Protokoll der Sitzung vom 23.03.2012

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE])

Deshalb haben wir uns entschieden, diesen Gesetzentwurf einzubringen. Wir wollen mit den Bürgerinnen und Bürgern, mit den Institutionen und Verbänden darüber reden. Deshalb finden wir es sehr schade, dass es nicht gelungen ist, diesen Weg gemeinsam mit SPD und SSW zu gehen.

Aber ich will hier keinen Spaltpilz hineinbringen. Ich sage: Wir sind auch für euren Resolutionsantrag. Das ist auch in unserem Sinne. Aber wir wollten noch einmal sagen: Wenn man es handwerklich ordentlich macht und machen will, kann man es mit diesem Gesetzentwurf so tun. Der ist dann auch der konsequentere Weg im Vergleich zu einer Resolution.

Wenn wir in Schleswig-Holstein etwas bewegen können, sollten wir das anpacken. Wir sollten es anpacken, gerechte Löhne in unserem Verantwortungsbereich zu schaffen. Das ist eine Verpflichtung - nicht nur vor Wahlkämpfen, sondern darüber hinaus -, der wir uns gestellt haben. In Bremen haben Grüne und SPD es uns gemeinsam vorgemacht, wie es geht. Jetzt muss man es für Schleswig-Holstein auch wollen und dann tun. Wir hoffen, dass dieser Gesetzentwurf nicht der Diskontinuität anheimfällt, sondern dass wir in einer neuen Legislaturperiode auf Grundlage dieses Gesetzentwurfs diese Dinge grundlegend angehen. Ich bin sehr davon überzeugt, dass die Menschen in SchleswigHolstein es uns danken werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Wolfgang Baasch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon eine skurrile Diskussion, die wir immer wieder führen. Wir sind uns verhältnismäßig schnell einig, wenn es darum geht, in großen Bereichen der Wirtschaft, zum Beispiel bei Bankenrettung, auch hier im Haus Geldzahlungen zu beschließen. Aber wenn es darum geht, über den Mindestlohn zu diskutieren, kommen wir immer wieder an Punkte, an denen wir uns anscheinend nicht einig werden können.

Dabei ist jedem von uns klar: Mindestlöhne sollen Armut verhindern, Mindestlöhne sollen präventiv gegen Altersarmut wirken, Mindestlöhne sollen auch einen Wert von Arbeit dokumentieren, dass nämlich nicht Niedriglohn und prekäre Arbeitsverhältnisse das Vorherrschende sind, sondern dass Arbeit in dieser Gesellschaft einen Wert darstellt und entsprechend bezahlt werden muss.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Dabei sind selbst Mindestlöhne in Schleswig-Holstein und in Deutschland nichts Exotisches. In der Abfallwirtschaft - Straßenreinigung und Winterdienst einbezogen - gilt im Bundesgebiet seit dem 1. Januar 2011 8,33 € als Mindestlohn, im Baugewerbe - Bundesgebiet West – gilt ab dem 1. Januar 2012 11,05 € als Mindestlohn, bei einfachen fachlichen Arbeiten 13 €, im Bundesgebiet Ost gibt es ab 1. Januar 2011 einen einheitlichen Mindestlohn von 10 €, im Dachdeckerhandwerk im Bundesgebiet -

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Kollege Kubicki, nicht das Absenken ist das Entscheidende, sondern das Eingeständnis, dass die Mindestlohnquote auf 8,50 € angehoben werden muss und endlich für alle gelten soll und nicht nur in den einzelnen Bereichen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

(Dr. Andreas Tietze)

Aber es gibt immer noch - auch in diesem Haus Menschen, die glauben, dass mit Mindestlöhnen Arbeitsplätze vernichtet werden. Genau da sage ich: Es ist nichts Exotisches, sondern es ist richtig, dass dieses bundesweit eingeführt wird.

Es lässt sich also so zusammenfassen: Wir befinden uns im Jahr 2012 nach unserer Zeitrechnung. Mindestlöhne gibt es in den allermeisten europäischen Staaten. Und auch in der Bundesrepublik sind sie in vielen Bereichen Realität. Genau dies wollen wir auch für uns anerkennen. Von daher haben SPD und SSW einen gemeinsamen Antrag eingebracht, um deutlich zu machen, dass wir als eine Art Selbstverpflichtung des Landes auch für Auftragnehmer einen Mindestlohn von 8,50 € verlangen. Dass tarifliche Vereinbarungen darüber hinausgehen können, weil der Wert der Arbeit dieses hergibt, ist selbstverständlich.

Ein gesetzlicher Mindestlohn hat aber auch andere Vorteile. Nach Studien des Prognos-Instituts würden bei einem eingeführten Mindestlohn die Steuereinnahmen und die Einnahmen im Bereich der Sozialversicherung erheblich steigen. Man geht von bundesweit 7 Milliarden € aus. Ferner würden Leistungen für Aufstocker wegfallen. Das heißt, auch dort würden die Sozialkassen entlastet.

(Beifall bei SPD und SSW)

Dies würde nicht nur Sinn machen, sondern auch deutlich machen: Wenn ein Mensch Vollzeit arbeitet, soll er von seinem Lohn leben, seine Familie davon ernähren können und nicht auf zusätzliche staatliche Transferleistungen angewiesen sein.

Deswegen ist es gut, dass das Land Schleswig-Holstein in Tarifverträgen festgelegt hat, dass 8,92 € der geringste Stundenlohn sind, für den man in Schleswig-Holstein arbeitet. Aber es ist auch klar, dass die Kolleginnen und Kollegen, die beim Land Schleswig-Holstein über einen Tarifvertrag beschäftigt werden, mit einem Stundenlohn von 10,02 € beginnen. Das ist meiner Meinung nach die richtige Hausmarke.

