Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011

(Zurufe von CDU und FDP)

Ich sage noch einmal: Ich habe das wiederholt, was ich im Parlament zur Sache gesagt habe, und dabei bleibe ich. Wenn Sie das als persönliche Verunglimpfung empfunden haben, bedauere ich dieses. Zur politischen Aussage meiner Punkte stehe ich allerdings nach wie vor.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterbreche die Landtagssitzung und berufe eine Sitzung des Ältestenrates ein.

(Unterbrechung: 11:23 bis 11:42 Uhr)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Der Ältestenrat hat eben getagt. - Ich erteile jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte mit meinen gestrigen Einlassungen - sowohl im Parlament als auch danach - auf die gravierenden Folgen der Zulassung von illegalem Onlinepoker aufmerksam machen. Dabei ist mir die nach dem Parlament gewählte Formulierung offenkundig missglückt. Mir lag es fern, den beiden Kollegen Arp und Kubicki persönliche Nähe zu solchen Dingen zu unterstellen, die im Kontext mit Onlinepoker möglich sind. Vollständig lag es mir fern, die beiden Kollegen persönlich zu beschuldigen oder sie dadurch zu verletzen, dass das so verstanden werden konnte. Jedenfalls bedauere ich das ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich begrüße jetzt weitere Besucher auf der Tribüne. Es sind Mitglieder des CDU-Ortsverbands Lauenburg und der Fortbildungsakademie der Wirtschaft Kiel mit Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmern. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf:

Katastrophenschutzplanung bei atomaren Unfällen in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/1451

Antwort der Landesregierung Drucksache 17/1843

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich Herrn Innenminister Klaus Schlie das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Lesen der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird schnell klar, dass der Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen eine Querschnittsaufgabe darstellt, die viele Fachbereiche unterschiedlicher Ressorts betrifft. Ich werde daher nicht auf alle Details der Antwort eingehen, sondern mich auf eine inhaltliche Beschreibung der Aufgaben und des Notfallund Katastrophenschutzes in der Umgebung kerntechnischer Anlagen beschränken.

Der Notfallschutz in Deutschland ist untergliedert in den anlageninternen Notfallschutz, der alle Maßnahmen in den Verantwortungsbereich des Betreibers mit dem Ziel der Verhinderung von Kernschäden und der Reduktion der Auswirkungen auslegungsüberschreitender Ereignisse auf die Umwelt beinhaltet, und den externen Notfallschutz. Dieser beschreibt alle Maßnahmen, die im Rahmen des Katastrophenschutzes und der Strahlenschutzvorsorge außerhalb des betrieblichen Überwachungsbereichs der kerntechnischen Anlagen vorzubereiten sind. Ziel dieser Maßnahmen sind der Schutz von Leben, Gesundheit und Sachgütern sowie die

(Dr. Ralf Stegner)

Minimierung des Risikos vor beziehungsweise nach einer Strahlenexposition.

Auf Landesebene sind für diese Bereiche die atomrechtliche Aufsichtsbehörde und die allgemeine Strahlenschutzbehörde, also das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Integration, zuständig. Der planerische Katastrophenschutz wird durch die oberste Katastrophenschutzbehörde, das Innenministerium, und der planerisch operative Teil durch die Kreise und kreisfreien Städte als untere Katastrophenschutzbehörden sichergestellt.

Das Planungsgebiet des Katastrophenschutzes beinhaltet vier Zonen, in denen unterschiedliche Maßnahmen vorbereitend geplant sind. Es sind der 2-km-Radius um die Kernkraftwerke, die sogenannte Zentralzone, der 10-km-Radius, die sogenannte Mittelzone, die Außenzone mit einem 25km-Radius und die Fernzone mit einem 100-kmRadius um die kerntechnischen Anlagen.

Innerhalb dieser Gebiete werden folgende Maßnahmen und Planungen vorgehalten: Meß- und Spürorganisationen; Evakuierung beziehungsweise Verbleiben im Haus, um Strahlenexpositionen zu verhindern oder zu minimieren; Ausgabe und Einnahme von Jodtabletten; Dekontaminationsmaßnahmen und Notfallstationen.

