Protokoll der Sitzung vom 17.11.2011

Sie sagen es sogar selbst in Ihrem Antrag, und das ist auch völlig richtig: Viele Unternehmer sehen es nicht mehr ein, dass sie diese Wettbewerbsverzerrung auch noch bezahlen sollen. Wir wollen keine staatliche Subventionierung von Lohndumping, wir wollen keine Wettbewerbsverzerrung durch Ausnutzung von Arbeitnehmern. Aber wir wollen eben auch keine Gefährdung von Arbeitsplätzen. Das wäre nicht im Interesse der Arbeitnehmer, nicht im Interesse der Unternehmen und auch nicht im Interesse der Steuerzahler.

Im Gegensatz zur Opposition wollen wir deshalb Lohnuntergrenzen, die nach Branchen und Regionen differenziert sein können. Alles andere ist aus unserer Sicht wenig sinnvoll. Die unterschiedliche Produktivität in den Branchen und auch die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den Regionen müssen berücksichtigt werden. Das ist eine Lösung im Sinne der sozialen Marktwirtschaft. Staatswirtschaftliche Lösungen mit einer politischen Lohnfindung, die Sie hier beantragen, lehnen wir nach wie vor ab.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wir wollen keinen gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohn. Den wichtigsten Grund dafür, dass wir dieses Modell ablehnen, liefern Sie uns mit Ihren Anträgen ja auch frei ins Haus. Je weiter links die Parteien im politischen Spektrum stehen, desto höher fällt auch ihre Mindestlohnforderung aus, die sie gesetzlich festlegen wollen. Die LINKEN propagieren schon seit längerer Zeit 10 €, die SPD ist gemäß der DGB-Forderung für 8,50 €, die Grünen haben sich lange für 7,50 € eingesetzt, seit einigen Tagen auch für 8,50 €. Woher der eine Euro auf

(Johannes Callsen)

einmal kommt, werden uns die Grünen sicherlich gleich erklären. Vielleicht ist das schon die vorweggenommene Euro-Inflation; man weiß es nicht.

Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich doch über den sehr differenzierten SSW-Antrag gefreut. Das ist aus meiner Sicht ein Modell, über das man wenigstens diskutieren kann.

Meine Damen und Herren, die Höhe des Mindestlohns darf nicht zum Wahlkampfthema werden. Ein einheitlicher Mindestlohn für ganz Deutschland wäre in München und Stuttgart wirkungslos und könnte in strukturschwachen Regionen Arbeitsplätze gefährden. Es gibt zu dieser Frage viele Gutachten. Wir haben ja auch schon in der Förde-Runde darüber diskutiert. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte jetzt auch einige in Auftrag gegeben. Wie es bei Studien ist, sie kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, Herr Stegner. Wenn aber auch die SPD-nahe Stiftung die Probleme aufzeigt, die es geben kann, sollte man das zumindest ernst nehmen. Wir wollen deshalb die negativen Auswirkungen vermeiden.

Meine Damen und Herren, es wurde schon angesprochen: Der deutsche Arbeitsmarkt, das haben die letzten Jahre gezeigt, hat sich als sehr robust erwiesen. Die Stärke des deutschen Arbeitsmarktes ist kein Zufall. Wir haben innovative Unternehmen, wir haben einen starken Mittelstand, wir haben eine große Zahl qualifizierter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es gilt nach wie vor: Wir brauchen Brücken in den ersten Arbeitsmarkt, wir brauchen Anreize zur Aufnahme einer Beschäftigung, und wir brauchen auch flexible Arbeitsmarktinstrumente, die Sie leider in letzter Zeit immer stärker infrage stellen.

Meine Fraktion setzt sich für mehr Fairness auf dem Arbeitsmarkt ein. Wir haben das Schonvermögen verdreifacht. Die Taschengeldregelung ist ein weiteres Beispiel. Das Taschengeld der Kinder aus ALG-II-Familien wird nicht mehr, wie das noch unter Rot-Grün oder in der großen Koalition war, angerechnet. Das ist auch eine ganz wichtige Lösung, um mehr Fairness zu erreichen.

