Ich weiß nicht, ob die Linken es nicht verstehen oder nicht verstehen wollen: Die Haushaltslage des Landes ist so desaströs, dass wir bis 2020
durch harte Einschnitte dafür kämpfen müssen, überhaupt noch freiwillige Aufgaben neben den Pflichtaufgaben finanzieren zu können.
Herr von Abercron hat es gesagt: Fragen Sie die Menschen auf der Straße, wie sie dazu stehen würden, wenn wir an anderer Stelle kürzen müssten, um Entwicklungshilfe nach Ihren Vorstellungen zu gestalten. Frau Redmann, Sie haben eben eingefordert, dass wir uns um die interkulturelle Zusammenarbeit kümmern sollen. Ich frage mich: Wo waren gestern Abend bei der Veranstaltung „Piano meets Vibes“, die eine interkulturelle Veranstaltung war, die SPD-Abgeordneten?
(Beifall bei der FDP - Sandra Redmann [SPD]: Ich hatte eine Podiumsdiskussion, jetzt reicht es aber! - Weitere Zurufe)
Über die Frage, wer gestern Abend wo war, können Sie sich wahrscheinlich in der Mittagspause erquicklich austauschen. Ich würde jetzt gern Herrn Abgeordneten Bernd Voß von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort erteilen.
Werte Frau Präsidentin! Liebe verbliebenen Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich bei Herrn von Abercron und bei Frau Vizepräsidentin Klahn für die Beiträge bedanken. Ich denke, sie machen deutlich, wie ignorant Sie vor dem Hintergrund der Haushaltssituation sind und wie fantasielos Sie dieses Thema angehen.
Frau Klahn, es ist einfach falsch, wenn Sie hier darstellen, das Land habe überhaupt nichts mit der Erfüllung der Milleniumziele zu tun und keine Aufgaben. Das Ziel, 0,7 % des Bruttoinlandprodukts als öffentliche Ausgabe für Entwicklungshilfe zu verwenden, hat den 40. Jahrestag seiner Nichterfüllung bereits hinter sich; 40 Jahre versprochen und gebrochen, und das Land ist Teil dieser Politik.
Im Jahr 1970 wurde in der UN-Vollversammlung erstmalig ein solcher Beschluss gefasst. Die Staaten der EU haben sich 2005 erneut dazu verpflichtet,
die öffentlichen Ausgaben für Entwicklungshilfe bis zum Jahr 2015 auf 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts hochzusetzen. Diese Bundesregierung verfehlt das Ziel seit vielen Jahren, und SchleswigHolstein ist Schlusslicht in diesem Konzert. Das ist heute bereits mehrfach dargestellt worden.
Die Zahl der weltweit Hungernden ist inzwischen auf über eine Milliarde Menschen gestiegen. Im Bundestag gibt es eine parteiübergreifende Initiative unseres Abgeordneten Thilo Hoppe. Eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten hat fraktionsübergreifend unterschrieben, dass dieses Ziel endlich umgesetzt werden muss. Wir können nicht so ignorant sein und so tun, als hätten wir damit nichts zu tun.
Herr Kollege Voß, würden Sie einem Empfänger von Sozialtransferleistungen auferlegen wollen, sein Geld an Projekte in der Dritten Welt weiterzuleiten?
Muss ich wirklich darauf antworten? - Wie ticken Sie eigentlich? - Sie können doch die eine Notsituation nicht gegen die andere Notsituation ausspielen.
Auch als Land müssen wir uns an einer internationalen Zusammenarbeit mit Regionen auf der ganzen Welt beteiligen. Diese findet bereits statt, und wir müssen sie weiter ausbauen.
Ist Ihnen bekannt, dass unsere Verschuldungsrate pro Kopf bei 9.700 € liegt? - Ist Ihnen ferner bekannt, dass Sie dann, wenn Sie die Transferleistungen, die wir in diesem Programm haben, umrechneten, sehen würden, dass wir sehr wohl im Mittelfeld liegen, wenn wir das Bruttoinlandsprodukt anrechnen?
- Nein, ich rede von den Leistungen, die wir in Schleswig-Holstein für die Entwicklungshilfe erbringen.
Auf dem Milleniumgipfel zur Jahrtausendwende in New York haben die Regierungschefs aller Länder mess- und überprüfbare Wegmarken gefunden und sich darauf verständigt, die Milleniumentwicklungsziele letztlich zu erreichen. Das wurde heute bereits mehrfach genannt. Das Datum hierfür wurde auf das Jahr 2015 verschoben, um Armut und Hunger in der Welt zu halbieren, die Ausbreitung von HIV zu stoppen, die globale Umweltzerstörung und den Klimawandel einzudämmen sowie Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu einer Ausbildung zu ermöglichen. Ich nenne hier nur einige Beispiele. Trotz Finanzkrise und trotz notwendiger Sparmaßnahmen dürfen wir diese Ziele nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen endlich lernen, die Krisen zusammen zu überdenken. Die weltweite Hungerkrise und die Klimakrise sind doch nicht weg, nur weil die Finanzkrise und die Eurokrise sowie in der Vergangenheit zum Teil die „Wulff-Krise“ sie aus den Medien verdrängen.
