Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011

Sogar der Schrottreaktor Brunsbüttel ist bis 6 m Wasserstand gesichert.

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich komme zum letzten Satz. - Wir können nicht alle Risiken beeinflussen, die wir haben. Wir können aber das Risiko Atomkraft durch Abschalten beeinflussen. Wenn sich die Landesregierung auf eine

(Bernd Voß)

neue Politik einlässt und aus der Atomkraft aussteigen will, gehört dazu auch, den Katastrophenschutz entsprechend anzupassen. Da werden wir im Land erheblich nacharbeiten müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei SPD und der LINKEN)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Markus Matthießen das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Informationssystem des Landtags kann man für die bisherigen 22 Plenartagungen feststellen, dass sich auf den Tagesordnungen oder Anträgen zu Aktuellen und Fragestunden mindestens 17-mal der Themenbereich „Kernenergie oder Atomausstieg“ findet. Auch wenn vielleicht einmal ein Tagesordnungspunkt auf die nächste Tagung verschoben wurde: In wenigstens zwei von drei Plenartagungen war die Kernenergie hier bislang ein Thema, und sie ist es heute erneut.

Ich will das nicht kritisieren; es ist das gute Recht von Fraktionen, die Bedeutung von Themen unterschiedlich zu gewichten. Aber ich hätte erwartet, dass sich diese Diskussion nach dem beschlossenen Atomausstieg etwas beruhigt. Ich kann mich zumindest nach der beschlossenen und gesellschaftlich und politisch akzeptierten Energiewende nicht völlig des Eindrucks erwehren, dass es bei dieser Großen Anfrage neben dem wichtigen Thema Katastrophenschutz auch darum gehen könnte, das Identifikationsthema der Grünen, den Atomausstieg, noch ein wenig am Kochen zu halten. Ich habe diesen Eindruck auch, weil in Schleswig-Holstein immerhin schon zwei der drei Anlagen vom Netz gegangen sind, und zwar für immer.

Neben dieser Vorbemerkung ist es im Übrigen aber sicherlich gut, wenn wir heute ein Lagebild zum Katastrophenschutz in Schleswig-Holstein erhalten. Für die Arbeit, die zur Erstellung dieses Berichts nötig war, möchte ich dem Minister und den Mitarbeitern der Landesregierung herzlich danken.

(Beifall bei der CDU)

Inhaltlich muss ich allerdings sagen, dass uns nach meiner Einschätzung hier keine besonders überraschenden oder völlig neuen Erkenntnisse vorgelegt wurden. Das muss und kann glücklicherweise gar nicht verwundern: Denn die drei Kernkraftwerke gibt es in Schleswig-Holstein seit Jahrzehnten,

ebenso die sich aktualisierenden Planungen für den Katastrophenschutz. Ebenfalls gibt es natürlich seit Jahren die Diskussion um die Frage, was bei wirklichen Störfällen alles passieren könnte. Dazu gibt es seit der Katastrophe von Fukushima sicherlich noch einmal eine veränderte Betrachtungsweise. Zum Beispiel die wissenschaftlichen Grundlagen als Basis für den Katastrophenschutz - in Frage 6 werden sie angesprochen - wird dieses Ereignis natürlich nicht unbewegt lassen.

Es ist seit Fukushima einiges in Bewegung. Nicht nachgefragt und deshalb auch nicht herausgestellt wurden beispielsweise die neuen Prüfanforderungen vom 25. Mai 2011 der Europäischen Arbeitsgruppe für nukleare Sicherheit. Auch hier geht die Entwicklung weiter.

Geht man die einzelnen Fragestellungen und Antworten durch, können wir durchaus sagen, dass aus unserer Sicht kein Grund zur Sorge um den Katastrophenschutz besteht. Die Evakuierungspläne, die Frist zur Einsatzfähigkeit, der Hochwasserschutz, Vorsorge mit Jodtabletten werden hier angesprochen.

Bei einer ganzen Reihe anderer Fragen scheint ein besonderes Grundproblem zu bestehen, nämlich die offenbare Annahme, dass man die Kapazitäten des Katastrophenschutzes einfach mit der Anlagensicherheit eines Kraftwerks unterschiedlos gleichsetzen darf. Das kann man eben gerade nicht. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Sicherheit in den Anlagen selbst genießt weiterhin allerhöchste Priorität. Die vielfachen Absicherungen in den Anlagen beweisen dies. Davon kann sich jeder in den Anlagen selbst überzeugen. Ich habe dies getan. Das kann aber nicht der Katastrophenschutz gewährleisten und hat nichts mit mutmaßlich fehlenden Fähigkeiten zu tun.

Deshalb ist der Umstand, dass der schleswig-holsteinische Katastrophenschutz nicht jedes von den Grünen wie selbstverständlich vorausgesetzte Schreckensszenario in all seinen Folgen vermeiden kann, in Wirklichkeit kein besonders bemerkenswerter Befund.

