Protokoll der Sitzung vom 21.03.2012

Aber wenn es um die Sicherung von Schulstandorten in unserem Land geht, meine Damen und Herren, dann sollten Sie gut überlegen, was Sie den Menschen vor Ort erzählen, Sie dürfen das nicht zu einer Märchenstunde machen. Wenn Sie sagen, dass Sie die Regionalschulen zu Gemeinschaftsschulen entwickeln wollen, dann müssen Sie auch dazu sagen, dass das für einige Regionalschulen nicht nur eine Entwicklung ist, sondern auch eine Abwicklung.

Bei der Berechnung der Mindestgrößen von Schulen haben wir uns gemeinsam mit der SPD 2007 auf die Klassengröße von 20 Schülerinnen und Schüler verständigt, und das auch mit gutem Grund. Das führt bei der Regionalschule zu einer Zweizügigkeit und bei den Gemeinschaftsschulen auch zu einer Dreizügigkeit.

Meine Damen und Herren, wenn wir die Beschlüsse der Kultusministerkonferenz einhalten wollen, um unsere Schulabschlüsse sichern zu können, dann müssen wir sicherstellen, dass in der 7. Klasse in Mathematik und in Englisch und in der 8. Klasse in Deutsch und einem naturwissenschaftlichen Fach in leistungsdifferenzierten Kursen unterrichtet wird, und müssen dazu eine Fremdsprache sicherstellen, wenn wir dem gymnasialen Anspruch der Gemeinschaftsschule gerecht werden wollen.

Meine Damen und Herren, bei einer Zweizügigkeit landen Sie in der 10. Klassenstufe bei einer Klasse. Und da wollen Sie in zwei Zehnergruppen fünf Fächer leistungsdifferenziert unterrichten? - Das ist utopisch, das ist Unsinn; das geht nur, wenn Sie auf den gymnasialen Anspruch einer Gemeinschaftsschule verzichten.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Unsinn!)

(Dr. Ralf Stegner)

Meine Damen und Herren, Sie haben gestern von der SPD vorgeschlagen, zusätzliche Oberstufen im Land einzurichten. Dazu würden wir mindestens 210 zusätzliche Planstellen benötigen, also rund 10,5 Millionen €. Die Schulträger müssten pro Standort mit Investitionskosten von 4 bis 6 Millionen € rechnen. Obendrein ist die SPD sogar bereit, die Beruflichen Gymnasien im Land infrage zu stellen. Sie wollen sie zu Oberstufen an den Gemeinschaftsschulen umwandeln. Das steht in Ihrem Programm.

(Widerspruch bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Herr Dr. Stegner verspricht auf Podiumsdiskussionen eine geringere Arbeitszeit für Lehrkräfte. Die Beteiligung der Eltern an den Schülerbeförderungskosten soll wieder aufgehoben werden. Bei Ihnen gilt das Prinzip „Wünsch dir was“. Nachdem sich Ihr Spitzenkandidat, Herr Albig, in der Vergangenheit nicht immer SPD-konform zur Bildungspolitik geäußert hat, sagt er jetzt dazu gar nichts mehr. Sein Sprecher verweist die Presse in solchen Fragen an Herrn Dr. Stegner. Meine Damen und Herren, die Menschen im Land interessiert nicht, was Herr Stegner will, die Menschen im Land interessiert, was ihr Spitzenkandidat, Herr Albig, will. Es wird Zeit, dass Herr Albig endlich mal die Bildungspolitik seiner SPD erklärt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort erteile ich dem Vorsitzenden der FDPFraktion, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich höre immer wieder, was Herr Dr. Stegner alles so machen will, wenn er regiert. Für den wirklich unwahrscheinlichen Fall, den Sie nicht akzeptieren wollen: Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht regieren? Verlassen Sie dann das Parlament, Herr Dr. Stegner?