Ja, die Ausgaben für Entwicklungshilfe müssen gesteigert werden. Wir müssen fantasievoll gucken, wie wir das bewerkstelligen. Das allein reicht aber nicht aus. Letztlich müssen wir die Krisen zusam
men sehen und überdenken. Wir müssen die Krisen zusammen lösen. Ich sehe die anderen Politikbereiche wie die Finanzpolitik, die Haushaltpolitik, die Agrarpolitik oder die Fischereipolitik. Dabei stellen wir fest, dass all diese Politikarten viel intensiver auf entwicklungspolitische Zielsetzungen ausgerichtet werden müssen. Gerade in diesen Bereichen wird entschieden, ob wir in den Entwicklungsländern einen Absturz oder eine Entwicklung haben. Die Politik in diesen Bereichen reicht oft weit hinein in Entwicklungs- und Schwellenländer, in regionale Probleme oder in die Probleme von Wirtschaftsbranchen. Wir können durch Entwicklungshilfe gar nicht das Geld aufbringen, das durch eine falsche Entwicklungspolitik zerstört wird.
Es ist heute besonders deutlich geworden: In vielen Köpfen ist es so, dass Entwicklungszusammenarbeit in Form von direkten Finanzhilfen für Projekte in Entwicklungsländern in erster Linie eine Aufgabe des Bundes ist. Zugleich sehen wir im Land aber viele kommunale und regionale Initiativen. Es gibt Initiativen in Schulen und Kirchen sowie Städtepartnerschaften, die zeigen, was auf lokaler Ebene möglich ist. Aber auch die Länder haben eine Mitverantwortung. Ich denke, es ist falsch, wenn heute gesagt wird: Wir konzentrieren uns auf die entwicklungspolitische Inlandsarbeit. Wir stellen doch zugleich fest, dass wir im Jahr 2008 mit dem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz erfahren haben, dass dieser Bereich aus der Zielsetzung herausgeworfen wurde.
Es ist eine Basis, dass das Land die verschiedenen entwicklungspolitischen Initiativen, die unter einem Dach zusammenarbeiten, weiter unterstützt. Richtig ist aber auch, dass wir in den letzten Jahren Haushaltsmittel für die institutionelle Förderung gekürzt haben. Diese Mittel sind gekürzt worden, ohne dass organisatorische oder finanzielle Alternativen dazu, wie dies abgefangen werden kann, aufgezeigt wurden.
Wenn ich die Beiträge der FDP sehe, muss ich mit Tränen in den Augen feststellen: Es ist ein Skandal, wie der Entwicklungsminister Niebel das Entwicklungshilfeministerium mit den nachgeordneten Agenturen zu einer Jobagentur der FDP macht.
Ich sehe kein Konzept der Landesregierung, das aufzeigt, welche Potenziale es letztlich auf Landesebene gibt und wie wir sie mobilisieren können.
Wir beantragen daher eine Ausschussüberweisung, um intensiv zu schauen, wie wir die Vorschläge, die es im Antrag der LINKEN gibt, umsetzen können. Ansonsten werden wir uns der Stimme enthalten. Viele kommunale und regionale Initiativen machen uns im Grunde vor, was mit Phantasie, mit Eigeninitiative möglich ist, wenn nur wirklich der Wille da ist, sich auch als Land daran zu beteiligen, endlich die Millenniumziele umzusetzen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Bemerkung vorweg. Ich kann mir nicht verkneifen, kurz zu kommentieren, was Frau Kollegin Klahn und Herr Kollege von Abercron gesagt haben. Wer meint, dass Entwicklungspolitik Luxus sei, ein Sahnehäubchen, das man obenauf legen kann, wenn Geld da ist, verkennt, dass Entwicklungspolitik zum Beispiel auch etwas damit zu tun hat, dass wir in diesem Teil der Welt so viele Flüchtlingsströme haben. Flüchtlingspolitik und Entwicklungspolitik sind zwei Seiten derselben Medaille. Es rechnet sich sogar für uns, wenn man das ordentlich anpackt.
Noch etwas: Es ist doch nicht sozialistisches Geschwafel, wenn man sagt, dass unser Wohlstand in diesem Teil der Welt mit der Ausbeutung der Dritten Welt zu tun hat,