Es ist auch kein Geheimnis, dieses Thema ist in unserer Partei ein sehr sensibles Thema. Unser Arbeitsminister Heiner Garg befürwortet das von uns geforderte Modell schon seit längerer Zeit, und er hat ja auch für die Arbeits- und Sozialministerkonferenz in der kommenden Woche einen entsprechenden Antrag eingebracht. Ich habe auch mit Interesse verfolgt, was der CDU-Bundesparteitag dazu beschlossen hat. Er hat am Ende doch ziemlich

genau das Modell beschlossen, das wir hier heute beantragt haben. Deswegen sind wir auch ganz zuversichtlich, dass sich andere Landesregierungen dem anschließen werden.

Noch ein Wort zum Thema Niedriglohnsektor. Ich habe in letzter Zeit ja öfter, auch von der SPD, gehört, dass beklagt wird, wir hätten in SchleswigHolstein einen großen Niedriglohnsektor. Herr Kollege Callsen hatte schon angesprochen, wie das definiert wurde. Man muss sich wirklich anschauen, wie die Wirtschaftsstrukturen in Schleswig-Holstein sind. Wir haben wenig Industrie, wir haben viele Jobs im Tourismus. Meine Damen und Herren, ich finde es auch reichlich absurd, dass gerade die SPD, die 21 Jahre lang regiert hat - seit 2 Jahren gibt es eine Regierung ohne SPD-Beteiligung -, das beklagt, als wäre das gerade gestern vom Himmel gefallen. Das ist reichlich absurd.

(Beifall bei der FDP)

Wir wollen mit dem Thema konstruktiv umgehen. Deshalb werden wir auch einer Ausschussüberweisung in den Wirtschaftsausschuss zustimmen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Dr. Andreas Tietze das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wehrpflicht abgeschafft, Ausstieg aus der Atomenergie, Frauenquote in der Wirtschaft, Hauptschule abschaffen, jetzt der Mindestlohn - wer hätte gedacht, dass diese Debatte in der CDU geführt wird! Allerdings stellen wir fest, dass Frau Merkel mit der Debatte des Mindestlohns ein großes Problem erkannt hat; denn der politische Schwenk wurde zu wenig begründet. Das Parteivolk hat rebelliert, und der Markenkern der CDU war über Nacht verschwunden. Jedenfalls haben wir es so lesen können. Deshalb haben Sie auf diesem Parteitag eine schwierige Debatte gehabt, aber Sie haben einen Kompromiss gefunden. Man kann fast nicht mehr von Mindestlohn reden. Mindestlöhnchen könnte man das vielleicht nennen, aber Sie haben sich in dieser Frage tatsächlich aus der Diskussion herausgenommen. Das finde ich schade, weil diese Debatte in Deutschland endlich einmal auf der Ebene geführt werden muss, wo sie geführt werden sollte, nämlich dass man sich fragt: Wie hoch muss

(Christopher Vogt)

eigentlich ein Lohn sein, damit Menschen davon leben können? Diese Frage ist nicht nur eine Frage der Opposition, sondern diese Frage ist auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab oftmals hier im Landtag die Debatte, bei der Sie dann interne Strichlisten geführt haben. Wenn wir „Mindestlohn“ gesagt haben, haben Sie uns immer vorgeworfen, der Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze. Herr Vogt, das waren Ihre Argumente, und die gingen immer rauf und runter. Nun hat Frau von der Leyen in ihren Studien sehr deutlich herausgefunden: Mindestlöhne vernichten keine Arbeitsplätze.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das ist bei Ihnen jetzt anscheinend endlich angekommen.

Deshalb erzählen Sie uns nicht so einen Unsinn, dass ein Mindestlohn, wenn wir ihn einführen, der Wirtschaft schadet und Arbeitsplätze vernichtet werden. Nein, im Gegenteil, die CDU hat bei der Frage gerungen. Das ist das, was wir teilen; das halten wir auch für wichtig, das ist auch grüne Programmatik. Die entscheidende Frage ist: Nennt man eine absolute Untergrenze?

Darin unterscheiden wir uns auch hier im Raum. Wir sagen: Ja, man muss diesen Betrag nennen. Sie argumentieren immer wieder: Es gibt doch Tarifpartner, verlassen Sie sich doch darauf! Wir wissen, dass es Tarifpartner gibt. Unter diesen Tarifpartnern gibt es übrigens auch christliche Gewerkschaften. Ich nenne einmal die CGZB. Sie ist jetzt vom Bundesarbeitsgericht verurteilt worden, weil sie Mindestlöhne in der Zeitarbeitsbranche von 2,50 € abgeschlossen hat. Da hat das Arbeitsgericht gesagt: Das ist sittenwidrig. Das sind christliche Gewerkschaften. Die berufen sich darauf, autonom zu sein. Die wollen Sie doch nicht schützen, Herr Garg, Herr Vogt, Herr Callsen? Das ist sittenwidrig.