Es ist immer wieder witzig, eine Debatte auf einer Grundlage von Hypothesen zu führen, die noch nicht eingetreten sind. Was wir aber wissen, Herr Dr. Stegner, ist - das habe ich in den „Lübecker Nachrichten“ gelesen -, dass Sie als Bildungsminister für Schleswig-Holstein im Gespräch sein sollen. Gott bewahre unsere Kinder vor einer solchen Richtung.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wir sind gern bereit, mit den Sozialdemokraten, mit den Grünen, mit allen über die Frage zu diskutieren, wie das Bildungsangebot in Schleswig-Holstein verbessert werden kann. Aber an einer Realität kommen wir nicht vorbei - Frau Heinold, das wissen Sie auch -, das ist die Frage der Finanzen. Sie können die Bildungsdebatte momentan nicht führen ohne die Frage der Finanzen parallel zu stellen. Ich finde es sehr schön, dass die Grünen beschlossen haben, sie wollen Rot-Grün, aber ohne SPD. Denn alles das, was die Sozialdemokraten aufgeschrieben haben, kostet ein solches Ausmaß an Geld, dass ich gern gewusst hätte, wie Sie das finanziell unterlegen wollen.

(Zurufe von der SPD)

Wir haben das einmal seriös zusammengerechnet, und die Grünen haben das überprüft und sind zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Alle Ihre Vorschläge summieren sich auf strukturelle Mehrausgaben in der Größenordnung von über 300 Millionen €. Die Menschen dürfen schon erwarten, dass Sie sagen, in welchen Bereichen Sie etwas einsparen wollen, um es hier ausgeben zu können.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wissen Sie, ich habe sehr viel Verständnis dafür, dass alle sagen, wir wollten keine Strukturdebatten führen. Wir führen sie doch jetzt schon wieder.

(Zuruf von der SPD)

- Dann frage ich Sie jetzt, warum Sie sie führen. Die Sozialdemokraten wollen ihrem Lieblingsprojekt nacheifern, man habe sich mit der Union auf einen Kompromiss eingelassen, Regionalschulen und Gemeinschaftsschulen zu etablieren, aber eigentlich habe man gar keine Regionalschulen gewollt. Deshalb müssen die Regionalschulen nicht nur weiterentwickelt werden, sondern sie müssen zu Gemeinschaftsschulen umgewandelt werden, ohne die Frage zu klären, ob das tatsächlich auch dem Elternwillen entspricht.

Der spielt gar keine Rolle mehr. Sie geben ein Bekenntnis ab zu den Gymnasien, obwohl Sie in Ihrem Programm haben, dass es auf mittlere Sicht eine Schule für alle geben soll. Das heißt, die Entwicklungstendenz ist doch klar.

(Dr. Henning Höppner [SPD]: Wichtig ist das Wort „mittlere Sicht“!)

- Ich kann auch „Endsicht“ schreiben. Ich zeige Ihnen gern - das mache ich sofort -, dass das da steht.

(Heike Franzen)

(Christopher Vogt [FDP]: Stufenlehrerausbil- dung!)

- Stufenlehrerausbildung. - Es gibt noch andere Dinge: Beendigung von G 9 an Gymnasien. Sagen Sie einmal, was haben Sie eigentlich dagegen, dass die Schulkonferenz vor Ort, dass die Eltern sich entscheiden können, dass ihre Kinder an einem Gymnasium auch nach neun Jahren Abitur machen können? Ich kann Ihnen sicher sagen, die einzigen, die das wirklich garantieren, weil es unsere Auffassung ist, ist die FDP.

