Ihnen kurz die wesentlichen Eckpunkte unserer bisherigen Positionen in den Verhandlungen über die Reform der Strukturpolitik darlegen. Die EU-Kohäsionspolitik ist für die Umsetzung der EU-2020-Strategie unverzichtbar. Die Landesregierung tritt dafür ein, dass auch in Zukunft eine effiziente Förder- und Regionalpolitik mit europäischer Unterstützung möglich bleibt.

Wir wollen keine Reduzierung des Ziels 2 durch die Einführung einer Zwischenkategorie für schwächere Regionen mit 75 bis 90 % des EU-Bruttoinlandsprodukts. Die Landesregierung befürwortet angemessene und gerechte Übergangsregelungen für Regionen, die zurzeit im Rahmen des Ziels Konvergenz geführt werden und deren Bruttoinlandsprodukt 75 % des EU-Durchschnitts übersteigt. Die Mittel hierfür sollen aber im Ziel Konvergenz bereitgestellt werden.

Für die Landesregierung hat die europäische territoriale Zusammenarbeit eine hohe Bedeutung. Wir begrüßen den gemeinsamen strategischen Rahmen, der alle Strukturfonds umfasst. Bei der vorgeschlagenen Konzentration der Mittel auf wenige thematische Prioritäten muss die notwendige Flexibilität aufrechterhalten bleiben. Regionale Besonderheiten müssen berücksichtigt werden.

Die Einführung von Konditionalitäten und Anreizen wird von der Landesregierung grundsätzlich kritisch beurteilt. Es darf vor allem keine Verpflich

(Präsident Torsten Geerdts)