Der Katastrophenschutz ist dafür da, um vor Katastrophen zu schützen. Das heißt aber nicht, dass er von vornherein einen größten anzunehmenden Unfall verhindern kann, der hier in zahlreichen Fragestellungen unterstellt wurde.

Aus unserer Sicht kann man hier nicht von besorgniserregenden Zuständen sprechen.

(Beifall bei CDU und FDP)

(Bernd Voß)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Andreas Beran das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Anmerkung vorweg: Die Bedeutung des Katastrophenschutzes zeigt sich immer dann, wenn eine Katastrophe eingetreten ist. Deshalb ist es wichtig, gut darauf vorbereitet zu sein.

Ich bedanke mich an dieser Stelle bei dem Minister und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Beantwortung dieser Großen Anfrage; das hat sicherlich viel Arbeit gemacht.

(Beifall des Abgeordneten Olaf Schulze [SPD])

Ich möchte mich hauptsächlich dem zivilen Katastrophenschutz zuwenden; denn auf alle Aspekte kann ich aufgrund der Zeitvorgabe nicht eingehen.

Sehr geehrte Damen und Herren, am 6. Oktober dieses Jahres titelte die „taz nord“: „Strahlender Untergang“. Weiter heißt es dort:

„Bei Störfällen in den Meilern an der Elbe ist Schleswig-Holstein hilflos“

weil die Planungen für den Katastrophenschutz unzureichend sind.

Ich wollte das nicht glauben, stieß jedoch beim Durcharbeiten der Antwort auf diese Große Anfrage auf Aussagen, die mich an dem dort geschilderten Katastrophenschutz zweifeln lassen. Ich möchte das an ein paar Beispielen belegen.

Die Einsatzmittel in einem Katastrophenschutzfall sind hauptsächlich die ABC-Dienst- beziehungsweise Löschzüge Gefahrgut der Feuerwehren in unserem Lande. Das sind die eigentlichen Kräfte, die an vorderster Stelle im Katastrophenfall eingesetzt werden. Das Bundesamt für den Bevölkerungsschutz ist in der heutigen Zeit nur noch in geringem Umfang beteiligt und besteht zur Hauptsache aus freiwilligen Helferinnen und Helfern. Dort gibt es eine Analytische und eine Medizinische Taskforce. Die Bundeswehr, die sich zu einem sehr großen Teil aus Schleswig-Holstein zurückzieht, steht mit ihren ABC-Zügen nun auch nicht mehr zur Verfügung beziehungsweise hat längere Anfahrtswege.

Auf die Frage, ob der Einsatz dieser Kräfte bei atomaren Unfällen freiwillig oder verpflichtend sei, gibt es die Antwort, der Einsatz sei verpflichtend; verwiesen wird auf die §§ 12 und 15 des Landeska

tastrophenschutzgesetzes. Leider haben sich insoweit Veränderungen ergeben. Nur zum Teil sind die Helferinnen und Helfer in den Gefahrgutzügen nach § 8 Abs. 2 Wehrpflichtgesetz verpflichtet. Ein Großteil ist freiwillig verpflichtet. Diese Helferinnen und Helfer können sofort und unmittelbar ihren Austritt erklären. Das ist anders als bei den auf der Grundlage der Wehrpflicht Verpflichteten, die ohne Zustimmung der Kreisverwaltung beziehungsweise des Kreiswehrersatzamtes nicht entpflichtet werden konnten. Unter anderem die Abschaffung der Wehrpflicht hat dazu geführt, dass die in der Antwort enthaltenen Zahlen über die Stärke der Verbände schon überholt sind. Im Schnitt müssen diese Zahlen um 20 % reduziert werden, um auf ein realistisches Maß zu kommen. Das haben zumindest meine Recherchen ergeben.

Zu den Jodtabletten wird ausgeführt, dass in der Fernzone für Maßnahmen der Jodtablettenausgabe in den Nichtreaktorkreisen entsprechende Regelungen vorgehalten würden. Das ist meines Wissens nicht so. Die Jodtabletten werden, wie an anderer Stelle in der Antwort dargestellt, in der Hindenburgkaserne Neumünster zentral vorrätig gehalten. Eine Regelung zur Vergabe der Jodtabletten soll in den Kreisen nicht vorliegen.

An dieser Stelle möchte ich meinen Dank denjenigen sagen, die mich bei den Nachforschungen unterstützt haben. Es ist doch gut, wenn man in der Feuerwehr gut vernetzt ist.

In der Antwort auf Frage 8 wird weiter ausgeführt, dass die Alarmierung mit dem Warnmittel Sirene erfolge. Das ist problematisch, da viele Sirenen Anfang der 90er-Jahre abgebaut wurden, nachdem der Bund sich aus der Unterhaltung der Anlagen zurückgezogen hatte. Sie können davon ausgehen, dass in vielen Landesteilen Sirenenalarm nicht mehr zu hören ist. Angesichts dessen stellt sich mir die Frage: Wie ist sichergestellt, dass in diesen Teilen des Landes die Bevölkerung alarmiert wird? Gibt es dort zum Beispiel einen Einsatzplan für Lautsprecherdurchsagen?