(Beifall bei der FDP)

Wir werden alles daransetzen, das auch den Eltern klarzumachen. Durch Abstimmung mit den Füßen dokumentieren sie, im Land überall, dass sie dringend den Bedarf haben, dass ihre Kinder auch nach neun Jahren Gymnasium Abitur machen können. Sie müssen schon einmal erklären, warum Sie diesem Elternwillen im Zweifel keinen Raum geben wollen. Ihre Behauptung, es sei teurer, ist schlicht und ergreifend Unsinn. Ihr Bekenntnis, Herr Dr. Stegner, zum Bestand des Gymnasiums hört sich ungefähr so an wie der Satz von Walter Ulbricht: Niemand soll denken, wir wollen eine Mauer bauen. Ich sage Ihnen, es geht genau in die Richtung: Sie wollen die Gymnasien entleeren, Sie wollen wieder zusätzliche Differenzierungsstunden an die Gemeinschaftsschulen geben, zulasten natürlich des Personaltableaus bei den Gymnasien.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich frage Sie, wie Sie das begründen wollen. Die erhöhten Differenzierungsstunden sind für die Übergangszeit eingeführt worden, um das System zu implementieren. In Ihrem eigenen Bildungsprogramm aus dem Jahr 2004 - ich habe es hier; ich habe es mir von Ihrer Seite heruntergeladen - steht zur Gemeinschaftsschule, dass man sie auch deshalb ins Leben rufen soll, weil es dort ein erhebliches Einsparpotenzial bei Lehrkräften gibt. Lesen Sie es nach, das steht bei Ihnen auf Seite 10, Herr Höppner. Wenn Sie das selbst formulieren, muss man doch irgendwann einmal fragen, wann Sie dieses Einsparpotenzial realisieren wollen. Dann können Sie nicht sagen: Wir wollen ein besseres Bildungsangebot durch Erhöhung der Differenzierungsstunden an Gemeinschaftsschulen wieder einführen. Das geht zulasten der Bildung an den Gymnasien, und das weiß in diesem Land jeder.

(Beifall bei FDP und CDU)

Frau Franzen hat recht: Ihr Spitzenkandidat kneift bei fast allen Veranstaltungen, erstens weil er sich

schon früher um Kopf und Kragen geredet hat. Wir haben gesehen, er weiß gar nicht, worum es in diesem Land geht. Ich habe es bei der letzten Debatte schon gesagt. Jemand, der erklärt, die Hauptschüler seien zu 95 % gar nicht ausbildungsfähig, weiß gar nicht, was er sagt, weil er den jungen Menschen, die die Hauptschule mit einem entsprechenden Abschluss verlassen haben, die künftigen Lebenschancen bereits ruiniert. Er hat sich zweitens bei der Frage der Finanzierung vergaloppiert. Deshalb verstecken sie ihn lieber, denn bei Diskussionen wird deutlich, er steckt nicht in der Materie. Aber das, was Sie hier bieten, Herr Dr. Stegner, ist, vor der Landtagswahl weiße Kreide zu fressen, um als Wolf im Schafspelz die Hürde zu schaffen. Ich sage Ihnen, die Menschen werden es identifizieren. So lange Sie keine Erklärung zu den zusätzlichen Kosten abgeben, so lange ist das, was Sie hier vorstellen, unglaubwürdig.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Kollegin Anke Erdmann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht um die Sicherstellung der Schulversorgung im ländlichen Raum, auch wenn dies hier bisher kaum Thema war. Wir hatten 2004/2005 600 eigenständige Grundschulen, heute sind es noch 400 eigenständige Schulen. Das heißt, dass der Wandel in der Bildungslandschaft schon längst begonnen hat. Es ist ein Wandel durch den Schülerrückgang, Förderzentren wurden umgebaut, Real- und Hauptschule wurden neu organisiert, auch Berufliche Schulen. Es ist ganz viel in Bewegung. Dieser demografische Wandel hat kein Parteibuch, auch wenn sich das heute Morgen so angehört hat.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir diese Debatte mit Augenmaß, Sachlichkeit und Empathie führen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Die Frage nach der Schließung der Grundschulstandorte und der anderen Schulstandorte treibt viele Leute in diesem Land mit Sorge um, und zwar zu Recht. Familien sorgen sich, ob die Schule vor Ort bleibt, Kolleginnen sorgen sich um ihre eigene

(Wolfgang Kubicki)

Schule. Es ist immer auch ein Kraftakt, dort zu neuen Organisationsformen zu kommen. Viele Bürgermeister sorgen sich, weil sie wissen, dass die Schulen der Lebensnerv in ihrem Ort sind. Deswegen, glaube ich, müssen wir unseren Ton anpassen.

