Protokoll der Sitzung vom 23.03.2012

An der Stelle ist das bei Ihnen Perlen vor die Säue werfen. Ich glaube, Sie werden es nicht begreifen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW - Zurufe von der FDP)

Es gibt eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Kubicki. Lassen Sie diese zu?

Ja, gern.

(Zurufe)

Herr Kollege Tietze, würden Sie, wenn Sie Mindestlöhne garantieren wollen, und zwar völlig egal und nicht branchen- oder regionalspezifisch, sondern flächendeckend über Deutschland hinweg, den Unternehmen, Handwerksbetrieben oder Selbstständigen freundlicherweise auch die Umsätze garantieren, die notwendig sind, um die Löhne zahlen zu können?

(Wolfgang Baasch [SPD]: Das ist doch al- bern!)

- Herr Kubicki, Sie wissen doch genauso wie ich, dass Deutschland seit Jahrzehnten ein Billiglohnland ist.

(Widerspruch bei der FDP)

Sie wissen, dass die Gewinne, die in der Wirtschaft - Gott sei Dank - erzielt worden sind, nicht an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weitergegeben wurden. Wir haben in Deutschland immer noch die niedrigsten Löhne. Deshalb müssen wir endlich einmal akzeptieren, was in Europa Standard ist, dass sich unsere europäischen Freunde auf einen Mindestlohn einigen. Das macht Sinn, weil sie das aus der sozialen Gerechtigkeit heraus beantworten. Ich bin der festen Überzeugung, dass die wirt

schaftlichen Unternehmen von der Arbeitskraft, von der Würde, die dahintersteckt, profitieren. Deshalb ist es richtig, dass auch die Wirtschaft erkennt, dass 8,50 € ein Weg sind, der zu mehr Lohngerechtigkeit in diesem Land führt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Wolfgang Kubicki [FDP])

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Magnussen?

Ja, gern.

Herr Kollege Tietze, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es bereits tarifliche Mindestlöhne in gewissen Gewerken gibt und dass es auch für öffentliche Ausschreibungen Formblätter gemäß VOB gibt, in denen der Mindestlohn garantiert werden muss, bevor man ein Angebot abgibt?

- Herr Kollege, ich nehme das gern zur Kenntnis. Wären Sie so freundlich, zur Kenntnis zu nehmen, dass es in Deutschland immer noch Friseure und Friseurinnen gibt, die 3,34 € verdienen? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es Fleischerinnen und Fleischer gibt, die 2,87 € verdienen? Wenn Sie das für richtig halten, dann tun Sie mir leid.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Harms?

Ja, sehr gern.

Herr Harms, Sie haben das Wort.

Herr Kollege Tietze, ich nehme Bezug auf das, was der Kollege Kubicki gesagt hat. Sind Sie mit mir einig, dass bisher die einzigen Unternehmen, die in Bezug auf Löhne staatlich unterstützt wer

den, diejenigen sind, die miese Löhne zahlen und wo wir als Staat hinterher das Aufstocken finanzieren müssen, damit die billige Preise anbieten können auf Kosten der Arbeitnehmer?

Ich nehme das zur Kenntnis, teile die Meinung, bin empört und finde es skandalös.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW - Zuruf des Ab- geordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich sehe keine weiteren Zwischenfragen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag rufe ich jetzt Herrn Kollegen Björn Thoroe von der Fraktion DIE LINKE auf.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beschäftigen Sie sich einmal mit der Lebensrealität in diesem Land!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das empfehlen wir Ihnen!)

Die Lebensrealität in diesem Land sind zum Beispiel Werkverträge, die wir von der Gewerkschaft bekommen haben. Da arbeiten Leute 48 Stunden die Woche für 900 € brutto bei Deutschlands größtem Getränkeauslieferer. Das ist die Realität in diesem Land. 900 € brutto, 750 € netto für 48 Stunden Arbeitszeit per Werkvertrag! Das ist die Realität in diesem Land. Deshalb müssen wir die Frage der Werkverträge hier thematisieren, und deshalb müssen wir dazu beitragen, dass sich da endlich etwas ändert.

(Beifall bei der LINKEN - Unruhe)

Das Gleiche gilt für Ausgliederungen in Krankenhäusern. - Lachen Sie ruhig, Herr Callsen, das zeigt, wie Sie dazu stehen! - Bei Ausgliederungen in Krankenhäusern, bei Frauen, die in Hotels putzen, die hier im Landeshaus putzen, sie alle leisten gesellschaftlich wertvolle Arbeit. Herr Vogt, wenn Sie behaupten, es gebe in Schleswig-Holstein keine qualifizierten Jobs,

(Christopher Vogt [FDP]: Das habe ich gar nicht gesagt!)