Sehr geehrte Damen und Herren, diese Beispiele sollen meine Zweifel belegen, ob das Katastrophenschutzkonzept noch dem neuesten Stand der Erkenntnisse entspricht. Ich habe meine Zweifel, die ich in meinem Beitrag auch begründet habe. In dieser Situation ist es doch geradezu fatal, die Schließung der Katastrophenschutzforschungsstelle weiter zu betreiben.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das dortige Wissen wird benötigt, um den Bevölkerungsschutz zu optimieren. Die Konzentration auf spezielle Fragestellungen in anderen Fachbereichen reicht meines Erachtens nicht aus. Politik und Katastrophenschutzplanung benötigen gebündeltes Wissen, das abgefragt werden kann. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Bevölkerung vor den Gefahren, welche von der bisherigen Atompolitik ausgehen, nur unzureichend geschützt ist. Die wirtschaftlichen Vorteile für unser Land als Standort von Atomkraftwerken stehen offensichtlich in keinem Verhältnis zu den Aufwendungen und Kosten für den Bevölkerungsschutz, mit denen wir vom Bund und den Energiekonzernen weitgehend alleingelassen werden.

Was für ein Glück, dass wir auf dem Weg der Energiewende sind! Solange in Schleswig-Holstein jedoch noch ein Atomkraftwerk in Betrieb ist, muss es auch die optimale Planung für einen hoffentlich nicht eintretenden Katastrophenfall geben, damit die Bevölkerung vor diesem mit aller Kraft geschützt wird.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mosaiksteinartig ist eine schleichende Schwächung des Katastrophenschutzes in Schleswig-Holstein zu verzeichnen. Dies können wir nur stoppen, indem wir den Katastrophenschutz in all seinen Facetten wieder auf die politische Agenda setzen und stärken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gäbe noch viel zu sagen; das sollten wir im zuständigen Ausschuss tun.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Jens-Uwe Dankert das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal danke ich Herrn Minister Schlie und seinen Mitarbeitern im Ministerium für den umfangreichen Bericht. An die Grünen gerichtet: Ich finde es gut, dass wir auf der Grundlage Ihrer Initiative einen kompletten La

gebericht bekommen haben. Allerdings, lieber Herr Kollege Voß - das sage ich auch in Richtung von Andreas Beran -, haben ich und meine Fraktion hinsichtlich der Bewertung der darin enthaltenen Aussagen eine andere Sichtweise.

Sowohl im Innenministerium als oberster Katastrophenschutzbehörde als auch im Justizministerium als atomrechtlicher Aufsichtsbehörde wurden detaillierte, sehr konkrete Vorkehrungen für den Fall eines Reaktorunfalls in Schleswig-Holstein getroffen. Die Annahmen, Kriterien und Maßgaben, die diesen Planungen zugrunde liegen, sind aus der Zusammenarbeit mit verschiedenen Bundesministerien und -behörden und den anderen Bundesländern sowie aus der Kooperation innerhalb der EU in den Bereichen der Katastrophenschutz- und Strahlenschutzforschung entstanden.

Ich will nicht auf die Details der Antworten auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingehen, möchte aber doch für meine Fraktion deutlich machen, dass im Ergebnis dieses hohen Forschungs- und Planungsaufwands sowie der Einbeziehung von Erfahrungen aus dem Reaktorunfall in Tschernobyl und anderen Ereignissen die Katastrophenschutzbehörden in unserem Land Schleswig-Holstein insgesamt gut auf die breite Palette an denkbaren Notfällen vorbereitet sind.

Meine Damen und Herren, alle Maßnahmen für den Fall eines Reaktorunfalls sind in einem Sonderkatastrophenschutzplan zusammengefasst. Nach diesem besteht eine klare Struktur der Helfer, die im Ernstfall bereitstehen. Alle notwendigen Maßnahmen sind genau festgelegt und in den vergangenen Jahren mehrfach unter Einbeziehung der Bevölkerung geübt worden. Ausreichende Kapazitäten zur Evakuierung und Versorgung der Bevölkerung, unter anderem - das ist schon angesprochen worden - mit Jodtabletten, sind gegeben. Ferner sind rasche Alarmierung und genaue Information der Katastrophenschutzbehörden und der Bevölkerung sichergestellt.

Aufgrund der Befugnisse der Katastrophenschutzbehörde und der Vorschriften für die Besetzung der Atomkraftwerke im Falle eines Unfalls scheint mir eine derart ungeordnete Situation und unsichere Informationslage wie in Japan nach den Ereignissen in Fukushima bei uns schwer vorstellbar, wenn nicht ausgeschlossen zu sein.