Die oberste Katastrophenschutzbehörde stellt die Grundlagen für Katastrophenschutzplanungen in Zusammenarbeit mit den Ressorts zur Verfügung und hält als Stabsorganisation einen Führungsstab im Innenministerium zur Koordinierung der notwendigen Aufgaben vor. Der Auftrag zu deren operativer Umsetzung geht an die Führungsstäbe der unteren Katastrophenschutzbehörden. Unterstützt werden die Maßnahmen unter anderem durch eine landesweit einheitliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit durch die Pressestelle der Staatskanzlei. Über ein länderübergreifendes Lage- und Meldewesen werden permanent Informationen mit den Nachbarländern ausgetauscht. Auch der Bund wird über die durchgeführten Maßnahmen unterrichtet, um einen größtmöglichen einheitlichen Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten.

Katastrophenschutzlagen im Bereich kerntechnischer Anlagen sind immer auch Lagen des allgemeinen Strahlenschutzes. Daher finden auf allen Ebenen, bei den Betreibern, der Strahlenschutzbehörde, der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde und den Katastrophenschutzbehörden, regelmäßig Übungen statt, zuletzt im vergangenen Jahr beim Kernkraftwerk Brokdorf.

Meine Damen und Herren, der Beschluss zur Energiewende ist erfolgt. Die dargestellten Aufgaben werden uns aber trotzdem auch künftig noch lange begleiten und in den nächsten Jahren keinesfalls an Bedeutung verlieren. Das gilt natürlich auch für die Phase des Rückbaus der kerntechnischen Anlagen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Bernd Voß.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schicke voraus einen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesregierung für die umfangreiche Beantwortung der Fragen.

Die enormen Schwierigkeiten, vor denen die Bevölkerung und die Behörden in Japan bei der Bewältigung der Reaktorkatastrophe von Fukushima stehen, haben uns zu dieser Großen Anfrage veranlasst. Auch wenn zwei von drei Atomkraftwerken bei uns nie wieder ans Netz gehen sollen, geht von ihnen weiterhin eine Gefahr aus.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Flemming Meyer [SSW])

Wir haben zugleich in Schleswig-Holstein drei atomare Zwischenlager. Das Kernkraftwerk Brokdorf läuft weiter.

Die Antworten der Landesregierung in der Großen Anfrage sind angesichts dieser Lage über weite Strecken ernüchternd, ein bisschen ausweichend und auch besorgniserregend.

Ich möchte das einmal an drei Punkten deutlich machen:

Erstens die Ereignisverkettung. Die Reaktorkatastrophe in Japan hat gezeigt, dass eine Verkettung mehrerer Ereignisse - wie dort Erdbeben und Hochwasser - eine Atomkatastrophe erheblich wahrscheinlicher machen und zugleich die Reaktionsmöglichkeiten erschweren sowie Schäden potenzieren können. Aus den Antworten geht hervor, dass es keine szenarienabhängige Planung gibt. Es gibt keine Planung für komplexe Katastrophen. Ich nenne einmal ein Beispiel: eine Hochwassersituation und eine sich in der Nähe befindliche Sondermüllverbrennungsanlage mit einem entsprechenden Lager - Stichwort SAVA -, ein Chemiepark mit Phos

(Minister Klaus Schlie)

gen und so weiter. Es scheint keine abgestimmte Planung für Risikopotenziale der verschiedenen Anlagen zu geben.

Es wird bei der Notfallplanung des Betreibers von einer Wettersituation ausgegangen, die gerade einmal 95 % der meteorologischen Situationen abdeckt. Eine steife Windbrise von Windstärke 9 ist da noch mit drin, nur etwa 1 m hoher Wellenauflauf wird berücksichtigt.

Bei der Frage der Erreichbarkeit der Atomkraftwerke in der Überflutungssituation wird lapidar auf die zwei Tore im Zaun verwiesen. Durch die Tore im Zaun wollten wir schon immer durch. Als Antwort ist das ein bisschen wenig.