(Dr. Andreas Tietze)

dann müssen Sie anfangen umzudenken. - Sie haben gesagt, dass die Menschen in Schleswig-Holstein so wenig verdienen, liege daran, dass es in Schleswig-Holstein keine qualifizierten Jobs gebe. Da sage ich Ihnen: Fangen Sie an umzudenken! Sie haben das gesellschaftliche Umdenken ja angemahnt. Sehen Sie ein, dass eine Erzieherin, ein Erzieher, Leute, die hier sauber machen, die in der Pflege arbeiten, genauso wertvolle Arbeit machen wie andere und genauso gut bezahlt werden müssen! Das ist der Grund dafür, dass Frauen in diesem Land immer noch so wenig verdienen, weil Sie immer noch nicht gesellschaftlich umgedacht haben.

(Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Christopher Vogt [FDP]: Wenn man die private Wirtschaft ab- schaffen will, ist das logisch!)

Es gibt Debatten um Quoten in Aufsichtsräten. Ich erzähle Ihnen einmal, was passiert, wenn eine alleinerziehende Frau einen Vollzeitjob gemacht hat und sich danach beim Arbeitsamt arbeitslos meldet. Dann wird ihr gesagt: Wir glauben Ihnen nicht, dass Sie Ihr Kind unterbringen können, sodass Sie einen Vollzeitjob annehmen könnten. Deshalb bekommen Sie nicht das volle ALG I ausgezahlt. Das ist die Realität in diesem Land. Wir werden alles dafür tun, dass sich das ändert.

(Zurufe)

- Herr Baasch, Sie können einmal mitkommen, dann zeige ich Ihnen Menschen, denen das passiert ist. Da wird gesagt: Sie müssen uns das beweisen. Es gibt ja gar keine Kita-Plätze, die zehn Stunden am Tag offen sind. Deswegen bekommen Sie nicht das volle ALG I ausgezahlt. - Das ist die Realität in diesem Land, dass alleinerziehende Frauen sogar beim ALG-I-Bezug benachteiligt werden.

Dass die SPD jetzt den Mindestlohn ins Tariftreuegesetz aufnehmen will, freut mich sehr.

(Zuruf des Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD])

Das war vor einiger Zeit noch anders. Ich freue mich über diesen Lernprozess und bin zuversichtlich, dass Sie weiter lernen werden und auch bald bei unserer Forderung nach 10 € stehen. Dann können wir in dieser Richtung zusammen agieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Sie sind zum Schluss gekommen.

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Kollegen Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Ich freue mich, dass der Einsatz für den Mindestlohn jetzt auch von dieser Seite des Hauses kommt. Bisher kannte ich den ja nur von der anderen Seite. Das sind ja die Leute, die bisher immer Mindestlöhne garantiert haben: staatliche Gebührenordnung für Anwälte, Gebührenordnung für Steuerberater, Gebührenordnung für Architekten, Gebührenordnung für Baugutachter. Da garantieren Sie Mindestlöhne, und diese sind prächtig. Wenn Sie den Mitarbeitern da vorn in der Pförtnerei eine staatliche Gebührenordnung für Pförtnereibeschäftigte garantieren könnten, wäre ich auch zufrieden. Das können wir machen; da habe ich gar kein Problem.

(Beifall bei der LINKEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es geht ja nicht darum, dass Sie keine ordnungspolitischen Maßnahmen wollen, sondern es geht darum, dass Sie manchen Leuten das Geld zuschustern wollen, und anderen gönnen Sie es offensichtlich nicht, oder aber Sie haben das Problem nicht verstanden.

Der zweite Punkt ist: Ich habe kein Mitleid mehr mit CDU- und FDP-Abgeordneten, die über die Zustände in der Rentenversicherung jammern. Wir alle wissen, dass das Lohngefüge in diesem Land dazu führen wird, dass die Rentenversicherung immer mehr zu Kreuze kriechen muss und irgendwann gar kein Geld mehr hat und nur noch von staatlichen Transferleistungen leben muss. Wenn Sie jetzt nichts ändern, ist es Ihre Verantwortung, dass die Rentenversicherungen in zehn, 15 oder 20 Jahren keine vernünftigen Renten mehr bezahlen können. Auch das muss man sehen, wenn es immer heißt, Sie setzen sich für Senioren ein.

(Beifall bei der LINKEN, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich habe von Lars Harms recht deutlich gehört und habe auch von Andreas Tietze gehört: Nach dem 6. Mai ist es ziemlich klar, dass diese Seite des Hauses die Opposition bilden wird. Ich würde jetzt ganz gern auch noch von den Sozialdemokraten eine ganz klare Aussage haben: Jawohl, die Gesetzentwürfe, die wir vorgelegt haben, lassen wir nicht der Diskontinuität anheimfallen. Wenn Sie es doch tun, dann bringen wir sie nach dem 7. Mai neu ein, und wir werden das hier so durchsetzen. - Es

(Björn Thoroe)