Die Argumentation von Frau Franzen klingt aufgeräumt. Man darf aber, glaube ich, in der Bildungspolitik bei Ihnen nicht hinter das Sofa gucken. Sie haben das Schulgesetz geändert, und Sie haben 2011 Regionalschule und auch Gemeinschaftsschule bei den organisatorischen Möglichkeiten, die man vor Ort hat, angeglichen. Warum das bei der Mindestgrößenverordnung keine Konsequenz haben soll, das bleibt Ihr Geheimnis. Sie haben vorhin von Klassengrößen geredet. Das ist viel zu unflexibel und hat mit der Realität an unseren Schulen überhaupt nichts zu tun, Frau Franzen. Flexibler sind Systeme, die binnendifferenziert arbeiten.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und der LIN- KEN)

Das ist klar, weil Sie gar nicht sortieren müssen, hier habe ich 20 Hauptschulkinder, und hier habe ich 20 Kinder mit dem Stempel Realschule, und irgendwann passt es dann nicht. Deswegen sind binnendifferenzierte Systeme viel flexibler.

Dann ist Ihnen eingefallen, dass die KMK eine entsprechende Vereinbarung getroffen hat, Gemeinschaftsschulen möglichst breit zu differenzieren. Sie müssen eine partielle Amnesie gehabt haben, als Sie Differenzierungsstunden gestrichen haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Denn genau das war das Argument, die Differenzierungsstunden an die Gemeinschaftsschulen zu geben, denn man hat gesagt, diese Schulen müssen ein breites Angebot vor Ort vorhalten. Das heißt, sie haben diese Möglichkeit gestrichen. Was Sie auch sagen, es passt vorn und hinten nicht zusammen.

Ich möchte, auch wenn es in der aktuellen Stunde nicht um die Pläne der Oppositionsfraktionen geht, kurz sagen, wie wir uns das vorstellen. Ich glaube, die Mindestgrößenverordnung ist im Kern richtig, aber sie geht an den Rand dessen, was an Flexibilität momentan nötig ist. Deswegen müssen wir sie anpassen. Die einfache Verlängerung, Herr Minister Klug, ist der falsche Weg. Frau Franzen und auch Frau Conrad sagen ebenfalls, dass sie sich bei den Förderzentren andere Mindestgrößen vorstellen können. Das ist bei Ihren Plänen aber nicht zu erkennen. Wir müssen bei den Grundschulen be

achten: kurze Beine, kurze Wege. Es gibt ganz viele Bürgermeister, ganz viele Schulen, die richtig gute Ideen haben. Man kann über Primarhäuser nachdenken oder Kindergärten und Schulen zusammenbringen, nicht wie in Niedersachsen, aber wie in der Schweiz. Man kann über jahrgangsübergreifende Konzepte reden, die nicht aus der Not entstehen, sondern pädagogisch wirklich gut überlegt sind. Dann muss man auch nicht in Klassengrößen denken, Frau Franzen, sondern dann kann man in Lerngruppengrößen denken. Ich war gerade in einer Grundschule, in der im nächsten Jahr die Jahrgänge eins bis vier zusammen unterrichtet werden sollen. Sie tut dies, obwohl sie vierzügig ist, aus Überzeugung, denn die Lehrerinnen und Lehrer sagen, das ist ein super Ansatz. Das kann nicht jede Schule. Aber da, wo vor Ort diese Möglichkeiten gesehen werden, muss die Mindestgrößenverordnung Flexibilität und Liberalität ermöglichen.