(Heiterkeit und Beifall bei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Die Notstromversorgungssysteme des Atomkraftwerks Brokdorf sind bei einem Stromausfall nur auf vier Tage Notbetrieb ausgelegt, dann geht der Treibstoff aus.

Wie wird die Bevölkerung mit Jodtabletten versorgt? Wie wird die Bevölkerung evakuiert? Die Planungen gehen davon aus, dass 80 % der Menschen das Gebiet selbstständig mit dem Pkw verlassen, dass Infrastruktur Straße und Bahn auch bei Hochwasser intakt sind. Das ist schwer darstellbar. Genauso eine geordnete Verteilung der Jodtabletten.

Auch wenn jede Katastrophe ein Einzelfall ist, zur Vorbereitung gehört die Vorplanung der verschiedenen Szenarien, die Katastrophenforschung in Kiel zu halten und nicht gehen zu lassen, und besonders die Übung mit breiter Beteiligung der Bevölkerung. Länderübergreifende Planungen dürfen nicht nur ein Informationssystem beinhalten, sondern länderübergreifende Planungen haben auch zu beinhalten, wie man mit den jeweiligen Kapazitäten gemeinsam arbeitet und sich gemeinsam abstimmt.

Der atomare Katastrophenschutz lastet überwiegend auf den Schultern von freiwilligen Einsatzkräften der Feuerwehr und des Zivilschutzes. Wegen der Aussetzung der Wehrpflicht werden die Kräfte zukünftig wegfallen, die bisher auf zuletzt acht Monate zum Ersatzdienst verpflichtet waren. Wie viele nebenamtlich verpflichtete Kräfte demnächst noch in den Löschzügen Gefahrgut in den Kreisen zur Verfügung stehen - und auf die wird stark aufgebaut -, steht in den Sternen und geht aus den Planungen nicht hervor. Warum sind die Kreisgesundheitsämter nicht in die Planungen eingebunden? Sie müssen doch entscheidende Daten haben.

Zur Bundeswehr, zum Erhalt der Bundeswehr in Husum ist bereits einiges gesagt worden. Es gibt aber keine Planungsdaten dazu, ob und wie viele Kräfte im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit einberufen werden können, wie viele zur Verfügung stehen, ist völlig offen. Genauso ist offen, wie viele Kräfte in welchem Umfang vom kerntechnischen Hilfsdienst - das ist eine im Jahr 1977 gegründete Organisationseinheit aller Atomkraftwerke - zur Verfügung stehen.

Als Fazit kann man festhalten: Katastrophenschutzplanung auf den Schultern von Freiwilligen in Feuerwehr und Zivilschutz ist für die Atomkraftbetreiber einfach billig, zu billig. Sie müssen endlich anders an den Kosten beteiligt werden, wir müssen da ein anderes Level erreichen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will auf den dritten Punkt, den Überflutungsschutz, nicht intensiv eingehen. In Krümmel ist der Deich auf niedersächsischer Seite 14 cm niedriger als in den gefährdeten Bereichen von Krümmel, also läuft Niedersachsen voll. Entsprechend der Empfehlung der Reaktorsicherheitskommission nach den Ereignissen in Japan müssen besonders für Brokdorf das Notfallschutzkonzept und die Hochwassersicherheit überprüft werden. Während der Deich vor Brokdorf inzwischen eine Höhe von 8,4 m erreicht hat, geht man auf dem Gelände des Atomkraftwerks direkt hinter dem Deich gerade einmal von einem maximalen Wasserstand von 2,85 m bei einem Deichbruch oder Überlaufen aus. Wie sind diese Szenarien in den Griff zu bekommen?

(Glocke des Präsidenten)

Das Atomkraftwerk säuft bereits bei 4,3 m ab, da sind die sicherheitstechnisch relevanten Bereiche betroffen.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)

Sogar der Schrottreaktor Brunsbüttel ist bis 6 m Wasserstand gesichert.