Das ist genau die Tariforientierung, die Sie jetzt fordern. Das sind Beschäftigte in Callcentern, in Schlachthöfen, in Bäckereien, über 40 % der Beschäftigten in Hotels und Gastronomie, die erbärmliche Löhne haben: Fleischer in Sachsen 4,50 €, Floristen in Bremen 5,97 €, in Sachsen-Anhalt 4,35 €, Friseure in Brandenburg 2,75 € und in Mecklenburg-Vorpommern 3,54 €. Das sind die Lohnuntergrenzen, die Sie fordern. Das ist Fakt. Sie

müssen sich endlich einmal damit auseinandersetzen, ob Sie eine Grenze einziehen wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Deshalb sagen wir Ihnen ganz klar: Sie drücken sich darum herum.

Ich kann mir nicht vorstellen, warum Sie, Herr Kalinka, hier überhaupt noch so ruhig in dieser Runde sitzen. Da kommt Ihr großer Kollege vom CDA, Laumann, und sagt: Für die CDU gehört es nicht zum Allerheiligsten, dass Menschen für 4,50 € die Stunde arbeiten.

(Beifall des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

- Ja, richtig. Recht hat der Mann.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist auch ein Unding, wenn ein Vollzeit arbeitender Mensch nicht von seinem Lohn leben kann. In Deutschland stocken fast 1,4 Millionen Beschäftigte ihren Lohn mit Arbeitslosengeld II auf. Was für ein Selbstwertgefühl muss ein Mensch haben, der seinen Kindern erklären muss, dass er durch seiner Hände Arbeit nicht leben kann?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und des Abgeordneten Lars Harms [SSW] - Werner Kalinka [CDU]: So ist das!)

- Herr Kalinka, die CDU ist eine Volkspartei, die diese Debatte jetzt tatsächlich auch in der Mitte der Gesellschaft führt. Das finde ich richtig. Aber die Wahrheit ist, dass der Wirtschaftsflügel bei Ihnen den Sozialflügel weggedrängt hat. Da haben sich die Wirtschaftsleute durchgesetzt, und Sie haben sich in der Tat aus diesem Dialog verabschiedet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Niedriglöhne sind menschenunwürdig. Das sollte eine Haltung der Liberalen sein, der christlichen Parteien, der sozialdemokratischen Parteien und der Grünen.

Deshalb möchte ich mich noch einmal an die FDP wenden. Herr Vogt, Sie sagen hier, Sie hätten ein spezielles schleswig-holsteinisches sozial-liberales Modell. Herr Garg vertritt das ja auch. Drei Stunden, nachdem der Vorschlag von Herrn Laumann bekannt geworden ist, stellt sich Herr Lindner hin und sagt: Wir werden diese Lohnuntergrenze nicht mittragen.

(Dr. Andreas Tietze)

(Christopher Vogt [FDP]: Das alte Modell!)

Dann wünschte man sich mehr schleswig-holsteinische FDP in der Bundesebene. Herr Garg, was sagen Sie denn Ihrem Generalsekretär, wenn er Ihnen die Botschaft vermittelt: „Die FDP steht für diesen Unsinn nicht zur Verfügung, sie hat sich in der Koalition durchgesetzt,

(Christopher Vogt [FDP]: Das war ein ande- res Modell, Herr Tietze!)

die FDP will keinen gesetzlichen Mindestlohn und auch keine Lohnuntergrenze in Deutschland haben.“? Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und Beifall des Abge- ordneten Lars Harms [SSW])

Deshalb sagen wir ganz klar: Wir brauchen einen gesetzlichen bundesweiten Mindestlohn. Wir sagen sogar 8,50 €. Wir haben das jetzt auf dem Parteitag sehr intensiv diskutiert.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter.

Ich freue mich auf den gemeinsamen Antrag mit der SPD.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Wir haben hineinverhandelt - das ist mein letzter Satz -, dass dieser Mindestlohn nach OECD-Standards festzulegen ist, und OECD-Standard heißt auch armutsfest, heißt 9,64 €. Das wäre ein würdiger Standard.