Wir sollten darauf achten, dass bei Zuwendungen und Aufträgen, die das Land vergibt, und bei Unternehmen, an denen das Land beteiligt ist, der Mindestlohn gilt und anständige Tarifvereinbarungen getroffen werden. Dass das mittlerweile in Schleswig-Holstein noch nicht überall der Fall ist, können wir feststellen, wenn wir uns die Ereignisse in der letzten Zeit ansehen. Beim DRK Rettungsdienst im Kreis Segeberg herrscht ein tarifloser Zustand. Der Arbeitgeber weigert sich sogar, über einen Tarifvertrag zu verhandeln. Es ist völlig un

verständlich, dass die Rettungsorganisationen wie das DRK zum Teil Dumpinglöhne zahlen, um aus öffentlichen Kassen ihre Mitarbeiter bezuschussen zu lassen. Dies ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ja, es gibt einen Tarifvertrag, und der darin enthaltene Mindestlohn liegt bei über 8,50 €. Darüber können wir gern diskutieren.

Wir stimmen ja heute auch über den Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab. Diesen Gesetzentwurf unterstützen wir im Grundsatz komplett. Dieser hat allerdings zwei offenliegende Mängel. Der eine ist, dass in diesem im Gegensatz zu dem Bremer Gesetzentwurf nicht auf ein Tariftreue- und Vergabegesetz verwiesen wird.

Herr Kollege, ich muss Sie leider darauf hinweisen, dass Sie zum Schluss kommen müssen. Insofern bitte ich Sie, Ihre Punkte schnell zusammenzufassen.

Das will ich gern tun.

Der Verweis auf ein Tariftreue- und Vergabegesetz wurde aus dem Bremer Gesetzentwurf herausgenommen. Wir finden es notwendig, diese Regelung zu einem Tariftreue- und Vergabegesetz in einen Gesetzentwurf mit aufzunehmen.

Das Zweite ist, dass auch die Leiharbeitsregelung, die in Nordrhein-Westfalen in einem entsprechenden Gesetzentwurf mitbearbeitet wurde, in diesen Gesetzentwurf mit aufgenommen werden sollte.

Aber ich bin mir sicher, dass wir nach dem 6. Mai in dieser Angelegenheit schnell Einigkeit bekommen und dann gemeinsam ein gutes Regieren in Schleswig-Holstein praktizieren können.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich der Frau Abgeordneten Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg sagen, dass ich nicht zu unse

(Wolfgang Baasch)

rem Änderungsantrag, sondern zu unserem Antrag „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ rede, denn am heutigen Tag begehen wir mal wieder den weltweiten Equal Pay Day. Der Kollege Tietze ist ja mit einem Satz darauf eingegangen. Ich finde, dass wir dazu heute einen längeren Beitrag halten sollen, um zu sehen, wie die Situation der Frauen in Deutschland und auch in Schleswig-Holstein ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Theoretisch müssen Frauen bis zum 23. März 2012 arbeiten, um den Männerlohn von 2011 einzuholen. So weit ist die Entgeltdiskriminierung von Frauen. Es ist brandaktuell. Ich denke, wir sollten nicht nur darüber reden, sondern auch handeln, und zwar in Europa, in der Bundesrepublik und damit auch in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit Jahren verdienen Frauen in Deutschland durchschnittlich rund 23 % weniger als Männer. 1999 lag dieser Wert kurz bei unter 20 %, aber dann stieg der Wert wieder auf 23 % an. Das ist bis heute so geblieben. In den 34 Industriestaaten, die sich in der OECD zusammengeschlossen haben, liegt die Differenz im Durchschnitt bei 16 %. In Norwegen bekommen Frauen lediglich 8,4 % und in Belgien 8,9 % weniger Gehalt als die Männer. Damit sind wir mal wieder eines der Schlusslichter im europaweiten Vergleich.

Es ist ein bitterer Fakt, dass Frauen noch immer materiell schlechter gestellt sind als ihre männlichen Kollegen. Aber nicht nur dort: Frauen sind in den hundert größten deutschen Unternehmen nur zu 1 % an führender Position vertreten. Der Frauenanteil in Politik und Wirtschaft liegt bei unter 10 %. Und auch die schleswig-holsteinische Landesregierung hat nur eine Ministerin in ihren Reihen.

Frauen bilden mit 65 % die größte Gruppe im Niedriglohnbereich, unglaubliche 41 % der vollzeitbeschäftigten Frauen arbeiten in Schleswig-Holstein für Niedriglöhne.

Die Verdienstlücke hat leider vielfältige Gründe: Frauen sind in niedrigen Hierarchiestufen beschäftigt, unterbrechen ihre Berufstätigkeit häufiger, arbeiten in Teilzeit. Diese strukturelle Diskriminierung besteht auch deshalb, weil es einen Mangel an Kinderbetreuung und immer noch eine ungleiche Verteilung von Hausarbeit zwischen Frauen und Männern gibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir leben im 21. Jahrhundert. Noch im Jahr 1966 hieß es - ich zitiere :

„Pflegerin und Trösterin sollte die Frau sein, Sinnbild bescheidener Harmonie, Ordnungsfaktor in der einzig verlässlichen Welt des Privaten, Erwerbstätigkeit und gesellschaftliches Engagement sollte die Frau nur eingehen, wenn es die familiären Anforderungen zulassen.“

Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei,

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

aber Reste bestehen immer noch. Denn eine UNSchrift besagt:

„In keiner Gesellschaft stehen Frauen die gleichen Möglichkeiten offen wie den Männern.“

Genau aus diesen Gründen bleiben Gender- und Frauenpolitik ein wichtiges Anliegen für DIE LINKE.

(Beifall bei der LINKEN)